Zur guten Nacht: Der sizilianische Rosenelf

Weit weg im Norden Siziliens liegt die Isola delle Femmine, die Fraueninsel. Dort finden sich nicht nur eine reichhaltige Flora, sondern auch eine überreiche Fauna. So sind zum Beispiel gelbgrüne Zornnattern und Ruineneidechsen dort beheimatet. Und, man kann es sich anhand des Namens denken, sehr viele Frauen. Um den Umstand, wie es einst dazu kam, ranken sich Gerüchte. Einige erzählen von einem ehemaligen Frauengefängnis, aber auch von einem Exil für verstoßene türkische Frauen ist die Rede. So oder so, die Männer auf dieser Insel waren in der Unterzahl. Einer von ihnen zog daraus den Schluss, dass er sich in seiner Beziehung keine Mühe mehr geben müsse, seine Frau könne schließlich froh sein, überhaupt ein männliches Exemplar abbekommen zu haben. Seine Freunde ließen sich von dieser Theorie nur allzu leicht überzeugen und so herrschte bald in sämtlichen Betten auf der kleinen Insel Flaute.

Und man kennt ja die Italiener, auch die Sizilianer bilden da keine Ausnahme: Katholisch bis ins Mark. Ständig beten sie zu irgendeinem Sankt Sowienoch und in diesem Fall beteten die Frauen, dass die Leidenschaft in die Herzen und Lenden ihrer Männer zurückkehren möge.

Eines Nachts dann schlich eine kleine Gestalt in einen Garten, brach eine wunderschöne Rose ab und kletterte damit durch ein offenes Fenster, ehe sie wenig später ohne Rose zurückkam und in der Dunkelheit verschwand. Als die Frau des Hauses am Morgen erwachte, glaubte sie, nicht richtig zu sehen: Klemmte doch quer zwischen den Zähnen ihres schlafenden Mannes eine rote Rose! Begeistert ob dieser romantischen Geste warf sie sich nun voller Leidenschaft auf ihren Ehegatten. Jener war kurzfristig perplex, hatte er doch keine Ahnung, wo diese Rose hergekommen war, aber, durch und durch ein Mann, würde er das natürlich niemals zugeben. Die plötzlich wieder entfachte Leidenschaft war zwar schön, der Mann jedoch fragte sich, wo wohl die Rose hergekommen sein mochte. Gab es einen anderen Mann? Er wurde eifersüchtig! Seine Frau, ihm einst gleichgültig geworden, wurde von ihm nun wieder glühend umworben. Zwar gab es ein bisschen Ärger wegen der ganzen Eifersucht, aber umso leidenschaftlichere Versöhnungen. Dies blieb auch den Nachbarn nicht verborgen, denen, aus deren Garten die Rose gestohlen worden war. Beide verdächtigten den jeweils anderen, die schöne Blume gepflückt zu haben und beäugten einander argwöhnisch, während sie des Nachts grün vor Neid auf die stürmischen Nachbarn in ihren Betten lagen. Bis wieder eine kleine Gestalt durchs offene Fenster stieg und eine Rose zurückließ. Bald schon war in sämtlichen Ehebetten auf der Isola delle Femmine der Bär los. Der Rosen-Elf sah seine Arbeit erledigt und setzte seinen Siegeszug woanders fort. Durch jeweils eine einzige wohl platzierte Rose gelang es ihm, in Carini einen ganzen Straßenzug, dann ein komplettes Stadtviertel von Capaci und schließlich halb Palermo in amouröser Hinsicht wiederzubeleben und in einen Rausch der Leidenschaft zu führen.

Selbst heute spricht man noch von den „langen heißen Nächten damals in Palermo“ und senkt mit geröteten Wangen den Kopf. Es gibt keinen Grund, näher auszuführen, was zu jener Zeit dort geschehen ist, das wissen schließlich alle. Auch, wenn einige Romantikverweigerer, solche, die nie den betörenden Duft einer Rose in der Nase hatten, geschweige denn, eine im Mund, behaupten, all das hätte mit der überaus guten Weinernte in diesem Jahr zu tun. Der Wein sei gar billiger als Wasser gewesen, weshalb mehr getrunken wurde und allein das habe Zungen und Hüften gelockert. Rosen-Elf! Pah, Humbug!

Jener Rosen-Elf machte sich nun auf, den Rest der Welt in Liebe wieder zu vereinen, zog erst nach Amsterdam (mit Tulpen klappte das ganze Unterfangen aber nur so halbgut), dann nach Berlin, wo sich seine Spur verlor. Vermutlich macht er seit längerer Zeit Urlaub und sammelt seine Kräfte, denn wie wir alle wissen, gibt es auf dieser Welt gerade sehr viel für ihn zu tun.


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