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Der besondere Laden: Öznur-Art Galerie & Atelier

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Der besondere Laden: Öznur-Art Galerie & Atelier


Inmitten der List befindet sich Öznur Kökels kleine Welt – Öznur-Art Galerie & Atelier. Egal, ob man professionell zeichnen lernen möchte, sich künstlerisch austoben oder einfach die eigene kreative Seite entdecken will: In Öznurs Kursen taucht sie mit Interessierten in die Welt der Kunst ein. Alles unter dem Motto, die innere Farbe zu entdecken.

„Wir müssen Hand in Hand als Künstler*innen diese Welt schön machen. Welche Religion, welche Sprache, ist für mich dabei egal“, meint Öznur Kökel, Künstlerin und Inhaberin von Öznur-Art Galerie & Atelier in der List. „In meiner kleinen Welt habe ich das geschafft“. Ihre kleine Welt ist ihr Laden ganz in der Nähe des Lister Platzes. Die Wände um sie herum sind mit ihren eigenen Kunstwerken geschmückt, auf dem Tisch an der Fensterfront stapeln sich Pinsel, Farben, Staffeleien – all das, was sie für ihre Kurse und Workshops braucht. Denn ihre Räumlichkeiten nutzt Öznur nicht nur als Galerie. Hier bietet sie anderen Menschen die Möglichkeit, ihre künstlerische Leidenschaft zu entdecken.

Ob in Mappenvorbereitungskursen, Manga-Zeichenkursen, Kunstkursen für Jugendliche und Erwachsene, themenspezifischen Workshops oder Firmenfeiern: In den Kunstkursen der professionellen Künstlerin lernen die Teilnehmenden verschiedene Techniken der Malerei und Zeichnung kennen und können ihre eigenen Projekte in einer kleinen Gruppe realisieren. „Du musst immer zuerst sehen lernen. Bei meinem Unterricht zeige ich zuerst, wie man richtig sehen kann – Form, Licht“, erklärt sie. Erst dann geht es ans Papier. „Ich zeige, wie man richtig mit Stift und Papier umgeht. Schritt für Schritt: Grundtechniken, Zeichentechniken, Schattierungen, dann Farbe. Wenn man keine Geduld hat, sage ich immer, sollte man zu Hause bleiben.“

Öznurs eigene Kreativität fand schon früh ihre Anfänge, ihre Leidenschaft für Formen und Farben entdeckte sie bereits im Kindesalter. Vieles brachte sie sich selbst bei, dann folgte ein Kunststudium an der Universität „Dokuz Eylül“ in Izmir in der Türkei. „Ich habe richtig intensiv Kunst, Maltechniken und Grundtechniken gelernt. Von der Wurzel an.“

Ihr Weg führte sie nach Hannover. „Ich konnte am Anfang kein Deutsch, das war sehr hart für mich. In Izmir bin ich professionelle Künstlerin, habe ein Diplom“ – in Deutschland hatte sie erstmal nichts. „Aber ich habe sofort mit der Kunst weitergemacht. Ich habe in meinem Koffer viele Farben mitgebracht“, erinnert sie sich schmunzelnd. Und es dauerte nicht lange, bis sie wieder die Kunstbühne betrat. Ende der 90er Jahre stellte sie in der Stadtbibliothek in Seelze ihre Kunstwerke aus, viele weitere Ausstellungen folgten. Sie begann Unterricht zu geben, wie auch schon ihre Eltern, die beide Lehrer waren. 2013 gründete sie dann Öznur-Art Galerie & Atelier. Denn trotz Kursen und Workshops hat Öznur keineswegs mit der eigenen Kunst aufgehört. Immer sonntags zieht sich die Künstlerin in ihr kleines Atelier zu Hause zurück und schafft neue Kunstwerke. „Das ist meine schöne Zeit. Mit Pinsel und mit Farbe.“

Auf ihrem Weg hat Öznur viele Hürden überwunden. Und auch heute ist das Leben als selbstständige Künstlerin nicht immer leicht. „Wenn Menschen durch die Tür gucken, sagt man mir oft ,Oh, du hast einen sehr schönen Beruf’“, erzählt sie. „Aber oft ist das schon ganz schön viel. Alles organisieren, Miete, jährliche Nachzahlungen. Die eine Seite ist wunderschön, die andere Seite ist hart“, meint Öznur. Doch unterkriegen lässt sie sich davon nicht. „Mein Ziel ist meine besondere Farbe zu finden. Ich male jeden Tag. Ich lerne jeden Tag etwas Neues. Das ist nicht das Ende. Ich muss noch die richtige Farbe finden. Es ist egal, welche Farbe, aber das ist mein Ziel. Ich habe Erfahrung mit meinem Beruf, ich bin professionelle Künstlerin. Aber ich möchte in dieser Richtung weitermachen, ohne Ende.“

Jule Merx

Öznur-Art Galerie & Atelier
Lister Straße 11, 30163 Hannover
www.oznur-art.de
Instagram @oznurart und @oznurkokel

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Stadtgeschichte(n) im November: Halim-Dener-Platz

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Stadtgeschichte(n) im November: Halim-Dener-Platz


Jeden Monat gibt es eine Stadtgeschichte im STADTKIND, eine Geschichte eben, die etwas über die Stadt erzählt…

In dieser Ausgabe mal eine Geschichte zu einer noch etwas jüngeren Namensgebung.

Lange hatte die Rasenfläche zwischen Velvetstraße und Pfarrlandstraße, gleich neben dem Pfarrlandplatz mit der AWO-Kindertagestätte, keinen Namen. Was natürlich verwundert, denn neben der Limmerstraße ist dieser Platz einer der belebtesten in Linden-Nord. Viele kennen und schätzen seine zentrale Lage und die perfekte Mischung aus buntem Spielplatz mit tobenden Kindern und ruhigem Ort, der zum Verweilen auf einer der Bänke einlädt. Hier trifft nachmittags der spielende Nachwuchs auf junggebliebene Ältere, die regelmäßig ihre Tischtennis-Schläger auspacken und ein Turnier veranstalten.
Ein friedliches, städtisches Miteinander.
Doch wie gesagt, lange Jahre fehlte ein Name.

Doch dann wurde am 30. Juni 1994 der 16-Jährige Halim Dener auf dem Steintorplatz in Hannover von einem SEK-Polizisten in Zivil beim Plakatieren erwischt und erschossen. Der Beamte behauptete später, es sei ein Versehen gewesen und er wurde freigesprochen. Halim Dener war damals als unbegleiteter Minderjähriger erst wenige Wochen zuvor nach Deutschland geflüchtet, um Schutz zu suchen. Er klebte in der Nacht Plakate der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans „ERNK“, die seit 1993 in Deutschland verboten ist, wie alle PKK-nahen Organisationen. Im Zuge der großen Trauerkundgebung mit vielen Kurd*innen wurde nun darüber diskutiert, jenen Platz, der in Hannover so sehr für ein friedliches und freundschaftliches Miteinander steht, nach Halim Dener zu benennen. Um damit nicht nur die Erinnerung an den jungen Mann zu erhalten, sondern gleichzeitig nachhaltig auf die Problematik von Polizeigewalt und Racial Profiling hinzuweisen und nicht zuletzt auch auf die dringende Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen Kurd*innen und der Türkei.

Schnell war man sich damals einig, die Umbenennung wurde im Bezirksrat nur kurz diskutiert und einstimmig beschlossen, die Klage eines Umbenennungsgegners ein paar Wochen später vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Tja, und seither heißt der Platz nun Halim-Dener-Platz.
Und wenn im kommenden Jahr der 30. Todestag von Halim Dener auf diesem Platz feierlich, aber vor allem freundschaftlich mit einem deutsch-türkisch-kurdischen Friedensfest begangen wird (sogar ein Auftritt des Polizeiorchesters ist geplant und die Reiterstaffel ist mit einer Kinderaktion vertreten), dann dürfte Hannover mal wieder im Mittelpunkt des bundesdeutschen Interesses stehen.

Denn Hannover zeigt einmal mehr, wie man es richtig macht. Aussöhnung, Verständigung, Freundschaft, Miteinander – nur so gelingt Verzeihen.

Nicht zuletzt: Als wir ein Foto für diesen Artikel machen wollten, haben wir kein Schild gefunden. Wahrscheinlich war es kaputt und wird gerade repariert. Wir hoffen, die Stadt schafft es recht bald, das Schild wieder dort aufzustellen, wo es hingehört.

Mette Vöge

 

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Politisches: Auf deutschen Straßen…


Es hat nicht lange gedauert, nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bis der Konflikt – wobei das wahrscheinlich ein viel zu harmloses Wort ist – auch auf den Straßen in Deutschland angekommen ist. In Berlin-Neukölln verteilten Sympathisanten der Hamas kurz nach dem Angriff Süßigkeiten, in den Tagen darauf gab es viele pro-palästinensische Demonstrationen. Es gab offenen Judenhass, Davidsterne wurden an Türen geschmiert, israelische Fahnen heruntergerissen und teilweise angezündet, Israel das Existenzrecht abgesprochen. Und als dann nahe eines Krankenhauses in Gaza irgendetwas explodierte, war man sich in sehr vielen Ländern einig, dass dafür auf jeden Fall eine Rakete aus Israel verantwortlich sein musste. Der Hass kannte fortan fast keine Grenzen mehr.

Einige Faktenchecks später ist klar, dass noch nicht viel klar ist, dass aber eine israelische Rakete als Ursache der Tragödie wohl ausfällt. Und das ist mehr als logisch. Aus was für einem Grund sollte Israel auf ein vollbesetztes Krankenhaus in Gaza feuern? Um damit weltweit den Hass zu schüren? Um damit Juden auf der ganzen Welt in Gefahr zu bringen? Ein solcher Angriff Israels wäre nur dann zu verstehen, wenn Israel es gezielt auf palästinensische Zivilisten abgesehen hätte. Israel hat es aber nur auf die Hamas abgesehen. Es war im Gegenteil die Hamas, die es zuvor auf israelische Zivilisten abgesehen hatte.

Und nun? Bricht sich der Antisemitismus in Deutschland und weltweit Bahn. Man kann das nur mit deutlichen Worten verurteilen. Es ist widerlich. Und umso mehr ist zu begrüßen, dass die Politik in Deutschland bereits deutliche Worte gefunden hat, adressiert an all jene, die jetzt ihren Judenhass auf die Straße tragen. Es ist richtig und wichtig, das in Deutschland nicht zuzulassen und hart zu bestrafen. Auch dann, wenn der Krieg, den Israel in den kommenden Wochen gegen die Hamas führen wird, noch viele Zivilisten tötet. Es ist völlig klar, wir werden tote Frauen und Kinder sehen, grausame, schreckliche Bilder. Doch man kann dazu schon jetzt eine Frage stellen: War nicht genug Zeit, die Kinder und Frauen zu evakuieren? Es ist ein bekanntes Vorgehen der Hamas, sich hinter Zivilisten zu verstecken, sie als Schutzschilde zu missbrauchen und die Getöteten dann für die eigene Propaganda einzusetzen. Genau das sollten alle im Hinterkopf haben, die in den nächsten Wochen an Israel appellieren werden, das Töten zu beenden. Schon jetzt gibt es viele Stimmen, die fordern, Israel solle sich human verhalten, solle die Waffen schweigen lassen, solle nicht weiter bombardieren und nicht einmarschieren. Viele dieser Stimmen haben auch schon für das Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine plädiert. Sie werden demnächst wieder ähnlich argumentieren. Die Waffen müssen sofort schweigen, koste es, was es wolle.

Es würde eine Menge kosten. Was tun, wenn du deinem Gegner die andere Wange hinhältst, und der bringt dich hämisch lachend um? Genau das ist keine theoretische Phrase, sondern für Israel einer Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte. Jeder Rückzug, jedes Zugeständnis Israels wurde letztlich als Schwäche interpretiert. Man hat auf der anderen Seite nicht ebenfalls einen Schritt zurück gemacht, sondern einen jubelnden Schritt nach vorne.

Aber haben die Israelis nicht auch einen großen Anteil an all dem Hass und den schlimmen Zuständen? Was ist mit all den zerstörten Brunnen? Was ist mit der Siedlungspolitik, der Landnahme, der Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung? Hat Israel nicht eine Mitverantwortung? Es wird in diesen Tagen oft gefragt, ob man Israel für seine Politik jetzt nicht mehr kritisieren darf. Doch, man darf. Und nein, man ist kein Antisemit, wenn man Israel dafür kritisiert, in den letzten Jahren nicht mehr an einer nachhaltigen Lösung gearbeitet zu haben. Oder wenn man Benjamin Netanjahu für einen fragwürdigen Populisten hält, der Israel zunehmend schwächt.

Leider wird an dieser Stelle aber kaum differenziert. Der Grat zum Antisemitismus ist schmal und der Hass auf die Juden wird auch bei uns in den nächsten Wochen weiter zunehmen, mit jedem getöteten Kind. Der Druck auf Israel wird täglich wachsen. Aber leider hat Israel gar keine Wahl. Und es ist genau das, was hierzulande noch nicht so ganz verstanden wird. Was machst du, wenn du von Nachbarn umgeben bist, die dich allesamt ins Meer werfen wollen, die dich ertränken wollen? Was machst du, wenn dir Menschlichkeit als Schwäche ausgelegt wird? Wenn dein freiwilliger Rückzug für die andere Seite ein Sieg wäre, der den nächsten Angriff befeuert? Israel kann im Moment gar nicht anders, Israel muss versuchen, mit allen Mitteln die Hamas auszulöschen. Erst danach wird es wieder eine Chance geben für mehr Frieden in der Region. Man kann nur hoffen, dass die anderen Staaten und Organisationen in der Region jetzt nicht in diesen Krieg einsteigen. Genau darum muss sich die internationale Diplomatie in den kommenden Tagen und Wochen in erster Linie kümmern.

Und auf den deutschen Straßen? Muss es darum gehen, Judenhass zu unterbinden. Übrigens nicht nur auf den Straßen, sondern ebenso in den Schulen, in den Universitäten, in Vereinen. Und vor allem auch in den sozialen Netzwerken. Was dort in den Tagen nach dem Angriff der Hamas auf Israel an Lügen kursierte, war wirklich beängstigend. Genauso beängstigend wie die Tatsache, dass es Menschen gibt, die all diesen Mist bereitwillig glauben und nicht hinterfragen.

POL

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bonataxi: Die Erfindung der Langsamkeit Oder: Ruhe bitte!

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bonataxi: Die Erfindung der Langsamkeit Oder: Ruhe bitte!


Die Erfindung der Langsamkeit. Oder: Ruhe, bitte!“ lautet der Titel von Maura Eccos Bild aus dem Jahr 2021, das zu seinem Zyklus „Friedhof – Ein Ort, der mich erdet“ zählt. Entstanden ist es im japanischen Sapporo, wo Ecco die Vorzüge der naturalistischen Pleinairfotografie für sich entdeckte.

Ecco fotografierte die gemächlich auf den Strand zurollenden Wellen kopfüber. Durch diesen turnerischen Kunstgriff bekommen sie die Anmut(ung) eines Vorhangs, der sich auf den Bühnenboden senkt, um zu signalisieren, dass nun Ruhe herrschen möge. Wie nappiert ergießen sich die Wellen von oben nach unten. Eine reduzierte Farbpalette, die sich auf Blau-, Grau- und Weißtöne konzentriert, überlässt dem eleganten Schwung des Wasserspiels den Vortritt im Buhlen um die Aufmerksamkeit des Betrachters.

In seiner Einfachheit erinnert das Foto an Höhlenmalerei, was nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken ist, dass Ecco ein zartes Gespür für die Vorhangform entwickelt. Sublim codiert er die archaische Kraft des Meeres, als ließe sich diese vom Fallen eines Bühnenvorhangs zähmen, und schafft damit ein gleichermaßen bukolisch wie transzendent wirkendes Amalgam. Das Verknüpfen der Motive Vorhang und Meer mag überdies als Reminiszenz an Maurice Risch, den Mitbegründer der französischen Maritim-Soziologie, gelten.

Die Aufnahme wurde zuerst als großformatiger Fotodruck auf Holz veröffentlicht, damit ein kontemplatives Eintauchen in das Bildmotiv das Nachspüren des zentralen Bildthemas, nämlich Ruhe, erleichtert. Der Künstler verbildlicht hier Ruhe, jedoch nicht notwendigerweise Friedhofsruhe.

bonnataxi@gmx.de

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Ein offener Brief an Gregor Gysi

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Ein offener Brief an Gregor Gysi


Lieber Gregor,
loooooos geht’s! Sie ist weg! Heureka! Und mit ihr auch noch all die anderen. Amira Mohamed Ali, Christian Leye, Ali Al-Dailami, Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Jessica Tatti und Alexander Ulrich … Auf Wiedersehen! Lukas Schön, Jonas Christopher Höpken, Fadime Asci, John Lucas Dittrich, Amid Rabieh und Sabine Zimmermann … Macht’s gut! Jetzt aber schnell! Die Reihen schließen, setzt euch zusammen und arbeitet!

Arbeitsauftrag: Wieder eine echte, linke Partei werden. So eine ohne Gedöns, ohne NATO-Austritt (könnt ihr echt mal eine Weile ausklammern) und Russlandfreundlichkeit als Staatsraison, damit endlich wieder billiges Gas durch die Leitungen fließt, koste es, was es wolle, vielleicht sogar die Ukraine, ohne populistisches Hetzen gegen „Öko-Aktivismus“ und zu viel ungeregelte Einwanderung in die soziale Hängematte, ohne „Freiluftgefängnis“ und „Deutschland zuerst“, ohne die ganze übliche Folklore. Konzentriert euch jetzt einfach auf das, was wirklich wichtig ist. Das ist eine Riesenchance, alle Verschwörungstheoretiker*innen und/oder Populist*innen versammeln sich demnächst beim BSW und werden sich neben SW lautstark durch die Medien schwurbeln, während ihr endlich den Rücken freihabt und ganz in Ruhe etablieren könnt, was in Deutschland tatsächlich bereits seit viel zu vielen Jahren fehlt.

Lass uns mal zusammen ein bisschen träumen, lieber Gregor. Von sozialer Gerechtigkeit, echter sozialer Egalität, von ein bisschen mehr Umverteilung, von besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen, von einem Kapitalismus mit harten sozialen Leitplanken, von mehr Fairness und Solidarität, von einem starken Sozialstaat, der Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnraum und andere grundlegende Dienstleistungen für die Bürger bereitstellt, von entschlossenem Klimaschutz, der sich auf die Wissenschaft stützt und nicht auf Umfragen, von einer tatsächlich werteorientierten Außenpolitik, die sich nicht drückt, wenn es mal haarig wird, von einer entschlossenen Unterstützung benachteiligter und marginalisierter Gruppen, von einer nachhaltigen Stärkung der einzigen echten deutschen Ressource, der Bildung und Wissenschaft. Wäre das nicht schön?

Einfach mal wieder alles richtig machen, kein eitles Geschwätz mehr, sondern nur noch klare, faktenbasierte Kante. Ihr könntet euch dazu verabreden, die einzige Partei Deutschlands zu sein, die nicht mehr ihr Fähnchen in den Wind hängt, sondern die es jetzt mal mit echtem linken Gegenwind versucht, aber ohne Populismus, maximal ernsthaft und integer. Das wäre ganz sicher eine wählbare Alternative zu den anderen Rechtsblinkern, die sich momentan gegenseitig darin überbieten, die Themen der AfD zu kapern.

Versucht es einfach mal. Mit herausfordernden Fragestellungen. Mit Tiefe. Mit Antipopulismus. Stellt selbstbewusst und ohne irgendwelche Scheren im Kopf die richtigen Fragen. Lasst euch nicht hineinziehen in das übliche politische Theater, macht einfach nicht mehr mit. Arbeitet stattdessen an konkreter politischer Aufklärung. Legt den Finger in die tatsächlichen Wunden unserer Gesellschaft, über die kaum noch gesprochen wird, weil das Rechtsgetöse alles übertönt. Und legt auch mal den Finger in die eigenen Wunden. Ja, auch du, lieber Gregor. Diplomatie ist immer eine gute Sache, sie braucht aber zwei Seiten, die beide an diplomatischen Lösungen interessiert sind. Wenn die eine Seite jedoch nur daran interessiert ist, die andere Seite auszulöschen, ist das Beharren auf diplomatischen Lösungen schlicht Unsinn. Es wäre gut, diese neue Lektion nachhaltig zu verinnerlichen. Man kann und darf immer noch dazulernen, auch noch mit 75 Jahren. Am 16. Januar wirst du 76. Schenk dir und uns allen zum Geburtstag bitte endlich wieder eine wählbare Linke.

VA

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El Kurdis Kolumne im November

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El Kurdis Kolumne im November


Boris Palmers neuer alter Bart

Vor einiger Zeit saß der Ex-Grüne Boris Palmer in einem der Halbschalensesselchen in Markus Lanz‘ Fernsehstudio und präsentierte ein achtelherziges ‚mea culpa‘. Die Redaktion hatte ihn mit den Worten angekündigt: „Nach Rassismus-Vorwürfen hat sich der parteilose Tübinger OB eine Auszeit genommen.“ Palmer wolle in der Sendung „zu dem Eklat“ Stellung nehmen.

Zunächst fiel jedoch Palmers neuer Facial-Hair-Style ins Auge. Er hatte sich von seinem rebellischen unrasierten Bartschatten-Look verabschiedet, um sich in der einmonatigen Auszeit einen voluminösen Tippi-Toppi-Oppa-Vollbart wachsen zu lassen. Wohl um reifer zu erscheinen. Es fehlten nur noch Strickjacke, karierte Puschen und ein gemütliches Pfeifchen – und das neue Senioren-Image wäre perfekt gewesen.

Tatsächlich begann Palmer auch mit einer kurzen, scheinbar altersweisen Introspektion: Der Entschluss für seinen temporären Rückzug sei gefallen, nachdem er über den Vorfall vor dem Gebäude der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt nachgedacht habe. Dort hatte er vor aufgeregten jungen Menschen darauf bestanden, dass man in bestimmten Zusammenhängen sehr wohl das N-Wort benutzen dürfe, zum Beispiel, wenn man darüber diskutiere, ob man das N-Wort benutzen dürfe. Zum Beweis benutzte er das N-Wort dann gegenüber einem jungen schwarzen Protestierer, der ihn zuvor aufgefordert hatte, ihm das N-Wort doch ins Gesicht zu sagen. Als die aufgeregten jungen Menschen daraufhin noch aufgeregter wurden, behauptete Palmer, wenn man ihn nun wiederum als Nazi bezeichne, nur weil er das N-Wort benutze, sei das „nichts anderes als der Judenstern“. So weit, so dumm, so wenig überraschend.

In Lanz‘ Sendung folgte dann Palmers vermeintliche „Reflektion“. Er gestand ein, dass die Bemerkung mit dem „Judenstern“ unverzeihlich sei, weil man damit den Holocaust verharmlose. Kurz dachte man: Na, is da womöglich doch was passiert im Oberstübchen? Hat er vielleicht wirklich etwas kapiert? Aber schnell machte er klar, das Problem habe nichts mit seinem Denken oder seinen politischen Positionen zu tun, sondern mit seiner Impulskontrolle. An dieser müsse er arbeiten. Das habe er während eines Coachings in der Auszeit verstanden. Um nicht wieder auszurasten, sage er jetzt zu bestimmten Themen gar nichts mehr. Eine Therapie sei das übrigens nicht gewesen. Die brauche er nicht. Das habe er von Fachkräften checken lassen. Um aber im nächsten Moment ein Thema für mindestens drei Jahre intensive Psychoanalyse auszupacken …

Das Ganze hinge mit seinem Vater Helmut Palmer, dem „Remstall-Rebellen“ zusammen. Vater Palmer war ein Bürgerrechtler, der als parteiloser Einzelkandidat bei zahlreichen Bürgermeister-, Landtags- und Bundestagswahlen antrat, aber trotz einiger Achtungserfolge nie ein Mandat errang. Er kämpfte furios verbal um sich schlagend gegen den Nazi-Filz im Filbinger-Baden-Württemberg, gegen den Bau der Neckar-Alb-Autobahn und gegen Arschgeigen an sich. Aufgrund seiner Proteste saß er auch mehrere Male im Gefängnis, was sein Sohn als für sich traumatisch beschreibt.

Selbstverständlich ist die Inhaftierung eines Elternteils für ein Kind traumatisch, aber wie Boris Palmer aus dem ebenso interessanten wie exzentrischen politischen Leben seines Vaters und aus dessen Geburtsumständen – Helmut Palmer kam 1930 als unehelicher Sohn eines verheirateten jüdischen Metzgermeisters und einer Verkäuferin auf die Welt – für sich eine Erklärung zimmert, warum er einem schwarzen Menschen gegenüber das N-Wort benutzt, um kurz danach die Kritik daran als „Judenstern“ zu bezeichnen – das können wahrscheinlich wirklich nur Psycho-Experten erklären.

Abgesehen davon, dass Palmer sich inzwischen längst wieder zu „bestimmten Themen“, also zu Fragen von Flucht und Migration äußert, war es auch in der Sendung schon offensichtlich, dass er über seine wahren Defizite noch nicht mal im Ansatz nachgedacht hatte. Vor allem nicht über seine Obsession bezüglich der Herkunft von Menschen. Aber danach hatte sein vermutlich hochbezahlter Coach ihn wohl auch nicht gefragt. Palmer selbst kapiert ja überhaupt nicht, dass er dieses Problem hat. Wodurch er es ununterbrochen potenziert.

Dabei ist es gar nicht so schwierig: Wir alle denken immer wieder in Stereotypen, auch in rassistischen. Weil wir damit aufwachsen. Nur, wenn wir das wissen, können wir verhindern, dass sie uns und unser Handeln bestimmen. Das nur so als ganz therapiefreies Kurz-Coaching, Boris. Völlig umsonst. Immer gerne.

 

Hartmut El Kurdi

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