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Ein offener Brief an Friedrich Merz

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Ein offener Brief an Friedrich Merz


Lieber Friedrich,

wir sind’s mal wieder. Wir wollten uns nur mal kurz melden, weil du doch wahrscheinlich Kanzler wirst – und uns entschuldigen. Denn wir waren in der Vergangenheit (es wäre ja Quatsch, das zu leugnen, ihr habt das doch sicher alles in eurer Parteizentrale im Giftschrank archiviert) manchmal, hin und wieder, okay, vielleicht auch öfter, nicht unkritisch dir gegenüber. Da gab es zugegeben den einen und anderen Ausrutscher, möglicherweise auch mal eine deftige verbale Entgleisung. Dafür, und für alles, was dich noch verärgert haben könnte, möchten wir uns hiermit gerne aufrichtig entschuldigen und sagen, dass wir es wirklich bereuen. Von ganzem Herzen. Ja, wir bekennen hier offen, wir haben falschgelegen. Du bist gar kein übler Populist, der dauernd Öl ins Feuer gießt, du hast mit deinen „kleinen Paschas“ nicht gezündelt, sondern einfach mal die Probleme offen angesprochen, die es ja gibt, du hast mit deinem „Sozialtourismus“ keine russische Propaganda nachgeplappert, sondern einfach mal Worte für das gefunden, was die Mehrheit hierzulande umtreibt, die Angst, keinen Zahnarzttermin zu bekommen. Was jetzt gar nicht lustig gemeint ist. Das war natürlich eine Metapher. Wir wissen das – jetzt. Nachdem wir ein paar Wochen darüber nachgedacht haben. Du wolltest damit ganz einfach die Angst in ein verständlicheres Bild packen. Diese Angst, die uns momentan alle umtreibt. Bekommen die mehr als wir? Und ohne dass sie dafür so hart arbeiten müssen wie wir?

Du bringst genau das mit, was sich bei einem erfolgreichen Politiker tief in die DNA eingegraben haben muss, dieses Gespür für die Themen, die den Menschen wichtig sind. Schmarotzt da irgendjemand, ist da jemand faul, hat da jemand heimlich eine eigene Kultur mitgebracht und will die nun hier in irgendwelchen Hinterzimmern oder den eigenen vier Wänden nicht nur ausleben, sondern uns sogar bekehren? So geht’s nicht. Das wollen wir hier nicht. „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland!“ Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Entschuldigung, aber ist doch wahr! Mit solchen Sätzen werden doch keine Grenzen verschoben. Das sind einfach die Probleme, und die muss auch mal jemand beim Namen nennen.

Verdammt noch mal, natürlich haben wir in Deutschland Viertel, die nicht mehr richtig deutsch sind und wo sich die Polizei schon längst nicht mehr hin traut. Obwohl die dort ständig Probleme machen. Und das hat überhaupt nichts mit rechts zu tun. Einwanderer sind in erster Linie ein Problem. Und das zu vermitteln, mit jedem zweiten Satz, das zeigt nur, dass du, lieber Friedrich, das Problem verstanden hast. Die Menschen haben Angst. Und sie haben Sorgen. Weil das, was die Ampel macht, eine Katastrophe ist. Weil die die Wirtschaft kaputt machen. Weil die Deutschland vor die Wand fahren. Weil denen unsere Kultur egal ist. Weil die überhaupt kein Gespür mehr haben für die Nöte der normalen Leute.

Und darum holst du sie nun ab, die normalen Leute, wo auch immer sie stehen. Und das ist eine gute Idee. Man darf diese Menschen ja nicht einfach der AfD überlassen. Oder sie gar beleidigen, sie als Nazis diffamieren. Nicht alle, die AfD wählen, sind Nazis. Und auch die Mitglieder in der AfD sind nicht alle Nazis. Es gibt in der AfD durchaus moderatere Stimmen. Klar, insgesamt ist diese Partei problematisch, aber gleich verbieten? Das würde für die kommenden Wahlen sowieso nicht mehr funktionieren. Die AfD ist jetzt nun mal auf absehbare Zeit eine politische Größe in Deutschland. Und damit muss man dann auch mal pragmatisch umgehen, auf der regionalen Ebene und überhaupt. Man kann doch nicht gegen etwas sein, wenn es vernünftig ist, nur weil die AFD dafür ist. Die Brandmauer steht natürlich trotzdem.

Wobei diese Brandmauer auch so eine Sache ist. Sie wird ja gar nicht nötig sein. Denn die Leute werden schon noch zurückkehren zum Original. Die einzige wahre konservative Kraft in Deutschland ist die CDU. Das ist die Partei mit der deutschen Leitkultur, dass ist die Partei mit der gesunden Härte bei den Ausländern, das ist die Partei mit der Wirtschaftskompetenz und den Atomkraftwerken, das ist die Partei mit den richtigen Lösungen in schwierigen Zeiten. Und wenn die AfD trotzdem groß bleibt, so wird sie ja immer noch im Bund kleiner als die CDU/CSU. Sie wäre im Falle des Falles nur der kleinere Partner. Und sie wäre darum auch gar nicht so gefährlich. Da muss man die Kirche auch mal ein bisschen im Dorf lassen. Oder, Friedrich? Und weil das alles so ist, wollen wir uns hier abschließend noch einmal vorsorglich und aufrichtig entschuldigen. Wir waren nie links und wir sind nicht links, wir sind auf eurer Seite. Ehrlich! Kannst du nachprüfen. Haben wir irgendwo gegendert in diesem Text? Siehste!

VA

Foto: Alexandr Ivanov / Pixabay.com

BU: So nicht!

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Ein letztes Wort im Januar

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Ein letztes Wort im Januar


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Mal wieder in nächtlichen Sitzungen, die es eigentlich nicht mehr geben sollte, hat sich die Ampel in Berlin nun über den Haushalt 2024 geeinigt. Sollte man für gute Entscheidungen und Kompromisse nicht eigentlich ausgeschlafen sein?
Ja, nach meinen Erfahrungen ist das besser. Ich persönlich habe Nachtsitzungen in schlechter Erinnerung. Sie sind wahnsinnig anstrengend und natürlich leidet am Ende oft die Qualität. Aber diese Nachtsitzungen sind durchaus Teil der politischen Kultur in Berlin, nach dem Motto: Alles, was vor Mitternacht fertig ist, ist keine echte Arbeit. Das ist sicherlich ein bisschen überspitzt formuliert, aber einer der Unterschiede zwischen Bundes- und Landespolitik.

Und darum hat es Sie nie in die Bundespolitik gezogen …
(Lacht) Da gab es noch ein paar mehr Gründe.

Können Sie mir erläutern, was diese Einigung nun im Einzelnen bedeutet? Wo genau wird gestrichen und gekürzt?
Wir sitzen ja hier Mitte Dezember, das heißt, die Einigung ist erst einen Tag alt. Und entsprechend ist noch vieles unklar. Es gibt unterschiedliche Meldungen aus den verschiedenen Bereichen und aus diversen Quellen. Ein Wert an sich ist tatsächlich zunächst mal diese Einigung. Denn diesen Monat zwischen dem Karlsruher Urteil und der Einigung habe ich als quälend empfunden. Und das zum Ende eines Jahres, in dem ohnehin die demokratische Ordnung unter Druck geraten ist. Das war nicht gut. Bei der Einigung ist nun vieles dabei, was ich richtig finde. Aber auch manches, was ich falsch finde. Ich bin mir sicher, wir werden nach unserem Gespräch und in den nächsten Tagen und Wochen noch zahlreiche Diskussionen über viele einzelne Aspekte erleben. Manches scheint mir da nicht recht zusammenzupassen. Wenn zum Beispiel gesagt wird, man wolle den Weg zur Klimaneutralität fortsetzen, dann passt dazu nicht die kurzfristige Streichung der Förderung für Elektroautos, während gleichzeitig der Strom teurer gemacht wird. Beides zusammen macht die Elektromobilität nicht attraktiver. Wir haben momentan bereits eine Nachfrage-Delle, es werden nicht so viele E-Autos gekauft, wie man sich das eigentlich gewünscht hätte. Oder ein zweites Beispiel: Wenn man von jetzt auf gleich bestimmte Förderungen komplett einstellt, dann haben die Betroffenen natürlich ebenfalls von jetzt auf gleich Probleme – die man vermeiden könnte. Stichwort Agrar-Diesel. Das Mindeste wäre aus meiner Sicht, dass man einen vernünftigen Übergangszeitraum anbietet, in dem nach Alternativen gesucht werden kann. Elektro-Trecker gibt es ja noch kaum und auch Wasserstoffantriebe stecken noch in den Kinderschuhen. Jedenfalls führt ein kurzfristiger Förderungsstopp immer zu Problemen.

Das sorgt dann wieder für die üblichen Erregungswellen.
Die man vermeiden könnte. Also, es gibt bei dieser Einigung noch so einiges, was mich nicht überzeugt. Und ich hoffe, dass sich einmal mehr das Strucksche Gesetz bewahrheitet, nämlich dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt.

Wie ist es mit den Kürzungen im Sozialbereich. Ist das jetzt abgewendet. Oder droht da noch was? Die Opposition zeigt mit dem Finger drauf. Die FDP wäre sofort dabei.
Ich glaube nicht, dass an der Stelle noch etwas droht. Die drei Partner haben ja wechselseitig bestimmte rote Linien markiert, und man sollte versuchen, die zu respektieren. Die SPD hat gesagt, dass wir keinen Sozialabbau zulassen werden.

Mir kommt es ein bisschen so vor, als würde die FDP viel mehr rote Linien ziehen als die anderen beiden Partner.
Kann ich verstehen, dass Sie diesen Eindruck haben.

Wie ist das mit den klimaschädlichen Subventionen – drei Milliarden sollen gestrichen werden – manche Recherchen sagen es könnten auch bis zu 65 Milliarden sein. Warum geht da nicht mehr?
Das mag grundsätzlich so sein, dass da noch Luft nach oben ist. Aber man muss im Einzelfall auch immer sehr genau hinsehen. Über den Agrar-Diesel haben wir ja eben gesprochen. Es ist sinnvoll, Übergangszeiträume zu schaffen. Es ist ein bewährter Weg, in mehreren Stufen vorzugehen. Wenn man einfach sagt, das war’s, wird das in vielen Fällen dazu führen, dass sich die Leute vor den Kopf gestoßen fühlen. Ich habe nichts gegen die Streichung klimaschädlicher Subventionen, aber man muss das einbetten in eine in sich schlüssige Konzeption. Und nach dem, was wir bisher so gehört haben, habe ich da meine Zweifel.

Was sagen Sie zum Dienstwagenprivileg?
Für die Autoindustrie wäre die Streichung sicher ein herber Einschlag. Aber man könnte ja mal darüber reden, welche Dienstwagen nicht mehr privilegiert werden sollten. Wenn wir die Umstellung voranbringen wollen, wäre es dann nicht ein Weg, dass man es bei der Förderung für E-Autos belässt und bei den Verbrennern schleichen wir uns langsam raus? Das scheint mir wesentlich schlauer, als an das Dienstwagenprivileg einfach einen Haken dranzumachen.

Machen wir mal einen Strich unter die Einigung. Zufrieden sind Sie nicht.
Ich bin mit Details nicht zufrieden. Vieles ist auch gut. Zum Beispiel, dass es beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft gerade im Nordwesten Niedersachsens keine Streichungen geben wird. Und auch die befürchteten Härten, die man beim Stichwort Sozialabbau haben musste, sind weitgehend ausgeblieben. Aber man muss trotzdem über die wunden Punkte reden.

So ein wunder Punkt ist die Schuldenbremse. Können Sie die in einem Satz erklären?
Der Staat soll in einem Jahr nicht mehr Schulden aufnehmen als er gleichzeitig tilgt. Und eine Ausnahme gibt es nur bei einer Notlage. Ganz kurz zusammengefasst. Der Abschnitt im Grundgesetz ist unendlich lang – was schon dagegenspricht, dass das eine besonders geglückte Regel ist.

Würden Sie die Schuldenbremse abschaffen?
Ich würde sie nicht abschaffen, aber verändern. Richtig ist, dass laufende Ausgaben durch laufende Einnahmen gedeckt sein sollten, sonst rutscht man in den Dispo und dann wird es teuer. Aber es ist umgekehrt häufig sehr sinnvoll, für Investitionen Kredite aufzunehmen, insbesondere wenn ich von diesen Investitionen länger profitiere. Ein Beispiel ist der Hauskauf. Beim Staat ist das nicht zulässig und das ist meines Erachtens ein Fehler. Außerdem hat Bundesverfassungsgericht auf die Jährlichkeit hingewiesen. Sprich: Eine Notlage für Ausnahmen von der Schuldenbremse muss jährlich neu erklärt werden, obwohl es vieles gibt, was wir über einen längeren Zeitraum angehen müssen. Ein Beispiel ist die Hilfe nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Dafür braucht es jetzt extra wieder ein neues Sondervermögen. Das zeigt, dass die aktuelle Regelung nicht praxisgerecht ist. Und da gibt es auch einen ganz grundsätzlichen Punkt. Wir werden auch in den kommenden Jahren immer wieder Notlagen haben, aber auch deswegen, weil wir jetzt die Weichen nicht richtig stellen. Es wäre viel klüger, diesen Notlagen vorzubeugen, also präventiv zu agieren. Also Deiche zu bauen, statt Flutschäden zu beheben. Dieser Gedanke passt bislang nicht zur Schuldenbremse.

Kann es sein, dass wir uns in Deutschland mit dieser Schuldenbremse gerade die eigene Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft verbauen?
Es gibt weltweit zahlreiche Ökonomen, die genau das sagen. Und ich teile diese Befürchtung.

Blicken wir zum Schluss noch einmal kurz zurück auf 2023 – wie würden Sie das Jahr mit drei Adjektiven beschreiben?
Da brauche ich nur ein Adjektiv: Anstrengend.

Und blicken Sie zuversichtlich auf das nächste Jahr oder eher mit einem flauen Gefühl im Magen?
Zuversichtlich bin ich eigentlich immer, aber gleichzeitig weiß ich, dass die Phase vieler einschneidender Veränderungen weitergehen wird. Und trotzdem müssen wir uns auch klarmachen, dass Deutschland viel stärker ist, als das momentan oft den Anschein hat. Wir suchen gerade immer das Haar in der Suppe, anstatt uns die Frage zu stellen, wie eigentlich die Suppe schmeckt. Wie haben viele, auch hausgemachte Baustellen, aber wir können überall mit unserer nach wie vor starken Gesellschaft auch zu guten Lösungen kommen. Wir sollten wieder selbstbewusster werden, finde ich.

Interview: Lars Kompa

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Über Gut & Böse (Titel 2024-01)

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Über Gut & Böse (Titel 2024-01)


Foto: OpenClipart-Vectors / Pixabay.com

Es geht wahrscheinlich allen ganz ähnlich momentan, wir starten in ein neues Jahr und unsere Erwartungen halten sich in Grenzen. Zu viele Konflikte weltweit, zu viele Probleme im eigenen Land. Wir sollen optimistisch in die Zukunft blicken, wir sollen zuversichtlich sein – so hört man es jetzt zum Jahreswechsel überall in den Sonntagsreden, aber das fällt unglaublich schwer. Wobei sich die Gründe für den allgemeinen Pessimismus durchaus unterscheiden. Für manche ist die Einwanderung das zentrale Thema, und ihre Begrenzung ein wichtiges Ziel, andere pochen dagegen auf die Menschenrechte und mahnen, die eigenen Maßstäbe nicht zu sehr zu schleifen. Wieder andere befürchten den Niedergang unserer Wirtschaft, während die nächsten davor warnen, sich selbst immer mehr in die Krise zu diskutieren. Über den Klimawandel sind fast alle besorgt, aber bei den Konsequenzen ist man geteilter Meinung. Für einen Großteil der Menschen ist die Stärke der AfD ein Desaster, während manche sich auf die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg freuen. Und dann sind da noch, wie schon gesagt, die vielen Kriege und Konflikte in der Welt. Und wir mittendrin, weil sich Deutschland positionieren muss. Aber auf welche Seite schlägt man sich? Auf die der Ukraine, ohne Wenn und Aber? Es gibt nicht wenige Stimmen in Deutschland, die genau das kritisieren. Und jetzt dieser Krieg gegen die Hamas in Israel. Wie stellen wir uns dazu? Sehr viele Menschen in Deutschland solidarisieren sich eher mit der Terrorgruppe Hamas. Für sie ist Israel das Böse schlechthin. Für andere ist umgekehrt die Hamas das personifizierte Böse. Gut und Böse – wir stehen gerne auf der richtigen Seite. Aber welche Seite ist die richtige?

Das kommt ganz darauf an. Du bist ein Kind in Afghanistan, in Pakistan, in Somalia oder im Jemen, du spielst mit deinen Freunden auf einem Hinterhof, deine Welt ist ganz okay und halbwegs heile, doch dann hörst du oben im Himmel ein seltsames Brummen und einen Moment später hast du vielleicht keine Eltern und keine Freunde mehr. Wer ist dann fortan für dich der Teufel? Natürlich der, der diese Drohne geschickt hat. Sehr wahrscheinlich die USA. Amerika setzt bereits seit 2002 gezielt überall auf der Welt Drohnen ein, um Terroristen zu töten. Eine ausgesprochen fragwürdige Strategie, denn so dürfte der Nachschub an Terroristen kaum je versiegen.

Ähnliche Folgen könnte das aktuelle Vorgehen Israels gegen die Hamas haben. Die Terrorgruppe bekommt schon jetzt sehr viel Zustimmung, sie wird sich in einigen Jahren über viele neue Terroristen freuen dürfen. Noch sind es schwer traumatisierte Kinder. Sie lernen gerade, dass die Israelis das Böse sind. Während zuvor die Israelis nahe des Gazastreifens gelernt haben, dass die Hamas durch und durch böse und bestialisch agiert. Und wir hier in Deutschland schauen aus der Ferne zu und erlauben uns eine Meinung zu einem unfassbar komplexen Thema, die wir dann auch gerne mal auf die Straße tragen. Weil wir uns positionieren wollen – auf der richtigen, der guten Seite. Schon haben wir wieder zwei Lager und man steht sich unerbittlich und feindselig gegenüber, mitten in Deutschland. Und auf beiden Seiten ist man überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen.

Bild von 愚木混株 Cdd20 auf Pixabay

Wie kommen wir eigentlich zu diesen Urteilen? Klar, durch unsere Umgebung und unsere Erziehung, durch Erfahrungen, durch unsere Sozialisation, durch unsere Religion, durch unsere Kultur. Wir haben alle diverse Werte und Überzeugungen im Rucksack. Und die tragen wir in die Welt. Oft mit großer Überzeugung und einem hoch erhobenen Zeigefinger. Wir kritisieren ja von der richtigen Seite. Was bei uns in Deutschland der Maßstab ist, sollte auch in anderen Ländern der Maßstab sein. Erfahrene Diplomaten warnen allerdings eindringlich vor diesem Selbstverständnis. Denn wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Und wer sich Zeit nimmt und sich auch mal in die Rolle des Feindes versetzt, der wirft vielleicht gar keine Steine mehr. Es ist schwierig, sich klar zu positionieren. Wir in Europa blicken ganz anders auf die Welt als beispielsweise China oder auch die USA. Unser eurozentrischer Blick wirkt andernorts gerne mal abgehoben und arrogant. Und fast unmöglich wird eine Positionierung, wenn die Lage kompliziert ist, wenn es unübersichtlich wird, wenn Schwarz und Weiß sich zu einem schwer durchschaubaren Grau vermischen. Grautöne mögen wir nicht. Wir mögen klare Kanten. Wir sehnen uns nach Ordnung. Und die Sehnsucht wird umso größer, je unübersichtlicher die Lage ist. Wegen dieser Sehnsucht sind wir so anfällig für die einfachen Antworten der Populist*innen. Und natürlich versuchen nicht nur diese Kapital aus der Sehnsucht zu schlagen. Wenn in diesen Tagen die CDU mal wieder das Thema Leitkultur ausgräbt, dann versucht sie ebenfalls an genau dieser Stelle zu punkten. Klare, eindeutige Werte, ein Konsens bei diversen Fragen. Was gehört sich, was gehört sich nicht? Gehört sich der Islam in Deutschland? Oder gehört sich nur das Christentum? Markus Söders Kreuzerlass ist gerade erst für rechtens erklärt worden. Ein Hinweis, wo man zumindest in Bayern bei dieser Frage steht. Wobei sicher nicht alle in Bayern den Kreuzerlass begrüßen. Es wird da schon so ein paar „woke Grüne“ geben, die das ganz anders sehen.

Überhaupt, diese verdammten woken Grünen. Diese verdammten Idioten auf der anderen Seite, in der anderen Ringecke. Diese verdammten Nazis im Osten. Diese verdammten Wessis. Die verdammten Gutmenschen. Die verdammten Kriegstreiber. Die verdammten Putin-Versteher. Die verdammten Klima-Kleber. Das ist der Nachteil unserer Positionierungssucht. Es braucht immer einen Feind. Und es scheint, dass sich in unserer Gesellschaft die Menschen tatsächlich zunehmend immer feindseliger gegenüberstehen. Bereits 1979 hat ein Künstler namens Robert Long folgendes gesungen: „Will einer nicht dein Bruder sein, dann schlag ihm gleich den Schädel ein. Wenn er nicht deiner Meinung ist, dann mach ihn lieber tot, am besten für den lieben Gott.“ Diese Zeilen passen (leider) ganz wunderbar auch in unsere Zeit. Es ist anscheinend nicht besser geworden. Wahrscheinlich ist es sogar eher schlimmer geworden. Und jetzt? Wie arbeiten wir gegen die Gräben, die sich überall auftun, wie verhindern wir die Spaltung in unserer Gesellschaft? Und wie kann es gelingen, auch global das Rad wieder in eine andere Richtung zu drehen? Kann das überhaupt gelingen?

Wir sind schon wieder beim Pessimismus, der sich überall breitmacht und die Spaltung weiter befördert. Und wir sind damit bei der Aufgabe, optimistisch zu bleiben. Nicht aufzugeben. Nicht zu resignieren. Eine echte Herkulesaufgabe. Aber was wäre denn die Alternative? Zuzusehen, wie sich die Autokratien in der Welt breitmachen. Wie die Freiheit mehr und mehr verschwindet. Wie unsere Werte (nicht unbedingt deckungsgleich mit denen der CDU) den Bach runtergehen. Das darf nicht sein.

Aber wenn es unübersichtlich wird, wenn es viele Meinungen gibt, wenn diverse Informationen kursieren, darunter auch immer mehr gefälschte Informationen, dann droht genau das. Dann wackeln die Demokratien. Dann ist unsere Freiheit in Gefahr. Wobei hier bestimmt manche einwenden, dass man uns diese angebliche Freiheit in Deutschland ja nur vorgaukelt, während wir längst alle Sklaven einer geheimnisvollen Macht sind. Klar. Und je mehr Menschen diesen Schwachsinn glauben, desto weniger werden sie sich für unsere Demokratie einsetzen. Ein geschickter Schachzug der Gegenseite, der bösen Seite. Ja, es gibt diese böse Seite. Aber vorher noch kurz ein paar Sätze zu dem, was unsere gemeinsame Basis sein sollte. Und dazu sollte auf jeden Fall der Wille gehören, die Wahrheit wissen zu wollen. Das ist meistens gar nicht so kompliziert. Ein bisschen Quellenanalyse, ein paar skeptische Nachfragen, das reicht oft schon. Nicht danach suchen, was die eigene Meinung und die eigenen Vorurteile bestätigt, sondern bewusst nach Argumenten suchen, die der eigenen Meinung widersprechen, das ist keine so schlechte Technik. Man sollte sich unbedingt diese Mühe machen, um nicht im Lügenmeer Internet zu ertrinken. Wenn es uns gelingt, die Fakten ähnlich anzusehen und zu beurteilen, dann haben wir auch eine Chance und gegen das Böse zu wehren.

Aber was ist das Böse? Auch das ist gar nicht so schwer. Weil wir etwas sehr Gutes haben, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Das sollte unser Konsens sein. Daran sollten wir uns immer wieder messen. Und dann wird es denkbar einfach. Die Menschenrechte stellen hohe Ansprüche. Gesellschaften, die sie zumindest annähernd erfüllen, stehen auf der richtigeren Seite. Länder, in denen beispielsweise Menschen versklavt, gefoltert oder diskriminiert werden, in denen es keine Gleichberechtigung gibt, in denen Minderheiten verfolgt werden, in denen Zensur herrscht, in denen es krasse Ungerechtigkeiten gibt, in denen Willkür herrscht, stehen dagegen auf der grundfalschen Seite. Die einen gut, die anderen böse. Et voilà, wer sich Orientierung wünscht in diesen unsicheren Zeiten, wer wissen möchte, was eigentlich wichtig ist, der sollte sich hin und wieder mal alle 30 Artikel in der Erklärung der Menschenrechte zu Gemüte führen, statt im Internet nach immer neuen Bestätigungen für die längst fertige eigene Meinung zu suchen.

Und wer tatsächlich so unfassbar dämlich sein und demnächst die AfD wählen möchte, dem sei diese Lektüre ebenfalls empfohlen. Was davon würde mit einer regierenden AfD in Deutschland übrigbleiben? Nicht so viel. Wahrscheinlich eher gar nichts. Schon jetzt ist es so, dass man vor allem in einigen Gebieten im Osten Deutschlands (leider) erkennen kann, wohin die Reise gehen würde. Benjamin Fredrich, Herausgeber, Chefredakteur und Gründer des Katapult-Magazins hat am 17. Dezember eine Art Hilferuf geschrieben. Rechte versuchen in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit geraumer Zeit die Macher*innen des Magazins einzuschüchtern. Man will Angst und Schrecken verbreiten. Und das gelingt leider immer mehr. Darum sucht Fredrich nun mehr Mitstreiter*innen. „Ich suche Menschen, die gegen Korruption, Rassismus, Antisemitismus, Kriminalität und Extremismus (kurz KRAKE) einstehen“, schreibt er. Wer mag, ist herzlich eingeladen, diesen Verlag zu unterstützen.

Es ist übrigens bemerkenswert, hier werden Menschen gesucht, die „dagegen einstehen“. Dann muss es im Umkehrschluss also Menschen geben, die bewusst für Korruption, Rassismus, Antisemitismus, Kriminalität und Extremismus sind. Was mögen das für Menschen sein? Schaut man sich auf der weltpolitischen Bühne um, findet man tatsächlich schnell ein paar von der Sorte. Aber sie sind da oben ja nicht allein, sie haben Armeen von skrupellosen mordenden und vergewaltigenden Menschen hinter sich. In was für Gesellschaften entwickeln sich solche Monster? In unfreien, autokratischen, egoistischen und unsolidarischen Gesellschaften.

Wir sollten alle sehr wachsam sein, dass wir in Deutschland nicht mehr und mehr in dieses Fahrwasser geraten.
Wir sollten uns bemühen, die Guten zu sein.
Ganz gelingen kann das wahrscheinlich nie, aber der Wille zählt.

LAK

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Stadtkinder essen: Buafah

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Stadtkinder essen: Buafah


Mitten in der Altstadt, an der Ecke Knochenhauerstraße und Corviniusweg und in Sichtweite zur Kreuzkirche befindet sich das Buafah. Ein kleines, gemütliches und mit Grünpflanzen vollgestopftes Bistro, das authentische Thaiküche anbietet. „Authentisch“ – schwierig zu überprüfen, wenn man weder aus Thailand kommt, noch jemals da war. Trotzdem geben wir mal die großen Connaisseure – wird schon irgendwie werden!

Als wir ankommen, ist es gerammelt voll. Kein Wunder, zur Zeit unseres Besuchs ist der Weihnachtsmarkt in vollem Gange und außerdem ist Wochenende. Nichts, wovon sich das Personal aus der Fassung bringen ließe. Die freundliche Servicekraft bringt uns die Karten und deutet mit dem Kopf in Richtung der zeitgleich mit uns eingetrudelten Großgruppe. Wir verstehen, besser fix bestellen. Machen wir auch.
Wir entscheiden uns erst einmal für ein Singha Bier (3,50€) und ein großes Ginger Ale (0,5l für 4,20€).
Als Vorspeisen wählen wir eine klassische Tom Kha Gai und Muu Ping (jeweils 5,50€). Letzteres Gericht mit dem niedlichen Namen besteht aus drei Spießen würzigen, gegrillten Schweinefleischs mit einem pikanten Dip. Das Fleisch ist gleichmäßig gebräunt und schön saftig – ein sehr guter Einstieg!
Die Tom Kha Gai dürfte so ziemlich die beste gewesen sein, die uns bisher untergekommen ist (was einiges bedeutet, wenn man sich zu Studienzeiten doch nahezu komplett davon ernährt hat): Mild, aber intensiv, mit reichlich Galgantstücken, Limettenblättern und zartem Hühnchen. Mehr, bitte!

Der Hauptgang lässt auch nicht lange auf sich warten.
Clever gemacht: Das Buafah bietet vegane und vegetarische „Grundgerichte“ an, die Proteinquelle dazu ist frei wählbar aus Tofu, Hähnchen, gebackenem Hähnchen, Ente, Rindfleisch oder gebackenem Fisch.
Wir entscheiden uns für Phat Krapau mit Rind (14,50€), frisches Wokgemüse mit Krapau-Blättern, als Beilage gibt es Reis. „Scharf, bitte!“ Und das ist es auch – aber auf die angenehme Art, die Schärfe spürt man auf der Kopfhaut, aber die Aromen selbst sind alle noch gut herausschmeckbar. Perfektes Handwerk!
Als zweiten Hauptgang bestellen wir Guay Tiaow Pat See mit gebackenem Huhn (13€). Dabei handelt es sich um gebratene Reisnudeln (die optisch an Tagliatelle erinnern) mit Blumen- und Chinakohl, Brokkoli, Karotten und zarten Eierblumen. Dieses Gericht ist nicht scharf, aber die Servicekraft bringt uns eine Menagerie mit offensichtlich selbst hergestellten Würzpasten und –pulvern zum Nachschärfen. Es schmeckt ausgewogen, das Gemüse hat noch genug Biss, der Backteig des Hühnchens ist perfekt souffliert. Wir sind ziemlich begeistert.
Das Buafah bietet von Dienstag bis Freitag (12:00-15:00h) auch Mittagstisch an, hier ist es vielleicht nicht unbedingt nötig, einen Platz zu reservieren. Abends (die Küche schließt um 20:30h) sei aber unbedingt dazu geraten, weil der Gastraum eher klein ist.

Buafah – Thai Art Bistro
Knochenhauerstraße 13
30159 Hannover
0511 – 35354645
www.buafah.de

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag 12:00-21:00 Uhr

IH, Fotos: Gero Drnek

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KinderHelden

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KinderHelden


Ehrenamtliches Engagement – KinderHelden

Von Bildungs- und Chancengleichheit ist das deutsche Bildungssystem Meilen entfernt. Wie erfolgreich man durch seine Schuljahre kommt, hängt noch immer von ökonomischen und sozialen Faktoren ab. Die KinderHelden setzten da an, wo das System versagt.

Kinder starten nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen in die Schule: Wenn die Alleinerziehenden lange arbeiten müssen und nicht mittags nach der Schule ihren Kleinen bei den Hausaufgaben helfen können. Wenn zu Hause kaum Deutsch gesprochen wird. Wenn viele Geschwisterkinder ebenso nach Aufmerksamkeit verlangen. Die Lebensrealitäten sind vielfältig, doch diese Unterschiede prägen oft den Bildungsweg entscheidend. Diese Lücken fängt das Schulsystem nicht genügend auf. „Diese Kinder haben schon beim Schulstart einen riesigen Nachteil, den sie ihr ganzes Bildungsleben mit sich herumtragen werden“, betont Laura Held, die Projektmanagerin von KinderHelden.
Die KinderHelden wollen dem entgegenwirken. Grundschulkindern mit schwierigen Startbedingungen werden ehrenamtliche Mentor*innen an die Seite gestellt. „Je früher wir ansetzen, desto mehr können wir bewegen, damit dieser Nachteil gar nicht erst so groß wird“, fährt Laura fort.
Denn Kids brauchen Menschen, die ihnen zuhören, ihnen Anregungen geben, sie ermutigen und unterstützen – auch außerhalb der Familie. „Die Mentor*innen sind für die Kinder Vorbilder, Gesprächspartner*innen, Lernunterstützungen, Freizeitbegleiter*innen“, erklärt Laura. Einmal die Woche treffen sich die Tandems für zwei, drei Stunden an einem öffentlichen Ort. „Aber wie die gemeinsame Zeit gestaltet wird, ist wirklich total unterschiedlich bei jedem Tandem. Weil auch die Kinder so unterschiedlich sind.“ Ob schwimmen gehen bei gutem Wetter, ein Besuch im Landesmuseum, Hausaufgaben machen, das Einmaleins im Park üben oder bei vermeintlichem Schietwetter bei einem Spaziergang in Pfützen springen – die Möglichkeiten für die Gestaltung der Zeit sind vielfältig. „Das ist ja auch alles Lernen. Und so wichtiges – nämlich wie kann ich meine Freizeit gestalten? Das sind oft sehr lebenspraktische Sachen“, meint Laura.

Alle Kids, die an diesem Projekt teilnehmen, machen das freiwillig. Und mit großer Freude: „Es ist halt jemand, der nur für sie kommt. Jemand ganz Besonderes. Diese Bezugsperson müssen die Kinder nicht teilen, nicht mit den Geschwistern, nicht mit den Klassenkamerad*innen – sondern es ist ein*e Kinderheld*in nur für sie.“

In Hannover gibt es dieses Projekt seit 2019. Finanziert wird der Verein über Spenden. „Wir haben in Hannover das Glück, dass wir eine ganz tolle Unterstützung von der Swiss Life Stiftung haben“, betont Laura. Jedes Jahr können im Rahmen der KinderHelden ca. 100 Kinder in sechs Kooperationsschulen in Hannover gefördert werden. Bundesweit sind es jährlich sogar 1400 Kids.
Und das Projekt zeigt Wirkung. „Es gibt bei uns tolle Erfolgsgeschichten von Kindern,
die es dank ihrer Mentor*innen als erste aus ihrer Familie aufs Gymnasium geschafft haben.“ Auch die Evaluation, die im letzten Jahr durchgeführt wurde, zeichnet eine positive Bilanz. Die Lesekompetenzen der Kinder, ihr Selbstwert und psychisches Wohlbefinden – all das ist im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Tandems gestiegen. „Das ist so wertvoll!“, unterstreicht Laura.

Damit noch mehr Grundschüler*innen von diesem Projekt profitieren können, braucht es mehr Mentor*innen. „Ich glaube, dass jede*r Mentor*in sein kann. Wer irgendwie neugierig ist und Lust hat, sich auf das Projekt einzulassen, kann uns gerne die Zeit schenken.“ Sobald man 16 Jahre alt ist, verlässlich zwei, drei Stunden die Woche Zeit hat und das Interesse mitbringt, auf eine andere Lebenswelt zu stoßen, ist man bei den KinderHelden goldrichtig. Zeit, die nachhaltige Veränderungen bewirken kann: „Man kann als Mentor*in für den*die Einzelne*n den Unterschied machen.“

Jule Merx

KinderHelden
Swiss Life Platz 1, 30659 Hannover
www.kinderhelden.info
Telefon: 0511-90204850
Instagram: @kinder_helden_ggmbh

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Der Besondere Laden – Bio Handwerksbäckerei Backwerk

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Der Besondere Laden – Bio Handwerksbäckerei Backwerk


Durch die großen Fensterfronten kann man schon von draußen einen Blick in die Backstube von Backwerk am Lindener Hafen erhaschen. Zwischen Knetmaschinen und Mehlsäcken stapeln sich in großen Regalwägen frisch gebackene Brote. Jedes ist anders. Alle sind echte Handwerkstücke.

Nach industriell gefertigten Backmischungen kann man in der Backstube der Bio Handwerksbäckerei Backwerk lange suchen – vergebens. „Alles wird bei uns in Handarbeit hergestellt“, erklärt Ruth. Sie und ihr Mann Christian sind die Gründer*innen von Backwerk. „Man hat eigentlich drei oder maximal vier Zutaten, die für sich genommen eigentlich relativ langweilig sind: Mehl, Wasser, Salz, Hefe. Aber daraus bekommt man ein wirklich wohlschmeckendes Produkt, das lange hält, satt und glücklich macht“, meint Christian.
Mit viel Erfahrung und Hingabe stehen die Bäcker*innen hier in der Backstube und verarbeiten simple Rohstoffe zu besonderen Backwerken. Und dabei lassen sie sich Zeit: „Wir haben lange Teigführung. Die Teige haben die Zeit zu reifen, können schon anfangen zu fermentieren. Dadurch sind unsere Backwaren viel leckerer, weil es ganz viel Aroma bringt, wenn man den Sachen Zeit gibt. Außerdem bringt es mehr Bekömmlichkeit“, erklärt Ruth. Echte Vanille statt Vanillearoma, frisches Obst statt eingedostes, der Sauerteig, der seit Jahren gepflegt wird, „das kann man alles schmecken. Diese Einzelkomponenten tragen dazu bei, dass nachher ein volles Brot rauskommt“, meint Ruth.
Neben echter Handwerkskunst mit eigenen Rezepten setzten die beiden vor allem auf Nachhaltigkeit. „Wenn man da mal ein bisschen länger drüber nachdenkt und auch Kontakte zu den Bauern in der Umgebung hat, dann kann man eigentlich nicht anders handeln“, erklärt Ruth den Fokus auf das solidarische Zusammenleben im Einklang mit der Natur. Ihre Rohstoffe sind nicht nur zertifiziert biologisch nach dem Demeter-Standard, sondern meist auch regional.

Gegründet hat das Paar das Backwerk am ersten Januar 1999. Der Weg zum Backhandwerk verlief für beide damals aber über Umwege. Christian nennt es „Zufall“. Sein Studium der Wirtschaftswissenschaften brach er ab. „Ich musste irgendwo arbeiten gehen. Da, wo ich unser Brot gekauft habe, wurde eine Aushilfe in der Konditorei gesucht. Und dann habe ich da einfach angefangen“, erinnert er sich. Aus dem Job beim Bäckerkollektiv „Doppelkorn“ wuchs die Leidenschaft für das Backhandwerk, eine Lehre zum Bäckergesellen folgte. Zufällig bekamen Ruth und Christian dann die Chance, eine kleine Demeter-Bäckerei zu übernehmen. Knapp 24 Jahre buken sie mit ihrem Team in dem kleinen Laden in der Südstadt als Nachbarschaftsbäckerei ohne viel Laufkundschaft. „Früher gab es im Stadtteil an jeder dritten Straßenecke einen Bäcker“, meint Ruth.
Um ihre besondere Handwerkskunst mit noch mehr Menschen zu teilen, sind sie in das neue Hannover Docks Gebäude am Lindener Hafen gezogen. „Es ist einfach ein traumhaft schöner Ort. Wir haben das Potenzial gesehen und gedacht, wir wollen unbedingt dabei sein. Dann haben wir uns einfach mal getraut.“ Moderne Technik und dadurch besserer Klimaschutz und vor allem die Möglichkeit, ihr Wissen zu teilen, das waren die Hauptgründe für die Vergrößerung. „Wir wollen die Leute nicht nur zum Kaufen hier hereinkriegen, sondern auch zum Lernen“, betont Christian. Das echte Handwerk wird immer weiter verdrängt von industriellen Verfahren, mit dem Backwerk wollen die beiden dem etwas entgegensetzten. „Wir sind nicht so passiv. Wir könnten auch verzweifeln oder sagen, das geht uns alles gar nichts an.“ Keine Option für Ruth und Christian. „Ich finde es toll, dass wir so zur Veränderung beitragen können. Dass wir so etwas bewirken können. All das, was bei uns in die Arbeit miteinfließt, schmeckt man. Es ist mehr als nur ein Brot.“

Jule Merx

Bio Handwerksbäckerei Backwerk
Eichenbrink 5, 30453 Hannover
Öffnungszeiten Pop-Up Fr 14-18 Uhr, Sa 8-12 Uhr, So 8-11 Uhr
Laden in der Südstadt
Heinrich-Heine-Strasse 38, 30173 Hannover
Öffnungszeiten Di-Fr 8-18 Uhr, Sa 8-12 Uhr, So 8-11 Uhr
www.backwerk.bio
Instagram @backwerkbiohannover

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