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Ein letztes Wort im Juli

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Ein letztes Wort im Juli


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, wir haben das Thema bei unseren letzten Gesprächen schon zwangsläufig gestreift – die AfD liegt momentan bei fast 20 Prozent. Über dieses Thema würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten, und zwar auch und gerade als SPD-Landesvorsitzender und nicht primär als Ministerpräsident. Erleben wir in Deutschland jetzt eine ähnliche Entwicklung wie in Italien, Schweden oder Polen?

Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass etwa zwei Drittel derjenigen, die jetzt angeben, die AfD wählen zu wollen, das nicht aus besonderer Sympathie zur AfD tun würden und auch nicht, weil sie sich von der AfD Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen erwarten. Nein, sie wollen in erster Linie ihren Protest gegenüber der aktuellen Politik ausdrücken. Die richtige Antwort auf solche Umfragewerte ist also vor allem eine Politik, die Sicherheit und Vertrauen schafft. Das gilt ganz generell, aber im Moment besonders. Diese Herausforderung gab es bereits bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr. Damals ist es uns zwar leider nicht gelungen, die AfD aus dem Landtag herauszuhalten, aber mit elf Prozent sind die Bäume eben auch nicht in den Himmel gewachsen. Das ist nach wie vor überall in Deutschland möglich, davon bin ich überzeugt. Eine Entwicklung wie in den von Ihnen genannten anderen Ländern ist alles andere als zwangsläufig. Das hängt von der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der demokratischen Parteien ab und von denjenigen, die in diesem Land Verantwortung tragen.

Insbesondere im Osten Deutschlands sind die Zustimmungswerte teilweise noch deutlich höher. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das fällt mir schwer – ich bin ja nun wirklich ein Wessi und wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass ich als solcher nicht so tun sollte, als wäre ich Experte zu Fragen über Ostdeutschland. Bei ziemlich vielen Fragen stellen wir inzwischen fest, dass die Einstellungen der Westdeutschen und Ostdeutschen auseinanderdriften. Wenn man dagegen allein auf Kennziffern schaut, wie beispielsweise auf die Arbeitslosigkeit etc., dann gibt es nicht mehr die ganz großen Unterschiede. Und auch ansonsten haben sich die Lebensbedingungen im Osten in den letzten 33 Jahren sicherlich massiv verbessert. Gleichwohl ist die Stimmung dort offenkundig eine andere. Sicher spielen dabei die Erfahrungen seit der Einheit eine Rolle, aber so richtig erklären kann ich mir diese wachsende Distanz nicht.

Offenbar wird es immer salonfähiger, die AfD zu wählen.

Ja, ein Unterstützen der AfD verliert leider langsam den Status, anrüchig zu sein. Und in Thüringen ist das besonders besorgniserregend, weil man es dort mit der rechtsextremen Höcke-AfD zu tun hat.

Mich wundert diese „Normalisierung“ nicht, denn auch Politiker*innen anderer Parteien klingen zunehmend ganz ähnlich, der Sound wird rechter. Markus Söder ist da nur ein Beispiel. Ich sehe überall zunehmenden Populismus. Sie auch?

In der Tat neigen sowohl Markus Söder als auch Friedrich Merz mitunter zu populistischen Äußerungen. Da kann man aber nur dringend warnen. Es ist eine alte Erfahrung: Wer die Themen von politischen Gegnern stark macht, sollte nicht glauben, davon etwas zu haben. Am Ende wählen die Leute das Original.

Aus den Reihen der Ampel höre ich inzwischen gelegentlich auch recht absurde Einlassungen. Zum Beispiel von Seiten der FDP …

Vielleicht ist das aber gar nicht unbedingt Populismus. Ich habe nichts gegen lebhafte Diskussionen innerhalb einer Koalition, zumal wenn die Koalitionäre aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen. Und in einer Dreier-Koalition sind Einigungen deutlich schwieriger als in einer Zweier-Koalition. Differenzen müssen aber doch nicht in epischer Breite auf offener Bühne austragen werden. Das verunsichert viele Menschen und beschädigt das Vertrauen in die Politik.

Ich habe immer meine Probleme mit der Aussage, dass man die Sorgen und Ängste „der Menschen“ ernst nehmen müsse. Viele dieser Ängste sind irrational oder bewusst geschürt. Wie kann eine Berücksichtigung solcher Gefühle dann Ausgangspunkt für vernünftige politische Entscheidungen sein?

Man muss schon darauf schauen, was die Menschen umtreibt, die vor einem sitzen. Bürgerinnen und Bürger müssen den berechtigten Eindruck haben, dass sich die Politik um ‚ihre‘ Probleme kümmert. Es gibt oft keine einfachen Lösungen und auch das muss dann erklärt werden. Überhaupt muss viel und geduldig begründet werden, gerade bei umstrittenen Themen. Das Heizungsgesetz zum Beispiel soll dem Klimaschutz dienen und ist erst einmal kein Beispiel für einen übergriffigen Staat.

Beim Thema Heizung gab es ja eine regelrechte Kampagne, der Heizungs-Hammer, befördert durch die BILD, Populismus pur.

Ja, das stimmt, aber da sind in der Kommunikation auch vorher viele Fehler gemacht worden. Statt Medienschelte zu betreiben, würde ich mir eher die Frage stellen, wie es passieren konnte, dass ein so wichtiges Thema angegangen wurde, ohne diejenigen zu beteiligen, die die Umsetzung sicherstellen müssen, wie etwa Wärmepumpen-Hersteller oder Handwerksbetriebe. Das hat die Diskussion von Anfang an belastet.

Wenn ich jemanden treffe, der kompletten Unsinn erzählt, faktisch falsch, dazu vielleicht noch rassistisch und/oder sexistisch, dann sage ich dem, dass ich nicht mit ihm diskutieren kann, weil seine Basis verquer ist. Trotzdem mit solchen Menschen zu sprechen, zu diskutieren, halte ich inzwischen für ziemlich nutzlos. Man gibt den meist nur gefühlten Wahrheiten so womöglich nur mehr Gewicht …

Ich wäre da sehr vorsichtig, denn es ist ausgesprochen fragwürdig, jemandem zu sagen, dass er oder sie falsch fühlt. Etwas was Sie oder ich nicht als Problem wahrnehmen, kann von anderen sehr wohl als problematisch empfunden werden. Ich mache ja seit vielen Jahren öffentliche Bürgerversammlungen und habe gelernt, dass es wichtig ist, mit der Antwort da anzusetzen, wo die Fragestellenden sich befinden. Von da aus kann es dann argumentativ weitergehen. Das ist aber wesentlich erfolgreicher, wenn die Menschen zunächst den Eindruck haben, dass ich verstanden habe, um was es ihnen geht.

Gleichwohl haben Sie mir mal gesagt, im Zuge der Diskussionen um die Corona-Impfungen, dass wir sprechen und diskutieren können, wenn wir uns grundsätzlich einig sind, dass Corona eine lebensbedrohliche Krankheit ist. Sonst gäbe es keine Basis.

Ja, aber dennoch gebe ich mir überall dort, wo es nicht um plumpe Schuldzuweisungen oder Beschimpfungen geht, Mühe, auf die Leute einzugehen. Wenn sie aus meiner Sicht falsch liegen, versuche ich, ihnen das auf eine vernünftige Art und Weise zu vermitteln.

Wenn jemand sagt, es gibt den Klimawandel nicht und falls doch, ist er jedenfalls nicht menschengemacht …

Da kann man dann in der Tat nicht mehr vernünftig diskutieren, der Klimawandel ist Realität, die Erkenntnisse der Wissenschaft lassen gar keinen anderen Schluss mehr zu.

Und trotzdem bekommen solche Klimawandel-Leugner immer wieder eine Bühne. Neulich saßen bei Markus Lanz der Klimaforscher Prof. Mojib Latif und Steffen Kotré, energiepolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, nebeneinander. Und Steffen Kotré hat wirklich hanebüchenen Unsinn erzählt, völlig unhaltbares, dummes Zeug. Aber er hatte dort seinen Auftritt und wird einige Menschen erreicht haben. Muss man solchen Leuten diese Bühne geben?

Muss man nicht, kann man aber, das gehört zur Pressefreiheit dazu. Und vielleicht kann man aus solchen Talkshows Anregungen mitnehmen für vergleichbare Diskussionen im eigenen Umfeld.

Auf der anderen Seite haben wir dann das Problem der False Balance. Es scheint so, als säßen dort Gesprächspartner mit ähnlicher Expertise nebeneinander. Und das erzeugt völlig falsche Bilder und Eindrücke.

Ich habe auch schon öffentlich mit Leuten diskutiert, die aus meiner Sicht komplett auf dem falschen Dampfer waren. Dennoch hatte ich auch dann ziemlich oft den Eindruck, mich mit meinen Argumenten am Ende durchgesetzt zu haben. Aber solche Settings liegen in der Verantwortung der Medienmacher*innen. Und wäre es eine Alternative, bestimmte Themen und bestimmte Menschen gar nicht mehr zuzulassen? Würde man dann nicht gerade den Vorwurf dieser Leute bestätigen, ausgegrenzt zu werden? Menschen mit extremen, inakzeptablen Vorstellungen inszenieren sich ja gerne als politisch Geächtete, deren Meinung nicht gehört wird. Ich glaube, es ist besser, zu versuchen, diese Leute argumentativ zu stellen. Das ist gelegentlich anstrengend, aber das ist unsere Aufgabe.

Interview: Lars Kompa

 

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El Kurdis Kolumne im Juli

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El Kurdis Kolumne im Juli


Der schmatzende Schlund der Hölle

Dass Eltern ihren Kindern im Teenageralter auf den Sack – oder andere vergleichbare metaphorische Körperteile – gehen, gilt in unserer Gesellschaft als völlig normal und wird als übliche Nebenwirkung der Pubertät angesehen. Bei mir fing das allerdings viel früher an. Schon als Sieben- oder Achtjähriger fand ich meine Mutter eklig und abstoßend. Mehrmals am Tag. Allerdings jeweils nur für zwanzig bis dreißig Minuten. Sonst mochte ich sie eigentlich ganz gerne.

Die Ekelattacken überfielen mich stets während der Mahlzeiten. Mir kam es nämlich so vor, also ob meine Mutter beim Essen Geräusche von sich gäbe wie eine Herde Schweine am Fütterungstrog. Gleichzeitig schämte ich mich dafür, so zu empfinden. Schließlich wusste ich als christlich-fundamentalistisch erzogenes Kind, dass man Vater und Mutter ehren sollte: 2. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 12. Das vierte der zehn Gebote. Einen Vater gab es in unserem Haushalt nicht, also musste ich das Mütterlein doppelt ehren. Aber wie sollte ich das tun, wenn ich doch das Gefühl hatte, einem schlürfenden, schmatzenden, ohrenbetäubend laut schluckenden dämonischen Gier-Schlund ohne jegliche Tischmanieren gegenüber zu sitzen?

Der Umstand, dass wir in einem Zwei-Personen-Haushalt lebten und ich die Mahlzeiten fast nie mit weiteren Menschen einnahm – auch Restaurantbesuche waren bei uns unüblich – beförderte meine Selbsteinschätzung, ein undankbares, seine Mutter abgrundtief hassendes Balg zu sein.

Das Einzige, was mich beruhigte, war, dass der Hass nach den Mahlzeiten immer wieder schnell abklang und ich keinerlei Familien-Massaker plante. Das wäre bei der Intensität meiner Empfindungen durchaus verständlich gewesen. Aber war das Essen vorbei und das – wie ich es empfand – Grunzen verhallt, war alles wieder gut. Ich lebte also mit einem gelegentlich – zwei, drei Mal am Tag – aufblitzenden schlechten Gewissen: Sicher, ich war ein miserabler Sohn, aber eben nur temporär begrenzt.

Bis zu dem Moment, einige Jahre später, als mir klar wurde: Ich fand nicht nur meine Mutter widerlich, sondern auch meine Freunde. Und deren Eltern. Eigentlich alle Menschen. Geahnt hatte ich das schon länger. Und dann kam dieser Tag respektive Abend, an dem es zur Gewissheit wurde. Ich saß am Abendbrottisch meiner Jugendliebe: Vater, Mutter, Oma, Bruder meiner Freundin und sie selbst – alle schmatzten und schluckten so aufdringlich laut, dass mir die Essgeräusche meiner Mutter im Vergleich dazu plötzlich vorkamen wie eine in der Ferne erklingende Querflöten-Etüde….

So ging es dann weiter. Die Jahre zogen dahin, zwischen den Mahlzeiten war mein Leben ganz okay und mein Verhältnis zur Restbevölkerung größtenteils entspannt. Aber während des Essens dachte ich wirklich immer wieder, ich könne Menschen grundsätzlich nicht ertragen. Ich dachte: Hartmut, du bist ein Misanthrop. Du solltest als Eremit in einer Höhle wohnen! Und die Höhle sollte am besten auf einer einsamen Insel liegen. Und die Insel inmitten eines Ozeans …

Vor einiger Zeit aber lieferte mir jemand, dem ich meinen Menschenhass zu später Stunde, in dezent angeschickertem Zustand voller Scham enthüllte, die naheliegende, aber von mir – aus Unkenntnis – nie in Erwägung gezogene Erklärung: Ich leide unter „Misophonie“, einer wohl gar nicht so seltenen psychischen Störung. Dr. Wikipedia beschreibt meine Schacke so: Misophonie (von griechisch μῖσος misos ‚Hass‘ und φωνή phonḗ ‚Geräusch‘), ist eine Form der verminderten Toleranz gegenüber bestimmten Geräuschen (…) Ein häufig verwendetes Synonym ist „Selektives Geräuschempfindlichkeits-Syndrom“ (…) Stimuli, die die beschriebenen Reaktionen hervorrufen, werden als Trigger bzw. Triggergeräusche bezeichnet.“

Ich muss also mein Selbstbild revidieren: Ich habe gar nichts gegen Menschen! Weder hasse ich, noch verachte ich sie. Es macht mich nur wahnsinnig, ihnen beim Essen zuhören zu müssen. Ganz normale menschliche Nahrungsaufnahmegeräusche foltern mich. Nicht mehr, nicht weniger. Seit dieser Erkenntnis bin ich auf der Suche nach einer Selbsthilfegruppe. Neulich hatte ich einen Albtraum: Endlich war ich fündig geworden. Nach der ersten Sitzung der „Anonymen Misophoniker“ – was im Übrigen auch ein hübscher Name für eine Punkband wäre – standen wir noch plaudern beieinander. Plötzlich holte jemand eine Tüte aus einem Leinenbeutel, öffnete sie raschelnd, steckte sich eine Handvoll des Inhalts in den Mund und fragte kauend, uns anderen die Tüte vor die Nase haltend: „Auch Chips?“

Hartmut El Kurdi

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Stadtkinder essen: Riva

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Stadtkinder essen: Riva


Wenn man die Innenstadt hinter sich lässt und sich in Richtung Messe auf den Weg macht, kommt man an der Bult vorbei. Krankenhäuser, Hundewiese, Tennisplätze … und das Riva. Gegenüber des Kinderkrankenhauses, an der Ecke Janusz-Korczak-Allee ist es in einem Tennisvereinsheim untergebracht. Es lässt sich nur schwer verschleiern, Vereinsheime sehen ja doch irgendwie alle gleich aus. Aber die Betreiber haben in jedem Sinne das Beste daraus gemacht.

Die Außenterrasse ist luftig und hell, trotz nahezu vollständiger Beschattung durch schicke Sonnenschirme. Hier und da ein paar Palmen in großen Kübeln, im Hintergrund tennisspielende Menschen – das gibt einem schon Sylt Vibes! Auch innen ist man in bester Boho-Manier kreativ geworden: Dunkelgrüne Wände, viele Pflanzen, viel Gold, grüne Cordsessel … schick!

Das Personal ist äußerst aufmerksam und freundlich, ohne lästig zu sein, wir bekommen die Karte und die Sonderkarte gebracht. Ein verstohlener Blick auf einen Nachbartisch – die Portionen sehen ziemlich reichlich aus, weshalb wir uns gegen eine Vorspeise entscheiden.

Die Getränkekarte ist sehr aufgeräumt, aber ausgesprochen gut sortiert. Wir finden eine Rum-, Gin- und Wodka-Auswahl vor, von der sich manche Innenstadtkneipe eine Scheibe abschneiden könnte. Aber zum Saufen sind wir nicht hier, weshalb wir uns einfach auf ein Glas Weißwein (0,2, je 6,70 € pro Sorte) und auf ein Glas Rotwein (0,2, zwischen 6,70 und 7,50 € pro Sorte) beschränken.

Die Speisekarte ist ebenfalls sehr vielfältig und bietet von einer großen Salatauswahl bis zum Tomahawk-Steak auch gehobene Standards. Wir aber entscheiden uns für zwei Signature-Gerichte: Nämlich den „Riva“-Grillteller (Hähnchenbrust, Schweinemedaillons, Rumsteak, Chorizo, und gegrilltes Gemüse, dazu zwei Dips und eine Beilage, wählbar aus Rosmarinkartoffeln, Ofenkartoffel mit Sour Cream oder Steakhouse-Fritten, 26,50 €) und das Hähnchen „Riva“ (Gegrillte Hähnchenbrust auf Curryrahmsauce, gegrilltes Gemüse, schwarzes Risotto, Parmesan und Milchschaum, 18,50 €).

Das Wichtigste zuerst: Das Küchenpersonal weiß, wie man abschmeckt! Jedes einzelne Element auf den Tellern ist so rund und perfekt abgeschmeckt, dass wir die Menagerie auf dem Tisch keines Blickes würdigen. Mit den frischen Kräutern, die eine hübsche Deko bilden, ist tatsächlich auch gearbeitet worden. Wenn man den ganz dringend und unbedingt mäkeln wollte, dann könnte man sagen, dass die Wahl nach dem Gargrad des Rindfleischs dem Koch und nicht dem Gast überlassen wurde – wir hätten es etwas rosiger bestellt, aber Geschmack und Saftigkeit hat das keinen Abbruch getan. Jede Fleischsorte ist hervorragend gewürzt, das Gemüse ist auch noch knackig, die beiden Dips (einer nach Art einer Sour Cream, der andere mit Rauchpaprika und frischem grünen Pfeffer) sind sicher selbstgemacht und sehr gut. Die Fritten sind nicht so salzhaltig wie fast sonst überall und das ist gut so – würden sie doch sonst den feinen Geschmack der Saucen verderben.

Auch von dem anderen Teller sind wir total begeistert. Perfekt saftig gegrillte Hähnchenbrust, die Currysauce ist ein Traum, das gegrillte Gemüse schmeckt intensiv nach dem frischen Thymian, den man auch noch auf dem Teller findet und der Milchschaum ist tatsächlich ein Schaum. Aber das absolute Highlight ist das schwarze Risotto: Gefärbter Wildreis und ordentlich Butter – eine tolle Struktur und nicht zu vergleichen mit dem schleimigen Kram, den man sonst manchmal als Risotto angedreht bekommt. Wir sind satt und happy – und bekommen einen Digestif aufs Haus, bestehend auch Likör 43, Maracujasaft und Milchschaum, der schmeckt wie unser Lieblingseis aus der Kindheit.

Große Empfehlung, solange es noch ein bisschen warm ist: Ab auf die Bult ins Riva!

Riva
Bischofsholer Damm 121
30173 Hannover

0511-97827687
www.riva-hannover.de

Öffnungszeiten:
Di-Do.: 17-22 Uhr
Fr-Sa.: 17-23 Uhr
So: 17-22 Uhr

IH
Fotos Gero Drnek

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ASB-Wünschewagen Niedersachsen

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ASB-Wünschewagen Niedersachsen


Ehrenamtliches Engagement

Sterben müssen wir alle irgendwann egal wo wir herkommen, egal wer wir sind. Der niedersächsische ASB-Wünschewagen erfüllt schwerstkranken Menschen in ihrer letzten Lebensphase einen letzten, besonderen Herzenswunsch.

Wir versuchen wirklich alles möglich zu machen, was irgendwie realistisch ist. Und wir freuen uns auch, wenn da etwas Verrücktes dabei ist, erzählt Intensivpflegefachkraft Jella Misera, die seit Sommer 2020 ehrenamtliche ASB-Wunscherfüllerin ist. Ob noch ein letztes Mal ans Meer, in die Berge, einmal Torjubel im Stadion erleben, Elefanten streicheln oder einfach einen Tag raus aus dem Hospiz – „die Wünsche können wirklich alles sein, was man noch auf der Bucket List hat. Das einzige Kriterium ist, dass sich die Menschen krankheitsbedingt in ihrer letzten Lebensphase befinden, transportfähig sind und sich den Wunsch aus eigener Kraft nicht mehr erfüllen können, erklärt Jella. Mit einem liebevoll umgerüsteten und dekorierten Krankentransportwagen ermöglichen die ehrenamtlichen Wunscherfüller*innen Sterbenskranken beispielsweise, noch einmal ihren Lieblingsort zu sehen. Dabei sind immer mindestens zwei Personen mit an Bord, die die medizinische und pflegerische Versorgung gewährleisten und emotional unterstützen.

Seit 2017 konnten so niedersachsenweit rund 350 Herzenswünsche erfüllt werden und das nur mithilfe der Ehrenamtlichen. Jella ist eine der knapp 80 Wunscherfüller*innen des Wünschewagens vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Niedersachsen e.V. Wegen eines Zeitungsartikels wurde sie vor einigen Jahren auf das Projekt aufmerksam.

Ich habe dann gedacht, ich habe die Kompetenzen, Wunschfahrten zu begleiten und Herzenswünsche möglich zu machen. Wünsche, die eigentlich für gesunde Personen selbstverständlich und einfach zu erfüllen sind. Ich habe zu dem Zeitpunkt angefangen auf der Intensivstation zu arbeiten und habe mitbekommen, dass ganz viele Menschen nicht selbstbestimmt in die letzte Lebensphase gehen. Da ist in mir das Bedürfnis aufgekommen, Leuten zu helfen, das mitzugestalten, erklärt sie. „Ganz viele Menschen fragen mich, wie ich das aushalte. Aber ich habe die Erkrankung ja nicht verschuldet, sondern kann aktiv unterstützen. Deswegen fällt mir das auch nicht schwer. Das ist einfach schön, da noch helfen zu können und den Menschen die Möglichkeit zu geben, ein schönes Lebensende zu gestalten. Und man hat Zeit für die Leute. Während einer Wunschfahrt können wir uns wirklich einen ganzen Tag um die Wünsche einer Person kümmern und haben dabei keine Sorgen um andere Menschen das ist in der Pflege ja ein riesiges Problem.

Fahrgast Ingrid ist mit ihren Freundinnen und dem WüWa-Team ins Salü schwimmen gegangen

Wunschanfragen werden per E-Mail oder telefonisch im Büro gestellt, dort dann sorgfältig koordiniert und geplant. Trotzdem sollten Kliniken und Hospize Betroffene frühzeitig informieren, dass es diese Möglichkeit gibt. Denn viele Fahrgäste melden sich erst so spät, dass der Gesundheitszustand schon zu viele Grenzen setzt, betont Jella. Das Projekt nach außen tragen und betroffene Menschen informieren, ist also eine große Hilfe. In erster Linie brauchen wir aber tatkräftige Unterstützung beim Wünschewagen. Ein medizinischer Background ist dabei Voraussetzung, erklärt sie. Außerdem kann man auch finanziell Herzenswünsche ermöglichen denn das Projekt finanziert sich ausschließlich durch Spenden.

Sich Wünsche erfüllen, etwas, das nicht nur für Menschen in der letzten Lebensphase von Bedeutung ist. Wartet nicht zu lange mit euren Wünschen. Ich sehe ganz oft, dass Wünsche offenbleiben und nicht mehr so umgesetzt werden können, wie man das als gesunder Mensch konnte. Aber wenn noch Wünsche offengeblieben sind: Einfach fragen. Wir versuchen echt alles möglich zu machen.

ASB-Wünschewagen Niedersachsen
Petersstra
ße 1-2 30165 Hannover

Telefon  0511 358 54 888
E-Mail
wuenschewagen@asb-niedersachsen.org

www.wünschewagen-niedersachsen.de

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Der besondere Laden: Einzigartig Stilfrei

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Der besondere Laden: Einzigartig Stilfrei


„Farbenfroh, originell, qualitativ hochwertig“ – so beschreibt Tina von Einzigartig Stilfrei, die Schätze, die Second-Hand-Begeisterte in ihrem Laden erstöbern können. Seit Mitte Januar ist Tina mit ihrem bunten Sammelsurium in der Calenberger Neustadt zu finden.

In der Calenberger Straße findet man bei Einzigartig Stilfrei Kleidung, die zu neuen Lieblingsstücken werden können, selbstgemachten Schmuck und so manch andere kreative Kleinigkeit.
„Bei mir gibt es die bunte Vielfalt. Farbenfroh und originell, auch gewagte Farben und Muster – das macht mich aus. Stilfrei, weil mein Sortiment nicht an einen Stil gebunden ist, aber trotzdem jeder Mensch hier seinen eigenen Stil finden kann. Man findet hier aber natürlich auch ganz simple Jeans und T-Shirts. Das ist das Schöne, das viele verschiedene Leute hier fündig werden“, erklärt Gründerin und Inhaberin Tina.

„Ich möchte mit diesem Laden einen Ort der Begegnung schaffen, wo Menschen hereinkommen und stöbern wollen. Es geht hier nicht darum, hektisch und schnell etwas zu finden. Diese Entschleunigung ist ganz wichtig. Sich Zeit nehmen, runterkommen“, erzählt sie.
Die Kleidungsstücke, die in Tinas eigens kreierter Schmuckschatulle gefunden werden können, kommen von Menschen, die ihren alten Schätzen ein zweites Leben geben. Auf Kommission nimmt Tina Kleidung an und vermittelt so ein neues Zuhause. „Teilweise haben die Leute so viele Klamotten in ihren Schränken. Es ist toll, wenn die wieder in den Kreislauf gebracht werden.“
Viele Kund*innen werden bei Einzigartig Stilfrei nicht nur fündig oder bereichern den Fundus, sie treten auch miteinander in Kontakt. „Das ist oft eine so nette Atmosphäre im Laden. Die Leute kommen auch untereinander ins Gespräch, noch mehr als bei gewöhnlichen Läden. Es kommen wirklich total interessante Menschen vorbei – dieser Austausch macht einfach Spaß“, meint sie.
„Der Faible für Second-Hand und Gebrauchtes war bei mir schon immer da. Und eben auch das Kreative. Dann gab es die Möglichkeit, eigenen Second-Hand-Laden zu eröffnen, und ich hab’s einfach gewagt. Um der Kreativität und den Farben mehr Raum zu geben“, erzählt Tina über die Idee für Einzigartig Stilfrei.
„Wenn du dein Herz in etwas reinsteckst, dann reagiert das ganze Herum auf dieses Gefühl, dass du mitbringst – das ist quasi meine Lebensphilosophie.“

Für die Zukunft plant Tina auch „kreative Akzente reinzubringen“: Produkte von ausgewählten Kleinkunsthandwerker*innen zu verkaufen und Workshops anzubieten – selbst Schmuck machen, gemeinsam Häkeln, Mosaike erstellen. „Erstmal konzentriere ich mich aber auf den Laden, dass der seine Form bekommt, das ist ja noch alles im Werden. Aber für die kurze Zeit ist hier schon sehr viel passiert.“
Nicht immer alles Neu kaufen – ein Aspekt, der auch der Umwelt guttut und sich noch mehr in den Köpfen der Menschen verankern sollte. „Diesen Umweltaspekt finde ich ganz wichtig. Das, was schon da ist, zu verwerten und wertzuschätzen – das finde ich schön. Es geht dabei um Energie, Ressourcen und darum, die Umwelt zu entlasten. Man muss nicht immer alles neu kaufen. Weniger ist manchmal mehr.“

Einzigartig Stilfrei
Calenberger Straße 31, 30169 Hannover
Öffnungszeiten Mo & Mi 13-18 Uhr, Fr 12.30-17 Uhr
Telefon 0171 3193782

Jule Merx

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Der Freundeskreis im Gespräch im Juli

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Der Freundeskreis im Gespräch im Juli


Diesen Monat haben wir mit dem Photografen und Künstler Marc Theis und dem Designer und Künstler Sebastian Peetz gesprochen: Über ihre Arbeit, vor allem über ihre Zusammenarbeit, und auch über ihre Beziehung zu Hannover

Beginnen wir doch mit einer kurzen Vorstellung …

MT – Ich bin seit fast 50 Jahren in Hannover. Ursprünglich komme ich aus Luxemburg. Ich war Sohn eines Malermeisters und früher war es ja so, dass der Sohn werden sollte, was der Vater war. Ich wollte aber Dekorateur werden und habe das gelernt. Daraus entstand die Idee, Grafikdesign zu studieren. An der Kunstakademie in Stuttgart hieß es dann: „Wenn Sie hier studieren wollen, brauchen Sie auch Fotos“. Man hat mir eine Fotoschule in Stuttgart empfohlen – und das war eine spannende Ausbildung. Nach 3, 4 Monaten hatte ich mein erstes Bild verkauft; die hatten Kontakte und ich war scheinbar talentiert. Dann wurde ich an der Kunstakademie angenommen und habe das 4 Jahre gemacht, ab und zu auch bereits Preise gewonnen, bin viel gereist und habe mir schnell mein erstes Geld verdient – bei der Micky Maus. Das klingt witzig, aber die Micky Maus saß damals in Stuttgart und es gab immer Bilderstrecken aus der ganzen Welt mittendrin. Und ich bin unterwegs gewesen in der Welt, als gebürtiger Luxemburger hat man diesen Drang, weil das Land so klein ist. Also habe ich mich da gemeldet – und alle 6 Wochen bin ich dann gereist, nach Griechenland, nach Portugal, das wurde in der Micky Maus veröffentlicht – und richtig gut bezahlt. Es gab auch andere Zeitschriften, die meine Bilder genommen haben. Dieser Erfolg war schön. Dann lernte ich im Urlaub eine charmante Frau kennen, die sagte: „Komm mal nach Hannover. Meine Schwester besorgt dir einen Job an der MHH.“ So bin ich hier gelandet. Und habe um 1977 die ersten Fotos für den Schädelspalter gemacht, Titelbilder und solche Sachen, habe Uli Stein kennengelernt, mit ihm die ersten Fotos und auch gemeinsame Reisen gemacht. Und ich habe mich an der Fachhochschule beworben und hatte einen wirklich guten Dozenten – Heinrich Riebesehl, der mittlerweile auch in allen Museen in Deutschland hängt. Ich habe später die Galerie Spektrum mitbetreut – eine der besten Fotogalerien Deutschlands –, habe Künstler mit ausgesucht, Kataloge, Plakate etc. gestaltet. An der VHS habe ich Kurse gegeben. Und irgendwann habe ich während des Studiums so eine Anzeige der TUI gesehen. Die waren auf der Suche nach einem Werbeassistenten für Touropa München. Ich war 5 Jahren bei der TUI – eins in München, dann wieder in Hannover – und wurde später über Umwege auch Robinson-Fotograf. Irgendwann sagte ich mir dann: „Ich mache mich in Hannover selbstständig!“, habe Räume gesucht – und ein Fabrikgelände in Sarstedt gefunden: ca. 500 m², 7 m hoch, 200 DM Miete. Das habe ich sanieren lassen und eine Party gemacht und alle Werbeagenturen Hannovers eingeladen. Die Party hat allen großen Spaß gemacht und eine Woche danach hat mich B&B angerufen, zu der Zeit die größte Agentur in Hannover, und gefragt, ob ich nicht vorbeikommen könnte, die hätten einen Auftrag für mich. Das war mein erster Kunde und es kamen nach und nach immer mehr dazu. Inzwischen reise ich aber wieder mehr und mache auch Projekte außerhalb von Hannover und Deutschland.

Switchen wir einmal zu dir …

SP – Ich bin Sebastian Peetz – ich arbeite im Bereich Kunst, Typografie und Fotografie, und wir sitzen hier im Café Bodo. Ein interessanter Startpunkt für unser Gespräch, denn das ist das ehemalige Geschäft Photo Dose – mit 16, 17 Jahren war ich ständig hier, als ich ein eigenes Fotolabor hatte. Ich habe mich schon immer, also bereits in Phasen der Kindheit, an die ich mich nur über Fotografien erinnere, für Kunst als Ausdruck über Bild und Schrift interessiert. Das ist ja am Anfang eher eine Energiemischung, von der man nicht weiß, was man draus machen wird. Die Perspektive, dass man sich eines Tages im Rahmen des Studiums beschränken muss fühlte sich einengend an. Ich hatte Sorge, Talente verkümmern zu lassen. Ich wollte alles. Mit einem Freund hatte ich „San Jose Design“ gegründet und mein Kinderzimmer mit einem orangenen Aufkleber als Atelier markiert. Gut war, dass ich mit 16 Jahren nach Amerika ging, raus aus Hannover. Das deckt sich insofern mit Marcs Aussage zu Luxembourg. Hannover ist für bestimmte Energien in gewissen Altersphasen ungeeignet. In Amerika habe ich viel über Computer, Schriftdesign und -satz sowie Ölmalerei gelernt. Kunstunterricht in Amerika ist ganz anders als man das hier kennt. Man wird ernst genommen und es fühlt sich fast akademisch an. Nach einem Jahr bin dann nach Süddeutschland auf ein Internat gegangen. Und von da aus habe ich nach dem Abitur auf einem amerikanischen College in der Schweiz studiert. Ich wusste, ich muss durch ein Studium durch. Aber ich wollte auch nicht ganz, sagen wir „frei schwingen“, sondern wirklich das Handwerk lernen. Das geht mit dem amerikanischen System gut. Die sind irgendwie streng, alles ist emotionslos getaktet. Und das war, was mir fehlte, damit ich sicher bin in der Gestaltung. Nach dem Diplom habe ich gedacht, ich muss nach London, habe mich da bei Agenturen vorgestellt und bei Pentagram Justus Oehler kennengelernt, der sagte: „Du brauchst am Anfang einen einzelnen Menschen, der dir gegenübersteht und der dich spiegelt. Wenn du jetzt in einer großen Agentur landest, dann stehst du am Kopierer.“ Ich kannte einen Namen in Paris. Der wollte aber bald nach Rom, weil er den Prix de Rome gewonnen hatte – und nach drei Monaten sagte ich beim Essen: „Ich könnte für das Jahr die Agentur führen.“ Und er: „So machen wir‘s!“ Ein riesiger Vertrauensbeweis. Wir haben drei weitere Jahre zusammengearbeitet. Andere fahren zum Urlaub nach Rom und Paris, wir waren immer angenehm gestresst. Die beiden Facetten Kunst und Design habe ich bis heute sichtbar getrennt beibehalten, als peetz & le peetz design: „peetz“ ist das Schöpferisch-Kreative, das Freie und Selbstbestimmte und „le peetz design“ ist das, naja, knallharte Geschäft, mit den realistischen Anforderungen, die es von Industrie oder Kultur gibt. Das zu kombinieren hält mich biologisch bei Laune. Mit geht es darum, das Schöpferische ins Nützliche zu wandeln. Glücklicherweise habe ich das als Alleinstellungsmerkmal so überzeugend sichtbar gemacht, dass die Stadt Hannover auf mich zukam, als sie für ihre Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europa 2025 einen Spezialisten zur Umsetzung suchte. Wir haben mit dem entstandenen Bewerbungsbuch die erste Runde gewonnen und Hannover war beeindruckt, wie viele Auszeichnungen dieses erste Werk bekam – international und national. Also durfte ich auch das zweite Buch umsetzen. Das war natürlich eine knackige Herausforderung. Mein Konzept waren dann nicht 100 einzelne Seiten, sondern eine Textilrolle mit den DIN A4-Seiten aneinandergereiht, 21 Meter lang. Es musste erst juristisch geklärt werden, ob die Kulturstiftung der Länder das als Bewerbung überhaupt zulässt. Haben sie. Es war eine herrliche Sache alle Talente zu kombinieren… Kreativität, präzise Umsetzung und gnadenloses Timing, und das vor aller Augen.

Kurz darauf, in Corona-Zeiten, habe ich Marc kennen gelernt. Er wollte ein anspruchsvolles Maskenbuch machen.


Das war euer erstes gemeinsames Buch …

SP – Es sind phänomenale Fotografien von Marc und in einem Ergänzungsband sollten eigentlich dieselben Menschen, vom Ministerpräsidenten über Kultur bis zum Schornsteinfeger, ohne Maske erzählen, wie es war – nur hörte die Masken-Utopie ja in diesem Jahr erst wieder auf. Das ist ein echtes Zeitdokument. Das zweite Buch mit Marc war dann ein Projektbuch zu 125 Jahre Annastift: Thema Teilhabe, Inklusion und Menschlichkeit. Typografisch sensibel gestaltet, ist ein schönes Werk geworden, ein Coffeetable-Book mit einem dafür seltenen Thema. Und nun arbeiten wir bereits am nächsten.

Ein drittes Buch?

SP – Ja. Das beschäftigt sich mit ehemaligen Innenräumen Hannovers: etwa vom Postcheckamt. Das wird jetzt abgerissen und wir schauen, wie es eigentlich innen aussah. Das weiß ja keiner. Wie sah die Deutsche Bank vorher aus? Andere Gebäude? Der Pferdestall am Welfenplatz, bevor er saniert wurde? Hannover hat sich selbst viel Historie genommen. Das Ständehaus wurde nicht im Krieg zerstört, sondern das haben die Hannoveraner abgesäbelt. „Hannover:innen“, so nennen wir das Buch, als kleines Spiel damit, dass alle gemeint sind: ein marketingtauglicher Name in der Gender-Debatte. Bei „Hannover:innen“ geht es auch darum, dass Bilder allein nicht immer reichen, sondern, dass Geschichten dazu sehr wichtig sind: Wir haben einen Journalisten, Sebastian Hoff, gebeten, sich Geschichten auszudenken über die Orte. Kleine Geschichten, pro Bilderserie ein bis zwei Seiten. Das soll dann noch vertont werden, sodass man mit einem Code draufgehen kann. Mit diesen Geschichten wollen wir die Fantasie erreichen – und diese Vertonung ist so relevant, weil sie das erste Mal eine Brücke baut zwischen einem nicht-sehenden Menschen und einem nur-sichtbaren Kunstwerk. Da suchen wir gerade noch jemanden, der das machen kann.

MT – Wichtig zu sagen, ist, dass ich bei dem Buch nicht der alleinige Fotograf bin. Ich habe einen Kollegen, der Architektur fotografiert, Olaf Mahlstedt: Wir sind zwei Fotografen, die unterschiedlich fotografieren – sich in der Mitte des Buches aber auch treffen.

SP – Wie auf dem Cover, auf dem zwei unterschiedliche Fotografien durch gestalterische Positionierung doch Anknüpfungspunkte zueinander aufweisen.

Du tauchst auf dem Cover, im Gegensatz zu den anderen, nicht namentlich auf – ist das vom Gefühl her komisch? Bist du da unsichtbar?

SP – Ganz genau das ist es. Das höchste Ziel des Gestalters ist die eigene Unsichtbarkeit. Wir haben damals ohne Computer erst einmal Buchstaben zeichnen müssen. Das hat Wochen gedauert. Diese Mühe kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Aber dadurch ist man in dem Werk drin. Ich bin da wirklich innen drin. Das ist das, was ermöglicht, unsichtbar zu sein und im Ergebnis die Erfüllung zu spüren. Im Bereich Design sagt der Auftraggeber nicht „das ist typisch für Peetz“ sondern „das ist typisch für exzellentes Design“. Wenn du das erste Bid Book und das zweite Bid Book anguckst, ist das Gestalterisch ein riesiger Unterschied. Das, was gleich bleibt, ist die Ausstrahlung einer hohen Präzision in der Schrift und eine einzigartige Finesse im Umgang mit der Aufgabe. Als Student habe ich immer gesagt: der Künstler erwartet Erfüllung, der Designer erfüllt Erwartungen. Na gut, heute sage ich eher „Erfüllung durch Übertreffen der Erwartungen“ … Stichwort biologische Laune.

Wie war das für dich, mit einem zweiten Fotografen an einem Projekt zu arbeiten?

MT – Ich habe davor bereits ein Buch gemacht, das thematisch ein bisschen ähnlich gelagert war, das hieß „Das andere Hannover“ und es waren nur meine Bilder drin. Dazu haben wir ebenfalls Interviews gemacht, also auch mit Worten gearbeitet. Das Buch hat sich super verkauft, aber ich mag keine Wiederholungen. Und ich mag Olafs Fotografie sehr gerne. Irgendwann habe ich ihn getroffen und gesagt: „Weißt du was, Olaf? Lass uns noch so ein Buch machen: du eine Hälfte und ich eine Hälfte“. So sind wir zusammengekommen. Der Austausch ist toll. Ich bin kein Architekturfotograf, bei mir ist es eher schwer einzutüten, was genau ich mache, weil ich unheimlich viel gerne mache. Ich versuche immer, Sachen so festzuhalten, wie sie vielleicht andere nicht sehen. Das ist mein Antrieb. Wie bei Sebastian: Es gibt den Marc Theiss mit Kunden und es gibt den freien Künstler in mir.

An was arbeitet ihr aktuell außerdem?

SP – Aktuell? Bei mir sind es neben Büchern ja auch Logos und Plakate. Wenn ich für Museen Ausstellungsplakate entwerfe, soll man ohne Ablenkung denken „ah, diese Ausstellung möchte ich sehen!“. Bei einem Logo ist es die Verdeutlichung der Idee, für die eine Einrichtung überhaupt steht. Welchen Drive, welche Identität vertritt der Absender. Konkret wird das am Museum Wilhelm Busch. Die neue Direktorin hat sich eine ganz kraftvolle neue Marke gewünscht, die ihre künftige Prägung des Museums deutlich macht. Sie kam zu mir ins Atelier und sagte „Ich brauche das neu, jung und divers. Und ich will eine direkte Assoziation mit dem Haus“. Also wird eine charakterstarke und wiedererkennbare Schrift benötigt und ein Logo, das den Namen und die DNA des Hauses wieder aufleben lässt. Und selbstsicher Zielgruppen vereint. Für sich selbst schon eine Geschichte sein könnte. Bei der Recherche schaute ich inzwischen nicht mehr zählbare Varianten lateinischer Buchstaben an. Und nach ein paar Tagen Genuss dieser Vielfalt entschied ich mich für die „Glance“ von Moritz Kleinsorge, der es geschafft hat mit smarten Designakzenten und feinen Details doch noch mal eine singuläre Schrift zu entwickeln. Für das Logo drehte ich die Buschstaben M, W, B so lange, bis ein liegendes B schließlich an eine stilisierte Silhouette der ikonischen Protagonisten Max und Moritz (letzer mit geölter Haartolle) erinnerte. Man erkennt es „at first glance“. So würdigt das inzwischen international aufgestellte Museum seinen historischen Namensgeber und schafft sich doch symbolstark einen augenzwinkernd-progressiven Platz auf den Säulen.

MT – Wir haben aus dem Projekt für das Annastift eine digitale Ausstellung mit Sebastian zusammengestellt und die wurde schon einmal ausgestellt hier im Rathaus in Hannover. Ich bin gerade noch dabei, andere Orte zu mobilisieren. Ich hoffe, es geht im Winter weiter. Ich selbst habe jetzt viel im Saarland fotografiert. Das Saarland hängt ja direkt neben Luxemburg. Luxemburg liegt zwischen Frankreich, Belgien, Rheinland-Pfalz und dem Saarland und das ist schon sehr interessant. Heute pendeln die Leute hin und her. Ich habe in Lothringen ein Internat besucht und heute ist es so, dass die jungen Leute das Drumherum nicht kennen, außer sie wohnen in Trier. Das ist total krass. Keiner weiß mehr, was es direkt nebenan für eine Geschichte gibt, was da überhaupt war, was da ist … an Architektur, Religion. Und ich reise, um solche Orte zu finden und den Leuten zu zeigen, was da passiert ist. Es gibt in Luxemburg nicht nur Banken, sondern auch viel Geschichte aus den letzten 100 Jahren. Und das gleiche will ich in Lothringen machen. Im November habe ich noch eine Ausstellung in Luxemburg: wieder ein ganz anderes Projekt, mit einem Künstler aus Düsseldorf, der auf Fotos von mir gemalt hat. Diese Ausstellung beginnt bald – und das sind alles Unikate.

Habt ihr zuletzt noch irgendetwas auf dem Herzen?

SP – Den Freundeskreis Hannover. Das ist kein unwichtiges Thema. Die Stadt Hannover hat als eine der ganz wenigen Städte überhaupt so einen Freundeskreis und ich betone immer, wie relevant es ist, dass Menschen sich ohne einen konkreten Auftrag für eine Stadt hilfsbereit im Detail engagieren und den Geist einer Stadt damit prägen und sichtbar machen. Marc Theiss und ich, wir sind beide ja nicht umsonst in Hannover. Ich war sieben Jahre in Paris, davor in Amerika, aber am Ende bin ich in Hannover. Warum? Das liegt an dem Kapillarsystem der Stadt, an diesem feinen Geäst von Energie und Menschen, die sich kennen, sich vernetzen, die unaufgeregt sind. Ich war gerade auf einer Veranstaltung in Hamburg. Alle bewegten sich enorm fotogen und sahen, ja „instagramable“ aus, und es fühlte sich an wie eine Novelle von Proust. Das ist in Hannover doch alles extrem angenehm gemittet – und so ein Freundeskreis ist eine Schleife um diese Mitte, diese verschiedenen Menschen und Interessen, die genug Raum lässt und trotzdem das Verbindende sichtbar macht. Für Hannovers andauerndes Bemühen, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik erfreulich wirksam zu verbinden bin ich sehr dankbar.

MT – Und ich würde gerne noch einbringen, dass ich die Umwandlung der Innenstädte für ein ganz wichtiges Thema halte. Hannover hat ja ein bisschen das Problem, dass alles sehr weit auseinander liegt. Ich denke, dass es ein richtig großer und wichtiger Auftrag ist, den ich beim Freundeskreis, aber auch bei jedem Einzelnen sehe, dass wir mehr Kultur reinkriegen, die Innenstadt wieder mehr verbinden. Da gab es ja schon immer Ideen, aber da muss man viel Gas geben die nächsten Jahre. Wir können Hannover nur herzhaft machen oder bewerben, wenn wir dafür sorgen, dass für die Leute wieder alles etwas menschlicher wird, weg von diesen Massenketten. Man weiß ja manchmal nicht mehr, in welcher Stadt man ist, weil überall die gleichen Läden sind. Das kann es doch nicht sein auf Dauer. Ich bin mir sicher, dass die jungen Leute das auch so sehen. Hannover ist kompliziert: Wir punkten zwar mit ganz vielen tollen Sachen wie der Erreichbarkeit, wir können ganz schnell hin und her mit der Bahn und dem Fahrrad, aber wir müssen das Innendrin kulturell wirklich voranbringen. Und unser Auftrag, auch vom Freundeskreis, wird die nächsten Jahre sein, viel mehr verbindende Kultur in die Innenstadt zu bekommen. Und die Zielgruppe sind für mich einzig und allein die jungen Leute – denn die Zukunft sind die jungen Leute und nicht die alten.

CK

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