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Zur guten Nacht: Der Prinz auf der Edamame

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Zur guten Nacht: Der Prinz auf der Edamame


Der Prinz auf der Edamame

Es war einmal eine Prinzessin, die wollte einen Prinzen heiraten, aber es sollte ein wirklicher Prinz sein. Da reiste sie in der ganzen Welt herum, um einen solchen zu finden, aber überall war etwas im Wege. Prinzen gab es genug, aber ob es wirkliche Prinzen waren, konnte sie nicht herausbringen. Immer war etwas, das nicht so ganz in der Ordnung war. Da kam sie dann wieder nach Hause und war ganz traurig, denn sie wollte doch so gern einen wirklichen Prinzen haben. Eines Abends zog ein schreckliches Gewitter auf; es blitzte und donnerte, der Regen strömte herunter, es war ganz entsetzlich! Da klopfte es an das Tor, und der alte König ging hin, um aufzumachen. Es war ein Prinz, der draußen stand. Aber, o Gott! wie sah der von dem Regen und dem bösen Wetter aus! Das Wasser lief ihm von den Haaren und Kleidern herunter; es lief in die Schnäbel der Schuhe hinein und an den Hacken wieder heraus. Und doch sagte er, dass er ein wirklicher Prinz sei.
„Ja, das werden wir schon erfahren!“ dachte die alte Königin. Aber sie sagte nichts. Sie erinnerte sich an das alte Märchen von Hans Christian Andersen, „die Prinzessin auf der Erbse“, in dem die Prinzessin durch zwanzig Matratzen und zwanzig weitere Eiderdaunendecken hindurch gespürt hatte, dass ganz unten eine Erbse gelegen und diese ihren Schlaf empfindlich gestört hatte. Durch diese Empfindlichkeit hatte die Prinzessin sich damals als solche authentifiziert. „Versuch macht kluch!“ beschloss die alte Königin. Früher am Abend hatte man sich vom Asiaten um die Ecke Essen kommen lassen und es war noch etwas übrig. Die Königin nahm also eine Edamame, klemmte sie unter die Bettstatt des Prinzen, lehnte sich zurück und wartete gespannt auf den Morgen.

Der Prinz indes war müde. Der Tag war lang gewesen und das Wetter beschissen. Er wollte einfach nur noch schlafen und kroch erschöpft ins Bett. Genervt stöhnte er auf: „Irgendwas piekt hier doch!“ Er nahm den ganzen Matratzenstapel auseinander. Aha! Ein kleiner grüner Knubbel! Mit Daumen und Zeigefinger hielt er ihn hoch. Seltsam, dachte er, wie zum Henker kommt eine Edamame in mein Bett? Was haben sie in diesem Haus bloß für seltsame Gepflogenheiten? Egal, beschloss er, immerhin gewährten sie ihm Obdach und die Prinzessin des Hauses war auch absolut nicht zu verachten. Sie schien nicht uninteressiert an seiner Person zu sein, das wollte er durch Kleinlichkeit in Sauberkeitsfragen nicht aufs Spiel setzen, schob sich die Edamame kurzerhand in den Mund und aß sie auf. Dann schlief er erschöpft ein.

Als er am nächsten Morgen frisch und ausgeruht erwacht und zum Frühstück herunter gekommen war, wurde er von der königlichen Gastfamilie neugierig beäugt. Wie er denn geschlafen habe?

„Ganz ausgezeichnet, vielen Dank! Ich bin ein ganz neuer Mensch!“

Mit der Reaktion des Königs darauf war nicht zu rechnen gewesen. „Betrüger!“ schrie der, „Raus! Aber zackig!“ Und so wurde der Prinz vor die Tür gesetzt, ehe er merkte, wie ihm geschah. Ohne Frühstück. Im Inneren des Schlosses brach eine Diskussion los: „Ich glaube, er war ein echter Prinz, nur einfach sehr, sehr müde!“ rief die Prinzessin gerade. „Er hat den Test nicht bestanden! Willst du wirklich einen heiraten, der auf Gemüse liegt, ohne es zu merken?“ keifte die Königin zurück. „Er hat mir gefallen! Außerdem möchte ich mich wirklich nicht die auf Ratschläge eines lange toten dänischen Kinderbuchautoren verlassen. Sowieso: Kinderbuchautor. Da kannste ja heutzutage nicht mal Kanzler mit werden!“ Der König stöhnte: „Mädels, keine Politik am frühen Morgen.“ Er nickte seiner Tochter zu: „Dann hol ihn halt wieder rein!“

Der Prinz stand noch draußen vor dem Palast und überlegte ein bisschen bedröppelt, was er jetzt tun sollte, als er hinter sich Schritte hörte. Die Prinzessin! Sie hatte gerötete Wangen, schüttelte ihn und rief: „Wo ist die Bohne? Hast du die Bohne nicht gesehen? Was hast du damit gemacht?“

„Ähm… Ich habe sie…gegessen?!“

„Was? Warum das denn?“

„Zum Einen sah sie noch recht frisch aus. Zum Anderen dachte ich mir, wenn ihr mich hier schon übernachten lasst, will ich bestimmt nicht so undankbar sein und mich beschweren, nur weil irgendwas in meinem Bett liegt!“

Die Prinzessin war begeistert von dieser Antwort: Der Prinz war also in jeder Hinsicht feinfühlig, nicht bloß am Rücken! Den würde sie behalten.

MB

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Randgruppenbeleidigung: Genusskaputtquatscher

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Randgruppenbeleidigung: Genusskaputtquatscher


Ein Sonnenuntergang. Der feine weiße Sand ist noch warm vom Tag, türkisblaue Wellen spülen rhythmisch an den Strand und im Glas mit dem Tequila Sunrise klimpern die Eiswürfel. Es könnte nicht besser sein, es ist geradezu perfekt. Da: „Börps!“ Ein Rülpser zerschmettert die Schönheit des Augenblicks. „’Tschuldigung. Das ist wegen dieses blöden Granatapfelsirups. Ohne den wär der Cocktail besser.“ Szenenwechsel. Am Esstisch. Ein Mahl ist aufgetragen. Es riecht gut, schmeckt gut, sieht schön aus und ausnahmsweise ist nicht mal der Tellerrand bekleckert. Der Wein korrespondiert hervorragend. Dann: wichtigtuerisches Schmatzen am Weinglas. Ein Bissen wird abgeschnitten, beschnüffelt, in den Mund geschoben und gekaut. „Mh-hm“ zur Kenntnis nehmend, aber doch auch irgendwie wertend. „Ja gut, ich persönlich hätte jetzt keinen Riesling genommen. Bisschen spitz, oder? Das Fleisch ist natürlich okay von der Garstufe her, aber ich weiß nicht, vielleicht wär ein Augenblick kürzer irgendwie besser gewesen. Schade auch, dass es keinen Romanesco gab. Also, der Brokkoli ist natürlich gut, aber ich frag mich, ob’s mit Romanesco nicht vielleicht etwas runder… verstehst du? Aber so in der Kombination mit der Sauce -– echt schön, doch, muss ich wirklich sagen. Die Säure braucht’s aber auch, ne? Das Brot ist gut, schön kurz im Biss!“ Erneuter Szenenwechsel. Man hört Musik. Das Stück arbeitet sich zum Klimax voran, die Band spielt perfekt, der Produzent hat einen tollen Job gemacht und im Mix die Stärken des Sängers eindrucksvoll herausgearbeitet. Der Text ist außergewöhnlich gut, man möchte fast weinen. „Versteh ich nicht. Kann sich doch keiner merken, warum macht man so was? Hätt‘ ich anders gemacht. Das Interlude ist auch viel zu lang. Da hören die Leute ja schon gar nicht mehr zu, wenn’s richtig los geht. Und Text… tja. Hab ich jetzt gar nicht so richtig drauf geachtet. Ist aber auch egal.“

Wir sind uns einig, oder? Es gibt Menschen, denen gelingt es mit Leichtigkeit, einem jeden noch so kleinen Genuss kaputt zu quatschen. Oft noch nicht einmal mit böser Absicht, sie hören sich einfach gerne reden und haben immer viel Meinung. Und die muss auch raus, ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Idee „Wenn ich meinen Schnabel nicht halte, mache ich wahrscheinlich einen sehr schönen Moment kaputt“ kommt ihnen entweder gar nicht oder es ist ihnen schnurz. Es wird nicht genossen, es wird operiert, ja sogar seziert. Und zwar so lange und so ausgiebig, bis von jedem noch so tollen Augenblick, jeder noch so schönen Situation nichts mehr übrig ist. Gar nicht, weil ihnen nach Stunk machen oder gar Romantik zuwider ist. Und auch nicht, weil sie wirklich Lob oder fundierte und ergebnisorientierte Kritik von sich geben möchten. Nein! Einfach nur, weil sie die Fresse nicht halten können. Mit der Planierraupe durchs Wunderland, ohne die Vorfahrt zu achten. Wäre Schweigen vielleicht gerade Gold? Kann ich mich nicht glücklich schätzen, dass gerade mein größtes Problem ist, dass mir Granatapfelsirup nicht schmeckt? Was für ein schöner Moment, was für gutes Essen, was für ein tolles Lied – egal, ich hab eine Meinung, hier, pass auf! Niemand, wirklich niemand möchte diese Meinung hören. Auf keinen Fall in diesem Augenblick und sehr wahrscheinlich auch zu keinem späteren Zeitpunkt. Es gibt gute Gründe dafür, dass „genießen und schweigen“ oft und gern in Kombination verwendet werden. Zeit, das zu erkennen und zu beherzigen. Sonst könnte es schon passieren, dass der Eine genießt, wenn der Andere schweigt. Gegebenenfalls auch dauerhaft, wer weiß?! IH

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SK bewältigen den Alltag: Die Kräutermafia

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SK bewältigen den Alltag: Die Kräutermafia


Ich wollte schon immer mal gerne in Lebensgefahr sein. Schon seit ich ganz klein war. Wenn meine Eltern von irgendeiner Begebenheit erzählten, von irgendetwas, das ich angestellt hatte, fragte ich gerne: „Und? War ich dabei in Lebensgefahr?“ War ich nie. Nicht mal, als ein Ball, ein Werbegeschenk der Supermarktkette „Bonus“, auf die Straße rollte und ich ihn, kurz bevor ein Auto kam, zurückholte, gestand man mir den kleinen Nervenkitzel zu. „Das war keine Lebensgefahr,“ sagte mein Vater, „das war dumm.“ Bestimmt war ich aber schon ganz oft in Lebensgefahr, nur nicht aufmerksam genug, das auch mitzukriegen. Bis auf ein Mal, letzten Mai. Mein Freund und ich spazierten durch Tremé, einen Stadtteil von New Orleans, der sich nie so ganz von Katrina erholt hat, als urplötzlich keinen Meter neben uns eine Gruppe Männer auf einen anderen Mann einprügelte, ihn mit einer Waffe bedrohte und ihn immer wieder anschrie: „D‘ya wanna live?“ Das hätte ganz schön ins Auge gehen können, wenn ich in dem Moment so großmäulig gewesen wäre wie sonst immer.

Nun darf man mich nicht missverstehen, ich bin keineswegs ein Adrenalinjunkie. Weder klettere ich irgendwo hoch (nicht mal gesichert), noch springe ich von irgendwas runter. Kein Wrestling mit Rochen, keine kulinarische Jagd nach dem besten Fugu, nichts dergleichen. Wenn ich einen aufregenden Tod sterben sollte, wird er dergestalt sein, dass ich, im festen Glauben, es handele sich um eine zutiefst missverstandene Kreatur, das falsche Tier gegen dessen Willen an mich gedrückt und geküsst habe. Tiere küssen ist nämlich ein Hobby von mir und so ziemlich das Gefährlichste, was ich für gewöhnlich tue. Aber ich mag nun mal auch True Crime, je blutiger, desto besser. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, kann ich nicht leugnen.

Und eins davon begann kürzlich zu rasen. Und wie! Ich war nämlich fest überzeugt davon, dass mir jemand nach dem Leben trachtet, jawohl!

Der Grund dafür war… Petersilie!

Vor einigen Wochen fand ich vor dem Gebäude meines Arbeitsplatzes auf dem Rasenstück einige Stengel glatter Petersilie, die noch recht frisch aussahen. Ich dachte mir kaum etwas dabei, glaubte an kalte Platten-Deko von irgendeiner Weihnachtsfeier. Keine zwei Wochen später: Schon wieder Petersilie. Nicht gerade wenig! Ich fragte mich also: Wer kauft sich ein Sträußchen Petersilie, um es dann wegzuwerfen? Zu guter Letzt: Ein ganzes Bund! Und zwar direkt vor der Eingangstür, die im Grunde nur von drei Menschen benutzt wird.

Da ich weiß, dass unterschiedliche Blumen unterschiedliche Bedeutungen haben (rote Nelken stehen für Sozialismus, Orchideen für Fruchtbarkeit – der ganze Bums), habe ich mich gefragt, ob das auch für Gewürzpflanzen gilt. Und siehe da, es gibt einen alten Ausspruch: „Petersilie hilft dem Mann aufs Pferde und der Frau unter die Erde“. Kein Zweifel, ich soll also sterben! Ich bin in Lebensgefahr! Na endlich! Aber wer bedroht mich da? Meine Kollegin indes sah das anders, entweder alles Zufall oder ein missglückter Petersilienkimchiversuch. Ich aber wollte mich nicht damit abfinden, dass es nichts bedeutet. Ist das etwa eine Form von Voodoo? Vielleicht durch unseren ehemaligen Kollegen? Dem ist Einiges zuzutrauen! Oder ist Petersilie gar das vegane Äquivalent zu einem Schweinekopf? Habe ich es hier mit der Kräutermafia zu tun, die mich dafür meucheln will, dass ich behauptet hab, Koriandergrün schmecke so wie die Seife im Gästeklo meiner Oma riecht? Da bin ich ja wohl nicht die Einzige!

Das ist alles so aufregend, ich kann kaum an mich halten. Ich! Gejagt von Sergio Brokkoli (Mann fürs Grobe) und Emilio Petersilio (Drahtzieher)! Das kann man sich doch schöner gar nicht ausdenken. Mal schauen, was als Nächstes passiert. Zeugenschutz, ich komme! IH

Beweisfoto

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Stadtkinder streuen Gerüchte: Eine pragmatische Lösung

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Stadtkinder streuen Gerüchte: Eine pragmatische Lösung



So geht es absolut nicht weiter in der Ostsee! Ständig vergisst irgendein betrunkener Kapitän irgendeines Tankers den Anker, der dann den Meeresboden durchpflügt und diverse Kabel beschädigt. Die machen das bestimmt gar nicht extra. Man muss ja nicht allen Menschen gleich schlechte Absichten unterstellen. Okay, vielleicht gibt es ein paar schwarze Schafe, die Böses im Schilde führen. Und vielleicht ist der eine oder andere unterbezahlte Kapitän auch daran interessiert, das Kupfer aus den Kabeln zu verkaufen. Blöd, wenn er dann ein Glasfaserkabel erwischt. Aber das werden ja Ausnahmen sein. Die Krux ist, dass man als Kapitän gerne mal den Anker vergisst. Wer kennt das nicht? Und dann wundert man sich vielleicht, dass man ein bisschen langsamer unterwegs ist, bis man merkt, dass irgendwas am Haken hängt. Passiert. Und passiert vor allem, weil man die diversen Kabel am Meeresboden ja nicht sieht. Die sind meist im Schlamm verborgen, unsichtbar für die Kapitäne der Weltmeere, beziehungsweise der Ostsee. Was also tun? Okay, Xi Jinping und Wladimir Putin könnten mal ihren Kapitänen ins Gewissen reden. Weniger Alkohol, mehr Achtsamkeit. Aber man kennt ja diesen Schlag. Die senken schuldbewusst das Haupt, lassen den Ärger über sich ergehen, kratzen sich verlegen den Bart, aber wenn sie dann wieder unterwegs sind, die Nase im Wind, dann ist der Rüffel schnell vergessen. Es nützt also alles nichts, jetzt sind pragmatische Lösungen gefragt. Denn die Kabel sind ja wichtig, da hängt eine Menge Wirtschaftskraft dran. Und das alles ist ja auch eine Frage der Sicherheit. Freunde, die nicht miteinander kommunizieren können, sind im Zweifel allein, wenn ein Feind an die Tür klopft. Man hat natürlich schon einige Ideen durchgespielt. Abgerichtete Delphine als Wachhunde, Unterwasserdrohnen, die grundsätzlich alle Schiffe begleiten, die auf der Ostsee unterwegs sind, Stahlröhren, die die Kabel gegen Anker schützen. Aber die richtig große Lösung ist das alles nicht. Darum hat man sich nun entschlossen, einen ganz neuen Weg zu gehen. Schweden und Lettland werden demnächst das erste Überseekabel verlegen. „Wir arbeiten mit schwimmenden Masten, die auf dem Meer verankert werden. Das sind eigentlich ganz normale Freileitungsmasten, wie man sie vom Land kennt. Die sind dann auch für total besoffene Kapitäne gut sichtbar und wir können die gesamte Strecke dazu lückenlos überwachen, da reichen ja einfache Kameras. Wenn sich dann jemand an unseren Kabeln zu schaffen macht, werden wir das sofort registrieren“, so berichtet uns ein beteiligter schwedischer Ingenieur. Für deutsche Kabel ist das allerdings keine Lösung. „Wir würden allein für die Genehmigungsverfahren mehrere Jahrzehnte brauchen, weil bei uns natürlich sehr viele Bürgerinitiativen gegen so eine optische Verschandelung der Ostsee klagen würden“, so erklärt man uns am Telefon, wobei wir gar nicht genau wissen, ob wir bei dem richtigen Ministerium angefragt haben. Aber wahrscheinlich schon, es klingt ja plausibel. GAH

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Zur guten Nacht: Süßes Blut

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Zur guten Nacht: Süßes Blut



Hinter einem Bett an der Wand unter dem Teppich, näher als du denkst, da wohnte einmal eine kleine Bettwanzenfamilie ihr stilles und heimliches Leben. Mama Bettwanze und Papa Bettwanze, und die vier Kinder, davon zwei Mädchen. Und eines Tages, da lächelte Mama Bettwanze mal wieder den ganzen Tag so seltsam selig und entrückt vor sich hin, und Papa Bettwanze war zwar hin und wieder schwer von Begriff, aber diesen Gesichtsausdruck seiner Frau kannte er. „Du hast schon wieder irgendwo ein Ei versteckt. Wir werden bald fünf Kinderchen haben, oder?“, fragte er ernst und sie nickte lächelnd. Doch sein Gesicht blieb ernst und er runzelte besorgt die Stirn. „Wir müssen ab jetzt aber wirklich aufpassen“, sagte er nachdenklich. „Wir dürfen nicht noch mehr werden, wir alle haben einen gesunden Appetit. Wenn wir zu viele sind, dann werden unsere Menschen nicht mehr davon ausgehen, dass sie eine zu trockene Haut haben oder dass Mücken ihr Unwesen treiben, sondern der Ursache der kleinen roten Pusteln auf den Grund gehen. Und du kennst die Geschichten, was passiert, wenn die Menschen von unserer Existenz erfahren.“ Natürlich kannte seine Frau diese Geschichten von den übelsten Gas- und Giftmorden. Sie wollte lieber nicht daran denken. „Ja, wir müssen aufpassen“, sagte sie. „Aber wir haben ja unsere spezielle Bisstechnik, mit der wir nur sehr kleine Pusteln produzieren. Sie werden uns schon nicht erwischen.“ Doch ihr Mann schüttelte ungeduldig den Kopf. „Bisstechnik hin oder her, eine Nummer Sechs sollten wir unbedingt vermeiden. Die Nummer Fünf ist schon heikel genug.“ Seine Frau nickte. Und dann sah sie Nummer Fünf, der ein bisschen früher als erwartet aus seinem Ei gekrochen war. Und Nummer Fünf knurrte der Magen. Aber er musste sich ein bisschen gedulden, es war noch keine Menschenschlafenszeit. Als die Zeit gekommen war, machten sie sich sogleich auf den Weg. Seine Mutter begleitete ihn beim ersten Bissausflug, so wie es in der Familie von jeher Sitte war, um ihrem Nachwuchs das Geheimnis des sanften Bisses zu lehren. Gut gesättigt kehrten beide ein bisschen später zurück. Doch was war das? Plötzlich erklang ein ohrenbetäubendes Geschrei. Wo kam das her? Stritten ihre Menschen? Mama und Papa Bettwanze und alle fünf Kinder krabbelten aus ihrem Versteck und lugten hinter dem Bettpfosten hervor. Und dann sahen sie es. Da stand gegenüber an der Wand ein sehr kleines Bettchen. Und davor stand einer ihrer beiden Menschen und hielt ein sehr viel kleineres Menschlein in den Armen, das erbärmlich schrie. „Hat einer von euch das kleine Menschlein gebissen?“, fragte der Vater streng, aber die Kinder waren sich keiner Schuld bewusst. „Das dürft ihr nämlich niemals tun. Sie achten sehr auf ihre kleinen Kinder.“ Und die Fünf nickten eifrig. Doch schon in der folgenden Nacht schlich sich Nummer Fünf leise davon. Er musste einfach mal probieren, er konnte den menschlichen Nachwuchs die ganze Zeit riechen und es duftete einfach zu verlockend. Er würde so sanft zubeißen, dass der Kleine nicht einmal aufwachen würde. So krabbelte er in das kleine Bettchen. Und es war ein Fest. Herrlich süßes Blut. Die erwachsenen Menschen schmeckten dagegen fast ein bisschen ekelhaft bitter. Schon in der darauffolgenden Nacht schlich Nummer Fünf wieder zum Kinderbettchen. Doch als er gerade hochklettern wollte, entdeckte er hinter sich seine vier neugierigen Geschwister. Und sie alle krabbelten in dieser Nacht zu dem Menschennachwuchs ins Bettchen. Auch in der nächsten und der darauffolgenden Nacht. Das Menschenkind wurde blass und blasser. „Es ist nicht gut, was wir tun“, sagte eines der Mädchen in der dritten Nacht. „Wir saugen dem kleinen Kerl sein ganzes Blut raus. Wir müssen aufpassen, dass dieser Mensch uns nicht stirbt.“ Duch die anderen blickten sie nur mit blutverschmierten Mündern und gierigen Augen an. Und das Mädchen sah sie trinken und schmatzen, dann siegte auch ihre Gier. In der darauffolgenden Nacht war das Menschenkind verschwunden. Und auch die Eltern tauchten nicht auf. Dafür kamen irgendwann ein paar Gestalten weißen Schutzanzügen mit Gasmasken. Und sie rückten Möbel beiseite und suchten in jeder Ecke. Und die Moral von der Geschicht: Gier lohnt sich nicht. Nie. GAH

Foto: Zdenek Macat

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SK bewältigen den Alltag: Die Eskapismus-Challenge

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SK bewältigen den Alltag: Die Eskapismus-Challenge


Wie weit bringt uns die Vernunft? Keine drei Meter, wenn sonst keiner mitmacht. Sollte man so eine wichtige Entscheidung für Amerika wirklich den Amerikanern überlassen? Das Wahlergebnis sagt: Anscheinend nicht. Wenn wir eine Website besuchen, müssen wir zuvor der Verwendung von Cookies zustimmen. Die Bundesregierung dagegen verwendet Kukies, ohne uns zu fragen. Dabei wäre das doch vernünftig gewesen, einen Finanzminister, den niemand mag, hatten wir ja immerhin vorher auch schon. Es wäre vernünftig, die AfD zu verbieten und, wenn wir schon mal dabei sind, auch das BSW.

Vernünftig wäre es, Musikschaffenden gerne Tantiemen für ihre Arbeit zu bezahlen, stattdessen gibt’s dann halt keine Musik auf dem Weihnachtsmarkt. Vielleicht wäre es auch vernünftig, angesichts der aktuellen Weltlage schreiend im Kreis zu laufen und dabei wild mit den Armen zu wedeln. Oder nachts im Bett um einen Meteoriteneinschlag zu beten, damit die ganze Scheiße mal ein Ende hat. Merke also, Vernunft bringt einen nirgendwo hin.

Diese ganzen Memes mit „klug war’s nicht, aber geil“ kommen einem in den Kopf und man fragt sich: Ja, warum eigentlich nicht? Und wenn sich der Dezember auch nicht wie ein vernünftiger Dezember benimmt, es nicht schneit und man beim Glühweinsaufen nicht mal mehr Wham! auf die Ohren bekommt, scheint der Monat sich gut für etwas zu eignen, das ich die Eskapismus-Challenge nenne. Habe ich selbst erfunden und mir genauestens ausüberlegt. Es geht so:

Die erste Regel lautet: Alles ist erlaubt, solange es Spaß macht und niemand anderes dabei zu Schaden kommt. Je weniger die einzelnen Unternehmungen mit der Realität zu tun haben, desto besser. Die zweite Regel: Mach es täglich. Jeden Tag im Dezember wird nun eine Stunde lang aktive Realitätsflucht betrieben. Konsequent.

Als Aktivitäten bieten sich zum Beispiel an:

  • Aus zwei Esszimmerstühlen und einer Decke eine Bude bauen und drinsitzen. Aktiv drinsitzen und sonst nix tun. Das Rebellischste überhaupt!
  • Einen Bikini tragen. Auch und gerade als Mann!
  • Eine Kapitänsmütze aufsetzen und bei voller Lautstärke Yacht-Rock hören.
  • Kiffen.
  • In einer Phantasiesprache sprechen und zwar ausschließlich. Ob mit Anderen oder mit sich selbst, spielt keine Rolle.
  • Mit Stift und Papier am Küchentisch sitzen und die Ministerposten an geeignete Freunde und Bekannte verteilen. Man selbst ist dabei Kanzler*in, logisch.
  • Wild zu Musik tanzen, die man mit 14 gehört hat. Eine Stunde lang! Extrapunkte, wenn man noch die Texte kennt und mitsingt.
  • Süßes zum Abendbrot: Eine Mischung aus diversen Keksen und Lebkuchen anrichten, vielleicht ein bisschen hübsch dekorieren und mit vorweihnachtlicher Überzeugung verspeisen, als wäre es eine gute deutsche Schnittchenplatte.
  • Ein Gedankenexperiment: „Was würde ich den Menschen in meinem Umfeld schenken, wenn sie nur das erhalten dürften, was sie auch verdient haben?“

Und so weiter und so fort, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn einen dann an Weihnachten oder Silvester jemand anspricht: „Mensch, du wirkst so entspannt und gelassen. Und das im Dezember! Was ist dein Geheimnis?“ kann man ruhigen Gewissens und vollständig der Wahrheit entsprechend antworten: „Ich habe einen Monat lang Quatsch gemacht.“ Ein großes Hallo und riesige Empörung, ist doch der Dezember eher dafür da, sich selbst zu stressen und abzurackern während man dabei maximal christlich, in sich ruhend und achtsam wirkt. Am Arsch! Eskapismus-Challenge! Selfcare, ihr Waffeln! So sieht’s nämlich aus! Im Januar kann man dann ja wieder vernünftig sein. Muss man aber nicht, bringt doch eh nix. IH

HarryStueber/pixabay

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