Der Freundeskreis im Gespräch im Januar

Mansha Friedrich und Heiko Heybey

Diesen Monat sprechen wir mit Mansha Friedrich und Heiko Heybey über Engagement und Projekte in und für Hannover, insbesondere für Jugendliche und alle jene, die nicht am Schalthebel sitzen, sowie über Wünsche für die Zukunft.

Wer seid ihr, was macht ihr so – und wie kam es jeweils dazu?

Heiko Heybey

HH – Ich bin Heiko Heybey, gelernter Architekt, und betreibe mehrere Gastronomien in Hannover. Ich habe das Privileg, mir mit der Arbeit der letzten 20 Jahre Freiräume erschaffen zu haben, sodass ich mich jetzt um so schöne Dinge wie die Leinewelle oder das Gleis D kümmern kann. Die Zielsetzung war das aber nicht, das entwickelte sich alles. Ich bin ein projektorientierter Mensch. Im Architekturstudium musste man Ideen und Konzepte entwickeln – und sie im Idealfall so weit bringen, dass sie gebaut werden. Das ist das innere Prinzip, in all meinen Sachen – auch wenn wir da non-profit sind, wie bei diesem Festival, das wir gemacht haben. So lief das mit der Leinewelle auch. Da wurde eine Idee konkreter – und dadurch, dass ich ehrgeizig bin, auch mal penetrant, bin ich imstande, sowas auch zum Abschluss zu bringen.

Bleiben wir bei der Leinewelle: Gab es da sofort Unterstützung – oder eher Gegenwind?

HH – Bei der Leinewelle war es so, dass ich da schon viel Lebenserfahrung mitgebracht habe, ich hatte schon viele Kontakte und Netzwerke. Mir was klar, als ich die Idee vor 10 Jahren hatte, dass ich Unterstützung brauche — und die habe ich organisiert, bevor wir an die Öffentlichkeit gegangen sind. Je mehr Projekte man macht, je mehr Lebenserfahrung man hat, desto leichter fällt es einem, größere oder ungewöhnliche Projekte anzugehen. Und der Gegenwind: Dass der kommen würde, war auch klar. Wie sich das dann entwickelt, kann natürlich keiner vorhersehen. Damit muss man dann umgehen. Sicher ist: Wenn man Projekte macht, dann muss man sich entweder einen Unterstützerkreis erarbeiten oder ihn schon haben.

Kommen wir zu dir …

Mansha Friedrich

MF – Ich heiße Mansha Friedrich, war Rapperin, Graffitisprüherin und DJane – eine der ersten weiblichen hier in Deutschland – und habe dann lange als Künstlerin gearbeitet … tue das immer noch, etwas weniger durch Corona, und schreibe inzwischen auch Drehbücher. Ich habe Street Art gemacht und bin in Hannover relativ bekannt dafür, dass ich im öffentlichen Raum mit Strick oder Wolle gearbeitet habe. Ich habe 2017 auch internationale Wände kuratiert und internationale Künstler hergeholt. Derzeit mache ich eine Weiterbildung als psychoanalytische Kunsttherapeutin, um mir noch ein anderes Standbein zu schaffen. Zum HipHop kam ich noch als junge Jugendliche – fast so: aus dem Hobby zum Job. Ich habe mich hochgearbeitet, war auf allen wichtigen Konzerten gebucht, auch im Ausland. Dann war das Ziel erreicht – und die Szene wurde immer sexistischer, da war für mich der Raum geschlossen. Ich nenne es immer das Feld, das abgeerntet ist: Ich habe Erfolg gehabt und brauchte nicht noch größeren Erfolg. Das war auch mit dem Strick-Graffiti so: Als ich 2011 die Kröpcke-Uhr gemacht habe – und das war das erste, was ich in Hannover gemacht habe – kam unglaublich viel Kritik. Damit habe ich nicht gerechnet, denn als ich noch Graffiti gesprüht habe, haben wir Autolacke genommen. Und dann nehme ich sowas Harmloses wie Wolle und habe feststellen müssen, dass ich in der Kritik stand. Kam das, weil wir Frauen sind und uns trauten, hier in den öffentlichen Raum zu gehen? Da dachte ich mir, ich werde die Bürger alle so lange nerven und zeigen, dass wir Frauen das auch können, bis wir sichtbarer werden im öffentlichen Raum – und habe dann ja 10-11 Jahre permanent große Installationen gemacht. Nicht nur in Hannover, sondern europaweit. Als es dann 2019 eine Installation am Küchengarten gab und keine Kritik kam, sondern das nur noch abgefeiert wurde, war für mich auch wieder das Ziel erreicht: Ich habe ein Bewusstsein geschaffen und kann nun weiterziehen.

Das war dann eigentlich eher eine politische Motivation, keine ästhetische?

MF – Ja, das war eine politische. Aber danach wurde ich in Interviews nie gefragt. Es wurde immer gefragt, wie viel Wolle ich verarbeite und wie lange daran gestrickt wurde, aber es wurde eigentlich nie danach gefragt, was eigentlich meine Message ist. Einige haben mich das im Podcast, wo es mehr Raum gab, gefragt – und da habe ich das dann auch ganz klar geäußert, dass das von Vornherein eine politische Sache war, dass wir Frauen auch sichtbar sein sollten im öffentlichen Raum, wenn man bedenkt, dass die ganzen Stadtplaner seit Dekaden Männer sind … auch in der Street Art oder überhaupt in der Gestaltung. Da hab ich mich erkundigt: Bei Kunst am Bau war Hannover in den 70er- und 80er-Jahren weit vorne – und das waren zu 90% Männer. Wenn du guckst, was hier für Statuen und Objekte stehen: bis auf Ausnahmen wie Ulrike Enders sind das alles Männer. Das war schon eine politische Sache.

Wie ist das mit deiner Motivation?

HH – In einem gewissen Sinne ist es politisch, wobei ich bei Projekten wie der Leinewelle oder dem Gleis D ein persönliches Rangehen habe, weil ich diesen Sport gerne mache, gerne surfen und skate; und beides ist hier noch nicht vernünftig vertreten. Die Hauptprotagonisten der Szene sind ja eigentlich Jugendliche: so am Ende des Teenager-Alters, Anfang/Mitte 20, bis das Studium fertig ist. In dieser Zeit haben Jugendliche zu wenig Lobby, haben es viel schwerer, ihre Interessen zu vertreten, als jemand, der um die 50 ist und Lebenserfahrung und Netzwerke hat. Ich umgebe mich bei diesen Sportarten in diesen Gruppen hauptsächliche mit 20-Jährigen und habe gemerkt, dass die eigentlich alle unglücklich oder unzufrieden mit der Situation sind, die sie vorfinden. Da ist es gut, dass jemand, der älter ist und andere Möglichkeiten hat, deren Interesse vertritt. Das kann ich so ein bisschen kombinieren: mein Interesse, diese Sportarten vernünftig ausführen zu können, und die Möglichkeit, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten und ihnen mehr Möglichkeiten zu geben, ihre Interessen zu vertreten.

Ich habe kürzlich einen Clip gesehen, da äußerst du dich über Photovoltaik: Ist das auch eine Unzufriedenheit der Jugend, die du mitbekommst?

HH – Also beim Gleis D, dem Skateverein, sind alle Jugendlichen ökologisch engagiert und irgendwie bei Fridays for Future dabei. Da ist auch Gendern überhaupt kein Thema, sondern selbstverständlich. Die leben in einer anderen Realität, die in meiner Altersgruppe nicht vorhanden ist. Und klar, da gibt es viel Unzufriedenheit, dass es in der Umweltpolitik nicht vernünftig weitergeht. Wenn es nach ihnen ginge, dann wäre in Hannover schon weit mehr Photovoltaik installiert – und es gäbe auch ganz andere öffentliche Räume. Beim Gleis D haben wir jetzt etwa eine Graffitiwand geschaffen, wo man Sprühen üben kann. Diese Räume sind für junge Leute sehr schwer zu erschließen, aus unterschiedlichen Gründen. Der eine Grund ist eben, dass das Wissen fehlt. Viele jüngere Menschen sind auch noch in einer Findungsphase; wissen nicht, wie lange sie noch in Hannover sind. Die Motivation, sich dann in einen politischen Diskurs in Ratsversammlungen, in Gespräche mit der Bauverwaltung etc. zu begeben, ist da geringer. Das sieht man ja auch: Wenn man in so einen öffentlich zugänglichen Innenstadtdialog geht, sitzen da hauptsächlich Menschen ab 45 aufwärts, verhandeln aber Stadtplanungsthemen, die frühestens in 20 Jahren Realität werden. Das finde ich problematisch.

Lange Planungsphasen sind ja irgendwie immer problematisch.

HH – Natürlich, weil sie immer aus unserem direkten Zeitempfinden raus gehen. Genau das macht es ja so frustrierend für Jugendliche. Beispiel: BMX-Park in Bothfeld. Da gab es eine Gruppe von Jugendlichen vor über 10 Jahren, die darum kämpften, dass der schon verrottete Park saniert wird. Sie haben Gelder gesammelt, sich um Sponsoren gekümmert. Das waren alles 16-Jährige. Der Park ist jetzt erst fertig – nachdem auch Leute wie ich da nochmals rangegangen sind und andere Verwaltungen nochmals interveniert und Druck gemacht haben. Die Jugendlichen von damals sind längst mitten im Studium und fast weg aus Hannover. Das ist immer das Problem, warum Bürgerbeteiligung für Jugendliche nicht funktioniert: die sind über so einen langen Zeitraum ja gar nicht anwesend. Wenn man Jugendliche beteiligt, dann muss das innerhalb von 2 Jahren entschieden und realisiert oder abgelehnt sein. Ansonsten kann das nur als politische Enttäuschung enden: Das ist dann nur politischer Frust.

Wie blickt ihr auf die nahe oder auch ferne Zukunft in Hannover? Gibt es da Projekte, die ihr gerne noch angehen würdet? Wo ihr sagt, das ist ein Thema, da müsste man einfach mal ran?

MF – Ich arbeite ja seit 2½ Jahren, bei der Step-Therapieschule. Step ist ein Träger für Menschen mit Suchterkrankungen und an der Therapieschule können Jugendliche und junge Erwachsene, die ohne Abschluss von der Schule abgegangen sind und eine Suchterkrankung durchgemacht haben, ihren Schulabschluss nachholen. Da unterrichte ich Kunst, Kultur und Allgemeinwissen. Und ich kann das, was Heiko gesagt hat, nur bestätigen. Auch durch meine jahrelange Arbeit in der Jugendkultur habe ich gemerkt, dass niemand über sie spricht und sie gar nicht sichtbar sind. Wenn ich die Step-Therapieschule erwähne, weiß niemand, dass es die gibt. Es gibt keine Lobby: Suchterkrankungen an sich sind schon ein stigmatisiertes Thema, schon bei Erwachsenen. Weil ich mich in Hannover so abgearbeitet habe, seit ca. 35 Jahren, möchte ich da aber nicht selber ran. Inzwischen haben wir auch Zeiten, die ich nicht sehr inspirierend finde. Für Jugendliche müsste es mehr Eroberungsmöglichkeiten des öffentlichen Raumes geben. Als Künstlerin muss ich da nicht noch unbedingt was machen. Da draußen ist alles schon so voll, ich würde eher einen Sauger nehmen und ein bisschen was wegsaugen … nicht für mich, sondern für junge Menschen, die diese Kreativität einfach nötiger haben in der heutigen Zeit. Seit einiger Zeit arbeite ich auch auch für die GiS, einen Träger für Menschen mit verschiedenen körperlichen und geistigen Einschränkungen. Und ich wünsche mir, dass für Menschen mit Einschränkungen mehr passiert. Teilhabe: das hört sich so toll an, aber passiert de facto nicht wirklich.

HH – Also ich werde die nächsten Jahre die Zeit, die ich ehrenamtlich aufbringen kann, wohl hauptsächlich damit beschäftigt sein, den Leinewelle e.V. und die Nutzung der Leinewelle so zu organisieren, dass das vernünftig funktioniert. Wir sind ja noch gar nicht in den offiziellen Betrieb gegangen. Das wird ein spannendes Jahr werden, aber die Erfahrungen und die Kontakte, die sich durch den Leinewelle-Bau ergeben haben, die würde ich schon auch gerne die nächsten Jahre noch effektiver nutzen, um den Bewusstseinswandel zu beschleunigen, der ja durchaus in der Verwaltung eingesetzt hat: Wir haben neue Menschen in der Bauverwaltung in leitenden Funktionen, wir haben neue Leute im Grünflächenamt in leitenden Funktionen, die auch eine andere Wahrnehmung für diese Problematik haben. Ich weiß, dass die Jugendplätze-Problematik auch intern ein Thema ist. Das ist natürlich immer finanziell schwierig in diesen Zeiten, aber das Bewusstsein, dass für Jugendliche mehr Räume entstehen müssen, ist nun vorhanden. Die Frage wird sein, wo Schwerpunkte entstehen und wie die finanziell ausgestattet sein werden. Es wird Leute geben müssen, die älter sind und Sponsoren-Kontakte haben, um Gelder zusätzlich zu akquirieren. Die Ansätze sind da, Hannover hat sich in den letzten 2 Jahren enorm entwickelt, zumindest im Bereich, den ich in der Jugendkultur überblicke. Was noch fehlt, ist, den Jugendlichen und ihren Ideen, noch mehr Raum zu verschaffen. Da gibt es schon einen Ansatz: eine Stelle bei der Stadt mit niederschwelligen Fördermöglichkeiten, an die sie sich wenden können, wenn sie Ideen für Veranstaltungen haben.

Wenn man nun an Berichte über die Zustände von Schulentoiletten denkt: Wie viel Verständnis findet man mit solchen Anliegen? Kommt das nicht oft als Argument, um den Wind da rauszunehmen?

HH – Das begegnet einem doch ständig. Egal, welche Ideen du in die Öffentlichkeit trägst, es wird dir immer jemand drunter posten „Macht doch erstmal die Schultoiletten“. Ich halte das für die schlimmste Debatte, die man führen kann. Wir müssen die Frage stellen, warum Menschen, die viel Geld haben, nicht mehr Steuern zahlen müssen und Jugendliche nicht mehr zur Verfügung gestellt bekommen können. Man muss nur nach Skandinavien gucken, die es ja schaffen, in jeder Kleinstadt vernünftige Schulen, Jugendplätze und Sportflächen hinzustellen, wo du umsonst Tennis spielen kannst … Es geht. Aber die haben auch 25% Mehrwertsteuer und nicht 19%. Zu sagen, weil die Schulen schlecht sind, haben wir nicht genug Geld, um für junge Menschen andere Sachen, Flächen und Räume zu schaffen, ist albern.

MF – Das war ja bei mir auch so, es hieß immer, was das soll, die Wolle für sowas zu verwenden, man sollte lieber Frühchenmützen und Obdachlosendecken stricken. Das ist mir auch bis auf die letzten Aktionen auch immer wieder begegnet.

HH – Die Debatte ist komplett fehlgeleitet, man müsste eigentlich eine Einnahmendebatte führen. Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass die Schulen einen vernünftigen Zustand haben und wir müssen dafür sorgen, dass die Straßen in einem vernünftigen Zustand sind, die Fahrradwege, aber wir müssen eben auch dafür sorgen, dass kulturelle Teilhabe stattfinden kann – und zwar für alle. Und egal welche große DAX-notierte Firma man sich anguckt: das Sponsoring und die Budgets sind immer für öffentlichkeitswirksame Geschichten, die für eine Zielgruppe 40+ gestaltet werden. Das ist die Altersgruppe, die an den Schalthebeln sitzt. Ich glaube, dass sich alle Firmen, die diese Budgets haben, die sie für kulturelle Förderung vergeben, Gremien schaffen müssten mit jungen Menschen, die mitentscheiden, wofür das Geld ausgeben wird.

Seht ihr auch gegenläufige Entwicklungen, die in die ganz falsche Richtung gehen?

MF – Ich fahre oft nach Italien, habe da gearbeitet und bin zu Kunstfestivals eingeladen worden. Und wenn ich zurückkomme, stelle ich fest, das hier alles dreckiger ist. Das würde mir nicht so auffallen, wenn ich nur in Hannover wäre. Auch der Respekt in der Stadt: gut miteinander umzugehen, respektvoll miteinander umzugehen … das hat sich verändert. Da wünschte ich mir, dass sich die Menschen wieder besinnen und respektvoll miteinander umgehen. Denn das hat sich leider verändert.

HH – Da kann ich wenig hinzufügen. Ich finde nicht, dass es hier Sachen gibt, die sich in eine falsche Richtung entwickeln. Ich finde eher, dass es in den letzten Jahren eine deutliche Verjüngung in den Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen gegeben hat. Respekt und soziales Miteinander sind wichtig, das sollten wir fokussieren – aber auch Bewusstsein dafür, dass man Dinge ausprobieren und ruhig Fehler machen kann. Das würde uns gut tun. Eine herausragende Qualität von Hannover ist ja immer gewesen, hervorragendes Mittelmaß zu präsentieren. Ich wünsche mir bei allen mehr Mut, dieses Mittelmaß zu verlassen und auch mal was zu wagen.

CK


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