Lieber Bibi,
wir haben lange überlegt, ob wir dir einen offenen Brief schreiben. Die Tendenz war nämlich eher, dir einen verdeckten Brief zu schreiben, denn man muss ja heutzutage sehr aufpassen, dass man nicht sofort in irgendeine Ecke gestellt wird. Aber dann haben wir uns gedacht: drauf gepfiffen. Wir werden sowieso ständig in irgendwelche Ecken gestellt, da kommt es auf eine Ecke mehr oder weniger jetzt auch nicht mehr an.
Also, lieber Bibi, jetzt mal Tacheles, der Karren steckt ganz schön tief im Dreck. Wie kommst du aus der Nummer bloß wieder raus? Zurücktreten ist ja keine Option, weil du erstens Benjamin Netanjahu bist und Eier aus Stahl hast. Und weil du zweitens im Nachgang wahrscheinlich ziemlich dran wärst, denn sie kämen ja bestimmt sofort mit den alten Vorwürfen um die Ecke: Bestechlichkeit, Betrug und Untreue. Und jetzt wahrscheinlich auch noch Kriegsverbrechen oder was auch immer. Was bleibt, ist also nur die Flucht nach vorn. Hart bleiben. Weitermachen. Sich nicht beirren lassen. Die Hamas platt machen. Und wenn die Hisbollah es drauf anlegt, dann muss eben auch noch der Libanon dran glauben. Das ist der Weg. Das ist dein Weg. Einfach weiter Benjamin Netanjahu sein, Sohn von Benzion, Bruder von Yoni und Iddo. Man muss bei dir ja immer die Familiengeschichte mitdenken. Das ist genau das, was immer alle vergessen, die dich so boshaft kritisieren. Du kannst gar nicht aus deiner Haut. Du hast die Lehrsätze deines Vater tief verinnerlicht. Die Palästinenser sind gar kein Volk. Frieden mit Arabern ist unmöglich. Einen eigenen Palästinenserstaat darf es darum niemals geben. Sie würden ihn nur als Basis nutzen, um wieder und wieder anzugreifen.
Entsprechend warst du die ganzen Jahre politisch unterwegs, hart rechts, der Beschützer Israels, der mit der garantierten Sicherheit, der mit der Ruhe und dem Wohlstand, aber ohne Frieden, weil es den mit Arabern nicht geben kann. Klare Kante. Nicht so wie damals Yitzhak Rabin, der mit Yasir Arafat diesen irren Osloer Friedensvertrag geschlossen hat, mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung. Wie du gehetzt hast seinerzeit, da könnte sich die AfD heute noch eine Scheibe abschneiden. Aber gut, den Rabin hat dann ja ein rechter Extremist erschossen. Wolltest du nicht, klar. Manche reagieren halt über, wenn man ihnen zu viel Hass eintrichtert. Steckt man nicht drin.
Und dann bist du 1996 zum ersten Mal Regierungschef geworden. Und es durfte fortan gesiedelt werden im Westjordanland. Wunderbar. Aber schon folgten die ersten Korruptionsskandale und 1999 deine Abwahl. Dein politisches Ende haben sie dir damals prophezeit. Wir wissen, es kam ganz anders. Bis heute hast du deine Linie durchgehalten. Und erst recht nach dem grausamen Überfall der Hamas am 7. Oktober, bei dem so viele Juden ermordet wurden wie nie mehr seit dem Holocaust. Und jetzt rufen sie wieder alle nach Frieden. Den wird es aber mit dir niemals geben. Und eine Zweistaatenlösung auch nicht. Immerhin, in diesen Fragen bist du mit der Hamas absolut einig. Kann ja sein, dass das manche schade finden, ist aber so. Und bleibt so. Da können sie noch so viele Haftbefehle beantragen. Du wirst so lange weitermachen, bis sie dich demnächst abwählen und dann wahrscheinlich irgendwelche neugewählten linken Vögel Friedensangebote machen. Bis sie wieder voll auf die Fresse kriegen – weil ein Frieden mit den Arabern nicht möglich ist. Das wusste ja schon dein Vater.
Und warum haben wir dir nun diesen Brief geschrieben? Ganz einfach, weil wir das alles einfach mal aufschreiben wollten, ohne den leisesten Hauch von Antisemitismus. Das geht nämlich auch. Wir unterscheiden lediglich zwischen Arschlöchern und Nichtarschlöchern. Und okay, vielleicht, ganz vielleicht haben wir in deinem Fall ein vorläufiges Urteil gefällt. Wobei, andererseits sind wir alle ja auch nur Kinder unserer Väter, und wenn es in Familien Tradition ist, ein Arschloch zu sein, dann ist dagegen wahrscheinlich kaum was auszurichten. So gesehen kannst du vielleicht gar nichts dafür.
● GAH

Und es ist schön, zu sehen, dass es noch Politiker gibt, die ausnahmsweise mal nicht ihr Fähnchen in den Wind hängen, sondern sich selbst treu bleiben. Auch wenn man es mit seinen Ansichten auf die Liste jener Personen schafft, geführt vom Zentrum gegen Desinformation des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, deren „Narrative … mit der russischen Propaganda übereinstimmen“. Egal, man wird ja wohl noch seine Meinung haben und behalten dürfen, ganz egal, was in der Welt passiert. Überzeugungen sind Überzeugungen. Wen interessieren da irgendwelche Listen? Problematisch wäre so eine Liste erst, wenn es die Gehaltsliste von Putin wäre. Aber Geld fließt ganz sicher nicht in deine Richtung, weil du, lieber Rolf, ein Überzeugungstäter bist. Und da kann man dann nichts machen …
Liebe Heidi,
wir sind’s mal wieder. Wir wollten uns nur mal kurz melden, weil du doch wahrscheinlich Kanzler wirst – und uns entschuldigen. Denn wir waren in der Vergangenheit (es wäre ja Quatsch, das zu leugnen, ihr habt das doch sicher alles in eurer Parteizentrale im Giftschrank archiviert) manchmal, hin und wieder, okay, vielleicht auch öfter, nicht unkritisch dir gegenüber. Da gab es zugegeben den einen und anderen Ausrutscher, möglicherweise auch mal eine deftige verbale Entgleisung. Dafür, und für alles, was dich noch verärgert haben könnte, möchten wir uns hiermit gerne aufrichtig entschuldigen und sagen, dass wir es wirklich bereuen. Von ganzem Herzen. Ja, wir bekennen hier offen, wir haben falschgelegen. Du bist gar kein übler Populist, der dauernd Öl ins Feuer gießt, du hast mit deinen „kleinen Paschas“ nicht gezündelt, sondern einfach mal die Probleme offen angesprochen, die es ja gibt, du hast mit deinem „Sozialtourismus“ keine russische Propaganda nachgeplappert, sondern einfach mal Worte für das gefunden, was die Mehrheit hierzulande umtreibt, die Angst, keinen Zahnarzttermin zu bekommen. Was jetzt gar nicht lustig gemeint ist. Das war natürlich eine Metapher. Wir wissen das – jetzt. Nachdem wir ein paar Wochen darüber nachgedacht haben. Du wolltest damit ganz einfach die Angst in ein verständlicheres Bild packen. Diese Angst, die uns momentan alle umtreibt. Bekommen die mehr als wir? Und ohne dass sie dafür so hart arbeiten müssen wie wir?
Lieber Gregor,