Tag Archive | "Staatsoper Hannover"

Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Filippo Ferrari

Tags: , , ,

Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Filippo Ferrari


©Aszure Barton

Seit der Spielzeit 2023/24 ist Filippo Ferrari das jüngste Mitglied der Compagnie der Staatsoper Hannover. Der Italiener war als Eleve allerdings bereits in der vergangenen Saison im Haus zugegen und erweiterte seine klassische Grundausbildung, die er in der Provinz Modena am Centro Studio Danza begonnen hat. Vorher führte ihn diese durch zwei junge Compagnien in Italien und dank zahlreicher Praktika und Intensiv-Workshops auch durch ganz Europa. Aktuell bereitet er sich mit der Compagnie auf Marco Goeckes „A Wilde Story“ und die im Januar folgende Premiere von „Du bist so schön“ vor.

Wie würdest du jemandem deinen Stil beschreiben, der dich noch nie tanzen gesehen hat?
Okay, so fangen wir also an (lacht). Ich würde sagen, dass ich ein tiefgründiger undgrooviger Tänzer bin. Wenn wir meinen Stil mit Musik vergleichen, wäre es ein bisschen der Groove von Michael Jackson und ein wenig Rock’n’Roll dazu. Ich liebe Kontraste. Ich mag es zum Beispiel, super smoothe und klare Bewegungen auszuführen, bin aber zu hundert Prozent eher der emotionale als der technische Tänzer. Ich liebe das Drama. Und ich zeige meinen Stil beispielsweise, wenn wir improvisieren und ich viel von mir selbst ausdrücken kann. Wenn wir Repertoire von Choreografinnen oder Choreografen lernen, versuche ich, meine eigene Vision vom Tanzen zu behalten und sie in deren Stil hineinzupacken.

Wann und wie hast du angefangen zu tanzen? Sicherlich bist du nicht einfach eines Tages aufgewacht und wusstest, dass du dein Leben dem Tanzen widmen willst.
Nein, eigentlich ist es die Schuld meiner Mutter (lacht). Ich sage Schuld, weil ich mit Hip-Hop und Break Dance angefangen habe, als ich sechs Jahre alt war, und erst zehn Jahre später mit Contemporary und Ballett. Ich weiß noch, wie ich im Auto saß und sie sagte: „Fili, willst du Ballett machen?“ Und ich sagte: „Nein, Mama, passt schon.“ Ich bin in einer kleinen Stadt geboren, deswegen hatte ich ein bisschen Angst davor. Ich erinnere mich noch an den ersten Tag in der Ballettschule, ich war der einzige Mann dort. Und als ich die Tür öffnete, sah ich all diese Ladies und Mädchen mit Ballettschuhen, super süß, und mich mit dem Kapuzenpulli und der Cap, super Hip-Hop. Das war ein bisschen Drama an dem Tag. Aber ich habe trotzdem weitergemacht und probiert und jetzt sage ich manchmal zu meiner Mutter: „Es ist zwar deine Schuld, aber das nächste Mal musst du es früher machen“ (lacht).

Was fandest du so toll am Tanzen?
Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht, warum. Ich habe getanzt, seit ich klein war. Ich erinnere mich, dass ich immer mit meiner Mutter auf dem Bett getanzt habe. Eines Tages habe ich dann gesagt, dass ich es ausprobieren möchte. Ich hatte mich in den Film „Step Up“ verliebt (lacht). Das einzige, womit ich ein bisschen gehadert habe, war, mich zwischen der Musik und dem Tanzen zu entscheiden. Ich war Schlagzeuger und ich liebe die Musik. Aber ich bin glücklich, dass ich das Tanzen gewählt habe. Musik kann ich immer noch später machen, wenn ich 35 oder 50 oder so bin, tanzen nicht (lacht).

Filippo Ferrari, Foto: Dan Hannen

Kannst du mir einen kurzen Überblick über dein bisheriges Leben geben und über die Stationen, die dich hierher an die Staatsoper Hannover gebracht haben?
Ja und das geht wirklich schnell. Ich bin erst letztes Jahr hierhergekommen und es ist meine zweite Saison. Mit 16 habe ich im Vergleich zu meinen Kollegen und Kolleginnen sehr spät angefangen, Ballett und Contemporary zu tanzen. In Italien habe ich dann irgendwann in zwei jungen Compagnien getanzt. Eine davon war auf Sizilien, die andere hieß „Balletto di Parma“ und war in Emilia-Romagna. Ich habe meinen ersten Wettbewerb auch erst mit 16 oder 17 Jahren gemacht. Ich fing erst wirklich an, diese Welt zu schätzen, nachdem ich eine Choreografie von Marco Goecke gesehen hatte, „Midnight Raga“. Ich weiß noch, wie ich dachte „Oh mein Gott, was zur Hölle? Das ist wunderschön! Ich will das machen!“ Danach habe ich angefangen, diese Welt mehr zu entdecken. In der letzten Saison habe ich Marco getroffen und war zum ersten Mal hier für mein Vortanzen. Ich hatte ein bisschen Angst (lacht) und natürlich war ich aufgeregt. Aber es lief wirklich gut. Ich hatte zwei Jahre davor an einem Wettbewerb teilgenommen und ein Kontakt von Marco hatte mich dort gesehen und ihm von mir erzählt. Und danach hat Marco mir eine Nachricht geschickt, auf Instagram glaube ich, und ich dachte: „Oh mein Gott, Marco Goecke hat mir geschrieben. Was passiert hier?“ Aber wir waren uns damals einig, dass ich mit 17 noch zu jung war, um mit ihm zu arbeiten. Also fragte ich ihn mit 19, ob ich vortanzen könne. Und er sagte ja und hat mich für den kommenden Samstag zur Audition eingeladen. Das Problem war nur, dass er mir das am Donnerstag derselben Woche sagte. Das war wirklich lustig, mit dem Flug und so. Okay, heute ist es wirklich lustig – in dem Moment war es gleichzeitig beängstigend und aufregend. Ich erinnere mich an den Tag, als wäre es gestern gewesen, einer der besten Tage in meinem Leben. Eine seiner Choreografien, „Wir sagen uns Dunkles“, allein vor ihm im Studio zu tanzen, das war verrückt und wunderschön. Ansonsten habe ich, bevor ich hierher kam, viele Praktika absolviert, und für anderthalb Monate in Dortmund am Summer-Intensive teilgenommen. Ich bin ein bisschen durch Europa gereist, um mir einen Eindruck von dieser Welt zu verschaffen, und habe danach beschlossen, dass ich das hier beruflich machen will. Das Reisen hat mir viel geholfen, weil ich so spät mit Ballett angefangen und deswegen keine klassische Ausbildung habe, so wie viele meiner Kolleg*innen. Noch heute entdecke ich manchmal Dinge, bei denen ich sie um Hilfe bitte. Und außerdem bin ich eh der Jüngste, also das Kind hier, und sie geben mir alle Ratschläge. „Fili, mach vielleicht das …“ Ich versuche, sie alle zu beherzigen, weil ich wirklich wunderbare Kolleg*innen habe, die mir schon sehr geholfen haben, mich weiterzuentwickeln.

Vermisst du, jetzt, da du in Deutschland lebst, „la dolce vita“?
Das Einzige, was ich vermisse, ist der Sonntag wie in Italien (lacht). Hier ist alles geschlossen, aber das ist mehr oder weniger der einzige freie Tag, den wir haben. An anderen Tagen auszugehen ist oft schwierig. Jetzt gerade ist es cool, weil es den Weihnachtsmarkt und andere Sachen gibt, aber normalerweise… Das Essen ist eigentlich nicht schlecht hier, es gibt sogar viel gute Pizza.

Hast du ein Lieblingsrestaurant in Hannover, in dem du dich wie zu Hause In Italien fühlst, wenn es draußen grau und winterlich ist?
Ja, die Pizzeria Bestia oder auch das Restaurant Leonardo, das ist direkt hinter dem Theater und es ist ein wirklich gutes italienisches Restaurant. Und Francesca & Fratelli ist auch nicht schlecht, das muss ich zugeben.

Gibt es ein bestimmtes Stück, das du schon immer mal tanzen wolltest oder einen Choreografen, dessen Choreografien du unbedingt lernen möchtest?
Ja, das war „Wir sagen und Dunkles“ von Marco Goecke und ich habe es letztes Jahr getanzt. Marco hat mich während des Vortanzens gefragt, ob ich ihm von meinem Traum erzählen kann, und ich dachte mir, dass ich das nicht kann, weil das zu viele wäre (lacht). Was hätte ich sagen sollen? „Mein Traum ist, dass ich in deinem Stück tanze“? (Lacht) Aber ich habe es getan, ich habe das Stück getanzt und das vor seinen Augen. Es war großartig. Ich hatte wirklich Angst, aber gleichzeitig konnte ich das ganze Adrenalin und die Energie spüren, bevor ich auf die Bühne ging und das war irre. Man kann etwas in sich spüren, wenn man die Bühne betritt, obwohl das Publikum einen wegen des Vorhangs noch nicht sehen kann, aber man ist schon drin. Und man spürt die Energie der Bühne und riecht ihren Duft.

Hast du noch andere Favoriten?
Oh ja, da gibt es viele! Ich habe nur zuerst meinen Bestie genannt (lacht). Es gibt viele Choreograf*innen, die ich mag. Ich mag Sharon Eyal sehr, ich mag Hofesh Shechter, Marcus Morelli, Ekman, Forsythe. Es gibt viele Choreografien, die ich lernen möchte. Mal sehen, ich habe ja gerade erst angefangen, vielleicht in Zukunft …

Wie viel Training hast du pro Woche?
Sechs oder sieben Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Manchmal trainieren wir auch weniger am Samstag. Es hängt auch von der Jahreszeit ab, wie das Vorstellungspensum ist. Momentan ist es zum Beispiel sehr anstrengend, weil wir eine neue Premiere für Januar vorbereiten. Wir machen aktuell „Du bist so schön“ von Liliana Barros, Sharon Eyal und Aszure Barton und außerdem haben wir eine Show am 25. Dezember. Wir müssen jeden Tag vier Stücke trainieren und deshalb ist der Zeitplan sehr tough und eng. Das heißt, dass wir nachts richtig gut schlafen müssen, sonst sind wir echt schlecht dran am nächsten Tag (lacht).

Wie sorgst du dafür, dass dein Körper bei all dem gesund bleibt? Tanzen gilt in den USA nicht umsonst als der körperlich anspruchsvollste Beruf …
Ja, es ist wirklich hart. Es gibt Tage, an denen man sich nicht bewegen kann und super steif ist und es einem sogar schwerfällt, den Arm zu heben. Man muss also sehr schlau sein, sich gut aufwärmen, viel dehnen und dem Körper geben, was er will. Denn manchmal fangen wir langsam an und haben Zeit, uns auf das Tanzen einzustimmen, aber manchmal heißt es einfach nach einem kurzen Warm-up: „Okay, Leute, los!“ Und wir müssen zwanzig, fünfundzwanzig Minuten am Stück tanzen. Und wenn man dann nicht bereit ist, kann man sich dabei verletzen. Verletzungen passiert in der Regel nicht, weil der Körper müde ist, sondern weil der Geist müde ist. Wenn dein Körper müde ist, du aber mit deinem Geist noch sehr präsent bist und an jeden einzelnen Schritt denkst, ist es in Ordnung. Wenn du anfängst, beim Tanzen abzuschalten und an etwas anderes zu denken, kann man sich schnell und leicht verletzen.

Aktuell tanzt du „A Wilde Story“. Das Stück erzählt kurz gesagt die Geschichte von Oscar Wilde, aber worum geht es in diesem Ballett genau?
Es ist ein sehr tiefgründiges Stück. Es geht um Agonie und Drama. Man kann in dem Ballett viele Kontraste sehen, Liebe, Traurigkeit. Das Schöne an „A Wilde Story“ ist, dass es, wenn man es sich zweimal anguckt, beim zweiten Mal anders sein wird. Die Choreo ist dieselbe, aber jedes Mal können sich deine Gefühle ändern, und wie du die Charaktere wahrnimmst. Vielleicht vermittelt dir eine Figur den einen Tag Traurigkeit, aber wenn du sie in der nächsten Woche noch einmal siehst, Liebe. Und das ist schön, weil Marco Goecke in diesem Stück viel mit dieser Art von Kontrasten spielt. Auf eine Art und Weise ist es so menschlich, du kannst all diese Dinge in deinem normalen Leben finden: Traurigkeit, Liebe, gute Tage, schlechte Tage, Probleme. Wenn man es auf die Bühne bringt, ist es gleichzeitig wie ein Film, wie eine Geschichte, wie Oscar Wilde. Aber das ist meine persönliche Meinung, vielleicht würde die Antwort ganz anders sein, wenn du einen anderen Tänzer fragen würdest. Ich liebe es einfach, das Stück zu tanzen.

Du hast bereits gesagt, dass du HipHop, Contemporary und Breakdance gemacht hast. Machst du das immer noch?
Für mich allein.

Im Club?
Das hundertprozentig (lacht). Ich bin ein totaler Hip-Hop-Typ. Ich bin buchstäblich mit Hip-Hop-Musik aufgewachsen und ich brauche es. Meine Kollegen machen sich manchmal über mich lustig, weil sie sich vor dem Unterricht alle dehnen, und ich währenddessen mit meinen Kopfhörern in der Ecke stehe und den „Harlem Shake“ mache. Ich brauche das, um Energie zu tanken und den Tag positiv zu beginnen. Ich denke, man kann das verstehen, wenn man Hip-Hop-Musik mag.

Aber Ballett magst du am meisten?

Ballett ist mir sehr wichtig, auch wenn HipHop meine erste Leidenschaft ist. Man muss dafür super geradlinig sein. Und ich entdecke jeden Tag etwas Neues. Ich war früher einer von denen, die sagen, dass sie kein Ballett brauchen. Aber nach nur einem Monat hier habe ich meine Meinung komplett geändert (lacht). Ich bin mit HipHop aufgewachsen, also dachte ich, ich hätte meine Basics und meinen Groove und all das, aber nein – für bestimmte Dinge, die man tänzerisch darstellen möchte, braucht man einfach Ballett.

Ganz zuletzt und ohne zu viel zu verraten, warum sollte man sich „A Wilde Story“ ansehen?
Ich würde gerne eine sehr kurze Antwort geben, eine dramatische (lacht). Es gibt einen guten Grund: Erst, wenn das Stück vorbei ist, fängt man wieder langsam an zu atmen. Während des Stücks sitzt man einfach mit weit aufgerissenen Augen da. Und danach beginnt man dann über die Emotionen nachzudenken. Ich denke, jede und jeder wird etwas in sich spüren. Das ist das Schöne daran, eine von Marcos Choreografien zu erleben. Du kannst ihn mögen oder nicht, aber du wirst danach auf jeden Fall etwas fühlen. Auf eine gute oder schlechte Art und Weise. Wenn man also eine intensive Erfahrung möchte, muss man sich einfach „A Wilde Story“ ansehen.

Filine Hunger

Abgelegt unter * Featured, * Ticker, Aktuelles, Im Gespräch, MenschenEinen Kommentar verfassen...

Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Martin G. Berger

Tags: , ,

Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Martin G. Berger


Für die Uraufführung des Musicals „Kasimir und Karoline“ holt sich die Staatsoper den freischaffenden Übersetzer, Regisseur und Autor Martin G. Berger ins Haus. Der gebürtige Berliner ist allerdings alles andere als ein Neuzugang, denn seine vielseitige Karriere begann er als mehrjähriger Assistent im Festengagement an der Staatsoper Hannover und der Oper Dortmund. Mittlerweile ist er in seinen vielen Tätigkeiten im ganzen deutschsprachigen Raum unterwegs und war in der Spielzeit 2021/22 Operndirektor am Mecklenburgischen Staatstheater. Zusätzlich wurde er mit zahlreichen Preisen, wie dem deutschen Theaterpreis FAUST in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ (2020) und dem „Orpheus für besondere Verdienste um die Operette“ (2018), ausgezeichnet.

Du bist in deinem Leben schon ziemlich herumgekommen und arbeitest mittlerweile als erfolgreicher Freischaffender für zahlreiche Opernhäuser. Meinst du, du könntest mir eine kurze Tour durch deinen Lebenslauf geben?
(Lacht) Das ist natürlich mal eine Aufgabe. Also nach dem Abitur wollte ich unbedingt Theater machen. Die Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin war Kostümbildnerin und über sie habe ich dann eine Hospitanz bekommen. Das ist so eine Art Praktikum im Theater, wo man im Prinzip vieles machen kann und bei vielem dabei sein kann. Ich hatte vorher natürlich schon Theater in der Theater-AG gemacht, aber das war der Moment, in dem es bei mir klick gemacht hat und ich wusste, ich will unbedingt Regie machen. Und dann hab ich eigentlich einen relativ altmodischen Lebenslauf gemacht. Ich hab so ein bisschen vor mich hin studiert und war dann aber ziemlich schnell nach dem Abi mit 21 fester Regieassistent in Dortmund. Und dann bin ich tatsächlich lustigerweise zwei Jahre später hierher nach Hannover gekommen, war hier auch nochmal Assistent und hab dann unter Michael Klügl die Chance gehabt, „Die Fledermaus“ auf der großen Bühne zu machen. Das war ziemlich erfolgreich und seitdem inszeniere ich eigentlich überall so vor mich hin und arbeite durchgängig als Regisseur. Ich war jetzt zwei Jahre auch mal Operndirektor in Schwerin. Das war auch mal ein spannender Einblick, aber ich bin gerade ganz froh, dass ich wieder freischaffend bin und mich ganz auf die Kunst konzentrieren kann.

Du bist Autor, Regisseur und Übersetzer. Was macht dir davon am meisten Spaß?
(Lacht) Ganz schwer zu sagen, ich finde alle drei Sachen machen unglaublichen Spaß, je nachdem auch, mit welchem Stück man sich beschäftigt. Regie ist schon mein Hauptjob, aber ich darf in letzter Zeit auch ziemlich viel schreiben. Das ist total schön! Ich übersetze auch wahnsinnig gerne, insbesondere, wenn es um wirklich tolle Musicals geht, wie die von Stephen Sondheim, dann ist Übersetzen eigentlich fast das, was am glücklichsten macht, weil man sich ganz ganz intensiv mit einem großartigen Stoff auseinandersetzt. Aber das Gute ist, dass sich Übersetzen und Schreiben natürlich sehr ähnlich in der Arbeitsweise sind, aber Regie noch mal was ganz anderes ist. Da geht es um viel pragmatischere Sachen, das ist ganz viel Arbeit mit Menschen und Kommunikation. Und als Autor und Übersetzer sitzt man natürlich alleine am Tisch. Das ist einerseits irgendwie auch schön, weil keiner einem auf den Senkel geht (lacht), aber auf der anderen Seite ist es natürlich eine viel unkommunikativere Arbeit. Und deswegen liebe ich es, alle drei Aspekte ausleben zu dürfen.

Welche Sprachen übersetzt du alle?
Ich hab aus verschiedenen Sprachen übersetzt. Der Witz beim literarischen Übersetzen, also beim singbar machenden Übersetzen, ist, dass du vor allen Dingen deine eigene Sprache richtig gut können musst, damit alles auf die Melodie passt und sich reimt und singbar ist. 99 Prozent all dessen, was ich mache, sind englische Musicals. Ich hab „La Cage aux Folles“ zuletzt für die Komische Oper übersetzt. Ich hab mehrere Sondheim-Sachen, wie „Follies“ und „Candide“, übersetzt. Ich hab tatsächlich aber auch schon mal eine dänische Oper übersetzt. Und das war auch spannend, weil ich zwar in dem Sinne kein Dänisch kann, aber es eine ganz ganz intensive wörtliche Übersetzung gab und ich so über Umwege verstanden habe, wie so die Sprache und ihr Sound sind.

Du hattest ja schon erwähnt, du hast in der Vergangenheit fest für die Staatsoper Hannover gearbeitet. Wie ist es, wieder hier zu arbeiten? Hat sich viel verändert?
Ach ja, das ist schon ein steter Wandel. Also ich hab jetzt ja das Glück gehabt, dass ich unter zwei Intendanzen arbeiten durfte und damit bin ich seit 2011 eigentlich immer wieder im Haus gewesen. Ich merke schon, dass ich, wenn ich hier auf die Bühne gehe, einfach die Kollegen kenne. Natürlich versuche ich, andere Häuser auch möglichst kennenzulernen und zu wissen, wer wer ist, aber das ist dann oft unmöglich in der kurzen Zeit, die man da ist. Und das ist schon familiär und schön, dass man immer wieder hierher kommt und irgendwie auch weiß, wo es vielleicht ein bisschen hakt, und weiß, was besonders gut geht, und weiß, wie so die einzelnen Leute ticken. Das ist schon schön und deswegen bin ich immer wieder gerne hier.

Du bist nicht nur der Regisseur, sondern auch der Mitautor von „Kasimir und Karoline“. Wie kann ich mir die Arbeit eines Mitautors vorstellen?
(Lacht) Also wir haben einfach gemeinsam geschrieben. Schon vor über zwei Jahren war klar, wir wollen eine Uraufführung machen, das hat Laura Berman in Auftrag gegeben. Und sie wollte gerne, dass ich die mit Martin Mutschler und Jherek Bischoff, dem Komponisten, zusammen schreibe. Und in dem Fall war es so, dass wir erst einmal das Originalstück bearbeitet haben. Wir haben zum Beispiel relativ behutsam die Sprache aktualisiert aber dabei versucht, viel Horváth übrig zu lassen. Das Besondere war, dass Komponisten meist Texte vertonen und es hier oft umgekehrt war, weil Jherek Bischoff kein deutscher Muttersprachler ist. Jherek hat zu den Szenen Musikstücke geschrieben, die ihm atmosphärisch richtig vorkamen. Und auf seine erfundenen Melodien haben Martin und ich dann die Liedtexte geschrieben. Und so langsam setzt sich das dann mehr und mehr zusammen. Außerdem hatten wir einen Workshop, wo wir die meisten Sängerinnen und Sänger aus der Besetzung getroffen haben und schon mal herausgefunden haben, was können die gut singen, was für Tonarten sind gut für sie. Gerade in einem Genre, das manchen fremd ist. Und das haben wir auch mit in unsere Betrachtung genommen und so entsteht dann so ein Stück (lacht).

Das klingt nach sehr enger Zusammenarbeit. Gab es, während des Schreibprozesses, Momente, in denen du deine Kollegen gerne in guter, alter „Kasimir und Karoline“-Manier verprügelt hättest?
(Lacht) Verprügelt nicht, aber so ein Prozess ist natürlich intensiv und jeder hat sein eigenes Tempo. Gerade mit der Sprachbarriere haben wir oft miteinander gerungen, aber gar nicht gegeneinander, sondern wirklich miteinander und um die Sache eher. „Wie sind wir da am effizientesten, wo kommen wir da hin, wo wollen wir mit dem Stück hin?“ Wir waren eigentlich inhaltlich immer total d’accord alle und es gab eigentlich, muss man wirklich sagen, keine größeren Konflikte innerhalb des Teams. Wir hatten einfache eine sehr gute gemeinsame Idee davon, wo wir hin wollen.

Kommen wir zu dem Stück, worum geht es bei „Kasimir und Karoline“ überhaupt? Hier an der Staatsoper wird es als Musical aufgeführt, aber war es nicht ursprünglich ein Theaterstück?
Die Vorlage ist ein Theaterstück, genau, von Ödön von Horváth. Eigentlich ein Klassiker, bei dem es um Kasimir und Karoline geht, wie der Titel schon sagt. Die beiden sind ein Paar, aber es ist keine klassische Geschichte, wo ein Paar sich findet, sondern es ist eine Geschichte, wo ein Paar über die Zeit, in der das Stück spielt, auseinanderdriftet. Und das ist, finde ich, ein ziemlich aufregender Vorgang. Es ist ein Sozialdrama. Es geht um zwei Menschen, die nicht in der obersten Schicht Zuhause sind. Kasimir hat an dem Abend davor seine Arbeit verloren, möchte eigentlich nicht feiern gehen. Karoline hat sich schon ewig darauf gefreut, an dem Abend wegzugehen. Und es ist einfach schwierig, weil die beiden ganz unterschiedliche Wünsche haben in diesem Moment. Und nach und nach driften sie auseinander. Der Kern von „Kasimir und Karoline“ ist, wie der Kapitalismus und die Frage danach, welchen Wert wir haben für die Gesellschaft und welchen Wert wir mitbringen, sich auf unsere persönlichen Beziehungen und schlussendlich auch auf unsere gesamte Gesellschaft auswirken.

Also ist es eine Kapitalismuskritik. Gibt es einen Grund, weshalb gerade jetzt dieses Musical ins Programm genommen wird?
Leider ja. Wir erleben im Prinzip momentan, dass der Kapitalismus noch viel schlimmer geworden ist in den letzten hundert Jahren, weil er durch die Globalisierung noch mal ganz andere schreckliche Züge angenommen hat. Und wir merken, dass der Grund für den Aufschwung von rechter Politik ist, dass die Menschen Angst haben, dass der Lebensstandard, den sie haben, ihnen durch Migration abhanden kommt. Diese Migration kommt ja aber daher, dass der Kapitalismus nicht dafür gesorgt hat, dass es allen gleich gut geht, sondern, dass wir hier auf Kosten von anderen Ländern leben. Zum Beispiel kann man Schokolade eigentlich nicht essen, weil 80 Prozent davon einfach überhaupt nur möglich sind, durch Kindersklaverei in super armen, afrikanischen Ländern. Aber natürlich ist auch die Klimaerwärmung ein weiterer absoluter Grund für Migration. Aber jedenfalls finde ich das Stück deswegen total aktuell. Und wie jedes gute Stück, und da rede ich jetzt erst einmal über Horváth und seine Vorlage, schafft es, das in Figuren zu erzählen und nicht mit dem Zeigefinger und mit der Vorlesung.

Gibt es Anspielungen auf aktuelle Geschehnisse in der Welt?
In unserer Fassung spielen wir ganz eindeutig im Jetzt, also das ist ganz klar. Und es gibt nicht die eine aktuelle Anspielung, aber Kasimir hat bei uns einen Migrationshintergrund und hat Angst um seinen Aufenthaltsstatus, weil er seine Arbeit verloren hat. Wir haben die Figuren einfach relativ behutsam ins Jetzt geholt und damit glaube ich sind wir an vielen aktuellen Debatten durch die Figurenzeichnung auch mit dran.

Es klang gerade schon ein bisschen an. Was denkst du ist die Verantwortung von modernen Stücken? Müssen sie gesellschaftskritisch sein?
Das ist leider genau so eine Diskussion, weil wir natürlich auch im Theater den Kapitalismus spüren. Das Theater als gesellschaftliche Institution, in der die Leute sind, um das, was auf der Bühne ist, zu diskutieren und Anregungen mitzunehmen ist leider seit Corona endgültig relativ stark eingeschränkt. Auch da gibt es eine Amazonisierung. Man möchte wissen, was man für sein Geld bekommt und deswegen zahlt man lieber dafür, dass man weiß „heute wird es lustig.“ Ich glaube, dass der Anspruch von Theater immer sein muss, unterhaltsam zu sein und dabei gleichzeitig Fragen zu stellen. Kunst stellt Fragen, Mario Barth reproduziert nur Klischees. Finden alle lustig, aber es ist keine Kunst. Und ich finde Kunst hat die Verpflichtung, nicht immer hochintellektuell zu sein. Das ist dieses Stück auch gar nicht. Es zeigt sehr fleischige Figuren, sehr reale Figuren und es spielt in einem Klubabend und hat eine unglaublich süffige Musik, eine auch moderne, poppige Musik mit eingängigen Melodien. Und es hat überhaupt keine Scheu für Emotionen. Das ist kein trockener Precht-Abend, wo über Politik gequatscht wird. Aber das Süffige ist der Eingang und ich finde Theater und Kunst sollten immer Menschen auch mit Fragen nachhause schicken. Nicht unbedingt mit Antworten, nicht mit Belehrungen, nicht mit „so ist die Welt unbedingt“, sondern einfach mit Gedankenanstößen fürs eigene Leben.

Früher wurde das Theater als Medium benutzt, um das Publikum zu erziehen. Denkst du, das funktioniert?
Nein! Erziehung ist immer falsch, Gespräch ist richtig. Das Theater darf keine Erziehungsanstalt sein. Ich finde, wenn junge Menschen und auch erwachsene Menschen ins Theater gehen, können sie dort eine Sache lernen: Interpretation und Fantasie. Im Theater, kann ein Stuhl auch die Titanic sein oder man ruft „sieh nur dort, ein Elefant!“ und man glaubt das. Und man hat denselben Text und sieht ihn in verschiedenen Produktionen und Interpretationen und sieht dadurch, dass es verschiedene Meinungen und Auffassungen gibt. Und das ist das, was wir im gesellschaftlichen Diskurs brauchen, wir brauchen Menschen, die Fantasie haben und die in der Lage sind, sich in andere Meinungen hineinzuversetzen. Das ist genau das Problem unserer Gesellschaft, dass man immer nur noch sagt „was ich für richtig halte, das muss auch stimmen.“ Wir leben in einer Zeit, in der offensichtlich zu wenige Menschen ins Theater gehen. Diese wunderbare Grundeigenschaft von Theater ist ja auch: kein Sitz ist derselbe und jeder sieht einen anderen Abend. Deswegen finde ich es auch gut, wenn Leute eine Interpretation von mir doof finden, denn das ist doch der Beginn eines Gesprächs. Und das ist eigentlich für mich die Aufgabe von Theater, immer Fragen zu stellen und nie nur einfach zu sagen „wir sind lustig“. Es sollte aber immer auch lustig und schön anzugucken sein. Es ist kein Ort, in dem man trocken die Sachen verhandelt, sondern es ist ein Ort, in dem man spielerisch all unsere gesellschaftlichen Fragen verhandelt und das ist eigentlich die große Chance.

Hast du ein Thema, das deiner Meinung nach zu selten momentan in Musicals, Theaterstücken und Opern Platz findet?
Also ich hab demnächst seit etwa vier Jahren ein Kind und ich muss sagen, dass ich wirklich viel darüber nachdenke, dass die Realität und Perspektive, was ein Kind für Menschen bedeutet, was es für Einschränkungen bedeutet und was das mit der Frage der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft macht, wirklich erstaunlich wenig stattfindet. Und auch ein Thema, das bei „Kasimir und Karoline“ vorkommt: ich finde, dass zu wenig mit einer Liebe, und nicht als Parodie, Menschen aus nicht komplett gebildeten Schichten dargestellt werden. Und das ist etwas, was wir hier wirklich mit einer großen Ernsthaftigkeit versuchen. Solche Sachen müssen mehr dargestellt werden und wir müssen versuchen, da ein Abbild zu schaffen.

Eine weniger politische Frage zum Abschluss: Worauf können sich Operngänger*innen am meisten bei „Kasimir und Karoline“ freuen?
Man kann sich freuen auf ein wirklich tolles Stück, das, finde ich, sowohl lustig ist, als auch harte gesellschaftliche Fragen verhandelt. Was mit einer ganz tollen Besetzung ist, wir haben wirklich ganz tolle Leute, die das singen und spielen. Man kann sich da sowohl auf eine hohe schauspielerische als auch eine sehr hohe sängerische Qualität freuen. Man kann sich auf total neue Musik freuen, die ganz anders klingt, als alles, was hier in diesem Opernhaus war und trotzdem genau auch die Stärken mitnimmt, die so ein Orchester und ein Chor und alle weiteren Kräfte hier auch haben. Und ja, da kann man sich wirklich auch auf eine fette Show freuen, die einen total unterhält und mitnimmt und bei der man einen schönen, leichten Abend haben kann und genauso aber auch einen Abend zum Nachdenken.

Filine Hunger

 

Abgelegt unter * Featured, * Ticker, Aktuelles, Im Gespräch, MenschenEinen Kommentar verfassen...

Am Küchentisch: mit Chiara Pareo – Staatsoper Hannover

Tags: , , , , , ,

Am Küchentisch: mit Chiara Pareo – Staatsoper Hannover


immer wieder sitzen wir am Küchentisch zum Gespräch mit Menschen aus Hannover’s Kulturszene, wiederkehrend auch mit den wunderbaren Menschen an der Staatsoper Hannover, die uns jeweils einen spannenden Einblick geben hinter die Kulissen und einen Blick hinter die großen Vorhänge.
Dies Beiträge findet Ihr stets in unserer Print-Ausgabe und ab und zu auch online hier 🙂

Chiara Pareo ist gebürtige Italienerin. Sie erhielt ihre Tanz-Ausbildung an der Associazione Scuola di Danza Maria Taglioni in Crotone und an der Scuola del Balletto di Toscana in Florenz. Ihre ersten professionellen Erfahrungen sammelte sie am Junior Balletto di Toscana. Dort tanzte sie in den Produktionen „Giselle“ von Eugenio Scigliano und „Romeo e Giulietta“ von Davide Bombana. Seit der Spielzeit 2017/18 ist sie Mitglied des Staatsballett Hannover, wo sie in Choreografien von Jörg Mannes zu sehen war. Mit Beginn der Spielzeit 2019/20 tanzt sie in der Compagnie von Marco Goecke. Zu erleben war sie seitdem unter anderem in „Prélude“ (Medhi Walerski), „Rise“ (Emrecan Tanis), „Kosmos“ (Andonis Foniadakis) und in den Choreografien von Ballettdirektor Marco Goecke.

Halb Deutschland liegt derzeit mit Erkältung, Grippe oder Corona flach. Wie geht es dir? Wie hältst du dich als Tänzerin – gerade wo ihr in einer großen Gruppe auch körperlich sehr eng zusammenarbeitet – gesund?

Mir geht es gut. Ich bin zwar ein bisschen müde, weil es gerade viel zu tun gibt, aber es geht mir gut! Ich würde sagen, wir Tänzer:innen sind die gesündesten Menschen von allen. Unsere Körper sind stark, wir nutzen sie jeden Tag. Aber wir sind auch sehr vorsichtig: Wir achten auf unsere Ernährung, auf unseren Schlaf und ziehen uns warm an. Wir sind eine große Gruppe, aber wir haben nicht so viel Kontakt nach außen. Es fühlt sich wie eine Familie an. Wenn eine Person krank ist, sind wir alle krank.

Du sagst, ihr bleibt eher unter euch und habt nicht so viel Kontakte außerhalb der Compagnie. Findest du das gut oder ist es dir manchmal zu viel?

Ein bisschen von beidem. Ich mag die Interaktion mit meinen Kolleg:innen. Natürlich bin ich mit einigen enger befreundet als mit anderen. Manchmal vermisse ich aber jemanden, der nicht in der Tanzwelt unterwegs ist. Mein Freund ist zwar nicht Teil der Compagnie, aber auch Tänzer. Das ist schön, weil er mich genau versteht. Aber manchmal hätte ich auch gerne jemanden, mit dem ich zum Beispiel über Zahlen sprechen könnte … (lacht)

Oder mit dem du ausgiebig kochen könntest? Was ist dein „Comfort-Food“?

Das kann ich mit meinem Freund sehr gut. Ich liebe es zu kochen. Ich habe ein sehr spezifisches Lieblingsessen: Karotten und Hummus. Ich esse das jeden Tag, snacke es, während ich koche. Seit zwei Jahren ernähre ich mich ausschließlich pflanzenbasiert. Na ja, fast ausschließlich. Ich mache ganz kleine Ausnahmen für Käse, auf den ich einfach nicht verzichten kann.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass eine vegane Ernährung und Leistungssport nicht zusammenpassen …

Mein Körper ist dankbar für diese Diät. Ich fühle mich viel besser als vorher. Proteine bekomme ich über Gemüse und Hülsenfrüchte. Ich nehme ein paar Vitamine, zum Beispiel B12. Aber ich fühle mich gut! Mein Körper fühlt sich nicht mehr so schwer an. Von meinen Eltern habe ich zu Weihnachten ein veganes Kochbuch geschenkt bekommen. Und jetzt bin ich am Experimentieren, das macht mir großen Spaß.

Welche Musik läuft, wenn du kochst?

Ich mag jede Art Musik. Mein Freund stellt die Playlist zusammen. Wir können mit den Charts anfangen und bei Techno landen. Ich mag wirklich alles!

Ihr bereitet euch gerade auf die nächste Premiere vor. Der Titel des dreiteiligen Ballettabends „Glaube – Liebe – Hoffnung“ vereint drei sehr große und bedeutungsschwere Wörter miteinander. Für was stehen sie?

Ich verbinde sie mit positiven Aspekten und Gefühlen des Lebens. Und alle drei stehen für mich auch für die Zukunft. Ohne sie ist eine Zukunft nicht möglich. Gerade in der aktuellen gesellschaftlichen Situation sind es drei wichtige Wörter.

M I L K“, „Sway“ und „Hello Earth“ heißen die drei Choreografien. In welcher tanzt du?

Ich tanze alle drei Stücke. In der Premiere werde ich aber nur in „M I L K“ zu sehen sein. Es ist toll mit allen drei Choreografen zusammenzuarbeiten, ich kann dabei viel lernen. Guillaume Hulots Tanzstil ist eher klassisch, Marco Goeckes sehr klar und Medhi Walerskis sanft. Es kann aber auch vorkommen, dass ich an einem Abend alle drei Stücke tanzen werde.

Ist das eine besondere Herausforderung?

Wenn du einmal alles verinnerlicht hast – es spürst – dann hast du es und es ist kein Problem. Tanzt du nur ein Stück ist das fast schade, weil du so viel Adrenalin hast. Bei drei Choreografien kannst du dich steigern. Die zweite wird besser als die erste, die dritte besser als die zweite.

Der Abend startet mit einer Uraufführung. Kannst du uns etwas zu „M I L K“ sagen?

Guillaume hat Marco während seiner Zeit in Stuttgart kennengelernt. Wir kennen ihn daher schon bein bisschen und es gab gleich ein Gefühl der Verbundenheit zwischen uns. Für ihn ist diese Neukreation eine große Sache, wir wollen alles für ihn geben. In dem Stück geht es um seine Beziehung zu seiner Mutter und generell das Muttersein. Die beiden hatte keine gute Beziehung, jetzt, wo beide älter werden, nähern sie sich an. Er hat einen Sommer mit ihr verbracht und viel mit ihr gesprochen. Seine Choreografien beinhalten viele klassische Bewegungen, sein Stil ist sehr ästhetisch. Aber es wird auch darum gehen, bestimmte Positionen zu zerstören … Sehr cool ist, dass wir mit einem Modedesigner zusammenarbeiten. Marvin M’toumo dekonstruiert mit seiner Arbeit das binäre System, Gender und Nacktheit.

Du hast bereits ein Stück von Medhi Walerski getanzt. Jetzt zeigt ihr seine Choreografie „Sway“. Wie würdest du seine Tanzsprache beschreiben?

Medhis Stücke sind alle meditativ. So würde ich es zumindest beschreiben. In seinen Stücken zu tanzen, heißt, wirklich komplett in das Stück einzutauchen. Wir müssen viel zählen, viele Bewegungen wiederholen. Alles ist sehr strategisch. Dabei aber ruhig. Du bist auf der Bühne, zählst und nach einer Weile fühlst du, dass du nicht mehr „außen“ bist, sondern „innen“. Das ist schwer zu erklären. Es ist ein bisschen wie Meditation. Auf einmal fühlt es sich natürlich an und du weißt genau, was du tun musst. Da entsteht eine besondere Energie.

Die Musik zu seiner Arbeit ist besonders. Der junge belgische Sounddesigner Adrien Cronet hat eigens eine Komposition für Walerskis Stück erarbeitet. Inwiefern passt sie zur Choreografie?

Sie besteht hauptsächlich aus Beats, die perfekt zur Choreografie passen. Wenn in der Musik eine Explosion zu hören ist, dann sieht man die auch in der Bewegung oder in der Struktur des Stücks. Man merkt, dass die Musik zeitgleich in Zusammenarbeit mit der Choreografie entstanden ist. Es passt einfach.

Wenn man „Hello Earth“ von Marco Goecke in eine Suchmaschine tippt, tauchen Fotos auf, die ein ganz besonderes Ausstattungsmerkmal zeigen. Genuss bekommt eine ganz konkrete Bedeutung. Erzähl mal, wovon spreche ich? Was wird das Publikum erleben?

Es ist ein älteres Stück von 2013. Man sieht einen anderen Marco als heute, das ist spannend. Es gibt Soli, die sehr schwer zu tanzen sind. Marcos Tanzstil fühlt sich inzwischen nach zuhause an, er ist in unseren Körpern, aber trotzdem herausfordernd. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Popcorn auf der Bühne sein wird. Ja, richtiges Popcorn. Es ist ein bisschen tricky, weil wir das vorher nicht wirklich proben können. Im Ballettsaal frage ich mich manchmal, wie das auf dem ungewohnten Untergrund funktionieren wird. Das ist spannend. Es geht Marco um eine Betrachtung unserer begrenzten Zeit auf Erden. Vom All blickt er hinunter auf die Menschen. Wir wollen unser Leben sinnvoll gestalten, es bei aller Schwere aber auch versüßen.

Nicht viele Tänzer:innen sind beim Wechsel von Jörg Mannes auf Marco Goecke geblieben. Du schon …

Ich weiß nicht genau, was Marco in mir gesehen hat. Ich war sehr jung, ich war gerade mal 19. Aber ich erinnere mich noch genau an den Moment während des Castings. Er hat einfach auf mich gezeigt. Ich wusste, dass das entweder ein sehr schlechtes oder ein sehr gutes Zeichen ist. Eigentlich wollte ich gehen, aber dann habe ich erfahren, dass Marco nach Hannover kommt und dann wollte ich bleiben. Er ist ein Genie! Seine Art zu arbeiten, habe ich noch nie erlebt. Das ist unglaublich. Ich habe gehofft, dass er mich nimmt.

Wenn ich dein strahlendes Gesicht sehe, bereust du diese Entscheidung nicht?

Nein, gar nicht. Ich habe mich als Tänzerin seitdem sehr verändert. Das ist verrückt. Ich war damals auf einem ganz anderen Weg. Und jetzt tanzen wir hier Repertoire auf Weltniveau. Das sollen die Menschen ruhig wissen. Neulich war ich im Kino. Im Film ging es um einen Profikoch, der frustriert war, weil seine Gäste sein Essen nicht verstanden haben. Ich habe mich darin ein bisschen wiedererkannt. Er hatte die besten Zutaten, die besten Mitarbeitenden, aber die Menschen erinnerten sich nach ihrem Besuch nicht einmal mehr daran, was sie gegessen hatten. Wir tanzen hier das Beste, das es in der Tanzszene gibt, arbeiten hart, um unser Niveau zu halten. Manchmal aber bleibt der Saal leer oder wir werden missverstanden. Aber ich liebe meinen Job trotzdem!

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Das Leben als Profitänzerin ist sehr intensiv. Wenn ich dann nicht mehr tanze – ich bin dann 36 Jahre alt –, habe ich vielleicht ein kleines veganes Café in Italien. Ich möchte etwas „Entschleunigtes“ machen.
Dieses Jahr möchte ich das erste Mal bei „All you can dance“ mitmachen und meine erste eigene Choreografie präsentieren. Bisher habe ich noch nichts in diese Richtung gemacht, aber ich habe eine starke Idee im Kopf. Die möchte ich im Sommer umsetzen und das Choreografieren ausprobieren.

Aber erstmal steht jetzt im Februar der Opernball vor der Tür. Das Staatsballett ist auch dabei, was ist geplant?

Wir haben schon erste Proben gehabt. Die gesamte Compagnie wird auftreten. Es war für uns nicht ganz so leicht zu hören, dass wir erst um Mitternacht tanzen werden. Für unsere Körper ist das nicht so gut, normalerweise sind wir dann schon in der Ruhephase. Da müssen wir noch gucken, wie wir das hinbekommen.
Aber die Choreografie wird nicht allzu lang sein, das wird schon gut werden. Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz so euphorisch wie vor Corona und denke, dass ich eher zu denen gehören werde, die früh ins Bett gehen. Aber trotzdem werde ich auf der Bühne alles geben. Es sind ein paar Schritte dabei, die an lateinamerikanische Tänze erinnern, passend zum Motto. Aber natürlich bleibt es Marcos Tanzsprache. Und wie immer steckt eine tiefere Bedeutung dahinter.

Vera Barner

Glaube – Liebe – Hoffnung“ feiert am 11. Februar Premiere im Opernhaus.
https://staatstheater-hannover.de/de_DE/programm-staatsoper/glaube-liebe-hoffnung.1326060

Fotocredit: Ralf Mohr

BU: „Marco Goeckes Tanzstil fühlt sich inzwischen wie zuhause an … er ist ein Genie.“ Chiara Pareo in „A Wilde Story“

 

Abgelegt unter * Featured, * Ticker, Aktuelles, Im Gespräch, MenschenEinen Kommentar verfassen...


Stadtkind twittert