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Ein letztes Wort im September

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Ein letztes Wort im September


Herr Weil, wir haben zuletzt über dieses mulmige Gefühl gesprochen, das die Smartphones etwas anrichten in unserer Gesellschaft und davon, dass insbesondere junge Menschen betroffen sind. Ich habe die Befürchtung – und inzwischen gibt es dazu valide Untersuchungen –, dass es eine Folge des neuen Medienkonsums ist, dass es in unserer Gesellschaft mehr und mehr empathielos zugeht. Haben Sie einen ähnlichen Eindruck?

Ganz sicher. Ich selbst gehöre nun wahrlich nicht zu den Digital Natives, aber ich verbringe definitiv ebenfalls zu viel Lebenszeit vor irgendwelchen Bildschirmen. Und das hat bestimmt Auswirkungen. Vielleicht nicht mehr so sehr in meiner Generation. Aber bei Kindern und Jugendlichen mehren sich die Hinweise, dass die Folgen in vielerlei Hinsicht problematisch sind. Ich habe eine Studie in Erinnerung, dass männliche Jugendliche sechs bis acht Stunden täglich online unterwegs sind. Wenn wir jetzt noch ein paar Stunden Schlaf dazurechnen, was bleibt dann vom Tag übrig? Gibt es überhaupt noch Zeit, analoge, reale Beziehungen zu pflegen? Ich bin mir sicher, dass mit zu intensivem digitalen Konsum eine gewisse Abstumpfung einhergeht. Und dass damit über kurz oder lang auch ein Stück weit die Empathie auf der Strecke bleibt. Wir können das stellenweise in unserer Gesellschaft bereits sehr deutlich sehen. Leider.

Wie würden Sie persönlich Empathie definieren?

Für mich ist das die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und es ist auch die grundsätzliche Bereitschaft, sich überhaupt für andere zu interessieren. Empathie braucht es nicht nur, wenn etwas ganz Schlimmes passiert. Wir brauchen sie tagtäglich in unserem Alltag. Sie macht uns zu sozialen Wesen.

Für Kant, Nietzsche, Schopenhauer und noch einige mehr war Empathie eine der wichtigsten menschlichen Charaktereigenschaften. Empathie befähigt Menschen zu sozialen Beziehungen, zur Kontaktaufnahme und zur Kooperation. Und sie ist auch Grundlage moralischen Handelns. Ohne Empathie sterben Fairness und Gerechtigkeit, oder?

Ich mag mir eine Gesellschaft ohne Empathie gar nicht vorstellen. So eine Gesellschaft würde sich selbst zerfleischen. Wir können übrigens momentan leider sehen, was passiert, wenn Empathie abhandenkommt. Donald Trump lässt jetzt Washington ‚säubern‘ – so drückt er das aus. Er lässt die Zelte von Obdachlosen beseitigen. Jeder emphatische Mensch stellt sich sofort die Frage, wo diese Leute eigentlich hinsollen. Das tut Donald Trump nicht. Diese Menschen sind ihm vollkommen egal. Ich meine mich zu erinnern, dass es Psychiater gibt, die das Fehlen von Empathie als Krankheit bewerten. Ich denke, da ist etwas dran. Menschen, denen Empathie fehlt, sind nicht in der Lage nachzuvollziehen, was Menschlichkeit eigentlich bedeutet. Dramatisch wird es, wenn so jemand dann amerikanischer Präsident wird.

Wenn Kinder und Jugendliche tagtäglich in den Neuen Medien konsumieren, was beispielsweise im Fernsehen noch immer streng verboten ist, dann wundert es mich nicht, dass eine gewisse Abstumpfung eintritt. 

Das ist definitiv eine Gefahr, die wir noch nicht gebannt haben.

Es gibt ja inzwischen zahlreiche Studien, die zeigen, dass Menschen mit zunehmendem Medienkonsum immer weniger sozial interagieren, dass sie sich abschotten, sich mit sich selbst beschäftigen, sich als Einzelkämpfer fühlen. Eine Folge ist Einsamkeit. Eine andere Folge ist der Verlust der Empathiefähigkeit. Soziale Kontakte trainieren ja diese Fähigkeit.

Social Media ist in diesem Sinne eine Mogelpackung. Als ich begonnen habe, mich damit zu beschäftigen, bin ich über den Begriff der Freundschaft gestolpert. Man befreundet sich digital, man nimmt Freundschaftsangebote an. Das fand ich befremdlich, denn was ist das eigentlich für ein Freundschaftsbegriff? Befreundet möchte ich sein, wenn ich ein Gefühl dazu habe, wer und wie der andere für ein Mensch ist, ob es eine gemeinsame Wellenlänge gibt, ob man sich mag. Innerhalb solcher Plattformen ist man sozusagen auf einen reinen Nutzwert reduziert. Freundschaften sind eine Währung. Aber fühlt sich irgendjemand dadurch nun wirklich besser? Steigert eine hohe Zahl digitaler ‚Freunde’ das Selbstwertgefühl? Oder gaukelt man sich nur etwas vor, was man in der Realität vermisst? Ich bin sehr skeptisch. Ich weiß, dass man die Digitalisierung nicht aufhalten kann, aber solche Phänomene machen mich besorgt. Social Media hat das Potenzial, unsere Gesellschaft sehr grundlegend zu verändern und zwar nicht zum Positiven. Und wir stecken schon mittendrin in diesem Prozess. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, in einer Gemeinschaft zu leben. Aber wenn uns wirkliche Begegnungen abhandenkommen, wird das nicht mehr funktionieren.

Finden Sie, dass die Politik das Problem momentan noch unterschätzt.

Ja, leider. Zumal die Entwicklung rasant weitergeht. Und wir wissen nicht, was noch kommt. TikTok war vor wenigen Jahren noch kein Thema und hat innerhalb kürzester Zeit eine unfassbare Bedeutung für das Verhalten von jungen Leuten bekommen. Auf dieser Plattform werden hochproblematische Vorbilder und Schönheitsideale geprägt. Und wir haben darauf gesellschaftlich noch keine Antwort. Sehr akut steht an, dass wir die Themen Erziehung und digitale Bildung besser zusammenbringen müssen. Das gelingt in vielen Familien nicht mehr. Und wir könnten nun lange darüber sprechen, dass das nicht gut ist. Aber die Realität ist, wie sie ist. Und darum muss in dieser Situation der Staat ran. Wir brauchen zum Beispiel kluge Regeln zur Handynutzung in Schulen und eine gute Medienbildung.

Noch einmal zur Empathie. Wir erleben ja unter anderem auch eine zunehmende Verrohung im Umgangston, besonders in den sozialen Medien. Die sogenannten Gutmenschen werden dort beschimpft und lächerlich gemacht. Mir scheint, wir werden gerade mehr und mehr zu einer Ellenbogen-Gesellschaft. Jeder ist sich selbst der Nächste.

„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ – von wegen. Eine solche Haltung geht ganz sicher in die falsche Richtung und mündet im Recht des Stärkeren.

Elon Musk hat gesagt: „Die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation ist die Empathie.“ Damit ist der neue Ton gesetzt. Empathie wird gleichgesetzt mit Schwäche.

Wobei nach allem, was ich über Elon Musk gelesen habe, er selbst Probleme mit der Empathie hat. Es gibt viele Menschen, die an dem sog. Asperger-Syndrom leiden, einer Form von Autismus. Menschen. Sie haben Schwierigkeiten, emotionale Signale wahrzunehmen. Solche Menschen tun mir sehr leid, aber sie dürfen auf gar keinen Fall Macht bekommen, dann wird‘s gemeingefährlich. 

Musk sagt, Empathie sei eine Waffe der Mittelmäßigen und Schwachen gegen die Starken, die Exzellenten. Und Peter Thiel denkt in eine ganz ähnliche Richtung. Demokraten sind beide nicht.

Nein, dahinter steht eine Idee von der Bestenauslese, die dann entscheiden soll. Das ist das glatte Gegenteil von Demokratie. Heute muss man vielleicht eher Plutokratie sagen, denn Geld ist in diesem Denken der Maßstab für Erfolg und Stärke. Und wie gefährlich so ein Denken ist, sieht man zum Beispiel am Umgang mit dem Klimawandel. Wenn sich weiter ungehemmter Egoismus durchsetzt, wenn weiter weltweit ohne schlechtes Gewissen Ressourcen verpulvert werden, für den kurzfristigen Wohlstand vergleichsweise weniger Menschen, dann ist das für Trump und Co. eine gute Nachricht, für alle anderen aber eine Katastrophe. Würde es bei jenen Menschen, die in den USA momentan sehr mächtig sind, mehr Empathie geben, wäre die Welt eine andere.

Elon Musk träumt ja sogar öffentlich von einer neue, besseren Zivilisation auf dem Mars.

Mit lauter kleinen Elons, exklusive Empathie. Dann möchte ich bitte auf der Erde bleiben. Aber Spaß beiseite, was wir in den USA sehen, ist wirklich sehr ernst. Dort nehmen wenige, sehr reiche Menschen, großen Einfluss in eine hoch problematische Richtung. Man kann tatsächlich von einer Plutokratie sprechen, die sich zur Autokratie weiterentwickelt. Ich war neulich bei einem Vortrag über die Entwicklung des Rechtsstaats in den USA. Der Referent hat seit zwanzig Jahren immer wieder Aufsätze über das Rechtswesen dort geschrieben. Und er wurde am Ende seines Vortrags gefragt, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass der amerikanische Rechtsstaat unter den aktuellen Bedingungen Bestand haben wird. Seine Antwort war 20 zu 80. Das ist wirklich erschreckend. 

Und man sagt ja, mit zehnjähriger Verzögerung schwappt alles aus den USA zu uns herüber. Müssen wir uns auf diese Entwicklung gefasst machen?

Wenn uns vor zehn Jahren jemand gefragt hätte, ob die AfD irgendwann die zweitstärkste Partei in Deutschland sein könnte, hätten wir beide mit dem Kopf geschüttelt. Darum bin ich mit optimistischen Prognosen inzwischen vorsichtig. Wir müssen das alles ungeheuer ernst nehmen.

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Ein letztes Wort im August

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Ein letztes Wort im August


Herr Weil, wir treffen uns heute zwischen Staatskanzlei und Rathaus im Schönwald’s im Landesmuseum. Doch ein bisschen Heimweh?

Nein, das ist einfach ein schöner Ort, ich bin gerne hier.

Wir müssen heute unbedingt ein Foto machen. Neulich hat mich mal wieder jemand gefragt, ob ich mir unsere Interviews nur ausdenke …

Ernsthaft?

Ja, man traut der Presse inzwischen offensichtlich alles zu. Und damit sind wir schon mitten im Thema. Ich möchte über die Medien sprechen, über die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Über die neuen Herausforderungen. Die Glaubwürdigkeit hat sehr gelitten …

Das ist so. Es hat sich einfach sehr viel verändert. Die Formen, der Konsum, die Geschwindigkeit. Die klassische Tageszeitung wird leider viel weniger gelesen. Die neuen Medien laufen den traditionellen Formen nach und nach den Rang ab. Das war und ist mit finanziellen Folgen verbunden. Der Druck auf die Journalistinnen und Journalisten ist sehr gestiegen, weil in den Redaktionen beim Personal gekürzt worden ist. Es gibt eine neue Währung: die Klicks. Und Journalistinnen und Journalisten, die nicht genug Klicks produzieren, müssen sich rechtfertigen. Die passen dann nicht mehr ins Konzept. Das ist jetzt sicher verallgemeinert, aber es gibt nur noch relativ wenige Verlage, die unter diesen Bedingungen die Fahne des Qualitätsjournalismus wirklich hochhalten. Aber es gibt sie zum Glück noch. Wir sehen aber auch eine Konzentration. Niedersachsen hatte traditionell immer eine wirklich große, vielfältige Presse- und Medienlandschaft, aber sie dünnt sich spürbar aus, vor allem, was die regionalen Blätter angeht. Auch im Bereich Hörfunk und Fernsehen stehen die Öffentlich-Rechtlichen und die privaten Sender vor riesigen Herausforderungen. Lineares Programm mit der Tagesschau um 20:15 Uhr findet nur noch in den älteren Generationen statt. Bei den jüngeren Generationen spielen allenfalls die Mediatheken noch eine Rolle. 

Und für sehr viele sind mittlerweile ohnehin die sozialen Medien die einzige Informationsquelle.

Das ist die andere Seite der Veränderung. Viele Menschen, übrigens nicht nur jüngere, informieren sich heute fast ausschließlich über Social-Media-Kanäle. Und das birgt natürlich immense Gefahren. Wir hatten die Welt der klassischen Medien mit den eingeübten Regeln, aber im Social-Media-Bereich gibt es so gut wie keine Regeln und es fehlt an deren Umsetzung und an Kontrolle. Das öffnet die Türen für Fake News, aber auch für viele anderen Formen der Beeinflussung. Die Algorithmen lenken uns in bestimmte Richtungen. Mitunter reicht es, nur einmal eine Meldung aufrufen, schon ist man drin in irgendeiner Blase. 

Es gibt also noch den seriösen und faktenbasierten Journalismus, aber der verliert zunehmend an Einfluss.

Und ich würde sogar sagen, dass dieser Druck inzwischen auch den eigentlich seriösen Journalismus in eine bestimmte Richtung drängt. Ein einfaches Beispiel: Nehmen Sie den aktuellen Koalitionsvertrag. Da ist viel von Absichten die Rede. Das bedeutet, man hat sich etwas vorgenommen, man will etwas auf den Weg bringen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. In der Berichterstattung werden aus diesen Absichten dann aber gerne vorbehaltlose Versprechen gemacht. Und daraus lässt sich natürlich leicht eine Schlagzeile konstruieren. Die Koalition bricht ihre Versprechen! Wählertäuschung! Niemand schreibt, dass man die Absichten leider wegen fehlender finanzieller oder rechtlicher Voraussetzungen noch nicht realisieren konnte, aber das Ziel weiter verfolgt. 

Das generiert keine Klicks.

Ja, differenzierte Darstellungen bringen keine Klicks. Aber sie kämen der Wahrheit wesentlich näher. Solche Beispiele gibt es jede Menge. Um der Zuspitzung willen wird hier und da ein bisschen gebogen. Der Vorwurf Wählertäuschung funktioniert einfach besser. 

Wobei das noch weit entfernt ist von wirklich böswilligen Fake News und Propaganda. Womit wir es inzwischen zu tun haben, ist ja eine fortwährende Desinformationskampagne. „Flooding the zone with shit.“ Die Leute permanent mit Müll zuschütten. Kommt von Trump-Flüsterer Steve Bannon. Wobei die Technik sehr alt ist. Die Wahrheit bleibt zunehmend auf der Strecke. Wie kann man das stoppen?

Meines Erachtens schlichtweg durch die gute, alte staatliche Regulierung. Und da bleibt im Moment nur als letzte Hoffnung die Europäische Union. In den USA kann man unter den gegenwärtigen Bedingungen nichts gegen Desinformation tun und über Russland und China müssen wir in dieser Hinsicht gar nicht erst reden. In der Europäischen Union gibt es aber bereits sehr weitgehende Überlegungen, Social Media so zu regulieren, dass die Demokratien nicht gefährdet werden. Man sollte schnell die nächsten Schritte gehen. Wenn man beispielsweise eine Zeitung herausgibt, dann gibt es einen presserechtlich Verantwortlichen, und der ist im Zweifel auch dran, wenn etwas schief läuft. Bei den riesigen Plattformunternehmen ist das anders. Warum eigentlich? Die Vermeidung von Hass, Hetze und Beleidigungen muss mit zur persönlichen Verantwortung der Plattformbetreiber gehören. Daswürde schon sehr helfen, vor allem wenn das dann auch noch konsequent durchgesetzt würde. Und es wäre natürlich sehr wünschenswert, wenn wir mindestens eine große europäische Plattform hätten. Das wäre jedoch ein riesiges Projekt und der Vorsprung der Amerikaner ist unfassbar groß. Trotzdem fände ich so einen Weg sehr notwendig.

Was glauben Sie, warum lassen sich Menschen so einfach hinters Licht führen? Und auch instrumentalisieren?

Vielleicht haben wir einfach verlernt, uns differenziert zu informieren. Es wird gerne geglaubt, was man glauben will. Die Recherche fehlt. Die gute, alte zweite Quelle, spielt kaum mehr eine Rolle. Um sich eine fundierte Meinung zu bilden, ist es aber wichtig, mehrere Quellen einzubeziehen und auch andere Stimmen zu hören. 

Das Mittel gegen Desinformation ist also Medienkompetenz. Das scheint mir eine der wichtigsten Baustellen im Bildungsbereich zu sein.

Ich würde sogar sagen, das ist die allerwichtigste Baustelle. Das ist ganz zentral. Übrigens auch im Bereich der Fort- und Weiterbildung der Lehrenden. Wir müssen in diesem Bereich noch sehr aufholen. Das ist ja so etwas wie ein Wettlauf. Aber neben der Medienkompetenz müssen wir uns auch über das Thema Medienkonsum Gedanken machen. 

Sind Sie eigentlich für ein Verbot von Mobilgeräten an Schulen?

Ich war da ursprünglich sehr skeptisch. Dann aber habe ich eine Gesamtschule in Osnabrück besucht und denke jetzt anders. Die Schulgemeinschaft hat diese Frage in einem wirklich vorbildlichen Diskussionsprozess geklärt. Und am Ende stand dann tatsächlich ein Handyverbot. Inzwischen sieht man auch schon die Ergebnisse. So hat beispielsweise die Konzentrationsfähigkeit enorm zugenommen. Und die sozialen Beziehungen untereinander sind gewachsen. Aber neben der Schule müssen wir auch darüber sprechen, was außerhalb der Schule passiert. Wir sehen bereits ganz kleine Kinder mit Mobilgeräten. Und wir sehen Eltern, die nicht mit ihrem Kind im Kinderwagen kommunizieren, sondern mit ihrem Handy. Das alles macht etwas mit unserer Gesellschaft.

Es gibt ja so ein kollektives Bauchgefühl, dass da etwas grundfalsch läuft. Aber trotzdem tut man sich schwer, auf die Bremse zu treten. Aus meiner Sicht müssten wir das Rad sogar ein bisschen zurückdrehen. Nicht alles war früher besser, aber vielleicht war doch ein bisschen was besser …

Manches war früher jedenfalls einfacher. Wir waren noch nicht einer solchen Informationsflut ausgesetzt. Und die Informationen wurden für uns durch die seriösen Medien gefiltert. Auf die Ergebnisse konnte man sich dann einigermaßen verlassen. Aber ja, wir müssen genau hinschauen und auch etwas tun. Es gibt die Gefahr der Desinformation. Es gibt diese enorme Suchtgefahr beim Handy und anderen digitalen Angeboten. Wir wissen noch gar nicht genau, welche Folgen der intensive Konsum langfristig für unsere Gesellschaft hat. Aber Sie haben recht, viele haben längst ein mulmige Gefühl, ich auch. Das ist wirklich eine Schlüsselaufgabe für zukunftsorientierte Politik. 

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Ein letztes Wort im Juli

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Ein letztes Wort im Juli


Herr Weil, heute sind Sie fast einen Monat Ministerpräsident a. D. Sind Sie schon aufgewacht mit dem Gedanken, dass Sie verschlafen haben und in die Staatskanzlei müssen?

Nein, das ist noch nicht passiert. Erstaunlicherweise fehlt mir momentan nichts von dem, was mit meinem früheren Amt zu tun hat. Ich finde das ziemlich erstaunlich, aber es ist so. Vielleicht liegt es daran, dass ich einen sehr schönen Abschied und einen klaren Schnitt hatte. Jetzt fängt einfach ein neues Leben an. Und klar, da muss sich jetzt noch einiges zurechtruckeln, aber das entwickelt sich gerade.

Fühlt es sich schon an wie Ruhestand oder noch wie Urlaub?

Es ist ja noch nicht wirklich ein Ruhestand, ich bin ja noch Landtagsabgeordneter. Im Moment habe ich keine 80-Stunden-Arbeitswoche mehr, aber weiter Arbeit. Eine Arbeit, die mir richtig Spaß macht. Viele Menschen in meinem Wahlkreis haben mir gesagt, dass ich jetzt 12 Jahre in der Weltgeschichte unterwegs war und dass sie froh sind, jetzt mal einen ‚normalen‘ Abgeordneten zu haben, der viel vor Ort ist.

Ich habe überlegt, worüber wir sprechen, wenn Sie nicht mehr Ministerpräsident sind. Aber eigentlich können wir uns unterhalten wie bisher, denn aus den Niederungen der niedersächsischen Tagespolitik haben wir uns immer weitgehend herausgehalten. So ein bisschen notgedrungen, weil in einem Monatsmagazin die Tagespolitik immer schon ein paar Tage alt ist …

Ja, wenn das Stadtkind erschienen ist, hatten sich manche Themen aus unseren Gesprächen schon wieder erledigt. Insofern haben wir beide uns doch immer eh meistens über das Große und Ganze unterhalten.

Es gibt so ein paar Megathemen in Deutschland, die werden uns erhalten bleiben.

Ja, aber nicht nur in Deutschland. Auch außerhalb von Deutschland passieren viele wirklich besorgniserregende Dinge. Die Eskalation im Nahen Osten zum Beispiel und der Ukraine-Krieg. Die Bedrohung der Demokratie: Nehmen Sie die USA, die Lage dort wird immer schlimmer. In der Türkei wird gerade die größte Oppositionspartei systematisch kriminalisiert und nebenan in Polen haben die Rechtsextremen die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Das wirkt ja auch alles auf Deutschland ein. Und wir haben hier bekanntlich auch noch genug eigene Themen. 

Ein großes Thema in Deutschland ist die Migration. Finden Sie, dass Deutschland, dass die Koalition momentan den richtigen Weg einschlägt?

Teils, teils. Zunächst sollten wir ganz nüchtern feststellen, dass wir Migration dringend brauchen. Wir brauchen Menschen, die zu uns kommen, um hier zu arbeiten und zu leben. Unsere alternde Gesellschaft ist darauf dringend angewiesen. Und dann geht es zweitens um die Frage, wie wir die riesige Aufgabe der Integration besser bewältigen können.

Aber die Tonlage ist momentan eine ganz andere. Für mich ist das meiste nur Symbolpolitik. Ein schlechter Versuch, der AfD mit AfD-Themen das Wasser abzugraben. Wir können uns ja darauf einigen, dass es Probleme gibt. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass man auch mal einsteigt in eine Diskussion um echte Lösungen.

Das stimmt, vor allem müssen wir auch endlich einmal über die unendlich vielen guten Beispiele gelungener Integration reden. Aber wir müssen natürlich auch die Probleme klar benennen: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt und wir müssen in der Lage sein, zu entscheiden, wer bleiben kann. Ich finde einen echten Fortschritt, dass wir jetzt einen europäischen Antritt zur Migrationspolitik haben. Menschen mit Schutzrechten müssen auch weiter Schutz bekommen, aber gleichzeitig müssen wir die Zahl der auf irregulären Wegen nach Deutschland kommenden Menschen reduzieren. Und wir dürfen auch nicht verschweigen, dass es konkrete Probleme gibt. Viele Kommunen haben keine Aufnahmekapazitäten mehr. Und wir müssen bei der Integration wesentlich besser werden. Das betrifft auch den Bildungssektor.

Ich sehe diese Probleme, aber ich sehe noch keine echten Lösungsversuche. Nicht bei Dobrindt und bei Söder, nicht bei Merz. Ich habe eher den Eindruck, die gesamte Union scheint bei diesem Thema in eine fragwürdige Richtung abgebogen zu sein.

Das war schon so im Wahlkampf. Nach der Wahl kam dann bei der CDU in manchen Bereichen der Realitätsschock. Das hatten wir beim Thema Schuldenbremse, das haben wir jetzt beim Thema Migration. Mit den Zurückweisungen wird Dobrindt in dieser Form aller Voraussicht nach vor den Gerichten scheitern. Für mich ist eine Tatsache: Wir werden das Thema Migration letztlich nur auf europäischer Ebene wirksam regeln können, nicht auf nationaler Ebene.

Die Migrationszahlen sind in letzter Zeit gesunken. Ich frage mich immer, von welcher Notlage Herr Dobrindt jetzt eigentlich spricht. In einem Ton, als würde bei uns morgen die Welt untergehen.  

Stimmt absolut, und damit wird er bei den Gerichten auch nicht durchkommen. Die Union hat das Thema Migration während des Wahlkampfs zum Thema Nummer 1 erklärt. Schon damals hat sie das Thema deutlich größer gemacht worden, als es ist. Das war nicht gut. Es ist unbestritten, dass es Probleme gibt, aber die Art und Weise, wie dieses Thema zur Schicksalsfrage hochstilisiert wurde, war aus meiner Sicht einer der Gründe für den AfD-Erfolg. Jetzt ist die Union in Regierungsverantwortung und muss liefern. Diesen Sprung hat sie noch nicht wirklich geschafft, aber sie wird nicht darum herumkommen.  Klar ist, dass wir bei unseren Integrationsmöglichkeiten Grenzen haben. Ein Beispiel: In den Schulen haben vielerorts mittlerweile im Schnitt etwa 40 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Davon haben natürlich nicht alle einen hohen Sprachförderbedarf, aber eben doch sehr viele. Und das ist für unser Bildungssystem eine massive Herausforderung. 

Ich habe die Sorge, bei der Stimmung, die inzwischen bei uns herrscht, dass sich immer mehr Menschen zweimal überlegen, nach Deutschland zu kommen. Wir brauchen Zuwanderung, wir müssen ein Einwanderungsland sein, aber wir machen uns gleichzeitig immer unsympathischer …

Diese Sorge muss man auch haben, finde ich. Und wir brauchen nicht nur Fachkräfte, sondern auch einfach Hände. Wir brauchen Menschen, die sich hier bei uns etwas aufbauen möchten. Mit dem misstrauischen und ablehnenden Grundsound sorgen wir stattdessen dafür, dass unser Land für viele Menschen unattraktiver wird. Es ist ein Fehler, wenn wir alle die kommen und die bereits da sind, mit Misstrauen beäugen. Dabei gibt es doch vier Grundsätze, die eigentlich Konsens sind: Erstens brauchen wir Zuwanderung. Zweitens, wer ein Schutzrecht hat, wird weiter aufgenommen. Wir müssen drittens für eine kontrollierte Zuwanderung sorgen. Und wer sich bei uns viertens nicht an die Regeln hält, der muss unser Land wieder verlassen.

Ich habe die Befürchtung, die Union beschäftigt sich momentan nur mit dem letzten Punkt.

Ich hoffe, dass das nicht so ist.

Es gibt ja durchaus auch sehr viel, was funktioniert. Was mir gefallen hat, war beispielsweise „Niedersachsen packt an“.

Ja, darauf können wir wirklich stolz sein. Niedersachen hat seit 2015 rund 300.000 Menschen aufgenommen und das hat insgesamt ganz gut funktioniert. Das Bündnis „Niedersachsen packt an“, hat dazu beigetragen. Es geht um eine Kultur der Zusammenarbeit in ganz vielen Bereichen. Wie gelingt beispielsweise eine bessere und schnellere Integration in den Arbeitsmarkt. Das ist dann eine oft kleinteilige und natürlich nicht so schlagzeilenträchtige Arbeit, aber sie ist erfolgreich. Die Grundlage sind ganz viele Akteure, die sich engagieren – von der Wirtschaft bis zur Flüchtlingshilfe.  Dieses Bündnis ist übrigens nach wie vor einmalig in Deutschland.

Ich finde, der Königsweg ist immer die Begegnung, das Miteinander. Wenn man sich kennenlernt, räumt das viele Vorurteile ab. Das schafft Vertrauen. 

Das ist ganz sicher so. Was würde ich brauchen, wenn ich aus irgendeinem Grund gezwungen wäre, Deutschland zu verlassen und zum Beispiel nach Syrien zu gehen – in ein vollkommen fremdes Land, eine fremde Sprache, eine andere Kultur, eine andere Religion. Was ich zuerst bräuchten, das wäre jemand, der mich an die Hand nimmt. Wir brauchen doch alle mal helfende Hände und in einem solchen Fall ganz besonders. Es steht übrigens auch bei mir auf der Liste der Möglichkeiten für die nächste Zeit, Zu schauen, was ich ehrenamtlich Sinnvolles tun könnte. Gute Verbindungen zu anderen Menschen sind mit Sicherheit extrem wichtig. Ich glaube, wir machen momentan noch den großen Fehler, immer die Sprachförderung an die erste Stelle zu setzen und dann erst die Integration in den Arbeitsmarkt. Über die Arbeit ergeben sich oft erst die Kontakte, die so wertvoll sind. Wir sollten das sehr viel früher miteinander verzahnen. Das geht, wenn die Unternehmen mitmachen und wenn es vor Ort Kolleginnen und Kollegen gibt, die so ein Ankommen begleiten. Solche Projekte, die Begegnung schaffen, sind tatsächlich die effizientesten, das weiß ich noch aus alten Rathaus-Tagen. So funktioniert Integration.

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Ein letztes Wort im Juni

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Ein letztes Wort im Juni


Herr Weil, Sie sind heute, am 15. Mai, noch Ministerpräsident. Kommende Woche ist dann Schluss und wenn unsere Juni-Ausgabe erscheint, sind Sie schon im Ruhestand.

Ja, ab kommenden Dienstag ist Olaf Lies dran. Ich bin dann noch Abgeordneter im Landtag. Und werde selbstverständlich bei seiner Regierungserklärung auf meinem Platz sitzen.

Wie muss man sich Ihre letzten Tage hier vorstellen? Kisten packen? Den Keller in der Staatskanzlei aufräumen?

So ungefähr. Ich nehme nur meine persönlichen Sachen mit und werde wohl auch viel wegwerfen oder verschenken. Und dann muss Olaf Lies entscheiden, wie er sein Büro einrichten möchte. Ich habe damals mein Büro ziemlich umgekrempelt, als ich eingezogen bin.

Sind die letzten Tage gerade sehr anstrengend?

Das sind sie. Dieser Abschiedsreigen ist nicht ganz ohne. Was ich wirklich sehr schön finde, das sind die persönlichen Begegnungen. Es kommen immer mal wieder auf der Straße Menschen auf mich zu und bedauern, dass ich gehe, sagen aber, dass sie mich verstehen und sich bedanken. Das ist der schöne Teil dieser letzten Wochen und Tage. Aber ansonsten durchlebe ich gerade eine ununterbrochene Verabschiedung mit einer Überdosis an Komplimenten und das zerrt auch ein bisschen an den Nerven. Aufräumen steht dann wahrscheinlich am Wochenende auf dem Zettel. Aber das ist auch schon wieder ziemlich durchgetaktet.

Übergeben Sie das Amt so geordnet, wie Sie sich das gewünscht haben?

Was die Übergabe an Olaf Lies anbelangt, ja. Es war natürlich mein Anspruch, auch die letzten Vorgänge am besten ganz abgeschlossen zu haben. Aber ganz geschafft habe ich das nicht. Es gibt zum Beispiel gerade ein paar kleinere Diskussionen zwischen einzelnen Ministerien, die hätte ich gerne noch zu Ende geführt. Andererseits war das auch so, als ich die Regierung übernommen habe. Ich musste manche Fragen klären, die die Vorgängerregierung nicht mehr geregelt hatte.

Ist da auch mal ein Kloß im Hals zwischendurch?

Der persönliche Zuspruch ist manchmal wirklich anrührend. Ich hätte nicht gedacht, dass das von so vielen Seiten kommen würde. Und das ist natürlich eigentlich ein riesiges Privileg, obwohl mir manchmal der Kopf schwirrt.

Der positive Zuspruch macht also den Abschied leichter. Können Sie mit Lob eigentlich gut umgehen?

Na ja. Wir norddeutschen Männer können mit Kritik besser umgehen als mit Lob. Die persönlichen Rückmeldungen von vielen Bürgerinnen und Bürgern berührt mich schon sehr. Das sind ja genau die Leute, für die ich gearbeitet habe. Politiker treten doch an, um etwas für die Menschen zu erreichen.

Bevor ich das vergesse, wir müssen kurz über ihre Setlist sprechen. Das Heeresmusikkorps Hannover spielt bei ihrer Verabschiedung das „Bürgerlied“, „Die Moorsoldaten“ und „Won’t Forget These Days“. Was ist denn das für eine Zusammenstellung?

Der Text vom Bürgerlied ist großartig und passt gerade wieder sehr gut in die Zeit. Das Lied ist im Vormärz entstanden, also vor der Revolution von 1848. Und es ist im Grunde ein Aufruf, dass alle zusammen aufstehen und anpacken sollen, unabhängig welchen Platz man in der Gesellschaft einnimmt. So einen Geist würde ich mir auch für das heutige Deutschland wünschen. Unsere Gesellschaft ist momentan vielerorts durchdrungen von einem tiefen Pessimismus. Aufstehen und anpacken, das ist aus meiner Sicht ein gutes Mittel gegen diese Depression.

Aber mit Friedrich Merz geht es doch jetzt ohnehin wieder aufwärts.

Mit der SPD in der Koalition geht es jetzt wieder aufwärts, meinen Sie? Aber egal, wir haben gerade eine Menge Gründe der neuen Bundesregierung viel Erfolg zu wünschen. 

Okay, sprechen wir lieber über das zweite Stück.

Das Lied „Die Moorsoldaten* ist für mich ein ganz wichtiges kulturelles Erbe in Niedersachsen. Es stammt aus dem KZ Börgermoor im Emsland. Die KZ-Häftlinge habe es dort gesungen. Ich finde es beeindruckend, wie sich diese Menschen unter schlimmsten Bedingungen ihre Würde und ihre Zuversicht bewahrt haben. Darum war mir dieses Lied ein Herzensanliegen. Zuversicht ist ebenfalls etwas, das auch wir uns bewahren sollten. Wir haben bekanntlich gerade damit zu tun, unsere Demokratie zu verteidigen. Und „Won’t Forget These Days* von den Furys ist dann noch einmal sehr persönlich. Das Stück bringt meine momentane innere Befindlichkeit gut auf den Punkt. In der engeren Auswahl war auch noch ‚Hello, Goodbye‚ von den Beatles.

Was machen Sie, wenn Sie am Dienstagabend nach Hause kommen?

Ich schätze, ich setze mich mit meiner Frau zusammen ins Wohnzimmer, sie macht sich einen Wein auf und ich mir ein Bier, und dann kommen wir ein bisschen zur Ruhe. Im Moment fühlt sich das alles noch eher surreal an. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, bin ich hoffentlich schon mehr in der neuen Realität angekommen. Ich freue mich auf diese neue Zeit. Nach dem Übergang geht es für mich erstmal eine Woche auf Segeltour. Und wenn ich dann wiederkomme, beginnt das Leben ohne 80-Stunden-Woche.

Also nach dem Übergang einmal kurz so richtig durchlüften und dann folgt der Start in den Unruhestand. Wie lange werden Sie Einladungen in Talkshows ausschlagen?

Ich gehe stark davon aus, dass ich keine Einladungen mehr bekommen werde.

Der Lanz klang ein bisschen so beim letzten Mal, als wäre die nächste Einladung schon raus.

Normalerweise gilt in der Politik der Grundsatz: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich glaube, das passiert auch ratzfatz. Da sollte man sich nichts vormachen. Abgesehen davon ist aber auch fraglich, ob man sich als ehemaliger Politiker noch ständig zu Wort melden sollte.

Wir haben schon einmal darüber gesprochen, dass Sie es nicht so sympathisch finden, wenn sich ehemalige Politikerinnen und Politiker ständig von der Seitenlinie mit guten Ratschlägen einmischen. Von der Sorte haben wir ja ein paar in Deutschland. Sie werden darauf verzichten?

Ich nehme mir zumindest vor, darauf zu verzichten.

Wobei es für mich auch ein bisschen auf den Zwischenrufer ankommt. Ich fand zum Beispiel die Initiative von Peer Steinbrück gar nicht so schlecht.

Im Gegenteil, ich finde die Vorschläge von Steinbrück, de Maizière, Voßkuhle und Jäkel sehr gut. Was sie vorschlagen, ist ja eine echte Staatsreform. Ich würde das meiste sofort unterschreiben. Aber das meine ich nicht mit den Seitenrufen. Es spricht nichts dagegen, sich mit seiner Expertise weiter einzubringen. Und es spricht auch nichts dagegen, gelegentlich Politik zu erklären. Aber es spricht eine Menge dagegen, es innerhalb der Tagespolitik von der Seitenlinie ständig besser zu wissen. Mich hat das immer genervt und ich habe die gute Absicht, mich daran nicht zu beteiligen. Den Gedanken, sich konstruktiv einzubringen, finde auch ich durchaus sympathisch. Und genau das war ja auch der Ansatz von Steinbrück und Co. So etwas kann man vielleicht auch nur im Ruhestand machen, weil man nicht zwischen allen Stühlen sitzt und 1000 Interessengruppen an einem zerren. Ich finde, das ist eine sehr kluge Initiative, der man nur sehr viel Erfolg wünschen kann.

Ich finde ja den Gedanken ganz spannend, dass sich ehemalige Politikerinnen und Politiker zusammenschließen, vielleicht zu einem Think-Tank der Altgedienten.

Sie meinen so eine Art Senat?

Ich würde mir einfach ein paar integre, ernsthafte Menschen über alle Parteien hinweg wünschen, die mit Haltung und ohne Populismus gelegentlich den Jüngeren mahnend die Hand auf die Schulter legen. Und zum Beispiel einem Jens Spahn sagen, was geht und was man besser lassen sollte.

Darüber machen sich in der Union gerade in der Tat einige Besonnene echte Sorgen. Es hat ja leider innerhalb der CDU eine fundamentale interne Veränderung gegeben. Der soziale Flügel und der liberale Flügel spielen faktisch keine Rolle mehr. Das beeinflusst auch die Positionierung der CDU im Parteiengefüge. Aber zurück zu ihrer Senat-Idee. Ich stehe dem mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Es ist ja nicht so, dass man mit dem Alter weniger redet. Und peinlicherweise vor allem gerne über frühere eigene Verdienste. Insofern stelle ich mir eine solche Runde von Altgedienten ziemlich anstrengend vor. Und schon deshalb möchte ich mich einstweilen an so etwas nicht beteiligen. Wertvolle Erfahrungen müssen ja dennoch nicht verloren gehen. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat ist wirklich ein rühmliches Beispiel dafür, wie man es gut macht. Man hat aus der Summe der Erfahrungen in sich konsistente Vorschläge für die Gegenwart erarbeitet, nicht ohne einen kritischen Blick auf die eigene Arbeit und ohne Besserwisserei. Es wäre wünschenswert, wenn das Schule machte.

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Ein letztes Wort im März

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Ein letztes Wort im März


Herr Weil, wir haben zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch zwei Wochen bis zur Wahl. Was uns über diese Wahl hinaus ganz sicher weiter beschäftigen wird, ist der Umgang mit der AfD. Ist die Brandmauer jetzt Geschichte, nachdem die CDU/CSU die Stimmen der AfD im Bundestag in Kauf genommen hat?

Friedrich Merz hat den Begriff der Brandmauer in der Vergangenheit immer wieder gerne genutzt, auch schon zu seinem Amtsantritt als CDU-Parteichef. Insofern war es völlig unerwartet, dass ausgerechnet er dann diesen Weg verlassen hat. Und sogar davon spricht, dass der Union dieser Begriff immer nur von außen aufgenötigt worden sei …

Der eingeschlagene Weg war, laut Friedrich Merz, eine Reaktion auf Aschaffenburg …

Wir sind alle entsetzt über diese furchtbare Tat und über alle weiteren vergleichbaren Taten. Es wird gesagt, dass Herr Merz diesen Weg unter dem Eindruck des Verbrechens in Aschaffenburg gegangen sei. Aber Aschaffenburg wäre durch alles das, was er dann vorgeschlagen hat, nicht verhindert worden. Dauerhafte Grenzkontrollen verhindern doch keine Taten von Menschen, die schon längst in Deutschland sind. Wir müssen alles versuchen, was solche schrecklichen Taten verhindern kann. Dazu sind aber  ganz andere Maßnahmen viel mehr geeignet, beispielsweise die bessere Identifikation, Speicherung und vordringliche Abschiebung von Gefährdern. Darüber und über andere geeignetere Maßnahmen ist aber leider kaum gesprochen worden. Fest steht, dass Friedrich Merz mit seinem Vorgehen einen enormen Flurschaden unter den Demokraten angerichtet hat. Ich hätte das vorher nicht für möglich gehalten.

Was droht denn jetzt? Was wird in einigen Monaten passieren, wenn es zwischen der Union und einem demokratischen Koalitionspartner nicht funktioniert? Haben Sie noch das Vertrauen, dass es dann nicht doch zur Kehrtwende kommt? 

Ich hatte vor dieser Abstimmung im Bundestag ein Zusammenwirken von CDU und AfD nicht für möglich gehalten und ich möchte weiter daran glauben, dass diese Gefahr nicht besteht. Aber ich bin skeptischer geworden, daraus mache ich keinen Hehl. Das ist umso schlimmer, als wir gerade in den nächsten Jahren nach meiner Überzeugung unter den Demokraten eng zusammenstehen müssen. Es gibt kein Abonnement auf eine funktionierende liberale Demokratie. Die nächste Bundesregierung muss die kommenden vier Jahre nutzen, um Vertrauen zurückzugewinnen und viele anstehende Probleme zu lösen. Wir müssen zum Beispiel zuallererst schleunigst unsere Wirtschaft wieder flottbekommen. Schon das ist eine riesige Aufgabe, aber nicht die einzige.

Es wäre schön, wenn sich die Politik mal wieder um die echten Probleme kümmert. Allerdings sitzen mir noch die vergangenen Monate in den Knochen und da ging es kaum um Lösungen. Die Themen hat oft die AfD gesetzt. Was ist Ihre Erkenntnis aus den vergangenen Monaten?

Es gibt dazu ein passendes Zitat von George Bernard Shaw, das geht etwa so: „Ringe nie mit einem Schwein. Beide werden schmutzig, aber nur das Schwein mag es.“ Wenn man die Remigratons-Themen der AfD aufgreift, dann tut man nur der AfD einen Gefallen.  Letztlich war die gesamte Aktion von Friedrich Merz nach Aschaffenburg ein fundamentaler Fehler und hat nur Schaden angerichtet.

Ich hatte den Eindruck, dass noch ein paar mehr Parteien ihr Fähnchen in den Wind der AfD gehalten haben …

Ich verstehe absolut, dass die Taten von Aschaffenburg, Magdeburg und Solingen vielen Menschen tief unter die Haut gegangen sind. Und es gibt leider immer wieder auch im lokalen Umfeld Vorkommnisse, die für Verunsicherung sorgen. Innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema und verdient eine sehr ernsthafte Diskussion. Was ich Friedrich Merz vorwerfe, ist, dass er nicht über Lösungen gesprochen hat, die Aschaffenburg hätten verhindern können, sondern über etwas ganz anderes. Und er hat gar nicht erst versucht, unter Demokraten eine gemeinsame Position zu entwickeln. Er hat nur gesagt, dass man ja seinen Forderungen beipflichten könne. So kommt man nicht zusammen, sondern treibt auseinander. 

Solche Ereignisse werden benutzt, um den Menschen ganz grundsätzlich Angst zu machen. Und wenn alle darauf einsteigen, dann erzielt das Getöse genau diesen Effekt. Es wäre stattdessen gut, wenn sich alle mäßigen, oder?

Politik muss Probleme lösen, aber nicht den Leuten zusätzlich Angst machen, Wie gesagt, da knallen dann am Ende nur bei der AfD die Korken.

Wie schafft man es denn, die Debatte und die Gemüter jetzt zu beruhigen und spätestens nach der Wahl zurückzukehren zu einem sachlichen und rationalen Miteinander?

Die Versuchung, auf einer Welle der Betroffenheit und Angst zu surfen, ist gerade im Wahlkampf besonders groß. Aber es ist auch niemand gehindert, vor einer Rede, einem Posting oder einem Interview noch einmal das Gehirn einzuschalten. Das ist ein bisschen so wie beim Schach. Man muss sich immer die Folgen des nächsten Zugs vor Augen führen. Das ist auch die Aufgabe einer verantwortungsbewussten Politik. 

Wäre es jetzt nicht auch wichtig, Migration nicht nur ständig als Problem zu sehen, sondern wieder mehr als Teil der Lösung. Gerade als Reaktion auf den gegenwärtigen Trend. Da gibt es inzwischen eine verheerende Schieflage. Ich finde, das läuft kommunikativ völlig falsch.

Es ist absolut im Interesse Deutschlands, dass wir zu wirklich guten Formen von legaler Zuwanderung kommen. Es gibt viele Branchen, da würde es heute schon nicht funktionieren, gäbe es keine Zuwanderung. Und das wird sich mit dem zunehmenden demokratischen Wandel weiter verstärken. Die Suche nach Fachkräften ist in vielen Unternehmen quer durch alle Branchen und Regionen gelebter Alltag. Und ich gebe ihnen hier ebenfalls vollkommen Recht, wir müssen auch wieder die Erfolgsgeschichten unserer vielfältigen Gesellschaft erzählen. Die gibt es sehr, sehr zahlreich. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, uns auch um die andere Seite zu kümmern. Wir müssen alles tun, damit die Angst nicht eskaliert. Und das Sicherheitsgefühl ist leider nicht abhängig von Statistiken.

Brauchen wir nach den Wahl ein Commitment aller demokratischen Parteien, eine Rückkehr zur Sachlichkeit?

Unbedingt! Das ist ein Gebot der Verantwortung. Es muss gelingen, dass gerade beim Thema Migration nicht nur emotional, sondern rational und sachlich und im Rahmen unserer Rechtsordnung diskutiert wird. Es ist richtig, Verständnis und Empathie zu zeigen. Falsche Versprechungen aber helfen nicht. Wir müssen klar und ehrlich sagen, was geht und was nicht geht. Gute Politik muss sich auf eine realistische Zielerreichung konzentrieren, dann ist sie auch glaubwürdig. 

Das Ziel, die Demokratie zu stärken, durch gute Politik. Die Worte höre ich wohl …

Es gibt gute und schlechte Beispiele, aus beidem kann man lernen. Nehmen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien. Der muss unbedingt und mit Tempo weitergehen, aber er muss auch für die Betroffenen vor Ort mit Vorteilen verbunden sein. Seitdem das gemacht wird, ist die Akzeptanz für Windräder spürbar gewachsen. Ein schlechtes Beispiel war das Heizungsgesetz. Der erste, breit diskutierte Plan hat vielen Menschen Angst gemacht, weil sie befürchten mussten, mit ihrem kleinen Geldbeutel überfordert zu werden. Es gibt in der Fachdiskussion den Begriff des „unsanierten Pendlers“. Der lebt auf dem Land, wohnt in einem eigenen, noch nicht sanierten Haus, verdient nicht viel Geld, sein Arbeitsplatz ist etliche Kilometer entfernt und er fährt einen alten Verbrenner. Und ja, er hätte sein Haus sanieren, eine neue Heizung einbauen und irgendwann auch ein anderes Auto anschaffen müssen. Natürlich bekommt so jemand ein mulmiges Gefühlt, wenn von allen Seiten diese Erwartungen kommen, die für ihn aber einfach nicht erfüllbar sind. Wir müssen bei allem erforderlichen Tempo immer genau hinsehen und alle Maßnahmen sozialerträglich abfedern, sonst verspielen wir den Rückhalt in der Bevölkerung

Meinen Sie, die nächste Regierung schafft das? Ein kluge, pragmatische, aber sozial ausgewogene Politik?

Ich finde, das ist zwingend notwendig, wenn wir wieder die Demokratie in unserem Land stärken wollen. Zunächst mal brauchen wir wieder ein geschlossenes Auftreten innerhalb einer Regierung und keinen öffentlicher Streit. Dann muss man sich – wie gesagt – zuallererst auf die Wirtschaft konzentrieren. Wir brauchen eine Trendumkehr. Das wird nicht ohne öffentliches Geld gehen. Wir müssen die Versäumnisse der Vergangenheit beheben und wir werden investieren müssen. Bürokratieabbau ist ebenfalls ein Thema. Und ja, ganz viel Pragmatismus. Nicht alles zerreden, einfach mal ausprobieren, um zu sehen, wie es in der Praxis läuft. Denn nur das ist ja das, was am Ende zählt.

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Ein letztes Wort im Februar

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Ein letztes Wort im Februar


Herr Weil, wir sprechen Anfang Januar für unsere Februar-Ausgabe. Wenn das Interview erscheint, sind wir bereits in der Schlussphase des Wahlkampfs.

Wenn ich richtig rechne, sind es heute noch 48 Tage bis zu den Bundestagswahlen.

Wir haben schon vor Weihnachten festgestellt, dass es nicht einfach werden wird. Und die große Kehrtwende für die SPD ist bisher ausgeblieben …

Ja, ganz klar, es bleibt ein schwieriger Wahlkampf. Aber man könnte auch sagen, es bleibt spannend. Denn wir haben ja eine sehr große Dynamik in der Welt, da kann sich vieles schnell ändern – und auch Stimmungen können sich schnell drehen. Wir erleben Veränderungen in einem rasenden Tempo, wir werden beispielsweise, wenn das Stadtkind erscheint, schon ein paar Tage einen neuen amerikanischen Präsidenten haben. Mit entsprechenden Konsequenzen für unser Land. Das wiederum spricht dafür, hierzulande doch besser auf erfahrene Politiker zu setzen.

Trotzdem, auf das Konto der SPD oder von Olaf Scholz scheint das alles bisher nicht wirklich einzuzahlen. 

Wie gesagt, ausgezählt wird zum Schluss. Ich habe schon ziemlich viele Wahlkämpfe mitgemacht und es gab häufiger die Situation, dass man hinten lag und kämpfen musste. Das tun wir.

Wenn ich mich umhöre, dann ist die Stimmung an der Basis aber ziemlich mies. Und mit schlechter Laune kämpft es sich nicht gut …

Ich bin derzeit viel unterwegs und an der Stelle kann ich mich wirklich nicht beklagen, da ist ganz viel Engagement, auch bei miesem Wetter. Aber richtig gut ist die Stimmung ja leider insgesamt in unserer Gesellschaft gerade nicht. Viele Menschen sind mit Sorgen und Pessimismus ins neue Jahr gestartet. Und dafür gibt es ja auch gute Gründe, die Wirtschaft ist in Schwierigkeiten, die Energiepreise sind zu hoch, es gibt international zahlreiche Krisen. Auf die nächste Bundesregierung werden entscheidende Aufgaben zukommen. Sie wird sehr schnell handeln und anpacken müssen. 2025 muss zu dem Jahr werden, in dem es wieder aufwärts geht. Für die Wirtschaft und dann auch für die Stimmung im Land. 

Wenn ich mir die Wahlversprechen so ansehe, dann produziert die Politik aber doch momentan schon wieder den nächsten GAU. Was die CDU ankündigt, wird kaum finanzierbar sein. Bei den Ankündigungen der FDP ist es ähnlich. Ist da nicht die nächste Wählerenttäuschung vorprogrammiert? Was werden die Leute 2029 wählen, wenn jetzt wieder Enttäuschungen folgen in der nächsten Zeit?   

Ich kann Ihrem Eindruck, was das CDU-Programm angeht, nicht widersprechen. Das ist bei der SPD deutlich seriöser.

Das sagen Sie …

Das sagen auch alle Institute, die genauer nachgerechnet haben. Wir haben, was beispielsweise die Verteilungsfragen angeht, einfach sehr unterschiedliche Auffassungen. Die SPD will diejenigen, die sehr viel verdienen, stärker  heranziehen, damit wir insbesondere die Menschen mit geringen Gehältern deutlich entlasten können. Die CDU will dagegen die ganz oben deutlich entlasten, ohne Belastbares zur Gegenfinanzierung zu sagen. Und bisher hat sich die CDU um eine solche Klärung auch nicht bemüht. Wobei eigentlich völlig klar ist, dass man das nur dann finanzieren kann, wenn man gleichzeitig an neuralgischen Stellen im Haushalt Einschnitte vornimmt, wie sie in Deutschland noch nie stattgefunden haben. Das will ich aber der CDU nicht unterstellen. Ich glaube einfach, es ist die Schublade „hohle Wahlversprechen“.

Einfach nur Wolkenkuckucksheim?

Die Rechnung der CDU geht erkennbar nicht auf. Hinzu kommt, dass die Schwerpunkte falsch gesetzt sind. Notwendig sind sehr klare Prioritäten. Und da steht für mich die Frage, wie wir unsere Wirtschaft wieder nach vorne bringen, an allererster Stelle. Nur wenn uns das gelingt, werden wir auch ansonsten wieder handlungsfähig. Dann wird wieder vieles leichter, auch in den öffentlichen Haushalten. Wenn uns das nicht gelingt, haben wir dauerhaft ein Problem. Darum rate ich allen Beteiligten, das Thema Wirtschaft vor die Klammer zu ziehen, wir tun das auch schon jetzt, vor den Wahlen. Wir brauchen vor allem niedrigere Energiekosten und viel mehr Investitionen. 

Ich kann mich erinnern, dass Sie schon eine Weile fordern, dass man mehr für die Wirtschaft tun sollte. Sie haben sich beispielsweise einen Industriestrompreis gewünscht. Es gab aber in Ihrer Partei jemanden, der dagegen war.

Ich habe im Verlauf des Jahres 2023 sehr viel für einen Industriestrompreis geworben und auch laut geworben. Wir waren anfangs noch nicht so viele und es hat sich so ein bisschen wie einsame Rufer in der Wüste angefühlt. Es hat dann aber für diese Idee im Verlauf des Jahres immer mehr Zuspruch gegeben. Dann kam aber leider im November das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt und das hat all solche Pläne über den Haufen geworfen. Jetzt müssen wir möglichst früh in diesem Jahr den Turnaround schaffen, sonst haben wir ein immer größeres Problem.

Noch mal kurz zum Wahlkampf, was ist eigentlich aus dieser Vereinbarung zu einem fairen Bundestagswahlkampf geworden? Ich kann nicht so viel Fairness erkennen. Zuletzt hat gerade Roderich Kiesewetter einen rausgehauen.

Sie meinen die Geschichte von dem geplanten Besuch von Scholz in Moskau. Ich weiß wirklich nicht, was den Kollegen da geritten hat. Roderich Kiesewetter ist mir bisher nicht als jemand aufgefallen, der lauthals dummes Zeug erzählt. Aber in dem Fall war es so. Eine absurde Geschichte. 

Man kann aber an diesem Beispiel sehr schön sehen, wie Nachrichten funktionieren und auch explodieren.

Ja, es ist sehr leicht, so etwas in die Welt zu setzen, und sehr schwer, etwas wieder richtigzustellen – leider.

Wir werden künftig immer öfter mit solchen falschen Nachrichten zu tun haben. Während sich die Macht über die Social-Media-Kanäle zunehmend in ganz wenigen Händen konzentriert. Elon Musk will auch in England massiv in den Wahlkampf eingreifen. Wir stehen eher am Anfang der Entwicklung.

Wir erleben gerade das erste Mal eine gefährliche Zusammenballung von technologischer, wirtschaftlicher, finanzieller und jetzt eben auch politischer Macht. Da fühlt sich offensichtlich jemand berufen, die Weltgeschichte zu regeln. Wir müssen aus dem, was Musk und andere tun, schleunigst unsere Lehren ziehen. Wir müssen uns in Europa überlegen, wie wir umgehen wollen mit Social Media, mit problematischen Algorithmen. Wir können das nicht einfach laufen lassen. Das ist ein hochgradig gefährliches Instrument, mit ausgesprochen fragwürdigen Algorithmen.

Das allerdings gepriesen wird als Hort der Meinungsfreiheit.

Und dann fallen Rechtsextremismus und Antisemitismus plötzlich unter Meinungsfreiheit…

Kommen wir zuletzt noch schnell zu Österreich. Was sagen sie zu Herbert Kickl und der FPÖ, beziehungsweise zur Koalitionsbereitschaft der ÖVP?

In Österreich sehen wir nun tatsächlich diesen berühmten Dammbruch. Der frühere Bundeskanzler Nehammer hatte immer ausgeschlossen, mit der FPÖ zu koalieren, ist damit aber von der Mehrheit seines Parteivorstands abserviert worden. Wir sehen, dass die liberalen Demokratien in Europa und der Welt massiv unter Druck stehen. Und ich glaube, wir müssen daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass alle Demokratinnen und Demokraten noch viel klarer und entschiedener zusammenstehen sollten. Wir machen nach wie vor den Fehler, dass wir uns in erster Linie untereinander bekämpfen, anstatt uns klarzumachen, dass wir in grundlegenden Fragen sehr einig sind, bei allen unterschiedlichen Auffassungen in der Sache. Dieses permanente Zelebrieren einer großen Zerstrittenheit führt zu dem Eindruck, dass die Politik nur noch um sich selbst kreist und sich nicht um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger kümmert. Darum, egal wie die Wahl ausgeht, wünsche ich mir direkt im Anschluss ein Agreement der Demokraten. Es geht in den kommenden Monaten und Jahren um Weichenstellungen. Daran sollten sich alle Demokraten beteiligen. Die echten Mehrheitsverhältnisse sind ganz klar, 4/5 sind auf Seiten der Demokratie.

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