Tag Archive | "Hannover"

Stadtgeschichte(n): Schlägerstraße

Tags: , , ,

Stadtgeschichte(n): Schlägerstraße


Seit 1845 wohnen Hannoveraner*innen nun schon in der Schlägerstraße.
Nicht alle natürlich, sondern bloß jene, die dort ihre Wohnung haben.
Aber eben schon gute 178 Jahre lang … natürlich verteilt auf zahlreiche Generationen – schließlich wird ja niemand 178 –, aber immerhin!

So manche*r rätselt nun aufgrund des unheilvoll wirkenden Namens, woher die Straße ihren Namen hat. Nun, die Antwort scheint auf der Hand zu legen: Lange dachte man, die Straße sei nach der gleichnamigen Bahnstation benannt worden. Okay, nicht jede*r dachte das, aber es gibt Leute, die dachten das. Dabei fuhr die erste Pferdestraßenbahn erst ab 1872 in Hannover, also viel später, ganz zu schweigen von der elektrifizierten Straßenbahn, die dann in den 1890er-Jahren ihren Siegeszug antrat. Aber die Straßenbahn ist dennoch ein gutes Stichwort, weil man – wenn man in einer solchen an der Schlägerstraße hält – regelmäßig infantil kichernde, alberne Schulkinder antreffen kann, die darüber fabulieren, dass man hier vor Ort schnell mal Schläge bezieht. Tatsächlich ist es gar nicht einmal so schwer, Passant*innen in der Schlägerstraße dazu zu provozieren, dass sie einen ordentlich durchprügeln – doch die Probe aufs Exempel zeigt: Das funktioniert auch in anderen Straßen nicht minder gut.

Ist es dennoch eine naheliegende Annahme, den Straßennamen der Schlägerstraße auf irgendwelche Schläger zurückzuführen? Vielleicht auf jene Straßenschläger, die in den frühen 1830er-Jahren die Bemühungen des Osnabrückers Johann Carl Bertram Stüve beschleunigen wollten?
Der wollte im Königreich Hannover für eine Ablösung von Diensten, Zehnten und Meierpflichten sorgen. Und die radikalen Polit-Aktivist*innen und Vertreter*innen der Interessen der Bauernschaften schwangen dazu gerne die Fäuste.
Nein, dass wir hier gendern, ist kein Fehler. Es gilt als gesichert, dass unter den Schläger*innen auch Frauen waren. Weswegen die Landeshauptstadt 2017 erwogen hat, den Straßennamen zu gendern, um mit dem neuen Namen Schläger*innenstraße auch die FLINTA* unter den Politaktivist*innen zu ehren. Was sich aber als Ente herausgestellt hat.

Ebenso das Gerücht, dass diese Ente queerfeindliche Gruppierungen zu einer Schlägerei in der Schlägerstraße motiviert hätte. Überhaupt scheint die ganze Stüve-Sache gar nichts mit dem Straßennamen zu tun zu haben. Wenn man intensiv recherchiert, kommt heraus, dass die Straßenschläger lediglich in der Hartmannstraße sowie in der Roseggerstraße gewirkt haben – oder schlichtweg gar nicht gewirkt haben.

Stattdessen geht der Name Schlägerstraße auf Franz Georg Ferdinand „Senior“ Schläger zurück, der sich als Pfarrer, Theologe, Pädagoge und Journalist für die Armenfürsorge, für Verpflegungseinrichtungen und Suppenküchen sowie für den Bau der 1843 eröffneten Blindenanstalt eingesetzt hatte.
Doch obwohl dieser Sachverhalt gesicherte Tatsache ist, werden alle paar Dekaden neue – tatsächliche und erfundene – Schlägereien als Namensgeberinnen der Straße angeführt: zum Beispiel die 1979er Gorleben-Proteste in Hannover, die ja bekanntlich friedlich verliefen … oder die 1995er Chaostage, die ja nun eher in der Nord- und weniger in der Südstadt ausgeartet sind … oder der Einsatz von Polizeischlagstöcken am Ende der 2008er Demonstrationen gegen die Studiengebühren …
Und so ist – Senior Schläger hin, Senior Schläger her – die Schlägerstraße mit ihrem Namen vor allem eine wundervolle Projektionsfläche für jedermann.

CK/LK

Foto-Credits:https://www.hannover-stadtplan.com/Schlaegerstrasse-30171-Hannover-Suedstadt_a19316

Abgelegt unter * Ticker, Aktuelles, Kolumne des MonatsKommentare deaktiviert für Stadtgeschichte(n): Schlägerstraße

El Kurdis Kolumne im Januar

Tags: , , ,

El Kurdis Kolumne im Januar


Sekten, Sekten, nichts als Sekten

Spätestens seit der Pensionierung Rolf Seelmann-Eggeberts gelte ich als der führende „Haus Windsor“-Experte Niedersachsens. Oder zumindest Hannover-Lindens. Auch an dieser Stelle habe ich mich schon mehrfach zum britischen Königshaus geäußert, von der Personalunion – in der zunächst der Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, dann der König von Hannover gleichzeitig der König von Großbritannien war – über die kolonialen Verbrechen des Empires bis hin zu den antroposophisch-homöopathischen Tendenzen König „Prinz“ Charles III. Immer mal wieder fand auch meine beachtliche Sammlung von Teedosen und -tassen mit royalen Motiven Erwähnung in dieser Kolumne.

Selbstverständlich lese ich alles, was in Buchform über die Royals erscheint. Und zwei Mal im Monat suche ich eine Arztpraxis auf, um dort die Fachpresse zu studieren. Seit einigen Jahren habe ich mir zudem einen Google-Alert zu den Suchbegriffen „Balmoral“ und „adelige Gendefekte“ eingerichtet. Im Zuge dieser Recherchen stieß ich vor zwei Jahren auf einen Artikel der US-Autorin Amanda Montell, in dem diese die These aufstellte, das Haus Windsor sei eine Art Sekte. In beiden Phänomenen gebe es: „Extreme Exklusivität, bizarre Regeln, Geheimhaltung, Lügen, Isolation, psychologische Kriegsführung und eine Wir-gegen-die-anderen-Haltung.“
Auf diesen Gedanken war ich – obwohl selbst bei den Zeugen Jehovas sektensozialisiert – noch nie gekommen, fand ihn aber sofort einleuchtend. Dann las ich die Memoiren von Prinz Harry, in denen er die Royals sogar als „Todeskult“ bezeichnete: „Schloss Windsor selbst war eine Gruft, die Wände voller Ahnen. Der Tower of London wurde von Tierblut zusammengehalten, das von den Erbauern vor tausend Jahren verwendet wurde, um den Mörtel zwischen den Ziegeln zu härten.“
Plötzlich wurde mir klar, warum ich mich seit Jahren weigerte, in den europäischen Hochadel einzuheiraten. Theoretisch. Praktisch stellte sich die Frage zugegebenermaßen noch nie. Egal. Aus dem gleichen Grund trete ich übrigens auch in keine Partei ein. Einmal dafür sensibilisiert – erkennt man Sektenstrukturen überall. Was nicht wirklich hilfreich ist, wenn man zu paranoidem Denken neigt …

Menschen treten zum Beispiel in die SPD oder bei den Grünen ein, weil sie für eine fortschrittliche Migrationspolitik sind – nicht nur aus humanistischen Gründen, sondern auch weil sie wissen, dass wir Arbeitskräfte brauchen und dass man sich in einer globalisierten Welt nun mal nicht abschotten kann. Dafür schien sich Rot/Grün in den letzten Jahren stark gemacht zu haben. Dann änderten die Chefetagen die Lehre. Es ist kein radikaler 180-Grad-U-Turn (wie z.B. bei den Sozialdemokraten in Dänemark), aber doch eine graduelle Tendenzwende. Klar, Migration immer noch, irgendwie, aber anders. Weil die Bürger*innen im Land das angeblich wollen, die Kommunen stöhnen, weil die rechte Opposition das Thema in Wahlkämpfen ausschlachtet, weil die Koalition sowieso wackelt … kurzum: weil man weiterregieren möchte. Also werden die Regeln angepasst, Ziele umdefiniert und ein neuer Ton wird angeschlagen. Bei uns im Zeugen-Jehovas-Königreichssaal wurde eine solche „Korrektur“, ein solcher Schwenk im Glaubensgefüge als „neues Licht“ bezeichnet. Und schwupps verteidigen (fast) alle Mitglieder die faktische Abschaffung des Asylrechts und finden es okay, dass der Kanzler sagt – so Law-and-Order-mäßig wie Olaf Scholz das eben kann – wir müssten nun „im großen Stil abschieben“. Beziehungsweise: Die rot/grünen Abgeordneten leugnen natürlich, dass das Asylrecht abgeschafft wird und sagen, man wolle ja nur die … die …. die Nichtberechtigten … und Straftäter … also die Sünder, die Bösen … in die Hölle … äh … zurück nach … na, ihr wisst schon…

Ich möchte jedoch auf keinen Fall alle Parteimitglieder solchen Sektendenkens bezichtigen. Ich kenne einige sehr ernsthafte und engagierte Menschen in verschiedenen Parteien, die ihrer Führung gegenüber sehr kritisch sind. Leider jedoch machen diese Leute selten wirklich Karriere in ihrem jeweiligen Verein. Oder ausnahmsweise doch mal – und dann wandeln sich spätestens im Zuge dessen zu strammen Parteisoldaten.
Aber vielleicht erübrigt sich das alles demnächst auch von selbst. Auch das passt zum Thema. Montell benennt als Sekten-Kriterium ja auch eine „extreme Exklusivität“. Und z.B. die 8,4 Prozent für die SPD bei der diesjährigen Landtagswahl in Bayern oder die 4,99 Prozent der Grünen 2022 im Saarland sind schon – das muss man zugeben – sehr exklusiv. Leider.

Hartmut El Kurdi

Abgelegt unter * Ticker, Aktuelles, Kolumne des MonatsKommentare deaktiviert für El Kurdis Kolumne im Januar

Neu in der Stadt: Hendl & Glut

Tags: , , , ,

Neu in der Stadt: Hendl & Glut


„Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald!“
Die Älteren erinnern sich sicherlich noch an den Werbeslogan der einst immens verbreiteten Schnellrestaurantkette Wienerwald, die in den 70er-Jahren gar als größte Restaurantkette Europas galt.
Unter dem alten Namen Wienerwald soll es mit einem ganz neuen Konzept weitergehen, bei allen alten Wienerwald-Filialen ließ man zu diesem Zweck die Lizenzen auslaufen.
Aus der allerletzten Wienerwald-Filiale nach altem Konzept in Hannovers Südstadt ist daher nun Anfang Dezember das Restaurant Hendl & Glut geworden.
Hähnchen bleiben – der Name lässt es bereits erahnen – getreu dem Motto „Neuer Name. Gleicher Genuss.“ auch weiterhin die Hauptspeise; ob als goldbraun paniertes Hähnchenschnitzel, Cordon Bleu, Pfannengyros oder klassisches halbes Grillhendl.
Hinzu gesellen sich zudem Hühnersuppen, Kalbschnitzel, Grillenten, Geflügelcurrywürste, Wraps und Burger in zahlreichen Variationen neben den Beilagen, Salaten und Dips.
Die Speisekarte auf hendlundglut.de hält darüber hinaus sogar Filtermöglichkeiten bereit, die es erlauben, gezielt nach veganen, vegetarischen, scharfen und/oder Low-Carb-Angeboten zu suchen. Somit sollten keine Wünsche offen bleiben.

Stephansplatz 6, 30171 Hannover.
Öffnungszeiten des Restaurants:
So-Do 12-21 Uhr, Fr-Sa 12-22 Uhr,
Öffnungszeiten des Straßenverkaufs:
Mo-So, 11-22 Uhr.
Mehr Infos auf http://www.hendlundglut.de.

Abgelegt unter * Ticker, Aktuelles, Einkauf & Genuss, Neu in der StadtKommentare deaktiviert für Neu in der Stadt: Hendl & Glut

Editorial 2024-01

Tags: , , ,

Editorial 2024-01


Liebe Leser*innen,

bekommt man das noch hin in dieser immer unübersichtlicheren Welt, die Unterscheidung zwischen Gut und Böse? Was ist richtig und was ist grundfalsch? Wie schärft man zwischendurch den eigenen Kompass? Wir haben uns dazu in dieser ersten Ausgabe des Jahres 2024 ab Seite 54 ein paar Gedanken gemacht. Für mich ist dieses Thema vielleicht eines der wichtigsten Themen der Zukunft. Denn die Frage nach Gut und Böse mündet aus meiner Sicht ganz automatisch in der Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen?

In Deutschland, so zeigen momentan immer neue Umfragen, wünschen sich leider zunehmend mehr Menschen, dass es jedenfalls keine Demokratie mehr sein sollte. Man wünscht sich einen starken Führer. Eine Autokratie. Mindestens. Und ich lasse hier mal die weibliche Form für den Führer weg, denn ich glaube nicht, dass diese Leute sich eine Frau an der Spitze wünschen. Wenn ich mir ansehe, was bei den anstehenden Landtagswahlen in ein paar Monaten droht, bekomme ich tatsächlich Beklemmungen. Können Menschen denn wirklich so irre sein? Es scheint so? Was ist denn da falsch gelaufen?

Ich rätsele genauso wie viele andere. Klar, man kann vielleicht ein paar Gründe finden, die Überforderung durch all die Krisen und Konflikte, diese diffuse Bedrohung, auch durch den Klimawandel, die Angst macht, die Ebbe im Portemonnaie, dieses Gefühl, abgehängt zu sein und nicht das zu bekommen, was einem zusteht („während die Flüchtlinge alles hinterhergeschmissen bekommen“). Aber wählt man deswegen eine Partei, die für noch viel mehr Abgehängte sorgen würde? Man kann im Parteiprogramm der AfD nachlesen, was sie für die weniger gut ausgestatteten Menschen in Deutschland im Köcher hat: Gar nichts. Eher im Gegenteil.

Ich verstehe nicht, warum es den anderen Parteien nicht gelingt, die AfD zu stellen und zu entzaubern. Beziehungsweise verstehe ich schon, warum das nicht gelingt. Weil man sich fleißig vor den Karren der AfD spannen lässt. Aber warum? Warum kommt die CDU jetzt sogar noch mit der guten alten Leitkultur um die Ecke? Stacheldraht ums Hirn? Brauchen wir das? Ernsthaft, CDU? Nichts gelernt? Ich verzweifle allmählich an unseren Parteien in Deutschland.

Ich bin sehr gespannt auf dieses Jahr. Wird es noch schlimmer? Oder schaffen wir es, zumindest hier in Deutschland, das Rad wieder ein bisschen mehr in die andere Richtung zu drehen. Ich würde es mir für uns alle sehr wünschen.
In diesem Sinne ein „gutes“ neues Jahr!

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind

Abgelegt unter * Featured, * Ticker, Aktuelles, EditorialKommentare deaktiviert für Editorial 2024-01

Über Angst (Titel 2023-12)

Tags: , ,

Über Angst (Titel 2023-12)


…und wie sie uns lähmt

Kein schönes Gefühl – aber ein verbindendes Gefühl. Denn Angst kennen wir alle. Egal wie stark, wie selbstbewusst und mutig wir auftreten, in irgendeinem Winkel unseres Hirns liegt sie ständig auf der Lauer. Da ist die Angst vor der Dunkelheit im Kinderzimmer. Hat sich jemand unter dem Bett versteckt? Da ist die Angst vor dem Gang in den Keller. Und dann haben wir Angst, weil wir morgen vor der ganzen Klasse ein Lied vorsingen müssen. Oder weil uns beim Arzt die Nadel der Spritze plötzlich doch sehr groß vorkommt. Wir haben Angst vor dem aggressiven Jungen in der Parallelklasse. Wir haben Angst, dass uns etwas Peinliches passiert und alle mit dem Finger auf uns zeigen. Wir haben Angst vor dem Versagen, vor der nächsten Klassenarbeit. Wir haben Angst, dass die anderen herausfinden, dass wir gar nicht so klug, so stark, so cool sind. Wir haben Angst, dass sich unsere Eltern wieder streiten. Wir haben Angst vor Gewalt. Vor Krankheit. Vor Bestrafung. Ganz sicher hatten die Menschen früher große Angst vor Gewittern, weil sie sich das Phänomen nicht erklären konnten. Und obwohl wir heute wissen, wie das alles funktioniert, ist die Angst geblieben. Wenn es donnert und blitzt, beschleicht viele ein mulmiges Gefühl. Und das ist gut so, denn Angst erfüllt ja einen Zweck. Sie schützt uns. Wenn wir potenziell gefährliche Situationen erkennen oder auch nur erahnen, kann Angst unser Leben retten. Aber sie kann uns auch lähmen. Uns handlungsunfähig, uns ohnmächtig machen. Dann sind wir im wahrsten Sinne des Wortes ohne Macht, dann sind wir ausgeliefert …

Die Angst entsteht in unserem Kopf in der Amygdala, eine Kernstruktur im Gehirn, die eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt. Wir sammeln über unsere verschiedenen Sinne permanent Informationen und wenn diese als bedrohlich oder gefährlich interpretiert werden, bekommen wir Angst. Wir sind am Meer und plötzlich verschwindet das Wasser. Wir haben mal diese Dokumentation über Tsunamis gesehen. Uns stehen die Haare zu Berge. Was jetzt? Bleiben und kämpfen, irgendwo hochklettern, sich dort festbinden? Oder weglaufen? Fight or Flight, Kampf oder Flucht? Was ist jetzt die bessere Wahl? Unser Körper setzt Adrenalin frei, der Herzschlag beschleunigt sich, die Atmung wird schneller, die Muskeln spannen sich an. Die Angst mobilisiert den Körper, wir machen uns physiologisch kampfbereit, um der Bedrohung zu begegnen. Und die Angst mobilisiert im besten Fall gleichzeitig unsere kognitiven Fähigkeiten. Unsere Aufmerksamkeit ist geschärft, wir sind mehr als wach. Allerdings kann es sein, dass es in diesem Zustand ein bisschen bei der rationalen Entscheidungsfindung hapert.

Überhaupt scheint die Angst oft kein besonders guter Ratgeber zu sein. Und wenn irrationale Ängste ständig den Flight- oder auch Fight-Impuls auslösen, wird es problematisch. Wir sollten darum unsere Ängste beizeiten genau analysieren. Ängste können durch Lernen und Konditionierung verstärkt werden. Wenn wir negative Erfahrungen gemacht haben, die mit bestimmten Reizen oder Situationen verbunden waren, kann sich eine Angst allein vor diesen Reizen entwickeln. Und wenn unsere Eltern ständig Angst vor „dem schwarzen Mann“ haben, wird sich diese Angst sehr wahrscheinlich auf uns übertragen. Ähnliches wie in Familien passiert auch in Gesellschaften. Wenn bestimmte Ängste immer wieder thematisiert werden, fühlen wir uns irgendwann diffus bedroht, obwohl wir gar keine direkten Berührungspunkte mit dem haben, was allen so große Angst macht.

Wenn man sich momentan in unserer Gesellschaft umhört, dann ist die Angst allgegenwärtig. Es gibt kaum noch mutige, zuversichtliche Stimmen. Stattdessen wird gewarnt. Und konkrete Anlässe für diese Warnungen gibt es leider auch genug. Wir sehen überall auf der Welt die Kriege und Konflikte, wir sehen unfassbare Gewalt, wir erschrecken jeden Tag davor, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Wir sind dazu tagtäglich konfrontiert mit den Folgen des Klimawandels. Wir sehen in den verschiedenen Medien was weltweit passiert, wo es brennt, wo es stürmt, wo Landstriche unbewohnbar werden, und manchmal kommen uns die Folgen der Erderwärmung auch schon hier bei uns in Deutschland ganz nah. Wir sehen und erkennen, dass unsere Welt zunehmend aus den Fugen gerät. Wir haben gerade erst eine Pandemie hinter uns. Die drohende Apokalypse gehört heute quasi zum medialen Grundrauschen. Und dann ist da noch die Angst vor dem sozialen Abstieg. Die Angst, dass Deutschlands Wirtschaft den Bach runtergeht, dass wir im globalen Wettbewerb verlieren. Und damit verbunden ist die Angst um unseren privaten Wohlstand. Wir haben zunehmend Angst, dass es unseren Kindern mal nicht besser gehen wird. Im Gegenteil, es wird immer mehr zur Gewissheit, dass es eher in die entgegengesetzte Richtung läuft. Wir haben all das permanent im Hinterkopf und die ständige Konfrontation mit immer neuen Problemen verstärkt kontinuierlich unsere Angst. Sie wird mehr und mehr zum seelischen Tinnitus. Sigmund Freud hat darauf hingewiesen, dass wohl eher die Erwartung eines fürchterlichen Ereignisses Angst macht als das Ereignis selbst. Die Angst nährt sich aus der Aussicht, einer Gefahr hilflos ausgeliefert zu sein, aus den üblen Vorstellungen, die man sich macht. Und genau damit beschäftigen wir uns leider inflationär. Wir malen uns die Zukunft schwarz.

Wir haben entsetzliche Angst zu verlieren, was wir haben. Aber ist das eigentlich ein Wunder? Wir in Deutschland haben sehr viel zu verlieren, so wie viele andere, sehr reiche westliche Gesellschaften. Und wir sind entsprechend ängstlich. Da wir aber gerne überall an der Spitze stehen wollen, zittern wir darüber hinaus noch einmal ein bisschen mehr als alle anderen. Wir sind berühmt für unsere German Angst. Wir sind besorgt, wir wägen ab, wir grübeln lieber mal ein paar Tage länger. Und wir haben uns mit der Zeit ein System erschaffen, dass uns maximale Sicherheit geben soll. Wir haben uns eine Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften gegönnt, wir reglementieren in Deutschland wirklich alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die Angst ist der Ursprung unserer heute bis zur Unübersichtlichkeit durchfunktionalisierten Gesellschaft. Unsere Bürokratie ist eine direkte Folge unserer Angst.

Und unser Bundeskanzler Olaf Scholz ist die fleischgewordene Büroklammer. Ein Zögerer und Zauderer, niemand, der mutig vorangeht, eher einer, der ein bisschen zurückbleibt, um zu analysieren, welche Richtung die wenigsten Gefahren bereithält. Viele kritisieren das. Aber im Grunde hält uns Olaf Scholz damit nur einen Spiegel vor. Olaf Scholz ist, wenn man so will, die personifizierte deutsche Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die ängstlich klammert, die sich permanent in Sicherheit bringen will. Das ist genau das, was uns in der Mehrheit jeden Tag beschäftigt und umtreibt. Wie sichern wir uns ab? Wie schaffen wir, dass es reicht? Dass es auch noch für morgen reicht und für übermorgen, wenn wir alt sind? Für die Sicherheit stecken wir täglich eifrig Münze um Münze in unsere privaten Geldspeicher, damit wir uns um die Zukunft möglichst keine Sorgen machen müssen. Was schon ein bisschen merkwürdig ist. Wir machen uns ständig Sorgen um die Zukunft, damit wir uns später keine Sorgen machen müssen.

Und jetzt nagt die Inflation an unserem privaten Geldspeicher. Und uns beschleicht die Angst, dass es vielleicht nicht reicht. Dass es uns nicht gelingen wird, genug beiseitezuschaffen. Aber was tun? Da ist plötzlich diese Verlustangst, weil es ganz konkret an der Supermarktkasse teurer wird. Und diese Angst vermischt sich mit all den diffusen Ängsten und Ungewissheiten, die uns jeden Tag über die Medien und Sozialen Kanäle in die Hirne gespült werden. Es fällt uns damit zunehmend schwerer, die Dinge rational zu betrachten. Das Irrationale gewinnt die Oberhand. Wir entwickeln Ängste, die rational keine Basis haben. So wie bei der Angst nachts auf einem Friedhof. Statistisch ist klar belegt, dass Friedhöfe nachts sehr sichere Orte sind. Was ja sofort einleuchtet. Mörder sind auch nur Menschen, warum sollten sie sich auf unheimlichen Friedhöfen herumtreiben? Und trotzdem haben wir nachts auf Friedhöfen Angst.

Und wie reagieren wir nun auf die inflationäre Angst, auf diese brisante Mischung aus tatsächlichen Gefahren und irrationalen Ängsten? Ganz einfach, mit Kampf oder Flucht. Und meistens mit einer guten Mischung. Unsere Fluchst ist das kollektive Verkriechen unter die Decke, der Rückzug ins Private. Unsere Flucht, das sind die zugezogenen Vorhänge, das ist die Alarmanlage. Und unser Kampf? Das ist zum Beispiel der Kleine Waffenschein. Und auch das Kreuz bei der AfD. Wer starke Ängste hat, der sehnt sich nach Schutz. Wir haben alle dieses frühkindliche Bedürfnis, wir sind als Babys und Kinder auf unsere sorgenden Eltern angewiesen. Darum neigen wir dazu, uns als Erwachsene ebenfalls vermeintlich starke Persönlichkeiten zu suchen, die uns Schutz versprechen. Wir schließen uns aus diesem Grund auch gerne „starken“ Gruppen an. Und werden vielleicht zu regelrechten Angstbeißern. Die Ängste eskalieren. Sie brechen sich Bahn in zerstörerischen Emotionen wie Wut, Ekel und Hass. Und diese Emotionen richten sich gerne gegen Minderheiten. Wenn sich Menschen hilflos fühlen, suchen sie nach Sündenböcken. Jemand soll die Verantwortung übernehmen. Jemand soll bestraft werden. Die Folge sind im Extremfall rassistisch oder religiös motivierte Straftaten. Eine nur auf den ersten Blick harmlosere Folge sind die Kreuze bei rechtsextremen Parteien, dessen Geschäftsmodell bekanntlich die Angst ist.

Das jedenfalls wird immer wieder erzählt. Die Rechten schüren die Ängste und den Hass. Sie verbreiten bewusst Falschmeldungen, sie setzen Verschwörungstheorien in die Welt, weil sie vom Klima der Angst profitieren. Und ja, das stimmt. Das ist das Konzept. Allerdings ist das Schüren von Ängsten längst nicht mehr nur das Metier der Rechten. Inzwischen gehört die Angstmacherei zum politischen Tagesgeschäft. Und angesichts der Bedrohungen werden Maßnahmen dann alternativlos. Die Angst ist ein willkommenes Hilfsmittel. Die Angst vor der Überforderung durch zu viele Flüchtlinge wird von allen Seiten beschworen, die Angst vor dem Klimawandel wird ebenfalls instrumentalisiert, genauso die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Alle Parteien, nicht allein die AfD, spielen inzwischen auf der Angst-Klaviatur. Und die gesellschaftlichen Folgen sind unübersehbar. Wir sehen bei uns immer mehr Egoismus, immer mehr Härte, immer mehr Kälte. Der Zusammenhalt geht verloren, die Solidarität, die Menschlichkeit. Wir kleben Menschen lieber Etiketten auf, um sie leichter ablehnen zu können. Es sind dann eben Flüchtlinge und keine Familien. Wir werden vor lauter Angst immer mehr zu solchen Menschen, vor denen die Flüchtlinge fliehen. Wir werden kollektiv zu Angstbeißern. Und schnappen mehr und mehr auch in Richtung Politik. Wenn die großen Volksparteien auf dem absteigenden Ast sind, so ist das auch eine direkte Folge ihrer Angststrategie der vergangenen Jahre. Und sie treiben das Spiel immer noch weiter, vor allem die CDU bekleckert sich in Sachen Angst-Populismus momentan nicht mit Ruhm. Mit Wonne wird der Untergang beschworen. Sie machen damit immer mehr Menschen zu Protestwähler*innen oder zu Nichtwähler*innen.

Warum? Wenn die Angst kein guter Berater ist, wenn ängstliche Gesellschaften zur Irrationalität neigen und Populisten auf den Leim gehen, wenn zitternde Gesellschaften dazu tendieren, ihre Demokratien abzuschaffen, wenn durch Angst das Bedürfnis nach Autorität, nach Führung steigt, wäre es dann nicht ziemlich klug, etwas gegen die grassierende Angst in unserer Gesellschaft zu unternehmen, statt sie immer weiter zu schüren? Wäre es nicht sehr viel sinnvoller, das Gute zu unterstreichen und zu betonen. Wäre es nicht klug, dass wir uns unterhaken? Um unsere Demokratie, unsere Freiheit, und ja, auch unseren Wohlstand zu schützen? Wir haben in der Welt sehr mächtige Gegenspieler, vor denen wir weitaus mehr Angst haben sollten als vor jenen Menschen, die von diesen Despoten vertrieben werden und zu uns flüchten. Wir sollten uns besinnen auf unsere Stärken. Und klar haben, wer die Starken und wer die Schwachen sind. Die Rechten sind die Jammerlappen. Die AfD-Gestalten sind die Deppen von der letzten Bank. Und klar, wenn die den ganzen Mist glauben, den sie tagtäglich verzapfen, dann zittern sie natürlich alle vor Angst und kommen mit entsprechend kruden Ideen um die Ecke, denn klar denken kann so ja niemand. Es ist jetzt die wichtigste Aufgabe verantwortungsvoller Politik, zurückzukehren zu ehrlichen, nicht populistischen Diskussionen. Das heißt nicht, dass die Probleme nicht mehr klar benannt werden sollten. Man sollte sie nur nicht allesamt immer wieder inflationär zur drohenden Apokalypse hochjazzen. Das hilft ganz am Ende nur den Falschen.

LAK

Abgelegt unter * Featured, * Ticker, Aktuelles, TitelKommentare (1)

Ein letztes Wort im Dezember

Tags: , , ,

Ein letztes Wort im Dezember


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, wir sprechen natürlich über die Geschehnisse in Israel. Und über das, was wir in der Folge nun in Deutschland sehen und erleben. Aber beginnen wir mit dem 7. Oktober. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Wir kamen an dem Tag zurück von einer Delegationsreise nach Vietnam. Schon morgens am Flughafen gingen beunruhigende Push-Meldungen ein. Zunächst konnte ich die Berichte nicht wirklich einordnen. Aber es wurde dann im Laufe des Tages leider immer klarer, dass es sich um mehrere geplante, äußerst grausame und unbarmherzige Angriffe handelte, die vor allem gegen die Zivilbevölkerung in Israel geführt wurden. Eine neue, abscheuliche Art systematischer Kriegsführung.

Wann war Ihnen das ganze Ausmaß klar?
Eigentlich erst am nächsten Tag. Vielleicht weil sich alles in einem sträubt, eine Brutalität solchen Ausmaßes zu erfassen und als neue, bittere Wirklichkeit zu akzeptieren. Und auch, weil sich die Informationen erst mit der Zeit weiter verdichtet haben. Erst nach und nach wurde klar, wie hoch die Zahlen der Getöteten und Verletzten aber auch der Verschleppten waren – eine ganz besonders widerliche Facette dieses entsetzlichen Terrors. Diese Grausamkeit macht einen fassungslos. Für Israel war der 7. Oktober so etwas wie 9/11 für Amerika.

Der Terror richtet sich gezielt gegen Familien, gegen Kinder …
Ein extremer Terror, der sich am Vorgehen des IS orientiert. Und ich kann gut verstehen, warum die Israelis sagen, dass diese Art von Terror nie wieder passieren darf, dass sie nicht weiter unter einer ständigen Terrorbedrohung leben können. Es ist nicht akzeptabel, wenn jemand wie Erdoğan sagt, die Hamas sei im Grunde so etwas wie eine Befreiungsorganisation. Die Hamas ist eine Terrororganisation, eine Bande von Verbrechern und Mördern.

Die Hamas herrscht in diesem Landstrich seit Jahren mit unerbittlicher Härte, sie haben sich Gaza sozusagen unter den Nagel gerissen …
Das ist so, und die Opfer unter der Zivilbevölkerung in Gaza sind Teil einer zynischen Gesamtkalkulation. Es handelt sich um einen seit Jahrzehnten fortgeschleppten Konflikt, der danach schreit, dass es endlich doch eine friedliche Lösung gibt. Ein wesentliches Element einer solchen Lösung ist unabdingbar das Existenzrecht und die Sicherheit Israels. Der Terror muss aufhören.

Seit Rabin ist nicht mehr viel in dieser Richtung passiert. Und nun ist es vollends eskaliert. Israel war kurz in Schockstarre und schlägt jetzt unerbittlich zurück. Von Beginn an begleitet von Ressentiments, von Unterstellungen, von Hass, von Antisemitismus.
Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Und auch das Recht, die Wurzeln dieses Terrors zu beseitigen. Aber Israel hat dabei natürlich die Verpflichtung, die Zahl der Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung so gering wie irgend möglich zu halten. Tote Kinder sind furchtbar, ganz egal auf welcher Seite der Grenze.

Wir erleben weltweit und auch in Deutschland nun ein Aufflammen von Antisemitismus …
Es ist wirklich beschämend, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst haben, sich mit Symbolen ihres Glaubens in der Öffentlichkeit zu bewegen. Dagegen muss der Staat tun, was er tun kann, aber am Ende auch alle Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen uns allerdings vor kollektiven Zuschreibungen hüten. Es gibt beispielsweise in der arabischen Community eine große Mehrheit, die mit Terrorismus und Antisemitismus rein gar nichts am Hut hat, denen es aber gleichzeitig tief unter die Haut geht, mit anzusehen, dass von 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen nun anderthalb Millionen auf der Flucht sind. Es sind dort inzwischen viele tausend Opfer zu beklagen, auch viele Kinder und Jugendliche. Das lässt niemanden kalt. Auch mich nicht. Es gehört zum Kalkül der Hamas, die Zivilbevölkerung zu missbrauchen und viele Opfer in Kauf zu nehmen. Und es ist nicht leicht für Israel, unter diesen Bedingungen die Verhältnismäßigkeit zu wahren, aber das müssen wir fordern. Und wir brauchen endlich eine dauerhafte Lösung, einen echten Frieden. Was soll entstehen in einem Gazastreifen, der zu weiten Teilen nur noch ein Trümmerhaufen ist? Wir kann man verhindern, dass daraus neuer Hass entsteht? Diese furchtbare Spirale muss endlich durchbrochen werden.

Eine friedliche Lösung hätte nur mit großer internationaler Anstrengung ganz vieler Staaten eine Chance und man müsste insbesondere dafür sorgen, dass die Unterstützung von Terrororganisationen aufhört.
In der Tat muss sich die internationale Gemeinschaft stark engagieren für einen Frieden in Nahost. Man muss jetzt zu einer echten Friedensordnung kommen. Auch ich halte – wie der Bundeskanzler – trotz oder vielleicht sogar gerade wegen dieses Krieges – eine Zweistaatenlösung für dringend notwendig. Mit breiten internationalen Sicherheitsgarantien für Israel müsste gewährleistet sein, dass von einem palästinensischen Staat für Israel keine Bedrohung mehr ausgeht. Gleichzeitig wäre eine Unterstützung für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung in Palästina erforderlich.

Das klingt immerhin nach einer Möglichkeit.
Jedenfalls ist meine Fantasie ansonsten sehr begrenzt.

Meine Fantasie ist dahingehend begrenzt, ob das mit der Netanjahu-Regierung in Israel möglich sein wird.
Jedenfalls ist Israel eine sehr gefestigte Demokratie, übriges die einzige im Nahen und Mittleren Osten. Eine Demokratie, in der es sehr lebendige innenpolitische Auseinandersetzungen gibt. Das haben wir ja in den letzten Monaten gesehen bei dem wirklich beeindruckenden zivilgesellschaftlichen Protest gegen die Pläne für eine sehr problematische Justizreform. Ich habe großes Vertrauen in die demokratischen Prozesse in Israel. Wir hören doch, wie es um das Vertrauen in die amtierende Regierung bestellt ist. Insofern bin ich zuversichtlich, dass man in Israel die richtigen Schritte gehen wird. Dass sich die politisch Verantwortlichen in Israel in dem aktuellen Kriegszustand aber zunächst auf eine Einheitsregierung verständigt haben, kann ich gut nachvollziehen.

Israel ist momentan, und im Grunde ja schon seit vielen Jahren, in einem Dilemma, sie haben diesen Druck, sich human zu verhalten, aber man hat dort auch gelernt, dass es durch ein Zurückweichen nie besser geworden ist, sondern oft nur bedrohlicher …
Es gibt dieses Dilemma. Israel fühlt sich dem Völkerrecht verpflichtet, die Hamas aber nicht. Ein Rechtsstaat gegen eine Terrorbande. Dennoch muss Israel sich fortwährend prüfen, ob es den Erwartungen an einen Rechtsstaat und seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht.

Was denken Sie, wenn Sie die Demonstrationen in Deutschland sehen, teils offen antisemitisch?
Wir sehen momentan drei verschiedene Demonstrationsformen. Es gibt die Demonstrationen zur Unterstützung Israels und zur Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in aller Welt. Es gibt jene, mit denen die Organisatoren ihre tiefe Betroffenheit über die zivilen Opfer im Gazastreifen ausdrücken, aber nicht mehr. Und dann gibt es Demonstrationen, die antiisraelisch und judenfeindlich sind. Letztere werden in Niedersachsen konsequent verboten. Wir wollen an dieser Stelle überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen, wo der deutsche Staat steht. Bei uns darf man seine Meinung frei äußern, aber im Rahmen der allgemeinen Gesetze.

Es hat sich gezeigt, dass wir in Deutschland anscheinend ein vielschichtiges Problem mit Antisemitismus haben …
Wir haben Rechtsextremismus in Deutschland, und von dem geht, auch nach den Verfassungsschutzberichten, die größte Gefahr aus. Wir haben aber Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden leider auch bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein. Und natürlich haben wir den vielzitierten zugewanderten Antisemitismus. Gar keine Frage. Aber ich habe das hier mal bewusst in dieser Reihenfolge gesagt, denn wir haben nicht nur unsere Hausaufgaben hinsichtlich der letztgenannten Form von Antisemitismus zu erledigen. Wir müssen uns auch um die beiden anderen Formen kümmern. Das ist eine Aufgabe für alle Bürgerinnen und Bürger, für die ganze Gesellschaft. Wir müssen überall laut und deutlich widersprechen, in der Kneipe, in den Schulen, in den Vereinen, überall.

Interview: Lars Kompa

(Das Interview wurde bereits im November 2023 geführt)

Abgelegt unter * Featured, * Ticker, Aktuelles, Ein letztes WortKommentare deaktiviert für Ein letztes Wort im Dezember

Partner