Ein letztes Wort im April

Herr Weil, Sie haben vor der Wahl immer gesagt, dass nach der Wahl die CDU sehr schnell über die Schuldenbremse und über Sondervermögen sprechen würde. Fast ein Prophet. Aber hätten Sie gedacht, dass es so schnell geht? Und was bleibt eigentlich übrig von der Glaubwürdigkeit der Politik? 

Naja, ein großer Prophet hat man dafür nicht sein müssen. Und was die Glaubwürdigkeit angeht – es wäre bestimmt besser und redlicher gewesen, schon vor der Wahl zu sagen, dass das kommen wird. Es gab zwar so ein paar vage Andeutungen von Friedrich Merz, aber der öffentliche Eindruck war ein anderer. Dass über mehr Geld gesprochen werden musste, das ergab sich schon zwingend aus dem Thema Sicherheit. Und der Investitionsbedarf geht ja in der Tat noch viel weiter. Insofern ist das bei der CDU sicher eine Kehrtwende. Aber das ist immer noch besser als aus bloßer Sturheit eine falsche Haltung durchzuziehen und damit großen Schaden anzurichten. Insofern ist für mich das Ergebnis entscheidend. 

Über Christian Lindner müssen wir ja jetzt nicht mehr unbedingt reden …

Ja, es gibt auch den einen oder anderen Lichtblick nach dieser Wahl.

Sprechen wir über die Sicherheit. Mit Trump haben sich offensichtlich alle alten Gewissheiten erledigt. Was mich wundert ist nur, dass drüber viele überrascht waren und es noch sind. 

Dass es in den USA so schnell und so extrem kommen würde, wie es sich momentan abzeichnet, damit haben wohl nur die größten Pessimisten gerechnet. Und es ist bei uns noch immer nicht ganz durchgedrungen, dass sich dort auch innenpolitisch und gesellschaftlich ein tiefgreifender Wandel vollzieht. Ich hatte gerade ein Gespräch mit Wissenschaftlern, die mir berichtet haben, dass momentan zahlreiche Webseiten von Hochschulen und Instituten abgeschaltet werden. In vielen Hochschulen und Instituten geht die nackte Angst um, ob man seinen Job behält. In den USA wird gerade die Wissenschaftsfreiheit zu Grabe getragen. Das sind wirklich verheerende Zeichen für die gesamte Entwicklung. Wir sehen große Veränderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, die auch uns betreffen, aber die USA wandeln sich auch im Inneren ganz massiv. Das ist nicht weniger beunruhigend. 

Wenn ich mir ansehe, was Trump und Musk dort anrichten, dann gehe ich davon aus, dass sich Amerika unterm Strich ganz immens selbst schadet.

Ja, und es ist ein unverhohlener Angriff auf die Demokratie. Es ist der Versuch, sie durch irgendeine Form von Autokratie zu ersetzen. Und ich frage mich, warum man so wenig Protest sieht von der ansonsten so aktiven und auch starken Zivilgesellschaft in den USA.

Viele Menschen haben wahrscheinlich einfach Angst.

Ganz sicher haben sie das. Und Angst ist auch ein wichtiges Stichwort. Denn wir dürfen in Deutschland und Europa jetzt auf keinen Fall in Angst erstarren. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was dort passiert und in Europa die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Das geschieht gerade auch bei uns in Deutschland – Sicherheitsmaßnahmen sind künftig weitgehend von der Schuldenbremse ausgenommen. Das ist sehr weitreichend, aber absolut notwendig. Wir werden uns selbst um unsere Sicherheit kümmern müssen und dafür müssen wir leider auch viel Geld in die Hand nehmen.  

Aber kommt diese Erkenntnis nicht reichlich spät?

Sie kommt viel zu spät, darum muss man auch nicht groß herumreden. Bei der Bundeswehr ist viele Jahre lang am falschen Ende gespart worden und jetzt müssen wir das schleunigst aufholen. Wir haben uns bereits vor dem 24. Februar 2022 eine Sicherheit vorgegaukelt, die nicht realistisch war. Das kann man überhaupt nicht bemänteln.

Nach dem 24. Februar gab es immerhin das erste Sondervermögen.

Es gab die Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz und 100 Milliarden Euro. Aber es war klar, dass das noch längst nicht ausreichen würde. Jetzt machen wir den nächsten entschiedenen Schritt. Das ist leider notwendig. Und mir fällt es wirklich nicht leicht, das festzustellen. Ich komme aus der Friedensbewegung und wir hätten uns vor 50 Jahren alles andere vorstellen können, aber nicht das. Aber die Zeiten haben sich grundlegend geändert und es ist höchste Zeit, das zu akzeptieren und darauf klar zu reagieren. 

Man hätte die Augen bereits spätestens nach der Annexion der Krim aufmachen müssen, oder?

Ich sagte ja, wir haben uns definitiv alle viel zu lange in Sicherheit gewogen. Viele sagen heute, dass wir spätestens nach der Annexion der Krim hätten wissen müssen, in welche Richtung Putin geht. Das mag sein, aber ich gebe zu bedenken, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung, so einen Kurs zu unterstützen und die Bundeswehr konsequent zu ertüchtigen, damals wahrscheinlich sehr begrenzt gewesen wäre. Es bedurfte vielleicht eines Schocks wie dem 24. Februar 2022. 

Eine Erkenntnis aus all den Entwicklungen der vergangenen Jahre ist für mich, dass wir mehr Europa brauchen und nicht weniges Europa. Da ist aber viel zu wenig passiert. Orban ist zum Beispiel noch immer ein Faktor. 

Europa ist die eigentliche Antwort auf Trump und Putin. In der EU tut sich auch schon eine Menge; es ist deutlich erkennbar, dass Europa nun enger zusammenrückt. Es gibt doch eine unübersehbare Absetzbewegung von Trump mit Blick auf Europa und die NATO. Was daraus folgen muss, ist allen klar. Die EU schließt die Reihen, mit Orban oder ohne. Und ich freue mich, dass auch Großbritannien sich wieder sehr deutlich nach Europa orientiert.

Was mich vor allem erschrocken hat in den letzten Wochen nach Trumps Start, das ist diese völlige Abwesenheit von Moral. Die sogenannten westlichen Werte sind plötzlich Geschichte.

Den Eindruck habe ich auch und es ist leider gar kein Wunder, dass Trump und Putin offensichtlich ganz gut miteinander auskommen. Sie haben einen ähnlichen Wertekanon und der heißt: „Keine Werte.“ Wir sollten mit Europa sehr fest auf der anderen Seite stehen. Und Europa sollte sich auch nicht kleinmachen. Wir haben nach China und Indien den größten Markt der Welt, größer als die Vereinigten Staaten. Wenn Europa sich einig ist, dann ist Europa sehr stark. Wenn Europa sich aber umgekehrt spalten lässt, dann ist Europa schwach – und damit letztlich auch dem internationalen Ganoventum ausgeliefert.

Das trifft es wahrscheinlich ganz gut. Man reibt sich die Augen. Ich habe inzwischen immer schon Angst, überhaupt noch die Nachrichten einzuschalten. Geht es Ihnen da ähnlich?

Spaß macht das jedenfalls meistens nicht, das geht mir auch so. Und die neuen Nachrichten aus Amerika entstehen typischerweise, wenn wir gerade selig schlafen. Da wird jedes Aufstehen zum Abenteuer. Aber das istauch Teil der Strategie: Man versucht, permanent neue Nachrichten zu produzieren, um Reaktionen auf die davorliegenden gar nicht mehr zuzulassen. Das ist alles kein Zufall.

Kann dieses Chaos denn noch lange gutgehen in den USA? Dieses ständige Hin und Her richtet ja bereits auch in der amerikanischen Wirtschaft immensen Schaden an.

Man darf leider die Professionalität bei diesem Chaos nicht unterschätzen. Wir haben es mit ausgesprochenen Glaubenskriegern zu tun, intelligent, mit entsprechenden Netzwerken ausgestattet und finanziell mit unfassbaren Möglichkeiten. Das wird die amerikanische Gesellschaft deutlich zurückwerfen. Aber der Schaden wird auch von Woche zu Woche deutlicher – die Aktienkurse sind massiv zurückgegangen und Trump selbst mag eine Rezession in den USA nicht ausschließen. Wenn die amerikanische Gesellschaft schon nicht auf eine antidemokratische Politik reagiert, dann vielleicht ja auf wirtschaftliche Probleme. 

Was haben Sie gedacht, als Sie die Pressekonferenz mit Selenskyj gesehen haben?

Ich habe das zuerst gar nicht glauben können. Diese Form der inszenierten Demütigung war schwer zu ertragen. Aber immerhin dürften nun auch die letzten europäischen Länder erkannt haben, dass wir uns massiv um unsere eigene Sicherheit kümmern müssen. In Deutschland passiert das ja jetzt auch.

Konnten Sie den Unmut der Grünen bei den Verhandlungen über die Finanzpakete verstehen? Zumal Söder ja am Aschmittwoch noch nachgetreten hatte?

Ja, natürlich. Auf der einen Seite hat man sie in den vergangenen Monaten permanent beschimpft, teils sehr persönlich, und auf der anderen Seite sollten sie auf einmal mitspielen, zum Wohle des Landes. Das war schon eine gewisse Zumutung. Aber es ist gut, dass die Grünen trotzdem bei den Grundgesetzänderungen dabei sind. Sie werden ihrer Verantwortung gerecht und das ist gut für die Demokratie.


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