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Ein offener Brief … an Papst Leo XIV.

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Ein offener Brief … an Papst Leo XIV.


Heiligkeit, zunächst einmal: Glückwunsch zur Wahl! Es soll ja kein ganz einfacher Job sein, aber immerhin gibt es eine goldene Badewanne, ein päpstliches X-Konto und jeden Sonntag hunderttausende Leute, die dir zuhören müssen, egal wie lang die Predigt ist. Davon träumen andere!

Doch leider liegt ein dunkler Schatten des Weihrauchs über deiner Inthronisierung: Der plötzliche Tod deines Vorgängers wirft Fragen auf. Nicht zuletzt deshalb, weil sein letzter offizieller Besucher kein geringerer war als der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance. Der Hillbilly-Elegie-Typ aus dem Rostgürtel. Man fragt sich: Was haben die beiden wohl besprochen? Einen Generalsegen für Ohio? Den Bau einer neuen Tesla-Arche für rechte Kulturkämpfer? Oder hat J.D. dem alten Papst einfach seine Weltanschauung erklärt und der hat sich dann gedacht: „Ich habe zwei Jahrtausende Kirchengeschichte überlebt, aber das ist nun wirklich zu viel!“

Ganz ehrlich: Der Umstand, dass der Pontifex kurz nach dem Besuch eines Mannes ablebte, der sich als spiritueller Erbe Ciceros und gleichzeitig als Bodyguard des Trumpismus sieht, ist doch mindestens auffällig! Sollte da nicht wenigstens eine vatikanische Kommission tagen? Oder vielleicht mal ein Exorzist die Bude durchkärchern? Sicher ist sicher, oder?

Doch wenden wir uns lieber der Zukunft zu – also dir. Und damit der ironischen Komik unserer Zeit: Denn jetzt sitzt du dort auf dem Stuhl Petri, dessen rechtes hinteres Stuhlbein allein älter ist als jeder Nationalstaat. Deine Vorfahren haben irgendwann einmal unseren Kontinent der Kathedralen verlassen, um woanders eine neue, viel bessere Welt zu basteln. Gut, eine, in der man glaubt, Dinosaurier seien deswegen ausgestorben, weil sie das Ablegen der Arche Noah verpasst haben, aber sei’s drum. Jetzt kommst du zurück, dahin, wo die Beichtstühle, die Heiligenverehrung, der Gregorianische Kalender und der ganze andere heiße Scheiß erfunden wurde. Wie fühlt sich das so an? Und was wir uns auch fragen: Seit wann trägt der Neue Westen die Werte der Alten Welt wie eine Monstranz vor sich her? Was ist das für eine drollige messianische Umkehrung?

Heiligkeit, du übernimmst das Papstamt in einer seltsamen Zeit. Die alten Weltreiche sind lange zerfallen, aber auf TikTok geht das Abendland täglich mindestens dreimal unter. Der Katholizismus hat Influencer, die vom Zölibat so viel halten wie von der Erdrotation, und gleichzeitig feiern konservative US-Politiker das Tridentinische Messbuch wie eine patriotische Verfassung.

Die Neue Welt tut so, als hätte sie das Alte Rom erfunden. Das, mit Verlaub, tun US-Amerikaner oft: So tun, als hätten sie irgendwas erfunden, was aber andernorts schon seit 3.000 Jahren existiert. Deshalb rollen ja auch immer alle mit den Augen, wenn die Amis mal wieder das Rad neu erfunden haben wollen.

Vielleicht ist jetzt aber genau das deine große Chance! Wer, wenn nicht du, könnte dem moralisch enthemmten Neokonservatismus das Weihwasser reichen? Wer sonst könnte der religiösen Nostalgie des amerikanischen Kulturkampfes den Spiegel vorhalten? Wer anders kann noch ein kleines bisschen Einfluss nehmen auf den Wahnsinn, der sich in Übersee abspielt? Sag denen da drüben doch mal, dass Gott das nicht gut findet, was Trump so verzapft. Dass das Himmelreich auf Erden ohne Trump zwar nicht automatisch kommt, aber doch zumindest etwas greifbarer wird. Uns glaubt das ja keiner, dir aber vielleicht schon. Du könntest die Welt retten!

Dafür, Heiliger Vater, wünschen wir dir Kraft. Humor auch. Und vielleicht eine gewisse Resistenz gegenüber amerikanischem Pathos. Der Papst ist tot – lang lebe der Papst. Möge dein Pontifikat klug, freundlich und möglichst unbesucht von US-Senatoren sein. Mit frevelhaftem Respekt und einer Prise Weihrauch grüßt ein Stadtkind der alten Welt.

MB

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Tonträger Juni 2025

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Tonträger Juni 2025


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Bandporträt Juni 2025: Terry Hoax

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Bandporträt Juni 2025: Terry Hoax


Falls irgendjemand mal bei Günter Jauch sitzt und die Frage nach dem meistgespielten Video einer deutschen Band auf MTV kommt: Die Antwort lautet Terry Hoax mit „Policy of truth“ im Jahr 1992. Hätten wir das geklärt. Ansonsten muss man Terry Hoax wohl nicht mehr groß vorstellen: 1988 gegründet, 1996 aufgelöst, wiedervereint im Jahr 2008 und einer der großen Rockexporte aus Hannover. Nun erscheint mit „Celebrate Nothing“ ihr neuntes Studioalbum. Darüber haben wir mit Sänger Oliver Perau (OP) und Gitarrist Martin „Matze“ Wichary (MW) gesprochen.

Glückwunsch zum neuen Album! Aber wieso heißt es „Celebrate Nothing“? Denn sowohl der Titeltrack als auch der Rest des Albums klingen, als hätte das Recording großen Spaß gemacht. War das auch so?

OP: Die aktuelle Weltlage bietet wenig Gründe zum Feiern. Es gibt vieles, an dem man verzweifeln könnte. Aber trotzdem darf man sich nicht unterkriegen lassen. Man muss das Leben genießen. Also feiern wir, dass es nichts zum Feiern gibt.

Abgesehen davon, dass Kai Schiering Armin Treptau am Bass ersetzt hat – was ja nun auch schon ewig her ist – seid ihr jetzt wieder der Besetzung, in der ihr damals erfolgreich geworden seid. Ist das nicht auch ein Grund zu feiern?

MW: Als wir die ersten Male wieder gemeinsam im Übungsraum standen und Songideen probiert haben, war bei allen eine ziemliche Euphorie zu spüren. Wir haben etwas wiedergefunden und konnten das dann auch noch weiterentwickeln – das war ein guter Grund zum Feiern.

Wenn man das neue Album hört, denkt man sofort: „Terry Hoax, ganz klar“. Vom Gefühl her könnte man einige der neuen Stücke auch auf älteren Platten verorten. „Welcome to tomorrow“ hat die Art schöner Leichtigkeit, die 1a auf „Freedom Circus“ gepasst hätte, während „Circle of desire“ absolute „Splinterproof“-Coolness hat (zumindest für mich). Anhören und schon fühlt man sich Jahrzehnte jünger. Ist das bewusst geschehen, oder hat sich durch eure Zusammenarbeit dieses Terry Hoax-Lebensgefühl einfach wieder eingestellt?

OP: Ich finde es wunderbar, dass du es so empfindest. Der Grund dafür sitzt neben uns und heißt Martin. Seine Rückkehr tut allen sehr gut. Für mich persönlich hat sich der Kreis geschlossen, denn schließlich hat mit uns beiden alles angefangen.

Was sind eure persönlichen Lieblingsstücke auf dem Album und warum?

MW: „The Last Call“. Ich kann immer kaum abwarten, bis der C-Teil und dann danach die Stelle mit Mirja Panitz kommt, die einen Teil des Refrains singt. Toller Text von Olli. Und „Falling“, weil es tatsächlich nach unseren Anfängen klingt. Und „Meanwhile“ wieder vor allem wegen dem Text. Und „Welcome to tomorrow“, weil die Gitarre am Ende wie im Soundtrack zur Zombieapokalypse klingt. Und „Don’t need somebody“, wegen „I don‘t know what I do, when I do what I do!“ im Text und weil es in dem Song so schön swingt. Einzelne Textstellen von Songs sollten wir vielleicht mal auf T-Shirts drucken. Eigentlich sind alle Songs total super, wir sind sehr froh mit unserer Performance als Band im Studio. Das war früher nicht immer so. Ich erinnere mich an einen Produzenten der sagte: „Willst Du das wirklich so spielen? Klingt, als ob man die Gitarre draußen am Fenster aufhängt und Billardkugeln darauf wirft“. Antwort in eingeschnapptem Tonfall: „Ähh… Ja, das mache ich immer so!“. Inzwischen wissen wir genau, was wir wollen und können und sind daher offener für Ideen von außen, wenn sie songdienlich sind. Wir hatten das Glück, uns beim aktuellen Album mit guten Leuten in guter Umgebung um die Songs und unsere Performance kümmern zu können. Wann immer es terminlich ging, konnten wir ins Peppermint Park Studio. Dort im großen Raum aufnehmen zu können ist heutzutage schon ein echtes Privileg und Inspiration.

Stichwort Fotos: Mit Terry Hoax ging‘s für Olaf Heine damals los und er hatte mittlerweile von Bad Religion über The Killers, Iggy Pop und Chris Cornell bis hin zu Burt Bacharach alles vor der Linse, was Rang und Namen hat. War mit ihm die aktuellen Fotos zu machen eine bewusste Entscheidung, um einen Kreis zu schließen oder hat sich das zufällig so ergeben?

OP: Ich hatte Olaf einen Gefallen getan und daher noch einen gut bei ihm. Das wurde dann die Fotosession mit Terry Hoax. Olaf gehört zu unserer Familiengeschichte, wie wir zu seiner. Diese Verbindung wird es immer geben.

Und jetzt das Wichtigste: Wann geht‘s mit dem neuen Album auf die Bühne?

We celebrate nothing – and everybody‘s here:

20.06. Göttingen, Exil

21.06. Isernhagen, Blues Garage

25.06. Oberhausen, Kulttempel

23.08. Fuhrberg, Fuhrberg rockt OA

12.09. Düsseldorf, Pitcher

13.09. Hameln, Sumpfblume

24.10. Braunschweig, KufA

25.10. Bremen, Lila Eule

30.10. Osnabrück, Rosenhof

13.11. Hamburg, Marias Ballroom

14.11. Hamburg, Marias Ballroom

13.12. Hannover, Capitol

Alle Termine immer aktuell auf www.terryhoax.de

Terry Hoax © Olaf Heine

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Ein letztes Wort im Juni

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Ein letztes Wort im Juni


Herr Weil, Sie sind heute, am 15. Mai, noch Ministerpräsident. Kommende Woche ist dann Schluss und wenn unsere Juni-Ausgabe erscheint, sind Sie schon im Ruhestand.

Ja, ab kommenden Dienstag ist Olaf Lies dran. Ich bin dann noch Abgeordneter im Landtag. Und werde selbstverständlich bei seiner Regierungserklärung auf meinem Platz sitzen.

Wie muss man sich Ihre letzten Tage hier vorstellen? Kisten packen? Den Keller in der Staatskanzlei aufräumen?

So ungefähr. Ich nehme nur meine persönlichen Sachen mit und werde wohl auch viel wegwerfen oder verschenken. Und dann muss Olaf Lies entscheiden, wie er sein Büro einrichten möchte. Ich habe damals mein Büro ziemlich umgekrempelt, als ich eingezogen bin.

Sind die letzten Tage gerade sehr anstrengend?

Das sind sie. Dieser Abschiedsreigen ist nicht ganz ohne. Was ich wirklich sehr schön finde, das sind die persönlichen Begegnungen. Es kommen immer mal wieder auf der Straße Menschen auf mich zu und bedauern, dass ich gehe, sagen aber, dass sie mich verstehen und sich bedanken. Das ist der schöne Teil dieser letzten Wochen und Tage. Aber ansonsten durchlebe ich gerade eine ununterbrochene Verabschiedung mit einer Überdosis an Komplimenten und das zerrt auch ein bisschen an den Nerven. Aufräumen steht dann wahrscheinlich am Wochenende auf dem Zettel. Aber das ist auch schon wieder ziemlich durchgetaktet.

Übergeben Sie das Amt so geordnet, wie Sie sich das gewünscht haben?

Was die Übergabe an Olaf Lies anbelangt, ja. Es war natürlich mein Anspruch, auch die letzten Vorgänge am besten ganz abgeschlossen zu haben. Aber ganz geschafft habe ich das nicht. Es gibt zum Beispiel gerade ein paar kleinere Diskussionen zwischen einzelnen Ministerien, die hätte ich gerne noch zu Ende geführt. Andererseits war das auch so, als ich die Regierung übernommen habe. Ich musste manche Fragen klären, die die Vorgängerregierung nicht mehr geregelt hatte.

Ist da auch mal ein Kloß im Hals zwischendurch?

Der persönliche Zuspruch ist manchmal wirklich anrührend. Ich hätte nicht gedacht, dass das von so vielen Seiten kommen würde. Und das ist natürlich eigentlich ein riesiges Privileg, obwohl mir manchmal der Kopf schwirrt.

Der positive Zuspruch macht also den Abschied leichter. Können Sie mit Lob eigentlich gut umgehen?

Na ja. Wir norddeutschen Männer können mit Kritik besser umgehen als mit Lob. Die persönlichen Rückmeldungen von vielen Bürgerinnen und Bürgern berührt mich schon sehr. Das sind ja genau die Leute, für die ich gearbeitet habe. Politiker treten doch an, um etwas für die Menschen zu erreichen.

Bevor ich das vergesse, wir müssen kurz über ihre Setlist sprechen. Das Heeresmusikkorps Hannover spielt bei ihrer Verabschiedung das „Bürgerlied“, „Die Moorsoldaten“ und „Won’t Forget These Days“. Was ist denn das für eine Zusammenstellung?

Der Text vom Bürgerlied ist großartig und passt gerade wieder sehr gut in die Zeit. Das Lied ist im Vormärz entstanden, also vor der Revolution von 1848. Und es ist im Grunde ein Aufruf, dass alle zusammen aufstehen und anpacken sollen, unabhängig welchen Platz man in der Gesellschaft einnimmt. So einen Geist würde ich mir auch für das heutige Deutschland wünschen. Unsere Gesellschaft ist momentan vielerorts durchdrungen von einem tiefen Pessimismus. Aufstehen und anpacken, das ist aus meiner Sicht ein gutes Mittel gegen diese Depression.

Aber mit Friedrich Merz geht es doch jetzt ohnehin wieder aufwärts.

Mit der SPD in der Koalition geht es jetzt wieder aufwärts, meinen Sie? Aber egal, wir haben gerade eine Menge Gründe der neuen Bundesregierung viel Erfolg zu wünschen. 

Okay, sprechen wir lieber über das zweite Stück.

Das Lied „Die Moorsoldaten* ist für mich ein ganz wichtiges kulturelles Erbe in Niedersachsen. Es stammt aus dem KZ Börgermoor im Emsland. Die KZ-Häftlinge habe es dort gesungen. Ich finde es beeindruckend, wie sich diese Menschen unter schlimmsten Bedingungen ihre Würde und ihre Zuversicht bewahrt haben. Darum war mir dieses Lied ein Herzensanliegen. Zuversicht ist ebenfalls etwas, das auch wir uns bewahren sollten. Wir haben bekanntlich gerade damit zu tun, unsere Demokratie zu verteidigen. Und „Won’t Forget These Days* von den Furys ist dann noch einmal sehr persönlich. Das Stück bringt meine momentane innere Befindlichkeit gut auf den Punkt. In der engeren Auswahl war auch noch ‚Hello, Goodbye‚ von den Beatles.

Was machen Sie, wenn Sie am Dienstagabend nach Hause kommen?

Ich schätze, ich setze mich mit meiner Frau zusammen ins Wohnzimmer, sie macht sich einen Wein auf und ich mir ein Bier, und dann kommen wir ein bisschen zur Ruhe. Im Moment fühlt sich das alles noch eher surreal an. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, bin ich hoffentlich schon mehr in der neuen Realität angekommen. Ich freue mich auf diese neue Zeit. Nach dem Übergang geht es für mich erstmal eine Woche auf Segeltour. Und wenn ich dann wiederkomme, beginnt das Leben ohne 80-Stunden-Woche.

Also nach dem Übergang einmal kurz so richtig durchlüften und dann folgt der Start in den Unruhestand. Wie lange werden Sie Einladungen in Talkshows ausschlagen?

Ich gehe stark davon aus, dass ich keine Einladungen mehr bekommen werde.

Der Lanz klang ein bisschen so beim letzten Mal, als wäre die nächste Einladung schon raus.

Normalerweise gilt in der Politik der Grundsatz: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich glaube, das passiert auch ratzfatz. Da sollte man sich nichts vormachen. Abgesehen davon ist aber auch fraglich, ob man sich als ehemaliger Politiker noch ständig zu Wort melden sollte.

Wir haben schon einmal darüber gesprochen, dass Sie es nicht so sympathisch finden, wenn sich ehemalige Politikerinnen und Politiker ständig von der Seitenlinie mit guten Ratschlägen einmischen. Von der Sorte haben wir ja ein paar in Deutschland. Sie werden darauf verzichten?

Ich nehme mir zumindest vor, darauf zu verzichten.

Wobei es für mich auch ein bisschen auf den Zwischenrufer ankommt. Ich fand zum Beispiel die Initiative von Peer Steinbrück gar nicht so schlecht.

Im Gegenteil, ich finde die Vorschläge von Steinbrück, de Maizière, Voßkuhle und Jäkel sehr gut. Was sie vorschlagen, ist ja eine echte Staatsreform. Ich würde das meiste sofort unterschreiben. Aber das meine ich nicht mit den Seitenrufen. Es spricht nichts dagegen, sich mit seiner Expertise weiter einzubringen. Und es spricht auch nichts dagegen, gelegentlich Politik zu erklären. Aber es spricht eine Menge dagegen, es innerhalb der Tagespolitik von der Seitenlinie ständig besser zu wissen. Mich hat das immer genervt und ich habe die gute Absicht, mich daran nicht zu beteiligen. Den Gedanken, sich konstruktiv einzubringen, finde auch ich durchaus sympathisch. Und genau das war ja auch der Ansatz von Steinbrück und Co. So etwas kann man vielleicht auch nur im Ruhestand machen, weil man nicht zwischen allen Stühlen sitzt und 1000 Interessengruppen an einem zerren. Ich finde, das ist eine sehr kluge Initiative, der man nur sehr viel Erfolg wünschen kann.

Ich finde ja den Gedanken ganz spannend, dass sich ehemalige Politikerinnen und Politiker zusammenschließen, vielleicht zu einem Think-Tank der Altgedienten.

Sie meinen so eine Art Senat?

Ich würde mir einfach ein paar integre, ernsthafte Menschen über alle Parteien hinweg wünschen, die mit Haltung und ohne Populismus gelegentlich den Jüngeren mahnend die Hand auf die Schulter legen. Und zum Beispiel einem Jens Spahn sagen, was geht und was man besser lassen sollte.

Darüber machen sich in der Union gerade in der Tat einige Besonnene echte Sorgen. Es hat ja leider innerhalb der CDU eine fundamentale interne Veränderung gegeben. Der soziale Flügel und der liberale Flügel spielen faktisch keine Rolle mehr. Das beeinflusst auch die Positionierung der CDU im Parteiengefüge. Aber zurück zu ihrer Senat-Idee. Ich stehe dem mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Es ist ja nicht so, dass man mit dem Alter weniger redet. Und peinlicherweise vor allem gerne über frühere eigene Verdienste. Insofern stelle ich mir eine solche Runde von Altgedienten ziemlich anstrengend vor. Und schon deshalb möchte ich mich einstweilen an so etwas nicht beteiligen. Wertvolle Erfahrungen müssen ja dennoch nicht verloren gehen. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat ist wirklich ein rühmliches Beispiel dafür, wie man es gut macht. Man hat aus der Summe der Erfahrungen in sich konsistente Vorschläge für die Gegenwart erarbeitet, nicht ohne einen kritischen Blick auf die eigene Arbeit und ohne Besserwisserei. Es wäre wünschenswert, wenn das Schule machte.

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Gründungsstrecke Juni 2025: Fühl & Tanz

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Gründungsstrecke Juni 2025: Fühl & Tanz


Wer Lisa Schade begegnet, spürt sofort, wie viel Leidenschaft in ihrer Arbeit steckt. Ihr im Mai 2023 gegründetes „Fühl & Tanz Studio“ in Hannover ist mehr als ein Ort für Choreografien – es ist ein Raum für Persönlichkeitsentwicklung, für das Loslassen, für Verbindung und Selbstannahme. „Das Tanzen hat mir geholfen, Selbstvertrauen aufzubauen, meinen Körper zu spüren und mich auszudrücken“, erzählt Lisa. Diese Kraft der Bewegung möchte sie heute an andere Frauen weitergeben.

Schon als Jugendliche war das Tanzen Lisas große Leidenschaft. Bereits mit elf Jahren begann sie, an Meisterschaften teilzunehmen, und mit vierzehn leitete sie erste Kindertanzkurse. Trotz ihrer Erfolge plagte sie damals große Unsicherheit: „Ich war sehr schüchtern und habe mich in der Schule kaum getraut, mich zu melden – aus Angst, etwas Falsches zu sagen.“ Das Tanzen wurde ihr Weg zu mehr Selbstbewusstsein.

Nach ihrer Ausbildung zur ADTV-Tanzlehrerin schien der Berufsweg klar – bis ein Bandscheibenvorfall alles veränderte. Vollzeit in einer klassischen Tanzschule zu arbeiten, war plötzlich keine Option mehr. „Die Selbstständigkeit wurde für mich zur Chance, das Tanzen auf meine eigene Art weiterzugeben“, sagt Lisa heute. Statt Leistungsdruck und feste Strukturen bietet ihr Studio Leichtigkeit, Intuition und ein bewusst geschütztes Umfeld.

„Ich wollte einen Ort schaffen, an dem Frauen sich selbst begegnen, ihre Stärke entdecken und gemeinsam wachsen können – jenseits von Perfektion, dafür mit viel Gefühl und echter Verbindung.“ Deshalb richtet sich ihr Angebot ausschließlich an Frauen – vom energiegeladenen Workout bis zur sinnlichen Ladysalsa, immer mit Spaß im Mittelpunkt. „Bei mir gibt es keine Bekleidungsvorschriften: Jede trägt das, worin sie sich wohlfühlt – ob High Heels oder Turnschuhe.“

Das Studio ist nicht nur ein Kursort, sondern ein Ort der Gemeinschaft. „Ich bin immer auf der Suche nach neuen Ideen und Formaten, um Frauen zu vernetzen und eine lebendige, unterstützende Community zu schaffen.“ Neben 10 bis 15 wöchentlichen Kursen bietet Lisa auch Workshops, Events und eine kleine Wohlfühlmode-Kollektion an.

Das Konzept spricht Frauen und Mädchen aller Altersgruppen an – von vierjährigen Tanzanfängerinnen bis zu Seniorinnen. „Ein Tanzpartner ist nicht erforderlich – bei uns tanzen wir ganz für uns selbst.“ Für viele Frauen ist das ein Befreiungsschlag. „Bewegung zur Musik entfaltet eine ganz eigene Kraft. Sie löst Verspannungen, baut Stress ab und schenkt neue Leichtigkeit.“

Trotz ihrer Eigeninitiative suchte Lisa nach einiger Zeit gezielt nach externer Unterstützung – und fand sie bei hannoverimpuls. „Ich wusste sehr genau, was ich wollte – und war quasi meine eigene beste Kundin. Aber es tauchen immer wieder Fragen auf, bei denen ein neutraler, externer Blick äußerst wertvoll ist.“

In Kristina Ebel, Projektleiterin des Gründerinnen-Consults bei hannoverimpuls, fand Lisa eine starke Partnerin. „Die Gespräche mit ihr sind für mich enorm wertvoll. Häufig ging es um ganz praktische Themen wie Kalkulationen: Was brauche ich, um andere Trainerinnen zu beschäftigen? Ab wann lohnt sich ein Kurs wirtschaftlich?“ Lisa schätzt die Mischung aus Sachlichkeit und mentaler Unterstützung sehr.

Kristina Ebel bestätigt: „Lisa ist das beste Beispiel dafür, dass es nie zu spät ist, mit uns in Kontakt zu treten. Auch eineinhalb Jahre nach der Gründung tauchen noch viele Fragen auf, für die wir gemeinsam Lösungen finden.“

Für andere Gründer*innen hat Lisa eine klare Botschaft: „Nimm dir selbst die Angst – und geh einfach los. Das nötige Wissen eignet man sich mit der Zeit fast automatisch an, vor allem, wenn man sich traut, ins kalte Wasser zu springen. Vertraue deinem Bauchgefühl und hab keine Scheu, Fragen zu stellen – am besten so viele wie möglich.“

Kontaktdaten:

Fühl & Tanz Studio

Lisa Schade

Adolf-Emmelmann-Straße 7

30659 Hannover

Mail: tanzen@lisaschade.de

www.fuehlundtanz.de

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Literarisches: Inga Wolter

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Literarisches: Inga Wolter


Ein viraler Tanz, der die Welt in Bewegung versetzt. Eine Frau, die mit 40 Jahren das Rampenlicht betritt. Und eine Autorin, die sich auf Reisen einen Kindheitstraum erfüllt. Inga Wolters Debütroman „Der gestohlene Tanz“ ist ein Plädoyer für Neuanfänge, Sichtbarkeit und die Kraft des Kollektivs – erzählt mit Leichtigkeit und tänzerischer Energie.

Die Geschichte beginnt mit einem Bruch: Vanessa, die sich ein Leben am Rand der Gesellschaft eingerichtet hat, wird an ihrem 40. Geburtstag von einer überraschenden Begegnung aus der Reserve gelockt. Ein rätselhafter, fesselnder Tanz geht weltweit viral und verändert alles. Auch für Vanessa. Sie wird Teil einer Tanzgruppe, steht plötzlich selbst auf der Bühne und macht sich auf die Suche nach dem Ursprung des mystischen Tanzes. Die Reise führt sie nicht nur in neue soziale Räume, sondern auch zu sich selbst. Für Inga Wolter war der Roman eine Herzensangelegenheit – und ein Reiseprojekt. Als Journalistin kündigte sie ihren Job, um mit ihrem Mann ein „wildes Jahr“ quer durch Europa zu verbringen. „Schon als Kind wollte ich ein Buch schreiben“, erzählt Wolter im Interview. „Die Idee war da, die Zeit plötzlich auch – und ich habe sie genutzt.“ Unterstützung bekam sie von ihrer Community: Auf Instagram durften Follower*innen Wünsche für den Roman äußern. Ein Haus am Strand etwa, das es tatsächlich in die Handlung geschafft hat. Dass Tanz im Zentrum der Geschichte steht, kommt nicht von ungefähr. Wolter hat selbst eine Multimedia-Serie über das Tanzen produziert, zahlreiche Stile ausprobiert und schwärmt vor allem für den Orientalischen Tanz. Ihre persönlichen Erfahrungen und Recherchen fließen spürbar in die Erzählung ein – von der Atmosphäre einer Tanzgruppe bis zur Euphorie gemeinsamer Bewegung. Inspirationsquellen waren Flashmob-Videos, virale Hypes oder auch die ägyptische Literaturwissenschaftlerin Mona Prince, die durch Tanzen politisch provozierte. Vanessa, die Protagonistin, ist eine trans Frau, die durch den Tanz zu neuer Stärke findet – eine bewusste Entscheidung der Autorin. „Der gestohlene Tanz“ erzählt von Wandel, Sichtbarkeit und der Kraft kollektiver Bewegung. Neben Vanessas Geschichte gibt es zwei weitere Erzählstränge: einen ägyptischen Gefängniswärter zwischen Tradition und Aufbruch, sowie eine junge Schmuckdesignerin auf Hawaii. Alle drei Figuren eint der Wunsch nach Veränderung und Selbstermächtigung jenseits gesellschaftlicher Normen. Wolter versteht ihr Buch durchaus als feministisch – „aber es geht auch um Vielfalt, um Verbindungen zwischen Menschen, unabhängig von Sprache, Herkunft oder Geschlecht.“ Tanz ist für sie mehr als Bewegung: „Im Tanz offenbaren wir unsere Persönlichkeit, zeigen, wer wir wirklich sind – wie beim Schreiben übrigens auch.“ Dass ihr Roman von manchen Leser*innen als Utopie gelesen wird, sieht die Autorin als Kompliment. „Der gestohlene Tanz“ entwirft die Vision einer offenen, solidarischen Welt, in der kollektives Erleben über Einzelinteressen hinausweist. „Die große Show kann nur entstehen, wenn wir gut zusammen tanzen.“ Und wie geht es weiter? Wolter plant bereits ihr zweites Buch – wieder mit utopischen Zügen. Bis dahin tanzt sie weiter durchs Leben, schreibt Texte für andere – und erinnert uns daran, dass Veränderung möglich ist. Auch mit vierzig. Oder fünfzig. Oder heute.

Selfpublished via tolino media, 220 Seiten, 11 Euro

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