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Der Freundeskreis im Gespräch im November

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Der Freundeskreis im Gespräch im November


Interview des Freundeskreis Hannover am 07.10.2022 mit Kerstin Berghoff-Ising und Dr. Heike Schmidt

In diesem Monat unterhalten wir uns mit Kerstin Berghoff-Ising (KB), der Vorständin der Sparkasse Hannover und Dr. Heike Schmidt (HS), der Chefredakteurin der nobilis. Sie sind beide Mitglieder des Freundeskreis e.V. und sprechen mit uns über den Umgang mit Krisenzeiten und den potenziellen Konsequenzen.

Beginnen wir damit, dass ihr euch vorstellt: Wer seid ihr und was macht ihr?

KB – Ich bin Kerstin Berghoff-Ising. Ich lebe schon mein Leben lang in der Region Hannover, arbeite bei der Sparkasse als Vorständin und bin zuständig für das Personal, für die Orga, die IT und für das Privatkundengeschäft. Ich bin verantwortlich für den gesamten Personalbereich und Themen wie Mitarbeiterbindung, Mitarbeiterentwicklung und Arbeitgeberattraktivität. Das bedeutet unter anderem, dass ich dafür sorge, dass innerhalb einer Sparkasse sowohl für die Kundinnen und Kunden als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles reibungslos abläuft.

HS – Mein Name ist Heike Schmidt. Ich komme nicht aus der Region Hannover, wohne aber schon lange hier. Ich stamme aus dem schönen Weserbergland in der Nähe von Porta Westfalica, bin als Studentin hierhergekommen und habe ganz klassisch Germanistik und Geschichte studiert. In Geschichte habe ich promoviert, anschließend bei der HAZ volontiert und war dann lange dort tätig. Seit vier Wochen bin ich Chefredakteurin der nobilis. Die nobilis gibt es seit 40 Jahren in Hannover und ich glaube, sie ist inzwischen der Titel schlechthin, wenn man etwas über die schönen Dinge lesen möchte. Sie ist konkurrenzlos – so eitel bin ich jetzt mal – das Hochglanzmagazin für Hannover und in Hannover. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, nicht nur in der Stadt präsent zu sein, sondern auch Gesprächsthemen anzumoderieren und zu schauen, wo die Interessen der Menschen liegen. Da haben wir mit dem Freundeskreis e.V. tatsächlich ein Stück weit eine Gemeinsamkeit.

Wo wir gerade beim Freundeskreis sind: Wie kam es denn jeweils zu der Entscheidung, sich dort zu engagieren oder mitzumachen?

KB – Zum Freundeskreis bin ich beruflich als aktives Mitglied der Sparkasse gekommen und habe dort auch eine Zeit lang im Vorstand mitgearbeitet. Ich bin einfach davon überzeugt, dass es Menschen in unserer Stadt geben muss, die sie für uns Bürgerinnen und Bürger lebens- und liebenswert erhalten – und dazu gehört auch das Miteinander und ein offener Dialog.

HS – Ich bin über die Kunst und Kultur zum Freundeskreis gekommen, als mich der Finanzvorstand des Landesmuseums darauf angesprochen hat.

Dass es hier lebenswert bleibt … Ist das eine Frage, die in der letzten Zeit dringlicher geworden ist?

KB – Durch den Lockdown konnten viele Kulturinstitutionen nicht besucht werden. Leider sind die Besucherzahlen auch heute noch  weit unter dem Niveau vor der Pandemie. Ich bin privat Schauspiel- und Opernhausgängerin und die Häuser sind einfach nicht voll. Am Anfang hatte es sicherlich den Grund, dass man noch Angst vor der Pandemie und der Ansteckungsgefahr hatte. Wir laufen jetzt aber gerade in eine Situation, in der es möglicherweise auch etwas mit den finanziellen Möglichkeiten der Menschen zu tun hat. Wenn dadurch ganze Institutionen infrage gestellt werden, dann wird das mittelfristig auch Konsequenzen für die Lebensqualität in unserer Region haben.
HS – Das kann ich nur unterstützen, denn ich war am Samstag in der Oper und habe mich erschreckt. Es war wirklich toll gemacht, aber es war nicht voll. Wenn das dem großen Opernhaus schon so geht, wie soll es dann den ganzen kleinen Theatern gehen, die Hannover ausmachen und so liebenswert machen? Jetzt ist Corona vorbei – oder man glaubt es zumindest –, aber die Leute halten wirklich das Geld zusammen, weil es auf anderer Ebene schwierig wird.

Es ist also vor allem die finanzielle Lage, die dafür sorgt, dass die Leute zu Hause bleiben? Es gab ja auch vielfach die Befürchtung, die Leute hätten es verlernt, auszugehen.

KB – Ich glaube schon, dass da etwas dran ist. Man ist vielleicht auch bequem geworden, weil es abends so nett zu Hause ist; oder man ist im Home Office und geht gar nicht erst raus. Aber ich glaube, dieses Thema um finanzielle Sorgen und die Frage, was noch auf uns zukommt, ist noch gewichtiger. Ich würde es gut und wichtig finden, wenn wir gemeinschaftlich mit allen, die die Möglichkeiten haben, Geld zu geben, versuchen, diese Institutionen für unsere Stadt zu erhalten. Umso wichtiger ist es, dass viele Mitglieder auch Fördermitglieder sind. In Hannover gab es ja mal so eine Kultur in den 1920er-Jahren, in der die Bürger*innen das auch geschafft haben.
HS – Die Kestner Gesellschaft wurde ja beispielsweise zu Krisenzeiten gegründet und war durchaus eine Säule in der Stadt. Das ist sie ja heutzutage noch immer. Das ist tatsächlich eine sehr interessante und auch hochaktuelle Gründungsgeschichte, weil sie einfach für Mut in der Kultur steht. Ich glaube, das macht Hannover aus. Und die Kunst- und Kulturszene ist hier sehr ausgeprägt, auch durch die Kleinen.

Die Krise trifft ja auch andere Städte: Steht man in Hannover vielleicht etwas besser da, weil die Fülle der Kunst- und Kulturszene dazu führt, dass man – etwas zynisch gesprochen – etwas mehr hat, wovon jetzt ein Teil wegzubrechen droht?

KB – In unseren Generationen hatten wir das Glück, dass wir ausschließlich in Frieden gelebt haben und die Menschen, die jetzt hierherkommen – egal woher –, schon ganz andere Erfahrungen in ihren Leben machen mussten. Wir hatten das große Glück, dass unsere Eltern diesen Frieden ermöglicht haben und wir ihn auch leben dürfen. Darüberhinaus leben wir in einem stabilen sozialen Rahmen, der uns unser Leben so ermöglicht. Jetzt erkennen wir – und das macht vielen Sorgen –, dass wir auch auf etwas werden verzichten müssen. Ich wünsche mir, dass wir alle mehr Zuversicht haben und wissen, dass wir diese wirtschaftliche Situation durchstehen können, wenn wir zusammenstehen.

HS – Das ist fast eine philosophische Frage. Es ist immer die Perspektive, die man sehen muss. Wenn ein Kind hinfällt und sich das Knie aufschlägt, kann man ihm nicht sagen, das sei nicht schlimm; denn für das Kind ist es schlimm. Das ist ein persönliches Empfinden eines jeden Einzelnen – und da kann ich mich ja nicht drüber stellen. Der Punkt bei den Krisen ist, dass durch Ungewissheiten Ängste entstehen: So funktioniert im Grunde jeder Edgar-Wallace-Film: Irgendwo steigt Nebel auf, man sieht nicht, was kommt – und dann kommt der Schreckmoment. Wenn es aber bestimmte Strukturen gibt, die man logisch nachvollziehen kann, dann kann man sich darauf einstellen – und dann ist die Unsicherheit nicht so groß. Wenn man also sehen würde, wie so ein Edgar-Wallace-Film gedreht wird, wäre einem klar, dass man keine Angst haben muss. Wenn ich also dafür sorge, dass es Strukturen gibt, die man verstehen kann, dann nehme ich den Menschen so ihre Angst. Dann ist es nicht mehr ungewiss und das Thema bekommt Kontur und eine Kontur kann man greifen.

Es steigen ja nicht nur die Energiepreise, sondern nahezu alles wird teurer, es steigen z. B. auch die Papierpreise. Wie sieht die Situation bei euch aus?

HS – Für den Papiereinkauf bin ich selbst nicht zuständig, aber ich weiß, dass im April dieses Jahres die Papierpreise auf das Dreifache gestiegen sind. Gleichzeitig sinken die Auflagen der Tageszeitungen – und es ist weniger Altpapier im Umlauf.

Wenn der Preis steigt und gleichzeitig auf lange Sicht für alle Bürger*innen die Preise steigen, befürchtest du, dass die Leute weniger dazu bereit sind, Geld für ein Magazin auszugeben?

HS – Ich denke, dass die Menschen weiterhin ein Magazin lesen werden. Das glaube ich ganz bestimmt. Ich denke, dass sie das eher lesen werden als eine Tageszeitung, denn wir haben Hochglanzpapier, wir haben eine längere Verweildauer auf den Tischen, wir sind ein Monatsmagazin. Meine Aufgabe ist es auch tatsächlich, das so hochwertig und so schön zu gestalten, dass die Leute da gerne reingucken. Ich muss natürlich dazu spannende Geschichten erzählen, die die Leute gerne lesen wollen. Wenn ich das noch mit Service verknüpfen kann, umso besser. Ich versuche, einen Mehrwert zu bieten. Nicht nur einfach eine Geschichte, sondern die Leser*innen sollen auch was davon haben. Deswegen glaube ich, das Magazin wird schon weiterhin gelesen.

Der Ausblick in die Zukunft ist also optimistisch?

HS – Total.

Die Sparkasse selbst wird sich vermutlich auch keine Sorgen machen müssen. Wie blickst du auf die Zukunft der Kunden?

KB – Wir werden jetzt im nächsten Jahr 200 Jahre alt , ein echtesTraditionsunternehmen. Wir sind ein Institut, das mit seinen Kundinnen und Kunden durch dick und dünn geht und von daher bin ich mir sehr sicher, dass wir auch noch in fünf oder zehn Jahren die Sparkasse Hannover haben werden. Auch, weil wir uns Gedanken machen, wie wir attraktiv bleiben können. Wir gründen zum Beispiel gerade ein Beratungscenter für Nachwuchskunden, in dem sie sich ausschließlich online von uns beraten lassen können. Wir haben eine Sparkassen-App, in der man sich digital quasi alles selbst organisieren kann, und haben dann den Mehrwert, dass, wenn man eine Finanzentscheidung treffen will, man das auch ausschließlich online machen kann. Das ist für Menschen zwischen 18 und 30 und ich bin sicher, dass wir so auch noch mindestens 300 Jahre alt werden.

Früher gab es ja gelegentlich Unmut über Online-Banking, Filialschließungen und schwindende Kontoauszugsautomaten. Hat sich das verändert?

KB – Als Sparkasse Hannover – das gilt natürlich auch in der gesamten Bankenbranche – haben wir uns beim Thema SB-Bereich so organisiert, dass die Kunden sehr vieles online erledigen können. Daneben bieten  wir tagtäglich persönliche Beratungen in der Zeit von 9 Uhr bis 19 Uhr an. Mit Blick auf die Menschen der jüngeren Generation, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist, stellt sich  die Frage: Wie wollen sie beraten werden und wie wollen sie mit ihrem Finanzberater in Kontakt treten? Das haben wir unsere Kundinnen und Kunden gefragt – und die Rückmeldung bekommen, dass ein medialer Zugang großartig wäre, weil sie dann entscheiden können, wann und wo die Sparkasse für sie da ist. Übrigens, quer durch alle Altersgruppen. Es ist ein Trend beziehungsweise ein Kundenwunsch und denen erfüllen wir.
HS – Ich glaube auch, dass das funktioniert, weil – ich kann da nur von mir reden – ich ja schon genervt bin, wenn ich einen Beleg habe, den ich bei der Krankenkasse einreichen muss, und die App nicht funktioniert. Das wird gescannt und dann ist es weg und dann muss ich mich nicht noch um den Umschlag und die Briefmarke und das alles kümmern. Ich glaube, das ist tatsächlich ein Modell, das Zukunft hat.
KB – Es ist ja auch nicht so, dass wir dadurch Menschen ersetzen. Die Berater sind ja weiterhin da, nur der Zugang zu ihnen ist anders.

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Alltagsbegleitung

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Alltagsbegleitung


Alltagsbegleitung

 

Es kann jeden treffen: Überraschend oder nach langer Anbahnungsphase nimmt das selbstbestimmte Leben ein Ende und man ist pflegebedürftig, lebt womöglich gar im Pflegeheim.
Wer dann kein Umfeld hat, das mehrfache Besuche pro Woche ermöglichen kann, profitiert mitunter sehr von Alltagsbegleiter*innen.
Eine solche ist Birgit Weise …

Lange arbeitete Weise als Bänkerin. 2009 kam es zum Burnout, ein zweiter zeichnete sich ab, 2011 stieg sie aus dem Beruf aus. Zu jung, um nur zuhause zu sitzen, fiel ihr auf der Jobmesse ein Stand zu Pflege und Alltagsbegleitung auf – und das Arbeitsamt stimmte zu, die Kosten für eine Qualifizierung als Alltagsbegleiterin zu übernehmen.
Für Weise stand aber fest: „Bevor die das machen, gehe ich erst einmal selber los und prüfe, ob das was für mich ist.“
Also machte sie ein Praktikum, sammelte noch in einem weiteren Haus Erfahrungen und machte dann die Qualifizierung. „Ich hatte das Glück, einen sehr guten Ausbilder gefunden zu haben, das war WBS Training, die gehörten zum Klett-Verlag und hatten sehr gute Dozenten“, erinnert sie sich.
Und die Qualifizierung habe eben auch nicht 6 Wochen, sondern gleich 6 Monate gedauert.

In der ersten Einrichtung, in der sie dann als Ehrenamtliche tätig war, blieb sie nicht lange: „Dort hat man mich nach einem Jahr rausgeschmissen – sicher auch eine steile Karriere für eine Ehrenamtliche.“ Aber sie habe eben nie mit ihrer Meinung zurückgehalten, wenn ihr etwas negativ aufgefallen ist: schließlich haben Pflegeheimbewohner*innen, abgesehen von Angehörigen, keine Lobby.

Sie arbeitete dann in mehreren Häusern je 14 Tage zur Probe: Mehrheitlich schien ihr unter dem Motto „sauber/satt/trocken“ gearbeitet zu werden, wobei sie durchaus weiß „dass Pflegekräfte oft hin- und hergerissen sind zwischen dem, was sie eigentlich machen möchten, und dem, was sie wirklich machen können.“
Geblieben ist sie dann im Friedrich Rittelmeyer-Haus, einer anthroposophisch ganzheitlich orientierten Einrichtung, wo sie in der Probezeit die Berücksichtigung der Bewohnerbedürfnisse und die Atmosphäre schätzte: „Das ist hier wirklich anders, dass z. B. Bewohnern mit abweichenden Tagesrhythmen die Möglichkeit gegeben wird, etwa noch um 10.30 Uhr Frühstück zu essen.“ Zudem kenne sie kein anderes Haus, das mit vergleichbar vielen Ehrenamtlichen arbeitet.

Zweimal pro Woche betätigt sich Weise hier – wenn auch seit Corona im Freien, im Rahmen von Spaziergängen etwa. Zuvor ging sie mit Bewohner*innen unter anderem die Speisepläne durch: Je nach demenzieller Veränderung müssen dabei die auszuwählenden Speisen ausführlich umschrieben werden, weil etwa die Info „Cordon bleu“ nicht mehr begriffen werde. Mitunter greift Weise dabei auf ihr Smartphone zurück, um passende Bilder zu präsentierten, „weil manche das visuell eher zuordnen können als verbal.“ Letztlich gehe es ja nicht nur darum, den Speiseplan auszufüllen, sondern auch darum, den sozialen Kontakt herzustellen.

Auch Sterbenden leistete sie nach einem Sterbebegleitungskurs Gesellschaft: ein Thema, das man gerne verdrängt. Dabei habe die Qualifizierung nicht nur bewirkt, dass Weise auf Bedürfnisse Sterbender eingehen kann, sondern auch ihren eigenen Umgang mit dem Tod beeinflusst und sie auf das Ableben des Vaters vorbereitet.
Weise übernahm zudem noch die Anleitung zum Sitztanz, für den sie sich ebenfalls qualifizierte: Dabei lassen sich „mit der Kombination aus Musik und Bewegung die Leute ganz oft aus ihrer Lethargie rausholen. Und manch einer macht womöglich nicht mit, aber man sieht an seinem Gesicht, dass sich etwas verändert. Ich hatte auch einer Bewohnerin, die Tänzerin war, einen Solotanz ermöglicht: Das fanden die Leute, die drumherum saßen, auch toll. Die haben ganz große Augen gehabt und es genossen, jemanden zu sehen, der sich harmonisch zur Musik bewegt.“
Die Freude in den Gesichtern ist es dann auch, die ihr so viel zurückgibt: „Es ist ja nicht nur so, dass ich etwas Gutes tue – mir wird auch etwas Gutes getan.“
Zugleich macht Weise deutlich, dass man dafür auch Stabilität benötigt: „Für jemanden, der ein Helfersyndrom hat oder unter Problemen leidet, ist das nichts.“ Sinnvoll sei es zudem, am Anfang einer solchen Tätigkeit erst einmal mit einer bereits erfahrenen Person mitzulaufen, um mit den möglichen Wesensveränderungen bei demenziell veränderten Menschen Erfahrungen zu sammeln. Schließlich kann es auch einmal vorkommen, dass man von einer solchen Person beschimpft wird – weil durch Stimme oder Haarschnitt unglückliche Erinnerungen ausgelöst werden. „Das darf man nicht persönlich nehmen. Wenn es mit jemandem dauerhaft nicht geht, sollte man das im Haus ansprechen. Das kann man als Ehrenamtliche.

Für Pflege- und Betreuungskräfte ist die Situation schwieriger, die können sich nicht immer rausziehen.“ Entsprechend ärgerlich macht sie der Pflegemangel, den auch sie nicht ganz ausblenden kann.

Es sei sehr ärgerlich, dass das Thema schon so lange bekannt ist – und gefühlt sei dann politisch ewig nichts passiert.

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Der besondere Laden: Christels Puppenstube

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Der besondere Laden: Christels Puppenstube


Christels Puppenstube

Es gibt wohl kaum jemanden in Hannover, der so viel über Puppen weiß wie Christel Bechter. Seit 2006 restauriert, schneidert und flickt sie in der Podbielskistraße in der List mit ruhiger Hand Puppen, Puppenkleidung und geliebte Kuscheltiere.

Die Geschichte von Christels Puppenstube beginnt mit Handwerkern auf ihrem Dachboden. Hier hatte sie eine schön verpackt Puppe gelagert, die sie aber bei Beginn von Bauarbeiten in ihre Wohnung rettete. „Ich habe mir die Puppe geschnappt, mit in die Wohnung genommen und schön auf der Couch dekoriert.“ So entdeckt sie ihre Begeisterung für Puppen wieder und beginnt „ein paar schöne“ Puppen zu sammeln. „Und dann war die Couch langsam voll. Da hat mein Mann geschimpft – der konnte sich gar nicht mehr hinlegen“, erzählt Christel Bechter lachend.

Eine andere Lösung musste her. Am 15. März 2006 eröffnete sie in der Podbielskistraße 150a ihre Puppenstube. Ob Schildkröt-Puppen, Hummel-Puppen, Zapf-Puppen oder Künstlerpuppen von Götz – Christel Bechter haucht alten Puppen neues Leben ein. Bechter kennt sich aus mit den verschiedenen Materialien, kommt auch dann an Ersatzteile ran, wenn die produzierende Firma längst nicht mehr produziert und weiß genau, wie sie es schafft, ihren kleinen Patienten neuen Glanz zu verleihen.

Wie lange eine Reparatur dauert, ist sehr unterschiedlich. „Das kommt immer darauf an, was für einen Schaden sie hat“, erklärt Bechter. Ob ausgerissene Arme und Beine, ein kaputter Körper oder ein Loch im Kopf – sie nimmt sich der Sache mit ruhiger Hand an. Nur die Puppen von BABY born haben es ihr nicht angetan: „Ich bin gegen diese BABY born Puppen, weil sie nicht zu reparieren sind. Das ist unmöglich.“ Nebenher schneidert sie auch Kleider für die kleinen Geschöpfe oder flickt das vom Hund zerfetzte Kuscheltier.

Auf 15 Quadratmetern finden sich in Christels Puppenstube die verschiedensten Ausführungen der kleinen, zierlichen Schönheiten, die sich fast bis unter die Decke türmen. Wie viele Puppen in Christels Puppen ein Zuhause gefunden haben, bleibt ungeklärt. „Ich habe noch nicht gezählt“, erklärt sie lachend.
Unter den zahllosen Puppen steht auch Inge – eine ganz besondere Puppe für Frau Bechter. „Inge ist durch die Kriegsjahre mitgekommen. Die habe ich immer mit in den Keller geschleppt, wenn Fliegeralarm war, wenn es eben gefährlich wurde. Die habe ich nicht aus den Augen gelassen!“
Wie für Frau Bechter haben die Puppen auch für die Kund*innen oft einen hohen emotionalen Wert. Umso größer ist die Freude, die restaurierte Puppe wieder in den Armen halten zu können. Der Moment, wenn Kund*innen ihre fertigen Puppen abholen, sei ein ganz besonderer, meint Bechter. „Ich sage erstmal gar nichts und setzte die Puppe einfach hin, dass sie sie beobachten können. Die stehen dann erstmal da und sind ganz begeistert“, erzählt sie. „Die ist dann praktisch wie neu!“ Doch auf ihrer Coach zu Hause kann ihr Mann trotzdem immer noch nicht liegen – „weil ich die ganzen Reparaturen da liegen habe“, lacht Christel Bechter.

Jule Merx

Christels Puppenstube
Podbielskistraße 150 a, 30177 Hannover
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-13 Uhr und 15-18 Uhr
www.christels-puppenstube.de
0160 92102537
bechterchristel@gmail.com

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Ein offener Brief an Friedrich Merz

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Ein offener Brief an Friedrich Merz


Lieber Friedrich,

weiter so! Wie hat Uli Hoeneß neulich so schön gesagt, als es auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern um den Sponsorenvertrag mit Katar ging: „Das ist der Fußballclub Bayern München und nicht die Generalversammlung von Amnesty International.“
Genau das gilt natürlich auch für die CDU.
Schluss jetzt mit der falschen Zurückhaltung, im Herbst 2025 stehen die nächsten Bundestagswahlen an, in dem Jahr wirst du 70, es muss also klappen mit der Kanzlerschaft, sonst wird die Zeit knapp.

Und das hast du jetzt ganz offensichtlich verstanden. Draufhauen ist angesagt. Spalten. Diffamieren. Rechte Haken setzen. Schluss mit lustig!
Wichtig ist, jetzt zu fokussieren.
Worum muss es künftig gehen? Richtig, es muss darum gehen, dass Deutschland in den nächsten Monaten und Jahren bis zur Wahl nur noch schlecht funktioniert. Darum ist das Gebot der Stunde, möglichst alles mies zu finden, was die Regierung fabriziert. Und das bekommst du schon ganz wunderbar hin. Zweifeln, Misstrauen sähen, destruktiv sein, den Teufel an die Wand malen.
Sollen sie ruhig richtig Angst bekommen, die kleinen Menschlein, und auf der Straße ihre Wut herausbrüllen, das steigert den Druck auf die Ampel. Und genau dann machen die Fehler. Du kennst das Spiel.
Und für den guten Zweck darf man sich jetzt auch ruhig ein bisschen Inspiration von der AfD holen. Den Geflüchteten aus der Ukraine Sozialtourismus vorzuwerfen, war jedenfalls schon mal ein Volltreffer. Man muss halt wissen, wie man die Menschen abholt.
Es ist jetzt ganz wichtig, nicht wieder weich zu werden. Spiel die richtigen Karten aus. Streich das leidliche C aus deinem Kopf und hau drauf! Du hast alle Trümpfe in der Hand.
Die Zeiten werden schlechter, gleichzeitig kommen mehr Flüchtlinge, das passt. Werden die sich an unserer Kultur orientieren? Werden sie Deutschland voranbringen? Oder werden sie nur Geld kosten? Ja, du musst jetzt unbedingt die richtigen Fragen stellen. Und dabei unterschwellig gerne ein bisschen diskreditieren und hetzen.
Und lass bloß die Fakten beiseite, niemand interessiert sich für die komplizierte Wahrheit. Mach es den Leuten möglichst leicht.

Und du darfst natürlich auf keinen Fall vergessen, jetzt demnächst mal so ganz nebenbei zu erwähnen, dass nicht alles, was die AfD sagt, immer falsch sein muss. Dass es in deren Reihen durchaus auch den einen oder anderen klugen Kopf gibt.
2024 wird in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt, vielleicht kann man sich bei der Gelegenheit schon mal an neue denkbare Mehrheiten herantasten. In Schweden und Italien funktioniert das doch auch …
Also, immer schön hart und unfair bleiben – wir sind Fan, unsere Stimme hast du im Sack!

Foto: Tiago Sierra sierratds / Pixabay.com

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El Kurdis Kolumne im November

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El Kurdis Kolumne im November


Mussolinis neue Flamme

Unter den Rechtsradikalen und Rechtsextremen gibt es zwei Phänotypen:
Zunächst ist da die kleinere Gruppe, deren Mitglieder es sexy finden, sich offen zu ihrer Haltung zu bekennen, und die darauf bauen, dass es ihrer Anhängerschaft ebenso geht. Hierzulande lässt sich diese Klientel gerne mal „Hergestellt in Deutschland“ oder „88“ in den Nacken tätowieren, trägt T-Shirts mit dem ans Hakenkreuz erinnernde „Sonnenrad“ oder mit der Konsonantenansammlung „HTLR“ und skandiert bei Demos „Frei, sozial und national“.
Klassische Nazis eben.
Und dann gibt es die Anderen, die Erfolgreichen: Bei uns heißen sie AfD, in anderen Ländern Sverigedemokraterna, FPÖ, Fratelli d’Italia, Partij voor de Vrijheid oder Rassemblement National.
Diese Parteien behaupten, sie wären demokratisch und „bürgerlich“. Nur eben sehr patriotisch und konservativ. Manche geben auch vor, „liberal“ zu sein. Und sie propagieren „die Familie“ und anständigen, heterosexuellen ungegenderten Penis-Vagina Sex am Sonntagmorgen.
Sie fressen Kreide, weil sie wissen, dass sich das Wähler*innen-Potenzial für ausformulierten Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus – zumindest im Moment noch – in Grenzen hält.
Also faseln sie stattdessen von „traditionellen Werten“, vom „Christentum“, von „Freiheit“ – und lassen ihren inneren Gauleiter nur ab zu aus sich herauskrakeelen.
Aus Sicht der Rechtsradikalen eine schlüssige Taktik.
Warum aber viele Medien darauf hereinfallen, bleibt ein Rätsel.

Wenn zum Beispiel – aus aktuellem Anlass – immer wieder von den „rechtspopulistischen“ Schwedendemokraten, oder den „postfaschistischen“ Fratelli d’Italia,
den „Brüdern Italiens“, die Rede ist, denkt man sich: Ah, das ist also dieses berühmte „Framing“. In diesem Fall ein zwar paradoxes, aber in der Konsequenz positives – im Sinne der Rechten: Die Journalist*innen denken, diese Begriffe wären kritisch, die Nazis wissen, dass sie das nur sehr bedingt sind und klatschen vor Freude in die Hände: „Populistisch“ heißt eben nicht „radikal“ oder „extrem“, und „post“ ist irgendwas mit „nach“ oder „später“ und hat mit dem Eigentlichen nicht mehr viel zu tun.
Da können in Deutschland investigative Redaktionen und die Antifa – mitunter sogar der Verfassungsschutz – noch so oft die Verbindungen der AfD zu aktiven Nazis aufdecken – in den meisten journalistischen Beiträgen bleibt das Standardadjektiv: „rechtspopulistisch“.

In Bezug auf das rechtsradikale Drei-Parteien-Bündnis, das im September die italienischen Parlamentswahlen gewonnen hat, wird zwar gerne erwähnt, dass eine der Parteien die symbolische ewige Flamme von Mussolinis Grab in ihrem Logo trägt, aber im nächsten Augenblick ignoriert man diesen Umstand wieder und titelt: „Rechtspopulisten
triumphieren“.
Erst später kommt der irgendwie modisch nach „Postmoderne“ und „Poststrukturalismus“ klingende Begriff „Postfaschisten“.
An dieser Partei ist aber nichts „post-“, sie ist originär faschistisch. Sie hat lediglich eine moderne Public-Relations-Abteilung.
Nur diese Modernität unterscheidet die neuen von den alten Faschos, egal welchen Landes. Sie passen sich perfekt an die heutigen Verhältnisse und die Gesetzeslage an: Sie sprechen selten klar aus, was sie wirklich vorhaben, sondern raunen, machen vage Andeutungen, die aber von ihrer Anhängerschaft durchaus verstanden werden, sie provozieren, sticheln, ziehen wieder zurück, fühlen sich vermeintlich missinterpretiert, und preschen dann erneut nach vorne.
Typisch für diese Strategie sind zum Beispiel die Aussagen des neuen italienischen Senatspräsidenten Ignazio La Russa. La Russa – der schon Mitglied der faschistischen Partei MSI war und nun zu Melonis „Fratelli d’Italia“ gehört – hatte im Wahlkampf geäußert, alle Italiener seien „Erben des Duce“ – also des „Führers“ Mussolini. Rein technisch gesehen hat er damit zwar irgendwie Recht – nur, dass eben nicht alle so glücklich darüber sind wie La Russa selbst.
Letzteres bewies er vor vier Jahren, als er während eines Interviews stolz sein Wohnzimmer präsentierte, in dem tatsächlich eine Statue Mussolinis stand. Und während der Corona-Pandemie hatte er getwittert, dass die Italiener sich nicht mehr die Hand geben, sondern den „Römischen Gruß“ der Faschisten – analog zum Hitlergruß – zeigen sollten.
Natürlich empörte sich ein Teil der Öffentlichkeit darüber. Und natürlich fühlte sich La Russa falsch verstanden und löschte den Tweet. Um dann die nächste Provokation vorzubereiten.
Goebbels als PR-Profi hätte an dieser Taktik seine Freude gehabt.

● Hartmut El Kurdi

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Ein letztes Wort im November

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Ein letztes Wort im November


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, Glückwunsch zur Wahl. Sind sie zufrieden?

Vielen Dank. Und ja, ich bin natürlich zufrieden. Sehr!

Aber mit so paar Wermutstropfen, oder?

Ja, während des Wahlkampfs habe ich viele Menschen mit großen Sorgen getroffen, das hat mich schon sehr berührt und lässt mich nicht kalt. Und wir haben leider recht starke Zuwächse der AfD. Verglichen mit den Ergebnissen der AfD im Osten relativiert sich die Zahl natürlich, aber besorgniserregend bleibt sie trotzdem. Wir leben insgesamt in sehr schwierigen Zeiten, 

Ich finde auch die Wahlbeteiligung besorgniserregend. 40 Prozent haben gar nicht gewählt.

Wobei es in Niedersachsen schon schlechtere Werte gab. Aber das ist trotzdem nicht gut, da haben Sie absolut Recht. Viele Leute sind stark verunsichert, es fehlt ihnen das Vertrauen, dass die Politik positive Veränderungen herbeiführen kann. Ich verstehe diese geringe Wahlbeteiligung darum vor allem auch als Auftrag, Klarheit zu schaffen und Vertrauen zurückzugewinnen.

Nach der Wahl ist nun so gar keine Zeit für eine Verschnaufpause, die Probleme werden nicht kleiner. Wir sehen jetzt zum Beispiel wieder stark steigende Flüchtlingszahlen aus der Ukraine. Was mich überrascht ist, dass die Politik darüber überrascht zu sein scheint. Aber dass wir im Winter sehr viele Flüchtlinge bekommen würden, für diese Prognose hätte man nicht unbedingt Prophet sein müssen. Warum hat man sich nicht schon länger darauf vorbereitet?

Wir haben in Niedersachsen momentan etwa 130.000 Geflüchtete, davon rund 100.000 aus der Ukraine, der Rest stammt aus anderen Ländern. Das bekommen wir bis jetzt vielleicht noch hin. Ich befürchte aber, dass wir bald auch wieder diese teilweise improvisierten Sammelzentren errichten müssen, die wir aus 2015/16 in Erinnerung haben. Wir sind zwar besser vorbereitet auf die großen Flüchtlingszahlen als damals, aber es bleibt eine sehr große Herausforderung. Wir haben in diesem Jahr in Niedersachsen ungefähr so viele Menschen aufgenommen wie Göttingen Einwohner*innen hat. Aber da wir im kommenden Winter noch mit mehr Menschen rechnen müssen, die in ihrer Not nach Deutschland kommen, müssen wir wohl leider wieder Messehallen öffnen und andere große Unterkünfte schaffen. Vermeiden würde ich so gut wie möglich, dass wir wieder vielerorts Turnhallen nutzen müssen. Kinder und Jugendliche mussten während der Pandemie schon auf genug verzichten, der Sportunterricht sollte möglichst nicht mehr ausfallen. Aber wir sind davon abhängig, was jetzt weiter in der Ukraine passieren wird und momentan betreibt Putin puren Terrorismus gegen die Zivilbevölkerung.

Er macht die Städte unbewohnbar …

Er zerstört die Energieversorgung und wenn es kalt wird, werden noch mehr Menschen aus der Ukraine bei uns Hilfe suchen. Und das wiederum – so hofft jedenfalls Putin – wird für Instabilität in der deutschen Gesellschaft sorgen. Eine widerliche Strategie.

Noch einmal kurz zur Unterbringung. Aus meiner Sicht sind die Hallen und Kasernen und Hotels, diese Sammelunterkünfte, immer nur die zweitbeste Lösung. Viel besser wäre doch die private Unterbringung. Größere Städte wie Hannover vermitteln aber keinen privaten Wohnraum. Momentan gibt es auf hannover.de bei diesem Stichwort sogar nur einen Link auf „Elinor Network“, was schlicht Unsinn ist. Es gibt dort nichts, wo ich Wohnraum angeben könnte. In kleineren Gemeinden funktioniert die direkte Vermittlung. Warum nicht beispielsweise in Hannover?

Ich bitte um Verständnis, aber ich finde, ich sollte mich als ehemaliger Oberbürgermeister mit Ratschlägen oder Kommentaren zurückhalten. Aber natürlich sind private Unterkünfte eine sehr gute Lösung. Und das passiert glücklicherweise ja auch schon vielfach. Eine große Zahl Menschen sind in Niedersachsen privat untergekommen – auf einem ganz anderen Niveau als 2015/16. Das liegt zum Teil daran, dass es viele private Kontakte in die Ukraine gab und gibt und dass wir mit der ukrainischen Gemeinde in Niedersachsen viele Übersetzer und Botschafter haben. Aber diese Form der Unterbringung ist natürlich auch eine echte Herausforderung für alle Beteiligten. Und keiner kann sagen, wie lange die Hilfe noch nötig sein wird. Das gehört auch zur Wahrheit.

Aber es geht ja im Augenblick zuallererst darum, den Menschen über die kalte Jahreszeit zu helfen.

Das steht absolut im Mittelpunkt. Wir müssen alle gemeinsam verhindern, dass Menschen in der kalten Jahreszeit obdachlos werden.

Ich weiß, dass in vielen niedersächsischen Dörfern sehr viele ältere Menschen ganz allein in sehr großen Häusern wohnen. Eine Person, 250 Quadratmeter Wohnraum. Müsste es nicht Scouts geben, die hier gezielt nach Möglichkeiten suchen. Oder eine Kampagne, mit der Möglichkeit, sich zu melden. Ich könnte mir vorstellen, wenn man die Menschen ein bisschen abholt, gäbe es durchaus sehr viel Bereitschaft. Gibt es schon solche Initiativen?

Solche durchaus sinnvollen Initiativen gibt es in einzelnen Kommunen, aber leider noch nicht flächendeckend. Eine solche Lösung kann für beide Seiten hilfreich sein, die Ukrainerinnen und Ukrainer bringen Leben ins Haus und sie könnten helfen bei täglichen Verrichtungen.

Kommen wir noch einmal zurück zur Strategie Putins. Was mir momentan fehlt, ist in der politischen Diskussion der klare Hinweis, dass jeder bei uns gut untergebrachte Mensch aus der Ukraine ein Stück weit die Strategie Putins zunichtemacht. Stattdessen ist viel von Spaltung die Rede und ein Friedrich Merz spricht von Flüchtlingstouristen. Statt um Solidarität und Menschlichkeit geht es ihm vor allem um unseren Wohlstand.

Da sprechen Sie insofern mit dem Falschen, weil ich genau das in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt habe, in vielen Diskussionsveranstaltungen und Bürgerversammlungen. Im Wahlkampf ging es sehr oft um das Thema Energie. Und ich habe immer wieder deutlich gesagt, dass trotz aller Schwierigkeiten klar sein muss, dass wir Deutsche uns nicht mit den Tätern arrangieren, sondern mit den Opfern solidarisieren. Dafür gab es immer viel Beifall und ich bin nach wie vor überzeugt, dass eine große Mehrheit bei uns in Niedersachsen das so sieht. Es gibt natürlich auch diejenigen, die sagen, dass uns dieser Krieg nichts angehe, aber das ist zum Glück eine Minderheit. Und ich hoffe sehr, dass das so bleibt, trotz der steigenden Energiekosten. Aber auch deshalb ist es wichtig, jetzt sehr schnell die staatlichen Entlastungen umzusetzen. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen, Angst ist bekanntlich keine gute Ratgeberin. Zumal es stimmt, dass die Herausforderung in den kommenden Monaten mit der kalten Jahreszeit größer werden wird. Die demokratischen Parteien in Deutschland müssen insgesamt ihre Kommunikation in Richtung Solidarität und Menschlichkeit verstärken. In Niedersachsen werden wir das Bündnis „Niedersachsen packt an“ im kommenden Winter wieder reaktivieren. Es gibt noch überall die Strukturen, die wir 2015/16 aufgebaut haben. Wir sind das einzige von 16 Bundesländern, das so ein Dach geschaffen hat. Das ist ein Pfund.

Mir fällt manchmal auf, dass eher abstrakt über die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und auch aus anderen Ländern gesprochen wird. Dass dort tatsächlich ganz real Familien obdachlos werden, dass Kinder getötet werden, jeden Tag, das wird ausgeklammert, das wird gerne verdrängt. Und dann kommt auch noch ein Friedrich Merz um die Ecke …

Merz bleibt sich eben treu. Er war immer ein Rechtsausleger und ich bin der festen Überzeugung, das wird er auch bleiben. Mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen. Und wenn er sich dann hinterher hinstellt und sein Bedauern bekundet, dass er für Missverständnisse Anlass gegeben hätte, dann mag das glauben, wer will. Was ich aber viel wichtiger finde als alle Diskussionen um Friedrich Merz, ist ein konsequentes und schnelles gemeinsames Vorgehen der Vernünftigen im politischen Raum. Wir haben mehrere Krisen, die sich überlagern. Was die Bürger momentan am meisten verunsichert, das sind die Themen Energieversorgung und Energiepreise. Viele befürchten, ihre Rechnungen nicht bezahlen zu können. Die Krisen in den letzten Jahren haben uns gelehrt, wie wichtig es ist, schnell Klarheit zu schaffen. Klarheit aber gibt es nur mit eindeutigen, transparenten Entscheidungen und einer guten Kommunikation. Momentan haben wir an einigen Stellen einen Entscheidungsstau. Diesen Stau müssen wir auflösen, und zwar schnell. Das ist die Hauptaufgabe für die nächsten Wochen.

Interview: Lars Kompa

 

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