für diese Ausgabe habe ich Bodo Busse getroffen, den neuen Intendanten der Staatsoper Hannover. Schon als Kind hat er seine Liebe zur Oper entdeckt. Seine Mutter hat ihm zu dieser besonderen Welt die ersten Türen geöffnet. Ein musisches Elternhaus, diese besondere Hinwendung zur Musik – manchmal scheinen Lebenswege sich fast zwangsläufig zu ergeben. Bodo Busse hat Querflöte gespielt, so wie sein Großvater, der im Bodensee-Symphonie-Orchester Flötist war, er hatte auch Gesangsunterricht, er hat schon früh in Orchestern gespielt und in Chören gesungen, und während andere Eltern ihr Kinder zum Blockflötenunterricht zwingen müssen, waren seine Wochen prall gefüllt mit Musik. Freiwillig. Und mit Begeisterung. Die städtische Musikschule war sein Biotop. „In der zehnten und elften Klasse hatte ich montags Orchesterprobe, dienstags Querflötenunterricht, mittwochs Probe mit dem Kammermusikensemble, donnerstags war immer Sinfonieorchesterprobe und freitags hatte ich später sogar noch Gesangsunterricht“, erzählt er im Interview.
Fast hätte Bodo Busse Querflöte studiert, aber er hatte eine ehrliche Lehrerin, die ihm gesagt hat, dass man für diesen Beruf nicht nur sehr gut, sondern sehr sehr gut spielen müsse. Also ging es an die Eberhard-Karls-Universität nach Tübingen, um dort Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Rhetorik zu studieren. Und der Nebenjob, um sich während des Studiums über Wasser zu halten? Postbote. Die Arbeit hat ihm großen Spaß gemacht. Und wenn er mit einem Augenzwinkern erzählt, dass er immer noch in seinen Job als Postbote zurückkann, wenn es mal als Intendant nicht mehr klappen sollte, nimmt man ihm das fast ab.
Geprägt ist Bodo Busse vor allem durch Begegnungen. Mit Ruth Berghaus, mit Götz Friedrich, John Dew oder Robert Wilson. Nicht unbedingt leichte Persönlichkeiten, sondern intensive Menschen, die man aushalten muss. Aber von denen man sehr viel lernt, wenn man sie aushalten kann. Und nun ist Bodo Busse nach Dortmund, Weimar, München, Chemnitz, Meiningen und Saarbrücken in Hannover angekommen. Und er bringt nach all diesen Stationen eine klare Zielsetzung mit. Er möchte die Oper zugänglich und einladend machen, er möchte Schwellen beseitigen, Berührungsängste abbauen, er möchte nicht nur das Publikum, das ohnehin kommt, er möchte Menschen „hineinziehen“, die vielleicht noch nie eine Oper besucht haben. Und er versteht dabei sein Opernhaus nicht allein als Ort für die großen Stimmen und berühmten Werke, sondern auch als Resonanzraum für unsere Gegenwart. Er möchte beides: das große Repertoire pflegen und zugleich Neues wagen, ungewöhnliche Kooperationen eingehen, Musiktheater mit anderen Künsten verbinden. Seine Oper sieht er nicht als abgeschlossenen Raum, sondern als Teil der Stadt. Sie soll neugierig machen, einladen, überraschen – und für viele Menschen ein erster Schritt ins Musiktheater sein. Mit dieser Offenheit will er Hannover bewegen und die Oper breiter verankern. Ich bin gespannt, wie Bodo Busse Hannover mit seiner Energie prägen wird. Er wirkt wie einer, der zuhört, der Brücken bauen will – und der eine große Liebe zur Kunst mitbringt, ohne sie in den Elfenbeinturm zu sperren. Ich wünsche ihm dafür ein offenes Publikum, Mut für die vielen Pläne und vor allem viele überraschende Begegnungen. Und natürlich wünsche ich ihm ein immer volles Haus. Unbedingt hingehen!
Abgelegt unter EditorialKommentare deaktiviert für Editorial 10-2025
Wer A sagt, muss auch B sagen und wer Schauspiel sagt, muss auch Oper sagen. Deshalb gibt es nach dem Titelgespräch mit Vasco Boenisch jetzt das Titelgespräch mit Bodo Busse, dem Intendanten der Staatsoper Hannover. Zu lesen ab Seite 54.
Abgelegt unter Aktuelles, TitelKommentare deaktiviert für Das Oktober-Kind ist da!
Liebe Julia, weiter so! Du machst das wirklich gut mit dem Kulturkampf. Zeig ihnen, wo der Hammer hängt. Weg mit all dem Regenbogenscheiß. Mettigel für die Bundestagskantine, das muss der Tenor sein. Lass dich bloß nicht beirren. Konzentrier dich auf das große Ziel. Aber da müssen wir uns wohl keine Sorgen machen. Haben wir kurz. Müssen wir zugeben. So eine frische Liebe lenkt ja manchmal ziemlich ab. Aber dich nicht. Jörg Pilawa hin oder her, du kennst deine Pflichten. Und bleibst entschieden neutral. Es geht bei dir ganz ausgewogen gleichermaßen gegen links und rechts. taz und Nius – alles eine Suppe.
Im Bundestag weht jetzt ein anderer Wind. Es gibt eine Geschäftsordnung und die wird mit aller gebotenen Härte durchgesetzt. Darum keine Fahnen mehr, keine von außen sichtbaren Plakate, keine Anstecker, keine T-Shirts mit falschen Parolen, kein woker Scheiß. Wer sich nicht an die Bekleidungsvorschriften hält, der wird des Saales verwiesen. Wer dumme Sprüche macht, ebenfalls. „Die Kleidung und das Verhalten müssen der Würde des Hauses entsprechen.“ Und die Würde des Hauses wird nun von dir definiert. Ein Nestlé-T-Shirt ist kein Problem. Wer dagegen „Go vegan!“ auf sein T-Shirt schreibt, ist mindestens ein linksradikaler Verdachtsfall. Und „Alkohol verursacht Krebs“ ist eine ganz miese Provokation. Raus! Raus! Raus! Wäre ja wohl noch schöner, wenn Abgeordnete einfach so irgendwelche Fakten durch das hohe Haus tragen. Außerdem ist Wein pure Lebensfreude.
Es ist gut, dass wir nach der schrecklich linken Bärbel Bas jetzt eine Bundestagspräsidentin haben, die mal richtig zupackt und Sanktionen durchzieht. Falls nötig auch mit der Bundestagspolizei. Eine, die klare Unterscheidungen trifft. Eine Regenbogenflagge ist Ausdruck einer politischen Agenda und mitnichten ein Symbol für die Verteidigung der Grundwerte der deutschen Verfassung. Sie darf darum auch zum Christopher Street Day nicht am Reichstagsgebäude gehisst werden. Der Bundestag ist ja kein Zirkuszelt. Während eine Kornblume einfach eine Kornblume ist. Da muss man auch mal ein bisschen auf dem Teppich bleiben. Die Hausordnung des Bundestags ist sehr klar. Im Paragraf 4 steht: „Das Anbringen von Aushängen, insbesondere von Plakaten, Postern, Schildern und Aufklebern an Türen, Wänden oder Fenstern in den allgemein zugänglichen Gebäuden des Deutschen Bundestages sowie an Fenstern und Fassaden dieser Gebäude, die von außen sichtbar sind, ist ausnahmslos nicht gestattet.“ Von Kornblumen steht da nicht.
Liebe Julia, wir wünschen uns sehr, dass du dich nicht beirren lässt und weiter so entschieden neutral bleibst. Und zum Beispiel dem Regenbogennetzwerk des Bundestags – so ein ominöser Zusammenschluss queerer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Parlaments – die Teilnahme am CSD untersagst. Oder dass du zu linke Anträge nicht durchlässt, wie diese eine Anfrage der Grünen zum Corona-Maskenkauf unter Jens Spahn. Völlig in Ordnung, dass die Bundestagsverwaltung diese Anfrage nicht an die Bundesregierung weitergeleitet hat. Wo kämen wir sonst auch hin? Da könnten demnächst ja alle mit irgendwas um die Ecke kommen. Wie gut, dass du jetzt die Augen offenhältst und dem fortwährenden woken und linken Treiben ein Ende setzt. Mit Haltung und einer klaren Agenda. Das große Ziel fest im Blick. Denn natürlich geht es dir bei all dem vor allem darum, die AfD wieder kleinzukriegen. Das ist die Challenge. Die Leute müssen begreifen, dass die CDU/CSU für das wahre Deutschland steht, sozusagen für ein Deutschland nach dem Reinheitsgebot. Männer sind Männer und Frauen sind Frauen, Ausländer sind erst mal nur zu Gast, Fleisch ist gesund und Alkohol macht Spaß. Fertig. Ist doch alles ganz einfach. Niemand braucht die AfD.
Abgelegt unter offene BriefeKommentare deaktiviert für Ein offener Brief… an Julia Klöckner
Jochen Gros ist Lehrer und Musiker. Unter der Woche unterrichtet er Musik und Mathematik an einem Gymnasium – und am Wochenende steht er mit „Finder“ auf der Bühne.
„Ein vielfältiger Sound, der über Genregrenzen hinausgeht“, so bezeichnet sich Finder selbst. Finder, das ist ursprünglich eine klassische Bandformation aus Bass, Schlagzeug, Gitarre und Gesang. Heute ist Finder aber hauptsächlich Jochen Gros, der Sänger und Gitarrist. „Die anderen beiden haben Familien gegründet und sich dann weitestgehend aus dem Bandgeschehen herausgezogen.“ Jochen Gros ist 40 Jahre alt und kommt ehemals aus Soltau. Für das Studium ist er dann nach Kassel gezogen. Seit einigen Jahren lebt er in Hannover und unterrichtet hier an einem Gymnasium, als Musik- und Mathematiklehrer. Doch an den Wochenenden ist er Leadsänger von Finder. Im Sommer hat Finder zwei Songs veröffentlicht: „Schwerelos“ und „Ich kann dich fast schon sehen“ sind bei Spotify nun Finders meistgehörte Lieder. Die Songs gehören zu einem Album, an dem Finder aktuell arbeitet.
Gros ist schon früh zur Musik gekommen – aber nicht von Hause aus. „Ich habe als kleines Kind schon sehr viel gesungen. Ich glaube, meine Eltern wussten nicht so richtig, wohin mit mir und haben mich dann erstmal in einen Kinderchor gesteckt. Das fand ich natürlich super.“ Mit neun Jahren hat Gros angefangen Klavier zu spielen. „Dann habe ich später in den ersten Schülerbands gespielt und auch in der Big Band.“ Finder fing vor 10 Jahren als Kneipenband an – und landete dann recht schnell große Gigs: „Wir waren mit Marathonmann, Alex Mofa Gang und Tüsn unterwegs und haben auf Touren gespielt. Durch ganz Deutschland, Österreich und die Schweiz sind wir gefahren.“ 2017 war Finder als „Schrankband“ zu Gast in der Fernsehshow Circus HalliGalli mit Joko und Klaas.
Musikalisch hat Finder keine klare Richtung. „Ich finde eigentlich, dass es in jeder Musikrichtung was Gutes gibt. Ich höre gerne klassische Musik, aber kann auch mit zwei oder drei Schlagersongs etwas anfangen.“ Mittlerweile schreibt Jochen Gros, das, was ihm gefällt. Auf Deutsch, denn da könne er sich am besten ausdrücken.” Die Herausforderung ist, „dass die Texte nicht zu kompliziert werden und keiner weiß, was man will – aber auch nicht zu simpel, damit sie nicht, ich sage mal, schlageresk klingen. Meine Texte sind schon relativ anspruchsvoll. An der einen oder anderen Stelle muss man dann mal ein bisschen genauer hinhören. Aber das finde ich ganz gut.“
Irgendwo zwischen Alternative, Indie-, Punk- und Popmusik hat sich Finder angesiedelt. „Wenn dann auf dem neuen Album eine Klavierballade auf einen Rocksong folgt und danach dann ein bisschen was klassisch-jazziges mit ein paar wilden Akkorden und 80s-Beat-Song kommt, dann ist mir das eigentlich egal. Hauptsache mir gefällt das!“ Auch in Hannover hat Finder schon einige Konzerte gespielt. Zum Beispiel im LUX, auf dem Fährmannsfest und im Pavillon. „Aber wir haben halt den Nachteil, dass Hannover nicht unsere ‚Homebase‘ ist. Deshalb sind wir hier noch nicht so bekannt, wie wir es gern wären.“ Momentan sucht Finder nach einer Bookingagentur, um auch in Zukunft häufiger auf der Bühne zu stehen.
Aber nun geht es erstmal mit dem neuen Album weiter, das voraussichtlich Ende 2025 erscheinen soll. „In den nächsten Monaten kommen immer wieder neue Songs raus. Dann schauen wir mal, wie es so weitergeht.“
Abgelegt unter Musik, MusikerporträtKommentare deaktiviert für Bandporträt September 2025: Finder
Herr Weil, wir haben zuletzt über dieses mulmige Gefühl gesprochen, das die Smartphones etwas anrichten in unserer Gesellschaft und davon, dass insbesondere junge Menschen betroffen sind. Ich habe die Befürchtung – und inzwischen gibt es dazu valide Untersuchungen –, dass es eine Folge des neuen Medienkonsums ist, dass es in unserer Gesellschaft mehr und mehr empathielos zugeht. Haben Sie einen ähnlichen Eindruck?
Ganz sicher. Ich selbst gehöre nun wahrlich nicht zu den Digital Natives, aber ich verbringe definitiv ebenfalls zu viel Lebenszeit vor irgendwelchen Bildschirmen. Und das hat bestimmt Auswirkungen. Vielleicht nicht mehr so sehr in meiner Generation. Aber bei Kindern und Jugendlichen mehren sich die Hinweise, dass die Folgen in vielerlei Hinsicht problematisch sind. Ich habe eine Studie in Erinnerung, dass männliche Jugendliche sechs bis acht Stunden täglich online unterwegs sind. Wenn wir jetzt noch ein paar Stunden Schlaf dazurechnen, was bleibt dann vom Tag übrig? Gibt es überhaupt noch Zeit, analoge, reale Beziehungen zu pflegen? Ich bin mir sicher, dass mit zu intensivem digitalen Konsum eine gewisse Abstumpfung einhergeht. Und dass damit über kurz oder lang auch ein Stück weit die Empathie auf der Strecke bleibt. Wir können das stellenweise in unserer Gesellschaft bereits sehr deutlich sehen. Leider.
Wie würden Sie persönlich Empathie definieren?
Für mich ist das die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und es ist auch die grundsätzliche Bereitschaft, sich überhaupt für andere zu interessieren. Empathie braucht es nicht nur, wenn etwas ganz Schlimmes passiert. Wir brauchen sie tagtäglich in unserem Alltag. Sie macht uns zu sozialen Wesen.
Für Kant, Nietzsche, Schopenhauer und noch einige mehr war Empathie eine der wichtigsten menschlichen Charaktereigenschaften. Empathie befähigt Menschen zu sozialen Beziehungen, zur Kontaktaufnahme und zur Kooperation. Und sie ist auch Grundlage moralischen Handelns. Ohne Empathie sterben Fairness und Gerechtigkeit, oder?
Ich mag mir eine Gesellschaft ohne Empathie gar nicht vorstellen. So eine Gesellschaft würde sich selbst zerfleischen. Wir können übrigens momentan leider sehen, was passiert, wenn Empathie abhandenkommt. Donald Trump lässt jetzt Washington ‚säubern‘ – so drückt er das aus. Er lässt die Zelte von Obdachlosen beseitigen. Jeder emphatische Mensch stellt sich sofort die Frage, wo diese Leute eigentlich hinsollen. Das tut Donald Trump nicht. Diese Menschen sind ihm vollkommen egal. Ich meine mich zu erinnern, dass es Psychiater gibt, die das Fehlen von Empathie als Krankheit bewerten. Ich denke, da ist etwas dran. Menschen, denen Empathie fehlt, sind nicht in der Lage nachzuvollziehen, was Menschlichkeit eigentlich bedeutet. Dramatisch wird es, wenn so jemand dann amerikanischer Präsident wird.
Wenn Kinder und Jugendliche tagtäglich in den Neuen Medien konsumieren, was beispielsweise im Fernsehen noch immer streng verboten ist, dann wundert es mich nicht, dass eine gewisse Abstumpfung eintritt.
Das ist definitiv eine Gefahr, die wir noch nicht gebannt haben.
Es gibt ja inzwischen zahlreiche Studien, die zeigen, dass Menschen mit zunehmendem Medienkonsum immer weniger sozial interagieren, dass sie sich abschotten, sich mit sich selbst beschäftigen, sich als Einzelkämpfer fühlen. Eine Folge ist Einsamkeit. Eine andere Folge ist der Verlust der Empathiefähigkeit. Soziale Kontakte trainieren ja diese Fähigkeit.
Social Media ist in diesem Sinne eine Mogelpackung. Als ich begonnen habe, mich damit zu beschäftigen, bin ich über den Begriff der Freundschaft gestolpert. Man befreundet sich digital, man nimmt Freundschaftsangebote an. Das fand ich befremdlich, denn was ist das eigentlich für ein Freundschaftsbegriff? Befreundet möchte ich sein, wenn ich ein Gefühl dazu habe, wer und wie der andere für ein Mensch ist, ob es eine gemeinsame Wellenlänge gibt, ob man sich mag. Innerhalb solcher Plattformen ist man sozusagen auf einen reinen Nutzwert reduziert. Freundschaften sind eine Währung. Aber fühlt sich irgendjemand dadurch nun wirklich besser? Steigert eine hohe Zahl digitaler ‚Freunde’ das Selbstwertgefühl? Oder gaukelt man sich nur etwas vor, was man in der Realität vermisst? Ich bin sehr skeptisch. Ich weiß, dass man die Digitalisierung nicht aufhalten kann, aber solche Phänomene machen mich besorgt. Social Media hat das Potenzial, unsere Gesellschaft sehr grundlegend zu verändern und zwar nicht zum Positiven. Und wir stecken schon mittendrin in diesem Prozess. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, in einer Gemeinschaft zu leben. Aber wenn uns wirkliche Begegnungen abhandenkommen, wird das nicht mehr funktionieren.
Finden Sie, dass die Politik das Problem momentan noch unterschätzt.
Ja, leider. Zumal die Entwicklung rasant weitergeht. Und wir wissen nicht, was noch kommt. TikTok war vor wenigen Jahren noch kein Thema und hat innerhalb kürzester Zeit eine unfassbare Bedeutung für das Verhalten von jungen Leuten bekommen. Auf dieser Plattform werden hochproblematische Vorbilder und Schönheitsideale geprägt. Und wir haben darauf gesellschaftlich noch keine Antwort. Sehr akut steht an, dass wir die Themen Erziehung und digitale Bildung besser zusammenbringen müssen. Das gelingt in vielen Familien nicht mehr. Und wir könnten nun lange darüber sprechen, dass das nicht gut ist. Aber die Realität ist, wie sie ist. Und darum muss in dieser Situation der Staat ran. Wir brauchen zum Beispiel kluge Regeln zur Handynutzung in Schulen und eine gute Medienbildung.
Noch einmal zurEmpathie. Wir erleben ja unter anderem auch eine zunehmende Verrohung im Umgangston, besonders in den sozialen Medien. Die sogenannten Gutmenschen werden dort beschimpft und lächerlich gemacht. Mir scheint, wir werden gerade mehr und mehr zu einer Ellenbogen-Gesellschaft. Jeder ist sich selbst der Nächste.
„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ – von wegen. Eine solche Haltung geht ganz sicher in die falsche Richtung und mündet im Recht des Stärkeren.
Elon Musk hat gesagt: „Die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation ist die Empathie.“ Damit ist der neue Ton gesetzt. Empathie wird gleichgesetzt mit Schwäche.
Wobei nach allem, was ich über Elon Musk gelesen habe, er selbst Probleme mit der Empathie hat. Es gibt viele Menschen, die an dem sog. Asperger-Syndrom leiden, einer Form von Autismus. Menschen. Sie haben Schwierigkeiten, emotionale Signale wahrzunehmen. Solche Menschen tun mir sehr leid, aber sie dürfen auf gar keinen Fall Macht bekommen, dann wird‘s gemeingefährlich.
Musk sagt, Empathie sei eine Waffe der Mittelmäßigen und Schwachen gegen die Starken, die Exzellenten. Und Peter Thiel denkt in eine ganz ähnliche Richtung. Demokraten sind beide nicht.
Nein, dahinter steht eine Idee von der Bestenauslese, die dann entscheiden soll. Das ist das glatte Gegenteil von Demokratie. Heute muss man vielleicht eher Plutokratie sagen, denn Geld ist in diesem Denken der Maßstab für Erfolg und Stärke. Und wie gefährlich so ein Denken ist, sieht man zum Beispiel am Umgang mit dem Klimawandel. Wenn sich weiter ungehemmter Egoismus durchsetzt, wenn weiter weltweit ohne schlechtes Gewissen Ressourcen verpulvert werden, für den kurzfristigen Wohlstand vergleichsweise weniger Menschen, dann ist das für Trump und Co. eine gute Nachricht, für alle anderen aber eine Katastrophe. Würde es bei jenen Menschen, die in den USA momentan sehr mächtig sind, mehr Empathie geben, wäre die Welt eine andere.
Elon Musk träumt ja sogar öffentlich von einer neue, besseren Zivilisation auf dem Mars.
Mit lauter kleinen Elons, exklusive Empathie. Dann möchte ich bitte auf der Erde bleiben. Aber Spaß beiseite, was wir in den USA sehen, ist wirklich sehr ernst. Dort nehmen wenige, sehr reiche Menschen, großen Einfluss in eine hoch problematische Richtung. Man kann tatsächlich von einer Plutokratie sprechen, die sich zur Autokratie weiterentwickelt. Ich war neulich bei einem Vortrag über die Entwicklung des Rechtsstaats in den USA. Der Referent hat seit zwanzig Jahren immer wieder Aufsätze über das Rechtswesen dort geschrieben. Und er wurde am Ende seines Vortrags gefragt, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass der amerikanische Rechtsstaat unter den aktuellen Bedingungen Bestand haben wird. Seine Antwort war 20 zu 80. Das ist wirklich erschreckend.
Und man sagt ja, mit zehnjähriger Verzögerung schwappt alles aus den USA zu uns herüber. Müssen wir uns auf diese Entwicklung gefasst machen?
Wenn uns vor zehn Jahren jemand gefragt hätte, ob die AfD irgendwann die zweitstärkste Partei in Deutschland sein könnte, hätten wir beide mit dem Kopf geschüttelt. Darum bin ich mit optimistischen Prognosen inzwischen vorsichtig. Wir müssen das alles ungeheuer ernst nehmen.
Abgelegt unter MP-InterviewKommentare deaktiviert für Ein letztes Wort im September