Herr Lies, so viel hat sich ja noch nicht verändert hier im Büro. Keine Zeit? Keine Lust?
Der Tisch ist größer geworden. Aber an die Bilder an den Wänden, an die Kunst, haben sich ja alle gewöhnt. Und ich bin demjenigen, der hier sehr kunstbeflissen für ein gewisses Ambiente gesorgt hat, gar nicht so undankbar.
Ich habe gehört, dass sie eine unglaubliche Schlagzahl haben und Schlaf eher Nebensache ist. Ein Feldbett sehe ich glücklicherweise nicht. Schaffen Sie es noch jeden Tag nach Hause?
(Lacht) Ich schaffe es in meine Wohnung in Hannover. Ich bin jetzt seit 13 Jahren Wochenendpendler, das ist mittlerweile Routine. Unter der Woche wohne ich hier in Hannover, am Wochenende fahre ich nach Hause nach Sande – das versuche ich jedenfalls. Es wird schwieriger, aber es ist mir wichtig, wenigstens dann bei der Familie in Friesland zu sein. Also keine Sorge, ich schlafe nicht im Büro.
Sie haben in Sande auch viele Tiere. Das ist wahrscheinlich der Ort, um runterzukommen, oder?
Ja, absolut. Das ist am Wochenende ein echter Rückzugsort. Dort spielt Politik keine Rolle, da ist einfach die Familie. Und natürlich unsere Tiere. Man kommt runter, wird geerdet und bekommt den Kopf frei.
Ich habe gelesen, Esel haben es Ihnen angetan. Gibt es da charakterliche Ähnlichkeiten? Sind Sie stur?
Ich? Das kann ich mir gar nicht vorstellen! Aber gewisse Vergleiche würde ich mir schon gefallen lassen. Esel sind ja zum Beispiel sehr intelligente Tiere (lacht). Als wir vor 25 Jahren ein Haus gesucht haben, war klar: wir kaufen nur eins, bei dem wir Esel halten können. Und so haben wir es auch gemacht. Der erste Esel war schon da, bevor wir eingezogen sind. Über die Jahre sind ein paar mehr dazugekommen – meist Tiere, die ein Zuhause suchten. Unser Haus war früher eine Nebenerwerbsstelle – mit Außenbereich, wo man früher nach dem Krieg Tiere halten konnte. Es ist so eine Art geschrumpftes Bauernhaus.
Schaffen Sie es als Ministerpräsident noch aufs Motorrad?
Ganz selten. Das ist schwierig geworden. Vor Jahren hatte ich mal den Gedanken, eins mit nach Hannover zu nehmen. Aber es fehlt einfach die Zeit. Und wenn ich zu Hause in Sande bin, steht die Familie im Mittelpunkt. Da fahre ich ja nicht allein mit dem Motorrad durch die Gegend. Da ist es mittlerweile eher das Fahrrad, da können wir gemeinsam unterwegs sein.
Wann haben Sie zuletzt auf dem Trecker gesessen?
Oh, das ist schon etwas länger her. Meinen eigenen alten Trecker musste ich irgendwann verkaufen, der hat einfach zu viel Platz gebraucht. Aber mein Neffe hat einen, ein bisschen moderner, da steige ich gelegentlich mal drauf. Das macht mir schon Spaß. Wir haben ja auch Land, das man ab und zu bearbeiten muss. Das ist erdend im wahrsten Sinne des Wortes. Ich mag das sehr.
Ich frage mich immer, wie man in so einer Position nicht die Bodenhaftung verliert. Die Termine eng getaktet, alle wollen irgendwas, im Zweifel präsentieren sich alle von der besten Seite und Sie sind nicht Olaf Lies, sondern der Ministerpräsident. Gelingt Ihnen diese Trennung zwischen Amt und Mensch? Wissen Sie, wer gerade gemeint ist? Und wie ist die Verwechslungsgefahr bei Ihnen selbst?
Ich habe glücklicherweise schon in den Ministerämtern meine Erfahrungen sammeln dürfen. Aber klar, Ministerpräsident ist jetzt natürlich noch mal etwas ganz anderes, verbunden mit anderen Erwartungen und anderen Gesprächen, die breiter aufgestellt sind. Aber ich glaube, das kann man gut trennen. Ich sehe mich nicht als „Herr Ministerpräsident“, ich habe einen Namen. Mit allen, die mich ein bisschen besser kennen, duze ich mich, da bin ich dann einfach Olaf, und ansonsten Herr Lies. Aber ich bin nicht „Herr Ministerpräsident“. Das ist ein Amt auf Zeit, verbunden großer Verantwortung und mit gewissen Möglichkeiten. Und natürlich begegnet man darum vielen Menschen, die Interessen haben und etwas erreichen wollen. Aber das will ich ja auch. Ich will Niedersachsen voranbringen.
Würden Sie sagen, dass Sie Menschen um sich haben, die Ihnen sagen, was sie denken?
Auf jeden Fall. Mit einigen arbeite ich schon sehr lange zusammen und das Verhältnis ändert sich ja nicht durch ein neues Amt. Die Gespräche sind bei mir auch nicht immer nur reduziert auf den Beruf und fachliche Themen. Es gibt auch sehr persönliche und vertrauensvolle Gespräche. Es wäre auch nicht schön, wenn das anders wäre. Ich verbringe ja momentan den allergrößten Teil meines Lebens hier. Darum ist es gut, wenn ich mich auch ein Stück weit hier zu Hause fühlen kann.
Kommen wir kurz zur SPD. 2002 eingetreten. Wie ist Ihnen das passiert?
(Lacht) Eigentlich über die Gewerkschaft. Ich war schon in meiner Ausbildungszeit aktiv, später auch Personalratsvorsitzender. Irgendwann hat mich jemand aus meinem Heimatort angesprochen: „Du machst doch ohnehin so viel, willst du nicht Kommunalpolitik machen?“ Also habe ich kandidiert – damals noch parteilos. 2001 war das. Kurz darauf hieß es: „Wir brauchen dringend einen Ortsvereinsvorsitzenden. Willst du nicht in die SPD eintreten?“ So wurde ich Mitglied – und gleich Ortsvorsitzender. Dann Gemeinderat. Und ab dem Zeitpunkt hat sich die Frage nach dem „Warum“ nicht mehr gestellt. Die Frage war immer nur, was wir als nächstes machen. Wie bringen wir die Gemeinde und den Kreis voran? Das hat mir von Anfang an Spaß gemacht.
Was kann denn eigentlich die SPD?
Die Sozialdemokratie kann für Stabilität im Land sorgen. Wir haben eine spürbare Verunsicherung in der Gesellschaft, auch viel Unzufriedenheit. Und ich denke, es braucht darum, gerade jetzt vielleicht mehr denn je, eine Partei, die es schafft, ausgleichend zu wirken. Also nicht ideologiegetrieben, nicht mit maximalen Forderungen, sondern bemüht um einen sinnvollen Konsens für unsere Gesellschaft. Wenn es so einen Konsens gibt, einen Weg, der von einer breiten Mehrheit getragen wird, dann stabilisiert das die Gesellschaft. Und ich denke, dass die SPD sehr gut ist in dieser Rolle der Vermittlung.
Sie haben neulich wieder irgendwo gesagt, dass es der SPD vor allem darum gehen muss, Jobs zu erhalten und Jobs zu schaffen. Wie kann das funktionieren?
Wenn es mehrere Dinge gibt, die wir gleichzeitig wollen, müssen wir uns entscheiden. Was ist aktuell das Wichtigste? Und für mich haben die Jobs momentan die oberste Priorität. Wir müssen uns darauf fokussieren, dass die Menschen sicher sein können, dass sie ihren Arbeitsplatz behalten oder im Zuge einer gelungenen Transformation auch morgen einen Arbeitsplatz haben. Die SPD ist die Partei der Fleißigen, deshalb ist es unsere Aufgabe für sicherere Jobs einzutreten.
Aber der Motor springt noch nicht so richtig an. Mehr Geld allein scheint nicht zu reichen. Was machen wir denn mit der Bürokratie?
Naja, Bundes- und Landeshaushalte müssen erst von den Parlamenten verabschiedet werden, insofern werden die großen Milliardeninvestitionen erst ab dem kommenden Jahr spürbar werden – dabei geht es um Investitionen in Krankenhäuser, Schulen, Schwimmbäder, Straßen, Schienen und vielem mehr. Für die laufenden Ausgaben ist das Geld allerdings weiterhin knapp, das gilt insbesondere für die Kommunen. Und ja, an einigen Stellen wird zu viel Geld ausgeben, weil über zu viel Bürokratie zusätzliche Kosten und Personalaufwand erzeugt werden, was unnötig ist. Vielleicht mal ein Beispiel, dass mich schon als Bauminister umgetrieben hat: Wir haben das Thema Wohngeld plus eingeführt, mehr Menschen haben Anspruch auf finanzielle Hilfe – was in der Sache richtig ist. Aber wir machen es derart kompliziert, dass wir allein in Niedersachsen etwa 30 Millionen Euro jedes Jahr an die Kommunen geben, damit diese ihre Verwaltungsleute bezahlen können, die das Thema bearbeiten. Warum? Weil wir uns eine Misstrauenskultur aufgebaut haben. Ich glaube, wir brauchen eine neue Vertrauenskultur. Und zur Kontrolle gibt es Stichproben. Alles andere führt zu überbürokratisierten Anträgen und unzähligen Formularen. Der Weg zu dieser Vertrauenskultur ist nicht leicht. Trotzdem wir müssen das schaffen, damit am Ende auch die zusätzlichen Investitionsmittel greifen.
Zum Schluss noch ein schnelles, letztes Wort zur Stadtbild-Debatte …
Mich ärgert daran vor allem die Länge dieser Debatte. Ich finde, man hätte das ganz einfach und schnell abräumen können. Wenn ich durch die Stadt gehe, dann sehe ich auch Probleme, das will ich gar nicht leugnen. Aber ich sehe außerdem ganz viele Menschen, die jeden Tag dazu beitragen, dass es bei uns funktioniert – ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund, das ist mir dabei völlig egal.






