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Ein offener Brief an… Sahra Wagenknecht

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Ein offener Brief an… Sahra Wagenknecht


Liebe Sahra, warum? Das kannst du doch nicht machen! Du kannst dich doch jetzt nicht aus deiner eigenen Ich-AG zurückziehen. Du warst unser Trost, unser Fels in der Brandung. Mit dir konnten wir mutig gegen alles sein. Gegen Migration, gegen Waffenlieferungen, gegen Gendersternchen, gegen das Establishment, gegen das System, gegen die USA, gegen die EU, gegen die NATO, gegen westliche Doppelmoral. Du warst unser Rundum-sorglos-Paket. Mit dir konnten wir auf die Ukraine scheißen und uns dabei gut fühlen. Als echte Pazifisten. So konnten wir auch für etwas sein. Für Frieden. Egal, wie viele Menschenleben so ein Frieden auch kostet. Du hast für uns regelmäßig die Fakten so sortiert, dass es gepasst hat. Wir haben uns nur zu gerne hinter dir versammelt. Das BSW, endlich gab es eine Heimat für uns Empörungskonservative.

Es hat sich so gut angefühlt, zu jenen zu gehören, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Zu denen mit dem Durchblick. Zu denen, die die ganz großen Zusammenhänge durchschauen. Deutschland, regiert und inzwischen fast ruiniert von irrlichternden Eliten. Und du, die einsame Mahnerin, die Stimme der Vernunft. Du hast uns alle abgeholt, uns frustrierten Linke, uns desillusionierte Sozialdemokraten, uns enttäuschte Liberale, uns hadernde Konservative, uns Menschen, die sich darüber gefreut haben, dass es „endlich mal jemand sagt“. Wer ist denn schuld an den steigenden Mieten? Klar, „die da oben“. Und wer hat für die steigenden Energiepreise gesorgt? Der Westen, der schlicht versagt hat. Und natürlich die gefährlichen Grünen. Und wer hat die Gesellschaft verunsichert? Die Medien. Die dich jetzt ignorieren, seit der Bundestagswahl – was du regelmäßig in den Talk-Shows vehement kritisierst.

Nein, liebe Sahra, du darfst diesen Schritt nicht gehen. Das BSW wird ohne dich ganz schnell in die Bedeutungslosigkeit abrutschen und verschwinden. Und dann? Wie sollen wir künftig mit gutem Gewissen weiter ausländerfeindlich sein? Du weißt schon, keine Ressentiments, es geht nur ums Steuern und Begrenzen. Zwinkersmiley. Wie sollen wir uns künftig im Spiegel ansehen können, ohne dich als Lichtgestalt hinter uns, die für unseren Heiligenschein sorgt? Das kannst du echt nicht machen!

Wer soll denn jetzt all die Talkshow-Sendeplätze füllen? Wer soll Markus Lanz mit stoischer Ruhe erklären, warum Deutschland wirtschaftlich kaputtgespart wird und völlig überreguliert ist und wer das zu verantworten hat? Wer soll mit diesem ganz speziellen Blick alle strafen, die es einfach nicht kapieren wollen? Und was wir aus uns YouTube-Jüngern und unserem sonntäglichen, heiligen Wagenknecht-Orakel? Was machen mir, wenn wir nicht mehr anschließend stundenlang in den Kommentarspalten unsere persönliche Apokalypse zusammengoogeln? Soll all das alles jetzt einfach enden? Das kannst du uns nicht antun. Wenn du jetzt gehst, droht uns eine politische Hungersnot.

Wir bitten dich, liebe Sahra, geh nicht ganz, verabschiede dich nicht vollständig aus der Politik, wir brauchen weiter diese Mischung aus Wirtschaftspaternalismus, Nationalliebe und Anti-Globalisierungs-Rhetorik. Wo sollen wir denn hin, ohne dich? Gründe einfach eine neue Partei, das BSWONODQ – das Bündnis Sahra Wagenknecht ohne nervige Ossis die quertreiben. Bitte, bitte! Lass uns nicht allein!

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Weihnachtstonträger Dezember 2025

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Weihnachtstonträger Dezember 2025


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Musikerinnenporträt Dezember 2025: Nancy

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Musikerinnenporträt Dezember 2025: Nancy


Wenn Worte nicht mehr ausreichen, schreibt Nancy Stunz Songs, das sagt sie selbst über sich. „Ich kann meine Gefühle besser ausdrücken, wenn ich darüber singe.“ Die 24-jährige Singer-Songwriterin kommt ursprünglich aus Nordhessen und ist vor drei Jahren nach Hannover gezogen. Musik begleitet sie schon ihr ganzes Leben. Angefangen hat alles mit Keyboard- und Klavierunterricht. „Vor etwa zehn Jahren war ich auf meinem ersten Konzert, bei Wincent Weiss, stand mitten in der Menge und dachte: Das möchte ich auch machen. Danach habe ich angefangen, Songs zu schreiben.“

Die Newcomerin hat ein duales Studium in allgemeiner Verwaltung beendet und arbeitet in Teilzeit. So soll genug Zeit bleiben, aus dem Hobby mehr als das zu machen. „Seit ungefähr anderthalb Jahren versuche ich, das professionell zu machen.“

Wird Nancy nach ihren musikalischen Vorbildern gefragt, kommt die Antwort fast wie aus der Pistole geschossen: Wincent Weiss! Der deutsche Popsänger, aber auch andere Künstler*innen, wie LEA und Kayef, prägen sie und ihre Musik, die sie als „ehrlich, direkt und verletzlich“ beschreibt.

In ihrer kürzlich erschienenen Single „Angst, mich zu verlieben“, beschäftigt sie sich mit emotionalen Themen. „Durch meine Musik fällt es mir leichter, mich verletzlich zu zeigen. Ich kann nicht so gut über meine Gefühle sprechen, aber ich kann darüber schreiben.“ Das fällt auch in ihrem neuen Song auf. Er handelt von Verlust- und Bindungsangst, vom inneren Konflikt zwischen Nähe und Rückzug: „Ich habe gemerkt, dass ich Menschen oft weggestoßen habe, wenn es ernst wurde“, erzählt Nancy. Auf Instagram ist sie auf das Thema Bindungsangst aufmerksam geworden und „dann habe ich mich mit dem Thema beschäftigt und gemerkt: Oh Gott, so bin ich ja auch.“

Am Anfang fiel es ihr nicht leicht, sich auch ihrem Publikum verletzlich zu zeigen. Aber so „entsteht Nähe“, die ihr sehr wichtig ist. „Ich bin nach Konzerten immer mit meinem Publikum im Gespräch. Es ist mir wichtig, Kontakt zu meinen Fans zu haben. Ich habe gemerkt, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin – und vielleicht hilft es anderen, wenn ich offen bin.“

Sie schreibt über Liebe, Herzschmerz und Freundschaften, über Momente, „die sich erst falsch und dann richtig anfühlen“. Ihre Songs entstehen meist am Klavier, oft aus spontanen Notizen, die sie in ihr Handy tippt. „Ich schreibe Dinge auf, wenn ich sie erlebe, und erst später, wenn ich sie verarbeitet habe, wird daraus ein Song.“

Ein besonderer Moment in ihrer noch jungen Karriere war ihr erstes Support-Konzert Anfang Oktober im Mephisto Hannover, als sie für K-Fly spielte. „Das war mein erstes richtiges Konzert überhaupt. Ich war total aufgeregt, aber danach war klar: Das ist genau das, was ich machen will.“

Langfristig will Nancy mit ihrer Musik ihren Lebensunterhalt verdienen – und auch für andere schreiben. „Ich wünsche mir, dass meine Reichweite wächst, ich neue Fans gewinne und 2026 mein erstes eigenes Konzert in Hannover spiele.“ Bis dahin arbeitet sie weiter an neuen Songs und Musikvideos.

Pia Frenk

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Gründungsstory Dezember 2025: HERZ-BLATT

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Gründungsstory Dezember 2025: HERZ-BLATT


Die farbstarken Statement-Ohrringe von HERZ-BLATT fallen auf – und zwar nicht nur durch ihre Farben. Sie waren bereits im Fernsehen zu sehen, schmücken die Museumsshops im Sprengel Museum Hannover und ziehen auf Designmärkten in ganz Norddeutschland die Blicke auf sich. Hinter dem Label steht Melina Leibelt, eine erfahrene Grafikdesignerin, die seit über 20 Jahren in der Kreativbranche tätig ist.

„Ich arbeite mit geometrischen Formen in Kombination mit extravaganten Acrylfarben“, sagt sie. „Die Formen erinnern an das elegante Art-Déco der 1920er-Jahre, während meine Farben eher an die 80er und 90er angelehnt sind. Retro trifft Eleganz und Glanz – zumal ich auch mit Spiegelmaterialien arbeite.“

Erste Erfahrungen mit professionellen Industrielasern sammelte Melina bereits 2016 – zunächst für Beschilderungen und grafische Projekte. Im Sommer 2023 gründete sie schließlich ihr HERZ-BLATT DESIGN Studio. Der Start verlief klassisch über einen Etsy-Shop für hochwertige Event-Ausstattung. In einem kleinen Studio in Langenhagen, das Werkstatt, Grafikbüro und Showroom zugleich war, entstanden die ersten Produkte.

Doch der Online-Markt wandelte sich rasant. Die Plattform wurde zunehmend von Billiganbietern dominiert – ein Problem, das viele Kreative kennen. „Billige Kopien aus China haben mein ursprüngliches Geschäftsmodell zerstört“, erinnert sich Melina. „Das war ein harter Schlag, der mir zunächst den Boden unter den Füßen weggezogen hat.“ Anstatt aufzugeben, entschied sie sich für einen Neustart. Sie gab die Räume auf, blieb aber selbstständig – und entdeckte das Material Acryl neu: diesmal nicht für Dekoartikel, sondern für Schmuck.

„Ich begann, erste Stücke für mich selbst zu entwerfen – und plötzlich fragten Freundinnen und Kolleginnen, woher ich die Ohrringe habe. So entstand meine erste kleine Kollektion“, erzählt sie.

Heute bietet HERZ-BLATT handgefertigten Statement-Schmuck aus Acryl – in kleinen Serien oder als Unikate. Produziert wird mit einem eigenen Industrielaser in Hannover: farbenfroh, präzise und mit klarer Formsprache.

Besonders beliebt ist die neue „Words“-Kollektion. „‚NÖ‘ kommt übrigens in Hamburg besonders gut an“, lacht Melina. „Aber man kann sich auch ‚LOVE‘, ‚KISS‘ oder ‚FUCK‘ ans Ohr hängen – der Neon-Schmuck leuchtet sogar unter Schwarzlicht.“ Ihre Materialien bezieht sie überwiegend von deutschen Lieferanten, vieles ist bereits recycelt. „Made in Hannover“ ist für sie kein Werbespruch, sondern Überzeugung.

„Ob Leo oder Neon, filigrane Herzen oder auffällige Ohrhänger – jedes Stück entsteht mit Liebe, egal ob in Serie oder als Unikat“, sagt sie. „Und 2026 biete ich wieder Workshops an, bei denen Teilnehmende ihren ganz persönlichen Schmuck selbst gestalten können.“

Ihre Kundschaft ist so bunt wie ihre Designs. „Überwiegend sind es Frauen ab 30, die mit meinem Schmuck eigene Statements setzen möchten“, erklärt sie. Auch Drag-Queens und Style-Coaches gehören zu ihrem Netzwerk.

Mittlerweile sind HERZ-BLATT-Kollektionen in ausgewählten Concept Stores vertreten – unter anderem in Hamburg, Hildesheim und im Sprengel Museum Hannover. Dort passen ihre „Gute-Laune-Farben“ perfekt zur aktuellen Ausstellung. Und selbst Stylist*innen großer Fernsehproduktionen haben ihre Entwürfe entdeckt: „Meine Ohrringe wurden bereits bei Gute Zeiten, schlechte Zeiten getragen“, erzählt sie stolz.

Seit 2024 arbeitet Melina wieder 30 Stunden pro Woche als Grafikdesignerin – HERZ-BLATT ist ihr Herzensprojekt, das sie parallel mit neuer Energie weiterentwickelt. „Ich bin ein Beispiel dafür, dass es sich lohnt, dranzubleiben – auch wenn der Weg nicht immer gradlinig verläuft“, sagt sie. Ihr wichtigster Tipp für Gründer*innen: „Man sollte sich bewusst sein, was eine Gründung wirklich bedeutet. Es geht nicht nur um Raummiete und Personalkosten – auch Bürokratie spielt eine große Rolle. Und man braucht gute Dienstleister, die einem Aufgaben abnehmen, die man selbst nicht so gut kann oder mag.“

Auf ihrem Weg wurde Melina Leibelt von hannoverimpuls begleitet. Sie nutzte den Mikrostarter-Kredit, um ihre Werkstatt auszustatten. „Bei all dem Papierkram hat mir hannoverimpuls großartig geholfen – vor allem bei den Finanzthemen. Die Beraterinnen erklären alles so lange, bis man es wirklich verstanden hat.“ Auch bei der Erstellung des Businessplans erhielt sie Unterstützung: „Der muss schließlich wasserdicht sein – besonders, wenn man einen Kredit beantragt.“

Ute Rebel, Projektleiterin Gründerinnen-Consult bei hannoverimpuls, sagt über sie:

„Melina Leibelt hat sich nicht entmutigen lassen und an ihre Idee geglaubt. Ihre Produkte zeigen, dass es sich lohnt, weiterzumachen und neue Wege zu gehen. Wir werden sie dabei weiterhin bestmöglich unterstützen.“

HERZ-BLATT ist mehr als Schmuck – es ist ein Symbol für kreative Beharrlichkeit. Melina Leibelt hat bewiesen, dass Wandel auch im Kleinen funktionieren kann: mit Leidenschaft, klarem Design und einem guten Netzwerk. Oder, wie sie selbst sagt: „Glaubt an eure Idee – und überlegt, wie ihr euch noch besser vom internationalen Wettbewerb abheben könnt.“

Kontakt:

HERZ-BLATT DESIGN Studio

Melina Leibelt

0157 86851270
info@herz-blatt.com

herz-blatt.com

instagram.com/herz_blatt_studio/

facebook.com/HERZ.BLATT.STUDIO

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Literarisches: Tanja Tschöke

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Literarisches: Tanja Tschöke


„Der hannoversche Weg“

Ein Porträt über Tanja Tschöke und ihr Buch über Hausbesetzungen, Aktivismus und Stadtentwicklung

50 Jahre Hausbesetzungen, Aktivismus und soziale Wohnraumgestaltung. Durch Zufall ist die Autorin Tanja Tschöke im Stadtarchiv auf einen alten Aktenordner gestoßen. Darin waren Zeitungsartikel über Hausbesetzungen in Hannover gesammelt. „Ich interessiere mich schon lange für Stadtgeschichte und Beteiligungsstrukturen. Und fand die Geschichten in dem Ordner einfach spannend.“ So kam es, dass Tschöke acht Jahre lang recherchiert, Interviews geführt und geschrieben hat. In ihrem Buch „Das Haus gehört allen UNS ALLEN! Geschichte der Hausbesetzungen und selbstverwalteter Gemeinschaftsprojekte in Hannover“ dokumentiert sie 50 Hausbesetzungsaktionen, Beteiligungsverfahren und Umnutzungsinitiativen, die Hannover seit den 1970er-Jahren geprägt haben. Ihre Sammlung ist eine Mischung aus autobiografischen Erzählungen, Historie und Sachbuch: Erfahrungen werden mit Berichten und Interviews von Zeitzeug*innen verknüpft.

Das Buch zeigt, wie aus Besetzungen und Konflikten dauerhafte Strukturen entstanden: das Unabhängige Jugendzentrum (UJZ) Kornstraße, die Glocksee, das Sprengelgelände, selbstverwaltete Wohnprojekte in der Nordstadt. Viele dieser Orte gibt es seit mehr als 50 Jahren – ein ungewöhnliches Phänomen im Vergleich zu Städten wie Berlin oder Frankfurt, wo Gentrifizierung vieles verdrängt hat. Tschöke macht nachvollziehbar, warum es in Hannover anders lief. Einer der Gründe: Horst Leukefeld. Er ist in ihrem Buch beinahe der Hauptprotagonist. Leukefeld war im Stadtplanungsamt für Bürger*innenbeteiligung verantwortlich und „wurde immer dann eingesetzt, wenn Konflikte drohten zu eskalieren.“ Seine Entscheidungen, Umwege und Kompromisse zeigen exemplarisch, wie Verwaltung und Aktivismus in Hannover ineinandergriffen und weshalb viele (Frei-)Räume überhaupt entstanden – und erhalten werden konnten.

„Hier kamen politischer Wille und engagierte Verwaltungsleute zusammen“, sagt sie. Ein anderer Grund ist der sogenannte „hannoversche Weg“ zur Legalisierung von Bauwagenplätzen. „Er entstand etwa, weil Leukefeld ein Gesetz fand, welches es ermöglichte, eine Baugenehmigung zu erteilen, und die Stadt war bereit, das Gesetz umzusetzen.“

Aber auch Tanja Tschöke selbst taucht in ihrem Buch auf, denn sie ist nicht nur an Beteiligungsstrukturen interessiert, sondern hat auch selbst in einem Wohnprojekt gelebt. „Mit 19 bin ich in meinen eigenen Bauwagen gezogen und habe mit einer Gruppe und Herrn Leukefeld an dem Vertrag für den ersten legalisierten Bauwagenplatz Deutschlands gearbeitet – hier in Hannover. Ich hatte quasi mein eigenes Haus. Und wer hatte das mit 19 schon?“ Um ‚Luxus‘ ging es Tschöke dabei aber nicht. Sie ist Verfechterin der sozialen Stadtplanung und dankbar für die Strukturen, die seit den 1970er-Jahren erhalten werden konnten.

Neben bekannten Projekten, wie UJZ Kornstraße, Glocksee und Sprengelgelände, erzählt Tschöke auch weniger bekannte Geschichten: von jungen Frauen aus dem Birkenhof, einem ehemaligen Kinderheim, die dort sehr schlecht behandelt wurden und aus der Not heraus ein Haus besetzen; von Menschen ohne Obdach, die sich in der Elisenstraße aus dem gleichen Grund eigenen Wohnraum schufen; oder die beinahe vergessenen Bewohner*innen des Altwarmbüchener Moors.

Tanja Tschöke ist der Ansicht, dass „Hausbesetzungen heute eine politische Aktionsform sind, die selten ein Startpunkt neuer Projekte sind, aber nach wie vor ein wirksames Mittel, um auf Leerstand, Abrisse oder fehlende Projekt- und Freiräume hinzuweisen.“ Dass Hannover viele alternative Orte erhalten konnte, sieht sie als Gewinn für die Stadt: „Sie bieten bezahlbaren Wohnraum, Kultur, Gemeinschaft – und sie sind oft innovativer als städtische Einrichtungen.“

„Das Haus gehört UNS ALLEN!“ kann also auch als ein Plädoyer dafür verstanden werden, diese Strukturen nicht für selbstverständlich zu halten. Jüngste Finanzkürzungen und rechte Angriffe hätten gezeigt, wie fragil sie sind. „Ich wollte sichtbar machen, wie viel Arbeit dahintersteckt, wie viel entstehen kann, wenn sich Einwohner*innen engagieren, und wie wichtig diese Orte für Hannover sind.“

Pia Frenk

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Der Freundeskreis im Gespräch mit Nina Weger und Dirk von der Osten

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Der Freundeskreis im Gespräch mit Nina Weger und Dirk von der Osten


Für diese Ausgabe haben wir uns mit der Kinderbuchautorin und Zirkusleiterin Nina Weger und mit Dirk von der Osten, dem Vorstandsvorsitzenden der AWO Region Hannover, getroffen. Im gemeinsamen Gespräch geben sie Einblicke in ihre Arbeit mit Kindern und Familien, sprechen über gesellschaftliches Engagement, Chancengleichheit und die Bedeutung von Bildung. Beide eint die Überzeugung, dass eine starke, solidarische Stadtgesellschaft bei den Jüngsten beginnt – und dass es Mut, klare Haltung und verlässliche Strukturen braucht, um ihnen gute Zukunftschancen zu ermöglichen.

Wir starten immer mit einer kleinen Vorstellungsrunde.

Nina Weger (NW): Ich schreibe Kinderbücher und leite seit über 20 Jahren den Kinderzirkus Giovanni, der dieses Jahr sein 41. Jubiläum hat. Außerdem habe ich 2018 das Kinderliteraturfestival Salto Wortale gemeinsam mit Julia Kronberg ins Leben gerufen, wo wir uns für die Leseförderung in Hannover stark machen.

Dirk von der Osten (DO): Seit 2022 bin ich Vorstandsvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Region Hannover. Wir haben die unterschiedlichsten Dienstleistungen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich in der gesamten Region, aber mit deutlichem Schwerpunkt in der Landeshauptstadt Hannover.

Was hat Sie zum Freundeskreis gebracht?

NW: Die Mitgliedschaft habe ich sozusagen geerbt, da der Kinderzirkus schon vorher im Freundeskreis war. Ich bin überzeugte Hannoveranerin und lebe gerne hier. Ich finde, die Stadt ist sehr lebenswert, weil sie eine gut überschaubare Größe mit durchaus noch dörflichen Strukturen, aber zugleich allem, was eine Großstadt braucht, bietet. Vernetzung, zum Beispiel durch den Freundeskreis, funktioniert hier unkompliziert und schnell, was ich sehr schätze, wenn man Projekte ins Leben rufen möchte.

DO: Die AWO Hannover ist relativ neu im Freundeskreis, erst seit diesem Sommer. Als einer der größten Wohlfahrtsverbände, der für soziale Einrichtungen in der Stadtgesellschaft steht, passt er gut in die Förderung kultureller, sozialer und gesellschaftlicher Projekte, die der Freundeskreis unterstützt. Ich bin hier geboren und setze mich als ebenfalls überzeugter Hannoveraner gerne für die Entwicklung der Stadt ein.

NW: Wir haben übrigens noch eine Verbindung. ich habe im Kontext der Leseförderung in einigen Kindertagesstätten der AWO gelesen.

Frau Weger, was treibt Sie an, sich für Kinder stark zu machen?

NW: Kinder sind die Gestalter von morgen. Ich glaube, da kann man noch viele Weichen stellen. Es ist mir wichtig, dass sich Menschen aus ihrer Bubble heraus bewegen, denn nur durch eine wirkliche gute Mischung sind wir dazu in der Lage, über den Tellerrand hinausgucken und ein lebenswertes Miteinander zu gestalten. Im Kinderzirkus lautet die Idee: Jeder kann mitmachen, man muss nichts bezahlen, sondern sich mit seinem Engagement einbringen. Das schafft gerechte Startbedingungen für alle Kinder, was wir in unserer Gesellschaft nicht genügend haben. Auch beim Literaturfestival treibt mich die Sorge an: wir können beobachten, dass die Lesefähigkeit zurückgeht. Und ich glaube, Lesen ist die Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe und somit auch zum Erhalt der Demokratie.

Herr von der Osten, Was bedeutet für Sie gesellschaftliches Engagement?

DO: Wir sind als einer der größten KiTa-Träger in der Stadt und mit über vierzig, in der Region vierundfünfzig Einrichtungen mittlerweile sehr schwer engagiert. Diese Themen – Sprache, Sprachentwicklung, Sprachfähigkeit – sind von zentraler Bedeutung. Deswegen freut es mich zu hören, dass Frau Weger bei uns schon vorgelesen hat. Die AWO ist über 100 Jahre alt und aus der Arbeiterbewegung heraus entstanden. Es geht uns immer noch um die Frage, wo Umverteilungsdebatten entstehen – sei es Geld, aber auch Wissen und Möglichkeit zur Partizipation. Zu schauen, wie wir intern die gleichen Chancen hinbekommen und Ressourcen, Wissen und Möglichkeiten fair verteilt werden können. Dieses Verständnis von Solidarität treibt mich sowohl beruflich als auch privat an.

Frau Weger, Sie sagen, der Grund, warum Menschen ihren Platz nicht finden oder verzweifelt sind, liegt häufig an dem „Drumherum“. Was meinen Sie konkret?

NW: Das ist ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem, das wir haben. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Von Chancengleichheit haben wir uns immer weiter entfernt. Wir müssten gigantisch viel Geld in Kindergärten und Schulen pumpen, denn wir sind ein rohstoffarmes Land. Unser Rohstoff sind die Menschen. Dass viel Geld da ist, sehen wir dadurch, wie viel für Rüstung freigemacht werden kann. Das erschüttert mich. Wir müssten uns weniger mit Analysen, mehr mit Lösungen beschäftigen und lauter werden – da ist wahnsinnig viel zu tun.

DO: Ich betrachte Kindertagesstätten als Bildungs-, nicht nur Betreuungseinrichtungen. Aktuell sind die Räumlichkeiten oft noch so, wie vor 70 Jahren, ohne Rückzugs- oder Ruheräume. So wie alte Schulen konstruiert sind, wird heutzutage nicht mehr Pädagogik betrieben. Auch was das Thema Nachhaltigkeit angeht: die Klimaneutralität werden wir nicht erreichen, wenn kein Geld da ist, um zum Beispiel die Kindertagesstätten klimafreundlich auszustatten.

Was ist in Zeiten, in denen die Gesellschaft droht, auseinanderzudriften, der Kitt, der uns zusammenhält? Wo bröckelt es?

DO: Das Bröckeln ist der Versuch unterschiedlicher Interessen eine Spaltung oder eine Zuspitzung in der Gesellschaft zu schaffen. Ich hatte vorhin mal diese Umverteilungsdebatte kurz angesprochen. Ich frage mich, wo Prioritäten bei Investitionen gesetzt werden. Die skandinavischen Länder haben begriffen, dass ihr Rohstoff das Wissen, die Kinder und Jugendlichen sind. Der Kitt sind unseren sozialen Systeme, allerdings macht es der Fachkräftemangel unheimlich schwer, diese nachhaltig zu stärken.

NW: Die Wissenschaft zeigt, dass sich der Vokabelumfang, den man im ersten Lebensjahr erreicht hat, dann nur noch potenzieren kann. Wenn da nichts ist, kann sich nichts potenzieren. Es ist völlig absurd, in achten und neunten Klassen irgendwelche Projekte aufzuziehen, denn an diesem Punkt ist der Drops gelutscht. Wir müssen gut ausgebildete und qualifizierte Leute haben, die sich um die Kinder kümmern. Dann beobachte ich da noch eine Veränderung innerhalb der Gesellschaft hin zu mehr Ichzentrierung. Das merke ich zum Beispiel im Kinderzirkus: viele Eltern melden sich und wollen mitmachen, aber wenn es darum geht, sich verbindlich einzubringen, reduziert sich das Engagement drastisch.

DO: Die wollen nur die Kinder abgeben (lacht).

NW: Das fängt ja schon bei der bedürfnisorientierten Erziehung an. Unser Kitt ist die Gesellschaft, die nicht funktioniert, wenn jeder nur nach seinen eignen Bedürfnissen handelt. Die Kinder müssen doch auch lernen, mit Niederlagen und Dingen umzugehen, die ihnen vielleicht nicht gefallen. Wie sollen sie resilient werden, wenn wir sie das nicht im Kleinen üben lassen? Ich glaube, das alles hat mit der grundsätzlichen Erwartungshaltung an das Leben zu tun, einem Anspruch auf Glück – möglichst sofort.

Spielen die sozialen Medien hier eine Rolle?

NW: Wir sehen Influencer und KI-Models, die immer super aussehen. Diese Filter und der pure Perfektionismus gaukeln den Kindern etwas vor, dem kein normaler Mensch standhalten kann. Das führt zu Frustration. Es geht darum, unseren Kindern ein Verständnis dafür zu vermitteln, wie sie echte von künstlich erzeugten Inhalten unterscheiden können.

Paul, eine Figur in Ihren Büchern, erklärt die lange Existenz der Krokodile durch ihre Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen. Wie kann man die Resilienz von Kindern stärken?

DO: Wir haben vor fünfzehn Jahren mit dem Institut für Sozialwirtschaft und Sozialpädagogik eine Studie in Kindertagesstätten gemacht. Dabei kam heraus, dass die Kinder, die in der frühen Kindheit eine starke Bindung zu einer oder mehreren verlässlichen Personen hatten, später besser mit Krisen umgehen konnten. In unseren Einrichtungen versuchen wir Beziehung herzustellen und die Eltern zu empowern, beispielsweise in Fragen der Medienkompetenz. Kleinkinder merken, wenn wir mit unserer Aufmerksamkeit bei unseren Handys und nicht bei ihnen sind. In der Folge verlieren sie das Vertrauen in uns. Und das begleitet die Heranwachsenden auch später im Leben noch.

NW: Wenn ich an Schulen lese, erlebe ich es oft, dass die Lehrer hinten an ihrem Handy sitzen. Das Entscheidende, was Kinder brauchen, um sie stark zu machen, sind Klarheit und Verlässlichkeit. Meine Erfahrung zeigt mir, dass Kinder mit klaren Regeln super umgehen können. Ein großes Missverständnis ist häufig, dass alles Spaß machen muss und Erziehung Entertainment sein soll. Lesen lernen ist mühselig und hat was mit Üben und Anstrengung zu tun. Was ist also die Lösung? Geld in die Bildung aber auch in die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, von Lehrerinnen und Lehrern.

Was sind Momente in Ihrem Alltag, die Ihnen Hoffnung geben?

NW: Von den gibt es natürlich auch viele, zum Beispiel wenn ich lese und ein Kind danach sagt „Mir hat noch nie jemand vorgelesen. Aber jetzt lese ich gerne.“ Oder als es ein kleiner Junge, den mir die Lehrer der Oberschule als Analphabeten vorstellten, schaffte, in einer Woche eine 3/4 Seite zu lesen. Das war wirklich harte Arbeit. In der anschließenden Feedbackrunde sagt dieser kleine Junge: „Ich weiß jetzt, warum ich lesen und schreiben lernen muss.“ Ich finde, es gibt ganz viele hoffnungsvolle Momente, in denen Menschen Engagement zeigen, wo wir wahnsinnig viel erreichen können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn ich nicht daran glauben würde, dass wir etwas ändern können, würde ich nicht seit zwanzig Jahren den Kinderzirkus oder das Literaturfest machen.

DO: Eigentlich bin ich ein optimistischer Mensch. Auf kommunaler Ebene bekommt man immer mal wieder ein schönes Projekt durch und das gibt mir Hoffnung. Pessimistisch bin ich auf Bundesebene, weil dort keine Schwerpunksetzung auf die Themen Kinder, Jugendliche und Bildung erkennbar ist. Man sollte nicht zuerst denken, wir müssen die Pflege einkürzen oder das Bürgergeld abschaffen.

NW: Ich könnte gar nicht in einer Institution arbeiten, ich würde verrückt werden. Dass ich für mich bin und meine Projekte mache, ist ein großer Luxus. Das heißt aber auch, dass sich der Kinderzirkus mit den Eintrittsgeldern selbst trägt. Dadurch haben wir natürlich enorme Freiheiten, schnell zu reagieren und Neues auszuprobieren. Es wäre schön, Möglichkeiten dieser Freiheit auch auf institutioneller Ebene zu haben, um mehr Mut gegenüber Neuem zu generieren.

DO: Und dazu gehört auch, dass man den Institutionen ein Vertrauen gibt. Wir sind in einer Misstrauensgesellschaft angekommen. Von Jahr zu Jahr werden die Anforderungen an Verwendungsnachweise aufwendiger und mühseliger.

NW: Das kann ich bestätigen. Salto Wortale wird mit Fördergeldern finanziert, die wir uns mühselig zusammensuchen müssen. Die Geldbeschaffung, die Anträge und die Abrechnung sind ein solcher Aufwand, der mehr Zeit in Anspruch nimmt als der kreative Moment, sodass das Festival nur noch alle zwei Jahre stattfindet. Schwund und Betrug wird es immer geben. Ich glaube, auch hier fokussieren wir uns zu sehr auf das Negative als auf das Positive und das, was wir verbessern können.

Was wünscht ihr euch für den Freundeskreis und Hannover?

DO: Ich wünsche mir, dass der kulturelle, soziale und gesellschaftliche Bereich deutlich nach vorne kommt und positive Beispiel in die Öffentlichkeit lanciert. Das wäre eine Aufgabe für den Freundeskreis, da wir in unserer Stadtgesellschaft gute Beispiele in all diesen Bereichen haben.

NW: Wir können auf die guten Beispiele stolz sein. Denn am Ende lebt unsere Gesellschaft von jedem und jeder Einzelnen. Und wenn alle irgendwas tun würden, dann wären wir schon ganz weit vorne.

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