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Der Freundeskreis im Gespräch im April

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Der Freundeskreis im Gespräch im April


Diesen Monat sprechen wir mit dem selbstständigen Kommunikationsdesigner Christoph Jahn und Paulina Ancira, der Motion Designerin an einer hiesigen Werbeagentur, über die Arbeit von Designer*innen, die Vorzüge und Herausforderungen des Berufes sowie über seine Außenwahrnehmung.

Stellt euch doch beide einmal vor …

Paulina Ancira

PA – Ich bin Paulina Ancira und habe Visuelle Kommunikation studiert, was so wie Grafikdesign ist – der einzige Unterschied ist, dass Visuelle Kommunikation auch noch Interaktive Medien und Bewegtbild mit einschließt. Aktuell bin ich Motion Designerin bei creativteam.communications, einer Werbeagentur hier in Hannover. Außerdem bin ich ehrenamtliche Grafikerin beim Freundeskreis Hannover. Meine Mutter ist auch Grafikdesignerin gewesen … und seit ich klein bin, habe ich immer gerne gezeichnet und hatte dann den Vorteil, dass ich wusste, das man das beruflich machen kann.

Christoph Jahn

CJ – Den Vorteil hatte ich nicht. Ich komme aus einer Familie, da laufen unheimlich viele andere Berufe rum. Da hätte ich z. B. auch Jura studieren können, aber das war mir dann zu langweilig. Ich wollte das auch schon nach dem Abitur machen: einfach etwas anderes mit Design oder so … Ich habe dann den einfachen Weg gewählt und ein Studium begonnen – und auch abgebrochen. Dann habe ich eine Berufsausbildung zum Mediengestalter gemacht, was jetzt 23 Jahre her ist. Und seit knapp 18 Jahren betreibe ich mein eigenes Büro.

Man findet ja Begriffe wie Grafikdesign, Mediendesign, Kommunikationsdesign gleichermaßen, wobei ja Kommunikationsdesign und Grafikdesign nahezu identisch sein sollen. Das ist mitunter recht verwirrend …

CJ – Das ist schon sehr unterschiedlich. Es ist ja auch kein geschützter Begriff. Jeder darf sich Designer nennen. Gerade bei Stellenausschreibungen findest du locker 20 Begriffe, wobei unklar ist, was du können solltest. Ich bezeichne mich gerne als Kommunikationsdesigner, weil Grafik das nicht so ganz umschreibt. Ich glaube aber, es gibt 1.000 Berufsbezeichnungen und alle meinen das gleiche.

PA – Es ist insgesamt ein Problem, dass die Menschen nicht so recht wissen, wie man das benennen soll. In meiner Uni gab es zwei Studiengänge: Visuelle Kommunikation und Mediendesign. Und Mediendesign ging schon mehr in die Richtung Animation, aber auch mehr für Film … Visuelle Kommunikation betrifft eher Plakate, Buchgestaltung. Bei Stellenausschreibungen steht dann aber mitunter Mediendesigner*in – eigentlich brauchen sie aber jemanden, der Werbung macht. Das machen aber nicht die Menschen, die sich komplett auf Animationen ausgerichtet haben.

CJ – Ich habe mich entschieden, meinem Büro den Namen „Gebrauchsgrafik“ zu geben. Das ist der alte Begriff für Kommunikationsdesigner gewesen. Also ein Kunde kommt zu mir und sagt „Ich hätte gerne das so und so“ oder „Ich habe ein Problem, das hätte ich gerne gelöst“. Kundenansprache, Kundenkommunikation – das kann man auch gar nicht so pauschal sagen, das ist auch immer unterschiedlich. Wobei ich eigentlich ursprünglich aus dem Druck komme. Ich habe ganz viel Druckgrafik gelernt. Letztendlich mache ich Digitales aber auch, weil du es einfach machen musst und es auch Spaß macht.

Was sind denn so eure Standard-Handwerksmittel, die zum Einsatz kommen?

PA – Also standardmäßig benutzt man die Adobe-Suite und da so fast alle Programme … Photoshop, Illustrator, InDesign.

CJ – Bei mir ist es das gleiche. Also letztendlich ist Adobe der Marktführer.

Auch um 2000 rum, als du angefangen hast?

CJ – Ne, da war Adobe noch nicht in allen Bereichen so präsent wie jetzt. Für Satztechnik hast du eigentlich QuarkXPress genommen. Die gab es einfach vorher und die waren auch mehr angesagt. Und statt Illustrator gab es Freehand. Da du jetzt aber einfach die Creative-Suite von Adobe buchst und dann alle Programme hast, macht es keinen Sinn, noch ein zweites Programm zu kaufen. Mein wichtigstes Programm ist letztendlich InDesign, weil ich am meisten noch für den Druck tätig bin.

Ist es mit den technischen Entwicklungen, die es da so gegeben hat, einfacher geworden? Oder auch etwas komplizierter?

CJ – Anders. Der Kunde ist ja der gleiche geblieben. Klar, früher gab es manche Sachen nicht, die es heute gibt – und das hast du gar nicht infrage gestellt. Und es sind ja ganz viele Berufe weggefallen: Früher gab es ja den Lithografen und den, der den Film belichtet hat. Die ganzen Firmen gibt es gar nicht mehr. Und das ist schon einfacher geworden, weil heutzutage mehr möglich ist.

Wo du gerade den Kunden erwähnst: Wie ist das mit Kundengesprächen? Manche Designer*innen, beschreiben das als langwierigen Prozess mit viel Rumgeeiere, bei dem man irgendwie erraten muss, was der Kunde möchte …

PA – Also auf jeden Fall glaube ich, dass man ganz viel Erfahrung dabei sammeln kann. Ich habe keinen direkten Kontakt mit der Kundschaft, erfahre aber durch die Manager, was der Kunde zu dem, was ich gemacht habe, gesagt hat. Das ist mitunter schwierig, denn die Kund*innen wissen manchmal noch gar nicht, was sie wollen. Sie kommen etwa mit einer Anfrage und sagen, sie hätten gerne „etwas wie dieses Bild“ – wollen aber im Grunde ganz genau dieses Bild.

CJ – Das gibt’s immer. Und du kannst ja nicht einfach ein Bild kopieren, so nach dem Motto „Ich hätte gern die Werbung von dem“. Manche Kund*innen haben auch nicht die Vorstellungskraft, was es bedeutet, wenn sie was sagen: „Ich hätte gerne das – aber anders“. Anders kann ja 1.000 Varianten sein.

Sind solche Missverständnisse störende Fehler, die eigentlich nicht sein sollten? Oder sagt man sich eher: Das ist Teil das Geschäfts und gehört dazu … es geht darum, so lange rumzukreisen, bis man sich dann gefunden hat …

CJ – Dafür ist man ja selbst verantwortlich. Kein Kunde kennt alle Fachbegriffe, weil die einfach nicht Teil seines Alltags sind. Es kann manchmal ein bisschen nervig sein, wenn du etwas das 300. Mal erklärst – aber das musst du halt machen, weil das keiner weiß. Woher denn auch? „Ist ein Handybild druckbar?“ Klar, dann musst du dem erklären „Per se ist das druckbar, aber nicht so, wie es in der Kamera ist.“ Das musst du erst einmal erklären.

Ich bin schon häufiger darüber gestolpert, dass Designer*innen vorgehalten wird, Werbung und Manipulation zu betreiben. Seid ihr mit solchen Vorwürfen konfrontiert, dass ihr zwecks besserer kommerzieller Verwertbarkeit etwas aufhübschen oder verfälschen würdet?

PA – Also es gibt, glaube ich, neue Bewegungen, die sagen, dass Design automatisch Haltung ist. Nach dieser Bewegung sollte man immer bewusst entscheiden, wofür man etwas macht. Aber ich finde es ein bisschen schwer, das jedes Mal zu bedenken, weil man sich als Designer*in zwar darüber Gedanken machen kann, aber ich bekomme z. B. die Aufträge von der Agentur. Man soll sich schon Gedanken machen, was man mit seiner Arbeit macht – aber es gibt eben Levels dabei. Da gibt es Menschen, die das sehr extrem sehen.

CJ – Also ich mache ja eigentlich gar nicht so sehr Werbung. Du kannst ja auch Formulare für eine Versicherung machen. Aber klar: Du musst gucken, wer bei dir bestellt. Denn dem verhilfst du dazu, sich besser darzustellen. Du lässt ja wen attraktiv erscheinen. Du kannst eine Mini-Firma riesig erscheinen lassen. Das ist ja immer auch das, was der Kunde gerne möchte. Bei Werbung weißt du ja eigentlich, dass die Leute da geschummelt haben, dass Werbung lügt. Auch deshalb sage ich vielleicht manchmal ganz gerne: „Ich mache keine Werbung, sondern Gebrauchsgrafik“. Da wird mit Sicherheit auch noch mehr drauf zu kommen sein: Im Moment sind ja AI-Prozesse sehr im Gespräch … Letztlich ist das eine Frage, wie du dich selber siehst; aber auch eine Frage des Geldes.

À propos AI: Wie blickt ihr in die Zukunft? Macht ihr euch Gedanken, dass es jetzt ganz schnell gehen könnte mit der technischen Entwicklung und man aussortiert werden könnte?

CJ – Also, das ist, finde ich, nichts Neues. Es ist halt gerade populär, darüber zu sprechen. Mit Sicherheit wird ein Teil meiner Arbeit oder unserer Arbeit irgendwann ersetzt werden. Vielleicht bist du dann nur noch Berater oder der, der dann das Programm füttert. Aber wenn der Kunde jetzt nicht weiß, was er möchte, dann wird er das auch in 30 Jahren nicht wissen. So toll auch die Technik dahinter ist, das Ergebnis wird nicht besser, aber anders.

PA – Ich würde mich da anschließen. Bei freien Künstler*innen kann ich die Sorge aber auch sehr verstehen, weil deren Styles teilweise kopiert werden, was nicht fair ist. Aber als Designerin glaube ich, dass die AI noch nicht so weit ist. Manche Bekannte von mir benutzen Teile von diesen AI-Programmen, um ihre Grafiken zu verbessern. Sie machen am Ende das Design, aber nutzen solche Programme als Tool. Man muss nur vorsichtig sein, denn mit gewissen Informationen gefüttert, werden auch problematische Ergebnisse für bestimmte Begriffe geliefert, sodass die Bilder, die rauskommen, teilweise rassistisch sind bzw. eine gewisse Weltanschauung widerspiegeln. Ob das nun an denjenigen liegt, die das programmiert haben, oder daran, dass die Mehrheit der Bilder, die sich im Internet befinden, auch so sind …

CJ – Es gibt leider viele Rassisten auf der Welt und die sorgen auch für viele Fotos im Internet. Aber für Künstler*innen ist das schon echt hart, denn diese Tools für Bildgenerierung sind ja eher Kunst und nicht Grafikdesign. Für Grafikdesign ist das nur ein anderes Tool irgendwann und da finde ich es spannend, dass man das nutzen kann. Wenn du Photoshop anguckst: Ich habe angefangen mit Photoshop 3.0 – und wenn du siehst, was Photoshop jetzt kann, ist das ja komplett anders. Ich müsste ja sonst sagen: „Ich kann nur Grafikdesign machen, wenn ich Photoshop 3.0 benutze, denn da muss ich noch mein ganzes Handwerk können.“ Jetzt klicke ich für manche Aktionen bei Photoshop einmal auf einen Button und das macht den ganzen Rest.

Wenn ihr gerade von Künstler*innen sprecht: Wie würdet ihr die Frage nach Kreativität in eurem Beruf bewerten? Waltet da eher Kreativität, eher Monotonie? Als Künstler seht ihr euch ja offenbar nicht …

CJ – Ne. Ich mache Handwerk, würde ich eher sagen: schon kreatives Handwerk, aber Handwerk. Ich wüsste jetzt gar nicht, wie viel Kreativität das bedeutet. 60 % meiner Arbeit kann ich verkaufen, dann darf ich mich noch mit dem Finanzamt unterhalten, mit allen Verwaltungssachen. Das hast du nicht.

PA – Das stimmt, ja. Ich finde, man sollte schon kreativ sein, um Design machen zu können. Aber es ist auf jeden Fall anders als bei Künstler*innen, weil man beim Design immer ein Briefing bekommt; es gibt gewisse Dinge, an die man sich halten muss. Das ist für mich wie ein guter Leitfaden. Im Studium haben wir eher freiere Aufgaben bekommen: etwa, ein Buch zu gestalten – Thema und Gestaltung waren frei. Das war teilweise schön, weil man alles machen konnte – aber es war zum Teil auch anstrengend, weil man nicht wusste, wo man anfangen sollte. Das habe ich jetzt im normalen Alltag nicht mehr so, weil ich einen festeren Rahmen habe, an den ich mich halten muss.

CJ – Ganz freie Arbeiten sind echt schwierig. Es gibt durchaus Kunden, die sagen „Mach mal was“. Mit was fängst du an und was kannst du dann am Ende auch vermitteln? Andererseits finde ich es auch ganz schwierig, wenn der Kunde schon ganz krasse Vorstellungen hat und die dann aber blöd sind. Das ist dann auch eher unkreativ, weil es dann wirklich reines Abarbeiten ist.

PA – Das ist auch sehr anstrengend. Wenn die Kunden etwas Genaues wollen und man ihnen dann nicht unbedingt vermitteln kann, warum das nicht so gut funktionieren wird – und sie es dann eben trotzdem wollen.

CJ – Ja, sie gehen zum Fachmann, wollen aber dessen Meinung nicht akzeptieren. Dass du aus einem bestimmten Grund etwas machst, das sehen die manchmal nicht. Da ist das Foto und dann kommt das und das aus einem bestimmten Grund … die Blickrichtung oder so. Du kannst das alles begründen, aber das wollen diese Personen leider nicht hören. Das ist so ein bisschen das Vorurteil: Ich mache nur was schön. Aber dass da auch was dahinter steht, dass das ein Handwerk ist, in dem du der Fachmann bist, das sehen viele gar nicht.

PA – Auch ganz schwierig ist es, wenn man zwei Konzepte für ein Projekt entwickelt, mit zwei verschiedenen Ansätzen. Dann zeigt man das dem Kunden und dann heißt es: „Ich mag von dem einen Entwurf das und von dem anderen Entwurf das. Können wir die miteinander verheiraten?“ Man hat sich ja extra Gedanken gemacht – und dann muss man beide Ideen miteinander vermischen, was ja gar nicht der Plan war.

CJ – Ne, das war manchmal so gar nicht gedacht. Da stellt man sich, glaube ich, manchmal selber das Bein.

Wenn ich jetzt einen einfachen Text nehme und ändere da was an den Abständen, ziehe die entweder sehr groß auf oder halte sie ganz eng, dann kann ich ja wirklich ins Extrem gehen und man hat am Ende auf jeden Fall Probleme damit als Leser*in. Es gibt aber wahrscheinlich auch einen Bereich, wo man sagen würde, dass man das durchaus noch lesen kann, aber wo du jetzt vermutlich bereits sagen würdest, so unterschwellig ist es wahrscheinlich eher suboptimal …

CJ – Da mache ich bei mir aber eine ganz große Unterscheidung. Am Anfang darf der Kunde auf jeden Fall noch mitreden, wenn er darauf besteht, dass es die Farbe ist oder sowas. Zur Lesbarkeit sagt mir der Kunde dann meist: „Ich habe die und die Kunden.“ Für jemanden mit einem Kundenstamm um 65+ musst du den Textsatz anders machen, weil da fast jede*r eine Lesebrille hat. Da lasse ich mir auch heutzutage nicht mehr reinreden. Im Gegensatz: Wer hat sich denn früher Mal die AGBs auf Briefbögen durchgelesen? Du kannst ja auch Texte absichtlich unleserlich halten. Ich finde das immer gruselig, wenn du etwas findest und das nicht lesen kannst.

Wenn sich jetzt jemand denkt: „Ja, Grafikdesigner*in könnte ich mir vorstellen …“ Was wäre da so euer Rat? Was gibt es da so für große Pluspunkte? Was kann Spaß machen? Was muss man mitbringen? Und was ist eher unschön?

PA – Also, ich finde es schön, dass jeder, der Designer ist, das macht, weil er es möchte. Wenn man mit Designer*innen spricht, weiß man, dass die Person sich auch wirklich für Gestaltung interessiert. Was ich nicht so schön finde, ist, dass manche Menschen, die nicht Gestalter sind, sich als solche sehen – die das nicht so wertschätzen, weil sie denken, sie können das einfach so mit Canva machen: weil das doch jeder könne.

CJ – Du musst schon Leidenschaft dafür haben und das gerne machen. Ich kenne auch keinen, der nicht auch früher schon gerne gezeichnet oder sich für Kunst und Design interessiert hat. Mann kann kreativ arbeiten und jeder Kunde ist anders, jedes Projekt ist anders: Du machst nicht immer das gleiche. Und wenn ich mir bei Pinterest Designs angucke, ist das Arbeit: Ich lasse mich inspirieren oder recherchiere.

PA – Man befasst sich damit nicht nur in der Zeit, in der man arbeitet.

CJ – Genau, das ist gleichzeitig Arbeit und auch privat das Hobby. Das ist alles gleich.

 

CK

CJ:
www.gebrauch-grafik.de
Instagram: @denkinhalt

PA:
Instagram:
@paulina_ancira

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VolxKüche im unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße

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VolxKüche im unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße


Ehrenamt in Hannover
Die VolxKüche, kurz VoKü, von der jüngeren Generation eher KüfA, Küche für Alle, genannt, gibt es in der Kornstraße schon seit Mitte der 80er-Jahre. Immer montags und mittwochs wird hier ab 19 Uhr leckeres veganes Essen für nur ein 1,50 Euro aufgetischt.

Es ist wirklich irre, dass dieses Projekt schon seit gut 40 Jahren existiert. Das ist relativ außergewöhnlich“, meint Dirk. Er ist einer der rund 50 Ehrenamtlichen, die die VoKü umsetzten und das seit Jahren. „Ich habe Ende der 80er, Anfang der 90er, das erste Mal VoKü gemacht“, erinnert er sich. „In dieser Regelmäßigkeit, dieser Zuverlässigkeit, schon so lange und so gut besucht – das ist, glaube ich, etwas Besonderes!“, meint auch Sabo, der seit knapp eineinhalb Jahren in der VoKü kocht.

Das unabhängige Jugendzentrum Kornstraße, das seit 1972 existiert, versteht sich als Ort für jugendliche Subkulturen mit sozialem, kulturellem und politischem Engagement. Die VoKü hat sich Mitte der 80er aus einem Café-Projekt in der Korn entwickelt. „Irgendwann hat sich herausgestellt, dass es für die Leute wichtiger ist, abends zusammenzukommen, sich treffen zu können und etwas zu Essen zu bekommen“, erzählt Dirk.

Zweimal die Woche gibt es in der Kornstraße in der Nordstadt für einen schmalen Taler eine vegane Mahlzeit. „Was von Anfang an wichtig war: Es ging hier nie nur um eine ,Armenspeisung’, sondern es ging immer auch darum, Kochen und Essen als ein kulturelles Gut zu verstehen. Das heißt, als etwas, worüber sich Gemeinschaft herstellt. Sowohl beim Essen als auch beim Kochen“, erklärt Dirk. „Es ist eine soziale und politische Vernetzung“, ergänzt Sabo. „Das Schöne ist, dass man hier herkommen, sich unterhalten, ewig lange versacken und bleiben kann – um dann danach weiterzuziehen und zu plakatieren oder was auch immer. Oder man kommt einfach her, isst, und verschwindet dann wieder, wenn man nicht in so Stimmung ist. So kommt man aber wenigstens kurz ein bisschen unter Leute“, meint Sabo.

Für die VoKü haben sich rund 10 Kochgruppen zusammengefunden, die immer abwechselnd im Jugendzentrum Essen zubereiten. Zwischen 80 und 100 Menschen kommen zusammen und essen gemeinsam – manchmal sind es bis zu 200. „Ich habe hier gelernt, dass es etwas komplett anderes ist, für so viele Leute zu kochen. Das ist auf jeden Fall eine geile Erfahrung, das zu lernen und hinzubekommen: Ich kann einfach mal für 100 Leute kochen, mit meinen drei Kumpels“, erzählt Sabo. „Wir versuchen immer, dass die Leute nicht nur essen, sondern – zumindest in der Perspektive – auch mal kochen“, erklärt Dirk. „Es hören immer mal wieder einzelne Leute auf oder machen Pause, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass schon alle Gruppen sehr stabil am Start sind. Wenn man sich engagieren möchte, ist es aber trotzdem immer gut, zur KüfA zu kommen, den Vibe aufzusaugen und sich mit ein paar Leuten zu unterhalten. Und natürlich auch zum KüfA-Line-Plenum zu kommen, um zu erzählen, was man machen möchte. Die Gruppen entscheiden dann, ob sie darauf Bock haben“, erzählt Sabo. „Ich freue mich schon, wenn wieder Sommer ist und wir wieder im Innenhof essen können. Da gehen dann locker auch mal 200 Portionen raus. Das ist richtig schön, das ist richtig Sommer.“ Und eine richtig gute Sache ist es auch!

Jule Merx

UJZ Kornstraße – VoKü
Kornstraße 28 – 30, 30167 Hannover
Mo & Mi, ab 19 Uhr
www.ujz-korn.de

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Titel April: Große Bühne für kleine Geister

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Titel April: Große Bühne für kleine Geister


Über unsere Debattenkultur

Es ist schwieriger geworden, oder? Eine Debatte sollte eigentlich ein fairer, kultivierter Austausch sein, eine Diskussion auf Basis von Fakten, die eventuell unterschiedlich interpretiert und eingeordnet werden. Man hört sich zu, man lässt sich ausreden, man wägt die Argumente und das Ergebnis ist dann bestenfalls ein Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. Bei uns laufen die Debatten inzwischen allerdings häufig ganz anders ab. Und es hapert nicht allein an der Gesprächskultur, oft fehlt einfach die gemeinsame Basis. Wenn auf der einen Seite jemand glaubt, die Erde sei eine Scheibe, dann wird die Debatte mit jemandem, der weiß, dass die Erde ein Rotationsellipsoid ist, nicht sehr fruchtbar sein. Und sehr wahrscheinlich wird die Debatte auch nicht besonders lange dauern. Man wird sich gegenseitig die eigenen, die oft nur gefühlten Fakten entgegenschreien, sich im Anschluss noch ein bisschen beleidigen, manchmal wird es auch körperlich, und dann geht man jeweils eigene Wege und versucht, sich nie wieder zu begegnen. Man cancelt den Andersdenkenden oder besser den Andersglaubenden. Und zieht sich zurück in die eigene Blase, die eigene Komfortzone, in der ähnlich gedacht und argumentiert wird. Meist sind das verschiedene Räume im Internet, diverse Plattformen, auf denen man ganz wunderbar unter sich bleiben kann. Im Zweifel finden hier sehr kleine Geister eine sehr große Bühne …

Das eigentlich Neue ist die Verfügbarkeit dieser Bühne – im Internet kann jeder zum Lautsprecher werden. Bis in die 1990er-Jahre hinein war das noch anders, die Debatten fanden im Fernsehen und in den Zeitungen statt. Und klar, sie wurden auch mal hart geführt. Franz Josef Strauß war zum Beispiel absolut kein Kind von Traurigkeit. „Der wird nie Kanzler werden. Der ist total unfähig; ihm fehlen alle charakterlichen, geistigen und politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles.“ Das hat er seinerzeit über Helmut Kohl gesagt. „Es gibt Irrtümer, Fälschungen und Strauß-Reden“, wusste wiederum Helmut Schmidt über Franz Josef Strauß. Man hat sich damals nichts geschenkt. Auch nicht in den Talkshows vor laufenden Kameras. Und falls es doch mal drohte, zu langweilig oder bieder zu werden, hat man sich einfach Klaus Kinski in die Show geholt …

Heute versammeln sich tagtäglich Tausende Kinskis im Internet. Und was vor wenigen Jahrzehnten der „journalistischen Prüfung“ ins Netz gegangen wäre, was nicht durchgedrungen wäre, weil es erfunden, gelogen, gefälscht, rassistisch, sexistisch war, gelangt heute neben den fundierten Informationen fast gleichberechtigt in die Köpfe. Wenn es um unsere Debattenkultur geht, muss sich der Fokus zuerst vor allem auf unsere Informationsbasis richten. Woher beziehen wir unsere Informationen, was sind die Quellen? Wie werden die Informationen heute für uns aufbereitet?

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück in die „gute alte Zeit“ ohne Internet. Gab es damals auch schon Lügen, Manipulationen? Selbstverständlich. Aber die ganze Angelegenheit war dennoch sehr viel übersichtlicher. Es gab eine andere Verabredung, es gab mehr Vertrauen in den „guten“, den seriösen Journalismus. Die „Lügenpresse“, das war damals noch die BILD. Und die anderen, die aufrichtigen und investigativen Jounalist*innen, deckten die Skandale auf. Sie recherchierten umfassend, sie nahmen sich Zeit, sie checkten ihre Quellen ganz genau – und machten zum Beispiel die Watergate-Affäre öffentlich. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, wie seriöser Journalismus arbeitet und welche Ergebnisse dabei herauskommen. Wir wissen heute zum Beispiel gesichert Bescheid über zahlreiche Kriegsverbrechen der USA, wir wissen durch geleakte und durch Journalist*innen verifizierte Informationen, was beispielsweise im Irakkrieg geschehen ist und mit welchen Lügen man diesen Krieg gerechtfertigt hat. Wir wissen, dass Tabakkonzerne Studien zu Krebsrisiken manipuliert oder Informationen zurückgehalten haben, wir wissen um die Zustände in der Fleischindustrie bei uns in Deutschland, wir kennen insgesamt die Tricks und Kniffe der Lebensmittelindustrie sehr genau, wir wissen, dass die großen Energiekonzerne massiv versucht haben, die Fakten um den Klimawandel zu verwässern und zu vertuschen, wir wissen, wie Cum-Ex-Geschäfte funktionieren und wir wissen inzwischen auch, dass Vergesslichkeit ein probater Selbstschutz sein kann. Das alles wissen wir, weil gut ausgebildete Journalist*innen ihren Job gemacht haben und ihn permanent machen. Und nun mal kurz die Gegenprobe: Welche Erkenntnisse verdanken wir Karl-Heinz, 56, der sich im Netz „Thetruth“ nennt und zu den „wahren“ Hintergründen zu 9/11 „recherchiert“ hat?

Karl-Heinz, alias Thetruth wird natürlich alle, die seinen Erkenntnissen nichts abgewinnen können, der Lüge und Verschwörung bezichtigen. Und damit ist die Chance zum Diskurs, zur Debatte auch schon dahin. Denn der Vorwurf der Lüge wirkt toxisch. Wenn unterstellt wird, dass man die Unwahrheit sagt, dann ist man grundsätzlich nicht mehr vertrauenswürdig. Eine Kommunikation, die versucht, Fragen oder Probleme rational und verständigungsorientiert zu klären, ist damit so gut wie ausgeschlossen. Karl-Heinz bleibt mit seinen Fans in seiner Echokammer

Aber die gute Nachricht ist: Es gibt ihn noch, den seriösen Journalismus. Es gibt noch immer zahlreiche Quellen, auf die man sich sehr gut verlassen kann. Das Problem: Neben den journalistisch geprüften Informationen findet man in den diversen Onlinequellen viele andere Informationsangebote ohne angemessene Prüfung. Dazu werden die seriösen Formate aktiv angegangen, man versucht, mit „alternativen Fakten“ Zweifel zu streuen, kritische und inzivile Kommentare verstärken die Verunsicherung. Vertrauen muss sich Journalismus sehr hart erarbeiten. Zweifel ist dagegen schnell gesät. Wir wissen inzwischen (ebenfalls durch guten Journalismus aufgedeckt), wie im Internet Meinung manipuliert wird, wie Troll-Fabriken arbeiten, wie Bots funktionieren, wie Fakten gefälscht werden. Russland ist bei diesem Spiel übrigens ganz weit vorne dabei.

Was die Basis für unsere Debatten ebenfalls schwächt, das ist eine fortschreitende Verflachung in Teilen des Journalismus. Wir sehen eine zunehmende Infantilisierung. Nachrichten werden zur Show gemacht, Meinung nicht mehr klar als Meinung gekennzeichnet. Da berichten dann „Journalisten“ über das politische Berlin, als würden sie Bayern gegen Dortmund kommentieren. Der BILD-Stil hat sich in vielen Formaten breitgemacht, immer ein bisschen drüber, gerne ein bisschen verkürzter. Feindbilder werden gepflegt, die Grünen werden beispielsweise immer die Verbotspartei bleiben und in der Partei Die Linke verehren fast alle insgeheim Erich Honecker. Der Grundton darf ruhig ein bisschen aggressiv sein, gerne provokant. Man darf auch ruhig mal ein bisschen mit Ressentiments spielen, ein bisschen zündeln.

Aber kann man „den Medien“ eigentlich verdenken, dass sie um Aufmerksamkeit buhlen, um so auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Die Zeiten für den guten, den fundierten und professionellen Journalismus sind alles andere als gut. Viele haben den alten Vertrag aufgekündigt, nämlich Geld dafür zu bezahlen, möglichst gesicherte Informationen zu bekommen. Der Qualitätsjournalismus hat es schwer, denn er fordert Zeit und Geld, er ist teuer. Viele Menschen sind aber nicht mehr bereit, für ihre Informationen Geld zu bezahlen. Man puzzelt sich das „Wissen“ lieber umsonst im Internet zusammen. Man recherchiert selbst, und hält das, was dabei herauskommt, im Zweifel dann tatsächlich für gesicherte Wahrheit.

Und dann gibt es da nicht zuletzt noch die Will-Maischberger-Lanz-Illner-Formate im Fernsehen. Solche Sendungen können im Zweifel durchaus ganz erhellend sein. Das hängt aber sehr davon ab, wer jeweils in den Runden sitzt. Leider spielen die rhetorischen Fähigkeiten und auch ganz simpel Äußerlichkeiten eine große Rolle. Wer sich gut verkaufen kann, der punktet. Wer viel weiß, viel zu sagen hätte, aber sich gegen die Lautsprecher nicht durchsetzen kann, der geht in solchen Debatten dagegen gerne unter. Es gibt einfach Talkshow-Talente, die alle Anwesenden förmlich totlabern. Sahra Wagenknecht und Markus Söder sind nur zwei Beispiele. Und noch ein Problem haben diese Shows. Man versucht, eine gewisse Ausgewogenheit in diesen Runden herzustellen. Was bedeutet, dass man letztlich auch extreme Randpositionen einlädt, die dann gleichberechtigt zu Wort kommen. Heraus kommt dann fast immer eine False Balance, da darf dann jemand lautstark den Klimawandel leugnen, weil es diese Meinung ja schließlich auch gibt. Dass in der Wissenschaft aber Konsens herrscht über den menschengemachten Klimawandel, gerät so ins Hintertreffen. Wollte man eine wahre Balance herstellen, dürfte man die Leugner des Klimawandels in den Talkshows viele hundert Jahre gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Und was die Angelegenheit nun noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass viele Politiker*innen und andere Debattenteilnehmer*innen durchaus ihre Hausaufgaben gemacht haben. Wie platziere ich meinen Punkt? Indem ich immer wieder das gleiche behaupte, die permanente Wiederholung bringt zählbare Erfolge. Wobei tatsächlich völlig egal zu sein scheint, welchen Wahrheitsgehalt die Botschaften haben. Eine Lüge, die oft genug erzählt wird, mutiert in vielen Köpfen irgendwann zur Wahrheit. Und dazu werden Nichtigkeiten wichtig. Deutschland hat gerade erst heftig über e-Fuels diskutiert, die für die Zukunft der Mobilität völlig bedeutungslos sind. Schöner Nebeneffekt für Wissing und Lindner: Sie sind beliebter geworden in den Umfragen und viele finden die FDP jetzt technologieoffen. Total gut gelaufen, das Schauspiel.

Wenn nach solchen, im Grunde leeren Debatten genau das der Effekt ist, wenn die Präsenz in den Medien allein schon die Beliebtheit steigert, egal was für einen Schwachsinn man verzapft und wie sehr man der europäischen Idee schadet, kann man es den Politiker*innen dann verdenken, auf diese Karte zu setzen? Bei den Medien geht es um Auflage, um Aufrufe, um Einschaltquoten, bei Politiker*innen um Wähler*innenstimmen. Das ist die Währung. Und wir müssen tatsächlich sehr aufpassen, dass wir nicht auf die falschen Konten einzahlen.

Es ist durchaus ein Kraut gewachsen gegen Desinformation und Manipulation und ebenfalls gegen die Politiker*innen, die gerne populistisch blenden. Man muss sich „nur“ eine tatsächlich fundierte Basis erarbeiten. Das ist zugegeben eine Herausforderung. Die aber jeder annehmen sollte, der in unserer Demokratie mitdiskutieren möchte. Man sollte sich ergebnisoffen den verschiedenen Themen widmen, man sollte für seine Meinung beispielsweise mal versuchsweise nach Gegenargumenten suchen, das ist ein schönes Mittel zur Horizonterweiterung. Wenn ich mich bei meiner Meinungsbildung zum Krieg in der Ukraine nur auf RT und einen „Juri“ verlasse, der als „Insider“ auf Telegram über die Spezial-Operation schreibt, dann habe ich vielleicht ein klitzekleines Informationsdefizit.

Leider hat die Flut von Information, die alltägliche Kakophonie der Themen, weniger den Effekt, dass sich mehr Menschen interessieren und sich einer echten und fundierten Meinungsbildung widmen. Es passiert eher das Gegenteil, viele wenden sich lieber ab, blenden die Nachrichten, zumal die schlechten Nachrichten einfach aus, und kümmern sich lediglich noch um ihre ganz persönlichen Angelegenheiten. Wobei sie natürlich sehr eng auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Was ist anstrengend für mich, was würde Verzicht bedeuten, was würde mir finanziell Probleme machen? Man zieht sich zurück aus den großen Debatten, ein Braindrain, der unsere Debattenkultur schwächt.

Ist das so schlimm? Ist das gefährlich? Ja. Denn wir brauchen ganz dringend viele engagierte, aufmerksame, aufgeklärte und medienkompetente Menschen, die mit ihren Debatten letztlich unsere Demokratie stärken und schützen. Und das wird immer wichtiger, denn die Konkurrenz schläft nicht. Die sozialen Medien sind mit solchen kompetenten Menschen ein Segen, sie werden nur dann zum Fluch, wenn Meinungen unreflektiert konsumiert und nachgeplappert werden. Man kann sehr sicher davon ausgehen, dass der Erfolg des Rechtspopulismus in anderen europäischen Demokratien und auch hierzulande ohne die sozialen Medien nicht möglich gewesen wäre. Das ist eine Erkenntnis, die unbedingt beunruhigen sollte. Zumal es ja durchaus Mächte gibt, denen die Demokratien dieser Welt ein Dorn im Auge sind. Die bereits dabei sind, gezielt zu manipulieren und zu desinformieren, um so Einfluss zu nehmen und die extremen Ränder zu stärken. Wir dürfen uns sehr sicher sein, dass auch alle Möglichkeiten, die KI bietet, künftig für diese Zwecke missbraucht werden. Wehren können wir uns dagegen nur, wenn wir unsere Debattenkultur schützen und bewahren. Und das heißt abwägen, das heißt nachdenken, das heißt offen bleiben und wissen wollen. Nicht mehr, aber bitte auch nicht weniger.

Lars Kompa

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Randgruppenbeleidigung im April

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Randgruppenbeleidigung im April


Genussmenschen

Komm, das gönne ich mir heute. Darauf kommt es jetzt eh nicht mehr an. Das Tier ist ja schon tot. Ach, und du bist Vegetarier? Und? Wem soll das was nützen? Meinst du, du rettest so das Klima? Du allein? Und als Vegetarier? Müsstest du dann nicht besser Veganer sein? Vegetarier ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes. Isst du auch keine Wurst? Stört es dich, wenn ich trotzdem Fleisch esse? Bist du denn auch so ein Bio-Sklave und kaufst den ganzen überteuerten Kram? Und diese ekligen Ersatzprodukte? Hast du mal gelesen, was da alles so drin ist? Auch nicht alles Gold, wenn du mich fragst. Ist wahrscheinlich gesünder, einfach ein vernünftiges Stück Fleisch zu essen. Ich könnte da gar nicht drauf verzichten. Ab und zu muss das mal sein. Okay, wenn ich ganz ehrlich bin, muss es jeden Tag sein. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich steh nicht so auf diese Askese-Nummer, ich möchte mein Leben echt noch ein bisschen genießen. Wer weiß, was die Grünen nächstes Jahr schon alles verboten haben.

Ja, klar, ist vielleicht ein bisschen egoistisch von mir. Mag sein. Und ja, klar ist das nicht schön für die nächsten Generationen. Aber ich allein werde es ja nicht ändern. Und außerdem will ich sowieso keine Kinder in die Welt setzen. Die Welt ist doch längst im Arsch, machen wir uns nichts vor. Wer jetzt noch Kinder in die Welt setzt, hat es echt noch nicht kapiert. Das wird schnell gehen in den nächsten Jahren, du wirst in ganz vielen Gebieten nicht mehr leben können, der Katastrophenzustand wird das neue Normal. Ich bin ziemlich froh, dass ich nicht mehr ganz so jung bin. Vielleicht habe ich ja Glück und kneife den Arsch zu, bevor es ganz den Bach runtergeht. Aber bis dahin werde ich mein Leben noch genießen. Mach du, was du willst, ich bestelle mir jetzt ein schönes Stück Fleisch, medium. Das muss jetzt sein. Ich hatte echt einen anstrengenden Tag.

Mmh, lecker! Willst du nicht doch mal probieren? Ist echt gut. Du bist mehr so die personifizierte Enthaltsamkeit, oder? Lässt du Sex auch aus? Selbst gewähltes Zölibat? Und dann sitzt du allein zu Hause in deiner kalten Wohnung, weil alles über 18 Grad Sünde ist? Und zwischendurch wärmst du dich mit Yoga auf? Kannst du ja gerne machen, ich bin zu Hause aber gerne im T-Shirt unterwegs und da braucht es dann einfach 24, 25 Grad. Wem soll denn das bitte was nützen, wenn ich friere? Dann krieg ich nur schlechte Laune und das ist auch kein Spaß für alle Beteiligten. Ist schon schöner, wenn ich gute Laune habe, glaub mir.

Weiß du, was ich dieses Jahr noch mache? Ich fliege nach Dubai. Hab ich schon lange auf dem Zettel. Muss man ja mal gesehen haben. Das wird geil. Da werde ich es mir mal richtig geben, Luxus pur. So ein Flug kostet ja echt gar nichts mehr. Acht oder neun Stunden, schon sitzt du in deinem Hotel. Das darf dann gerne auch teuer sein. Ist heftig, was die da in die Wüste geklotzt haben, oder? Und du, was machst du im Sommer? Wandern in der Lüneburger Heide? Ich bin ja mehr so der Pool-Sitzer und Cocktail-Trinker im Urlaub. Bisschen die Langeweile genießen, zwischendurch mal was Leckeres einwerfen, dann bin ich schon glücklich. Ich bin da echt mehr so der Genussmensch. Man muss sich auch mal was gönnen, das Leben ist schon anstrengend genug. Isst du deine Kartoffeln nicht mehr? Kann ich die für meinen Fleischsaft haben. Soooo lecker? Dir ist schlecht? Du hast keinen Appetit mehr? Dann kann ich sie also haben? Danke! Wo willst du denn jetzt hin? Eine rauchen? Da würde ich mitkommen. Dass ist echt was, das ich vermisse, dass man nicht mehr drinnen rauchen darf. Das war früher soooo gemütlich. Das haben damals auch die Grünen verboten, oder?

VA

 

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Ein offener Brief an Volker Wissing

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Ein offener Brief an Volker Wissing


Lieber Volker,
Danke!
Du hast die Eier aus Stahl, du bist unser Mann in Brüssel!
Fast wäre er zerplatzt, unser großer Traum. Aber du hast aufgepasst. Du hast den Ball im Spiel gehalten.
Du hast diese grünen Verbots-Fanatiker ausgebremst. Danke! Danke! Danke! Jetzt lohnt es sich wieder, morgens aufzustehen und unseren Traum zu leben.
Denn eines Tages werden wir es geschafft haben, eines Tages werden auch wir einen Porsche fahren, aber auf gar keinen Fall einen E-Porsche, sondern ein richtiges Auto, das richtige, geile Geräusche macht, das noch klingt und duftet, wie ein echtes Auto. Okay, es fährt dann halt mit e-Fuels, mit Weichei-Benzin, aber das macht ja eigentlich nichts. Könnte sogar ganz cool sein, weil sich das in einigen Jahren nur noch eine Elite leisten können wird. Und zu der werden wir gehören, nach unserem Jurastudium. Gar keine Frage.

Man muss sich einfach frühzeitig entschließen, die eigenen, ganz persönlichen Interessen radikal an die erste Stelle zu setzen und auf den gesamten Rest vollständig zu pfeifen, man muss sich entscheiden, ein Gewinner zu sein – und wenn man sich dann beizeiten noch das richtige Parteibuch besorgt, hat man irgendwann ausgesorgt, spätestens nach der politischen Karriere, weil man all die lukrativen Aufsichtsratsposten bekommt, als Dankeschön, weil man immer so nett war. Okay, ein bisschen Glück gehört auch dazu. Man muss ja leider erst gewählt werden hierzulande, man kann sich die Plätze im Parlament (noch) nicht kaufen. Bisschen ärgerlich. Aber wenn dann irgendwann der Clou gelingt, wenn das Schicksal einen als Teil einer kleinen, käuflichen Lobby-Partei ohne Anstand und Moral auf die Regierungsbank setzt, dann hat man einfach mal gewonnen.

So wie du. Jackpot! Und klar, natürlich muss man dann zwischendurch auch mal ein bisschen was aushalten können auf dem Weg zum Ziel. Da darf man sich nicht zu schade sein. Da muss man sich mit Chuzpe in die diversen Talkshows und Interviews setzen und einfach mal kompletten Scheiß erzählen. Da muss einem die Forschung egal sein, da muss man die Wissenschaft ausklammern, da dürfen einen die Fakten nicht interessieren! Das ist fortgeschrittene Rhetorik. Wie besteht man Diskussionen, ohne ein einziges sinnvolles Argument? Indem man Volker Wissing ist! Das ist schon die ganz hohe Kunst. Da braucht es nur ein paar gute Schlagwörter wie Technologieoffenheit. Und man darf nie vergessen zu betonen, dass man nichts verbieten will. Und dass man die Leute bei der Transformation mitnehmen muss. Gerade die einfachen Leute, die es nicht so dicke haben.

Und dann lacht man sich gemeinsam mit den anderen Ego-Shootern in der Parteizentrale einen Ast, weil die einfachen Leute tatsächlich so einfach sind, dass sie den ganzen Mist tatsächlich fressen.
Die merken gar nicht, wie fulminant sie verarscht werden.
Wunderbar! Hoch die Tassen! Auf die Zukunft – ohne Tempolimit und mit echten Boxermotoren.
Wie geil ist das denn?
Danke, Volker!
Danke, FDP!
GAH

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El Kurdis Kolumne im April

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El Kurdis Kolumne im April


Die U-Bahn in unseren Köpfen

Hin und wieder besuche ich meine Quasi-Heimatstadt Kassel – und betreibe dort semi-sentimentale kulturwissenschaftliche Studien.
Neulich stand ich auf dem Platz vor dem alten Kasseler Hauptbahnhof und trauerte um die Kasseler U-Bahn. Die es selbstverständlich nie gab. Dazu ist die „Stadt der Künste und Kongresse“ – so eine frühere Eigenwerbung – bei aller Liebe mit ihren 200.000 Einwohnern dann doch zu klein.
Was es aber gab, war eine einzelne, solitäre U-Bahn-Station. Eben dort: Unter dem Vorplatz des Hauptbahnhofes. Mit allem Drum und Dran: U-Bahn-Schildern, Rolltreppen und einer schicken Ladenzeile auf einer „B-Ebene“.

Welche Drogen man damals – Mitte der 1960er – in der „nordhessischen Metropole“ genommen haben muss, um auf die Idee zu kommen, eine stinknormale Straßenbahn vor dem Bahnhof mal kurz unter die Erde tauchen und sie direkt dahinter wieder aus dem Hades herausfahren zu lassen, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.

Vermutlich wollte man genauso modern sein wie der ewige hessische Konkurrent Frankfurt, der zeitgleich eine richtige U-Bahn baute. Wobei Frankfurt für Kassel eine ziemlich größenwahnsinnige Referenz war: Die Stadt am Main zählte schon damals drei bis vier Mal so viele Einwohner und war der Standort eines riesigen Flughafens und vieler internationaler Banken. Einzig beim direkten Geschmacksvergleich der lokalen Spezialitäten „Handkäs mit Musik“ (faktisch: Harzer Käse in einer Zwiebelmarinade) und „Ahle Wurscht“ (so eine Art Eichsfelder Stracke, bloß in lecker) hat Kassel bis heute die Nase und Zunge vorn.
Ansonsten lebten wir in Kassel nun mal im Zonenrandgebiet, in der Provinz, in der Hauptstadt von Hessisch-Sibirien, und freuten uns, bei Sturm nicht von der Erdscheibe herunter zu kullern …

Allerdings genossen wir es, dass wir mit DDR 1 und 2 immerhin zwei TV-Sender mehr als die Frankfurter empfangen konnten. Das war‘s dann aber auch schon.

Andererseits: Es funktionierte. Ich erinnere mich, dass wir als Jugendliche, nachdem wir uns im Kino zunächst durch das Anschauen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ über die Drogenkonsumgewohnheiten von echten Großstadt-Teenagern informiert hatten, in die Kasseler U-Bahn-Station pilgerten – um dort dann zwar keine Opiate, aber doch immerhin leichte Cannabis-Produkte zu uns zu nehmen. Das fühlte sich fast authentisch an …

Einige Jahre später zog ich dann zum Studieren nach Hildesheim. Dort stellte ich fest, dass man für eine Fake-U-Bahn-Station noch nicht mal eine Straßenbahn braucht. Wer schon mal in Hildesheim war, weiß: Die Fußgängerzone wird von einer großen Straße, der Kaiserstraße, zerschnitten, die man heute oberirdisch an einer Fußgängerampel überquert. Früher aber existierte an dieser Stelle eine berolltreppte Unterführung. Soweit so üblich. Aber anders als andernorts, stattete man in Hildesheim diese Unterführung mit Läden aus (Popcorn, Billig-Klamotten, einen griechischen Imbiss, Ledergürtel), ließ das Ganze dann über die Jahre gezielt verranzen und verrotten und pinselte so dort für ca. 30 Meter einen charmant urban-urinigen Heroin-Chic unter die Erdoberfläche.
Wenn es mir in Hildesheim gelegentlich etwas zu idyllisch und eng wurde, stellte ich mich manchmal für fünf Minuten in diesen „U-Bahn“-Tunnel. Einfach so. Und atmete ein. Und durch.

Als ich Ende der 80er das erste Mal Hannover besuchte, beeindruckte mich hier natürlich die richtige U-Bahn. Ich dachte: Das muss tatsächlich eine Großstadt sein! Noch beeindruckender aber fand ich, dass man hier auch noch Teile der Fußgängerzone tiefergelegt hatte. Und den Autoverkehr an einigen Stellen nach oben. So als wollte man sagen: Hier ist soviel los, wir müssen auf mehreren Ebenen arbeiten!
Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Kumpel Matthias in seinem klapprigen Ford Fiesta über die Hochstraße am Aegi fuhr. Und es uns ein bisschen wie fliegen vorkam. Und auf eine paradoxe und faszinierend altmodische Art „modern“. So als wären wir in einen Science-Fiction-Film aus den 1960ern gerutscht, in dem auf dem Boden wie gehabt Autos und Fußgänger insektenartig herum krauchen, eine Etage höher aber der coole „state-of-the-art“-Verkehr stattfindet: umherzischende Flugtaxis und schwebende Menschen mit düsengetriebenen Flugrucksäcken …

Die U-Bahn-Stationen in Kassel und Hildesheim sind inzwischen Geschichte. Verrammelt und verschüttet. Auch die Hochstraße am Aegi ist Vergangenheit. Und fast schon vergessen.
In diesem Sinne: Gern geschehen. Mein Leben ist Service.
● Hartmut El Kurdi

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