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Titel April: Große Bühne für kleine Geister

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Titel April: Große Bühne für kleine Geister


Über unsere Debattenkultur

Es ist schwieriger geworden, oder? Eine Debatte sollte eigentlich ein fairer, kultivierter Austausch sein, eine Diskussion auf Basis von Fakten, die eventuell unterschiedlich interpretiert und eingeordnet werden. Man hört sich zu, man lässt sich ausreden, man wägt die Argumente und das Ergebnis ist dann bestenfalls ein Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. Bei uns laufen die Debatten inzwischen allerdings häufig ganz anders ab. Und es hapert nicht allein an der Gesprächskultur, oft fehlt einfach die gemeinsame Basis. Wenn auf der einen Seite jemand glaubt, die Erde sei eine Scheibe, dann wird die Debatte mit jemandem, der weiß, dass die Erde ein Rotationsellipsoid ist, nicht sehr fruchtbar sein. Und sehr wahrscheinlich wird die Debatte auch nicht besonders lange dauern. Man wird sich gegenseitig die eigenen, die oft nur gefühlten Fakten entgegenschreien, sich im Anschluss noch ein bisschen beleidigen, manchmal wird es auch körperlich, und dann geht man jeweils eigene Wege und versucht, sich nie wieder zu begegnen. Man cancelt den Andersdenkenden oder besser den Andersglaubenden. Und zieht sich zurück in die eigene Blase, die eigene Komfortzone, in der ähnlich gedacht und argumentiert wird. Meist sind das verschiedene Räume im Internet, diverse Plattformen, auf denen man ganz wunderbar unter sich bleiben kann. Im Zweifel finden hier sehr kleine Geister eine sehr große Bühne …

Das eigentlich Neue ist die Verfügbarkeit dieser Bühne – im Internet kann jeder zum Lautsprecher werden. Bis in die 1990er-Jahre hinein war das noch anders, die Debatten fanden im Fernsehen und in den Zeitungen statt. Und klar, sie wurden auch mal hart geführt. Franz Josef Strauß war zum Beispiel absolut kein Kind von Traurigkeit. „Der wird nie Kanzler werden. Der ist total unfähig; ihm fehlen alle charakterlichen, geistigen und politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles.“ Das hat er seinerzeit über Helmut Kohl gesagt. „Es gibt Irrtümer, Fälschungen und Strauß-Reden“, wusste wiederum Helmut Schmidt über Franz Josef Strauß. Man hat sich damals nichts geschenkt. Auch nicht in den Talkshows vor laufenden Kameras. Und falls es doch mal drohte, zu langweilig oder bieder zu werden, hat man sich einfach Klaus Kinski in die Show geholt …

Heute versammeln sich tagtäglich Tausende Kinskis im Internet. Und was vor wenigen Jahrzehnten der „journalistischen Prüfung“ ins Netz gegangen wäre, was nicht durchgedrungen wäre, weil es erfunden, gelogen, gefälscht, rassistisch, sexistisch war, gelangt heute neben den fundierten Informationen fast gleichberechtigt in die Köpfe. Wenn es um unsere Debattenkultur geht, muss sich der Fokus zuerst vor allem auf unsere Informationsbasis richten. Woher beziehen wir unsere Informationen, was sind die Quellen? Wie werden die Informationen heute für uns aufbereitet?

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück in die „gute alte Zeit“ ohne Internet. Gab es damals auch schon Lügen, Manipulationen? Selbstverständlich. Aber die ganze Angelegenheit war dennoch sehr viel übersichtlicher. Es gab eine andere Verabredung, es gab mehr Vertrauen in den „guten“, den seriösen Journalismus. Die „Lügenpresse“, das war damals noch die BILD. Und die anderen, die aufrichtigen und investigativen Jounalist*innen, deckten die Skandale auf. Sie recherchierten umfassend, sie nahmen sich Zeit, sie checkten ihre Quellen ganz genau – und machten zum Beispiel die Watergate-Affäre öffentlich. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, wie seriöser Journalismus arbeitet und welche Ergebnisse dabei herauskommen. Wir wissen heute zum Beispiel gesichert Bescheid über zahlreiche Kriegsverbrechen der USA, wir wissen durch geleakte und durch Journalist*innen verifizierte Informationen, was beispielsweise im Irakkrieg geschehen ist und mit welchen Lügen man diesen Krieg gerechtfertigt hat. Wir wissen, dass Tabakkonzerne Studien zu Krebsrisiken manipuliert oder Informationen zurückgehalten haben, wir wissen um die Zustände in der Fleischindustrie bei uns in Deutschland, wir kennen insgesamt die Tricks und Kniffe der Lebensmittelindustrie sehr genau, wir wissen, dass die großen Energiekonzerne massiv versucht haben, die Fakten um den Klimawandel zu verwässern und zu vertuschen, wir wissen, wie Cum-Ex-Geschäfte funktionieren und wir wissen inzwischen auch, dass Vergesslichkeit ein probater Selbstschutz sein kann. Das alles wissen wir, weil gut ausgebildete Journalist*innen ihren Job gemacht haben und ihn permanent machen. Und nun mal kurz die Gegenprobe: Welche Erkenntnisse verdanken wir Karl-Heinz, 56, der sich im Netz „Thetruth“ nennt und zu den „wahren“ Hintergründen zu 9/11 „recherchiert“ hat?

Karl-Heinz, alias Thetruth wird natürlich alle, die seinen Erkenntnissen nichts abgewinnen können, der Lüge und Verschwörung bezichtigen. Und damit ist die Chance zum Diskurs, zur Debatte auch schon dahin. Denn der Vorwurf der Lüge wirkt toxisch. Wenn unterstellt wird, dass man die Unwahrheit sagt, dann ist man grundsätzlich nicht mehr vertrauenswürdig. Eine Kommunikation, die versucht, Fragen oder Probleme rational und verständigungsorientiert zu klären, ist damit so gut wie ausgeschlossen. Karl-Heinz bleibt mit seinen Fans in seiner Echokammer

Aber die gute Nachricht ist: Es gibt ihn noch, den seriösen Journalismus. Es gibt noch immer zahlreiche Quellen, auf die man sich sehr gut verlassen kann. Das Problem: Neben den journalistisch geprüften Informationen findet man in den diversen Onlinequellen viele andere Informationsangebote ohne angemessene Prüfung. Dazu werden die seriösen Formate aktiv angegangen, man versucht, mit „alternativen Fakten“ Zweifel zu streuen, kritische und inzivile Kommentare verstärken die Verunsicherung. Vertrauen muss sich Journalismus sehr hart erarbeiten. Zweifel ist dagegen schnell gesät. Wir wissen inzwischen (ebenfalls durch guten Journalismus aufgedeckt), wie im Internet Meinung manipuliert wird, wie Troll-Fabriken arbeiten, wie Bots funktionieren, wie Fakten gefälscht werden. Russland ist bei diesem Spiel übrigens ganz weit vorne dabei.

Was die Basis für unsere Debatten ebenfalls schwächt, das ist eine fortschreitende Verflachung in Teilen des Journalismus. Wir sehen eine zunehmende Infantilisierung. Nachrichten werden zur Show gemacht, Meinung nicht mehr klar als Meinung gekennzeichnet. Da berichten dann „Journalisten“ über das politische Berlin, als würden sie Bayern gegen Dortmund kommentieren. Der BILD-Stil hat sich in vielen Formaten breitgemacht, immer ein bisschen drüber, gerne ein bisschen verkürzter. Feindbilder werden gepflegt, die Grünen werden beispielsweise immer die Verbotspartei bleiben und in der Partei Die Linke verehren fast alle insgeheim Erich Honecker. Der Grundton darf ruhig ein bisschen aggressiv sein, gerne provokant. Man darf auch ruhig mal ein bisschen mit Ressentiments spielen, ein bisschen zündeln.

Aber kann man „den Medien“ eigentlich verdenken, dass sie um Aufmerksamkeit buhlen, um so auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Die Zeiten für den guten, den fundierten und professionellen Journalismus sind alles andere als gut. Viele haben den alten Vertrag aufgekündigt, nämlich Geld dafür zu bezahlen, möglichst gesicherte Informationen zu bekommen. Der Qualitätsjournalismus hat es schwer, denn er fordert Zeit und Geld, er ist teuer. Viele Menschen sind aber nicht mehr bereit, für ihre Informationen Geld zu bezahlen. Man puzzelt sich das „Wissen“ lieber umsonst im Internet zusammen. Man recherchiert selbst, und hält das, was dabei herauskommt, im Zweifel dann tatsächlich für gesicherte Wahrheit.

Und dann gibt es da nicht zuletzt noch die Will-Maischberger-Lanz-Illner-Formate im Fernsehen. Solche Sendungen können im Zweifel durchaus ganz erhellend sein. Das hängt aber sehr davon ab, wer jeweils in den Runden sitzt. Leider spielen die rhetorischen Fähigkeiten und auch ganz simpel Äußerlichkeiten eine große Rolle. Wer sich gut verkaufen kann, der punktet. Wer viel weiß, viel zu sagen hätte, aber sich gegen die Lautsprecher nicht durchsetzen kann, der geht in solchen Debatten dagegen gerne unter. Es gibt einfach Talkshow-Talente, die alle Anwesenden förmlich totlabern. Sahra Wagenknecht und Markus Söder sind nur zwei Beispiele. Und noch ein Problem haben diese Shows. Man versucht, eine gewisse Ausgewogenheit in diesen Runden herzustellen. Was bedeutet, dass man letztlich auch extreme Randpositionen einlädt, die dann gleichberechtigt zu Wort kommen. Heraus kommt dann fast immer eine False Balance, da darf dann jemand lautstark den Klimawandel leugnen, weil es diese Meinung ja schließlich auch gibt. Dass in der Wissenschaft aber Konsens herrscht über den menschengemachten Klimawandel, gerät so ins Hintertreffen. Wollte man eine wahre Balance herstellen, dürfte man die Leugner des Klimawandels in den Talkshows viele hundert Jahre gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Und was die Angelegenheit nun noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass viele Politiker*innen und andere Debattenteilnehmer*innen durchaus ihre Hausaufgaben gemacht haben. Wie platziere ich meinen Punkt? Indem ich immer wieder das gleiche behaupte, die permanente Wiederholung bringt zählbare Erfolge. Wobei tatsächlich völlig egal zu sein scheint, welchen Wahrheitsgehalt die Botschaften haben. Eine Lüge, die oft genug erzählt wird, mutiert in vielen Köpfen irgendwann zur Wahrheit. Und dazu werden Nichtigkeiten wichtig. Deutschland hat gerade erst heftig über e-Fuels diskutiert, die für die Zukunft der Mobilität völlig bedeutungslos sind. Schöner Nebeneffekt für Wissing und Lindner: Sie sind beliebter geworden in den Umfragen und viele finden die FDP jetzt technologieoffen. Total gut gelaufen, das Schauspiel.

Wenn nach solchen, im Grunde leeren Debatten genau das der Effekt ist, wenn die Präsenz in den Medien allein schon die Beliebtheit steigert, egal was für einen Schwachsinn man verzapft und wie sehr man der europäischen Idee schadet, kann man es den Politiker*innen dann verdenken, auf diese Karte zu setzen? Bei den Medien geht es um Auflage, um Aufrufe, um Einschaltquoten, bei Politiker*innen um Wähler*innenstimmen. Das ist die Währung. Und wir müssen tatsächlich sehr aufpassen, dass wir nicht auf die falschen Konten einzahlen.

Es ist durchaus ein Kraut gewachsen gegen Desinformation und Manipulation und ebenfalls gegen die Politiker*innen, die gerne populistisch blenden. Man muss sich „nur“ eine tatsächlich fundierte Basis erarbeiten. Das ist zugegeben eine Herausforderung. Die aber jeder annehmen sollte, der in unserer Demokratie mitdiskutieren möchte. Man sollte sich ergebnisoffen den verschiedenen Themen widmen, man sollte für seine Meinung beispielsweise mal versuchsweise nach Gegenargumenten suchen, das ist ein schönes Mittel zur Horizonterweiterung. Wenn ich mich bei meiner Meinungsbildung zum Krieg in der Ukraine nur auf RT und einen „Juri“ verlasse, der als „Insider“ auf Telegram über die Spezial-Operation schreibt, dann habe ich vielleicht ein klitzekleines Informationsdefizit.

Leider hat die Flut von Information, die alltägliche Kakophonie der Themen, weniger den Effekt, dass sich mehr Menschen interessieren und sich einer echten und fundierten Meinungsbildung widmen. Es passiert eher das Gegenteil, viele wenden sich lieber ab, blenden die Nachrichten, zumal die schlechten Nachrichten einfach aus, und kümmern sich lediglich noch um ihre ganz persönlichen Angelegenheiten. Wobei sie natürlich sehr eng auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Was ist anstrengend für mich, was würde Verzicht bedeuten, was würde mir finanziell Probleme machen? Man zieht sich zurück aus den großen Debatten, ein Braindrain, der unsere Debattenkultur schwächt.

Ist das so schlimm? Ist das gefährlich? Ja. Denn wir brauchen ganz dringend viele engagierte, aufmerksame, aufgeklärte und medienkompetente Menschen, die mit ihren Debatten letztlich unsere Demokratie stärken und schützen. Und das wird immer wichtiger, denn die Konkurrenz schläft nicht. Die sozialen Medien sind mit solchen kompetenten Menschen ein Segen, sie werden nur dann zum Fluch, wenn Meinungen unreflektiert konsumiert und nachgeplappert werden. Man kann sehr sicher davon ausgehen, dass der Erfolg des Rechtspopulismus in anderen europäischen Demokratien und auch hierzulande ohne die sozialen Medien nicht möglich gewesen wäre. Das ist eine Erkenntnis, die unbedingt beunruhigen sollte. Zumal es ja durchaus Mächte gibt, denen die Demokratien dieser Welt ein Dorn im Auge sind. Die bereits dabei sind, gezielt zu manipulieren und zu desinformieren, um so Einfluss zu nehmen und die extremen Ränder zu stärken. Wir dürfen uns sehr sicher sein, dass auch alle Möglichkeiten, die KI bietet, künftig für diese Zwecke missbraucht werden. Wehren können wir uns dagegen nur, wenn wir unsere Debattenkultur schützen und bewahren. Und das heißt abwägen, das heißt nachdenken, das heißt offen bleiben und wissen wollen. Nicht mehr, aber bitte auch nicht weniger.

Lars Kompa

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Randgruppenbeleidigung im April

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Randgruppenbeleidigung im April


Genussmenschen

Komm, das gönne ich mir heute. Darauf kommt es jetzt eh nicht mehr an. Das Tier ist ja schon tot. Ach, und du bist Vegetarier? Und? Wem soll das was nützen? Meinst du, du rettest so das Klima? Du allein? Und als Vegetarier? Müsstest du dann nicht besser Veganer sein? Vegetarier ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes. Isst du auch keine Wurst? Stört es dich, wenn ich trotzdem Fleisch esse? Bist du denn auch so ein Bio-Sklave und kaufst den ganzen überteuerten Kram? Und diese ekligen Ersatzprodukte? Hast du mal gelesen, was da alles so drin ist? Auch nicht alles Gold, wenn du mich fragst. Ist wahrscheinlich gesünder, einfach ein vernünftiges Stück Fleisch zu essen. Ich könnte da gar nicht drauf verzichten. Ab und zu muss das mal sein. Okay, wenn ich ganz ehrlich bin, muss es jeden Tag sein. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich steh nicht so auf diese Askese-Nummer, ich möchte mein Leben echt noch ein bisschen genießen. Wer weiß, was die Grünen nächstes Jahr schon alles verboten haben.

Ja, klar, ist vielleicht ein bisschen egoistisch von mir. Mag sein. Und ja, klar ist das nicht schön für die nächsten Generationen. Aber ich allein werde es ja nicht ändern. Und außerdem will ich sowieso keine Kinder in die Welt setzen. Die Welt ist doch längst im Arsch, machen wir uns nichts vor. Wer jetzt noch Kinder in die Welt setzt, hat es echt noch nicht kapiert. Das wird schnell gehen in den nächsten Jahren, du wirst in ganz vielen Gebieten nicht mehr leben können, der Katastrophenzustand wird das neue Normal. Ich bin ziemlich froh, dass ich nicht mehr ganz so jung bin. Vielleicht habe ich ja Glück und kneife den Arsch zu, bevor es ganz den Bach runtergeht. Aber bis dahin werde ich mein Leben noch genießen. Mach du, was du willst, ich bestelle mir jetzt ein schönes Stück Fleisch, medium. Das muss jetzt sein. Ich hatte echt einen anstrengenden Tag.

Mmh, lecker! Willst du nicht doch mal probieren? Ist echt gut. Du bist mehr so die personifizierte Enthaltsamkeit, oder? Lässt du Sex auch aus? Selbst gewähltes Zölibat? Und dann sitzt du allein zu Hause in deiner kalten Wohnung, weil alles über 18 Grad Sünde ist? Und zwischendurch wärmst du dich mit Yoga auf? Kannst du ja gerne machen, ich bin zu Hause aber gerne im T-Shirt unterwegs und da braucht es dann einfach 24, 25 Grad. Wem soll denn das bitte was nützen, wenn ich friere? Dann krieg ich nur schlechte Laune und das ist auch kein Spaß für alle Beteiligten. Ist schon schöner, wenn ich gute Laune habe, glaub mir.

Weiß du, was ich dieses Jahr noch mache? Ich fliege nach Dubai. Hab ich schon lange auf dem Zettel. Muss man ja mal gesehen haben. Das wird geil. Da werde ich es mir mal richtig geben, Luxus pur. So ein Flug kostet ja echt gar nichts mehr. Acht oder neun Stunden, schon sitzt du in deinem Hotel. Das darf dann gerne auch teuer sein. Ist heftig, was die da in die Wüste geklotzt haben, oder? Und du, was machst du im Sommer? Wandern in der Lüneburger Heide? Ich bin ja mehr so der Pool-Sitzer und Cocktail-Trinker im Urlaub. Bisschen die Langeweile genießen, zwischendurch mal was Leckeres einwerfen, dann bin ich schon glücklich. Ich bin da echt mehr so der Genussmensch. Man muss sich auch mal was gönnen, das Leben ist schon anstrengend genug. Isst du deine Kartoffeln nicht mehr? Kann ich die für meinen Fleischsaft haben. Soooo lecker? Dir ist schlecht? Du hast keinen Appetit mehr? Dann kann ich sie also haben? Danke! Wo willst du denn jetzt hin? Eine rauchen? Da würde ich mitkommen. Dass ist echt was, das ich vermisse, dass man nicht mehr drinnen rauchen darf. Das war früher soooo gemütlich. Das haben damals auch die Grünen verboten, oder?

VA

 

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Ein offener Brief an Volker Wissing

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Ein offener Brief an Volker Wissing


Lieber Volker,
Danke!
Du hast die Eier aus Stahl, du bist unser Mann in Brüssel!
Fast wäre er zerplatzt, unser großer Traum. Aber du hast aufgepasst. Du hast den Ball im Spiel gehalten.
Du hast diese grünen Verbots-Fanatiker ausgebremst. Danke! Danke! Danke! Jetzt lohnt es sich wieder, morgens aufzustehen und unseren Traum zu leben.
Denn eines Tages werden wir es geschafft haben, eines Tages werden auch wir einen Porsche fahren, aber auf gar keinen Fall einen E-Porsche, sondern ein richtiges Auto, das richtige, geile Geräusche macht, das noch klingt und duftet, wie ein echtes Auto. Okay, es fährt dann halt mit e-Fuels, mit Weichei-Benzin, aber das macht ja eigentlich nichts. Könnte sogar ganz cool sein, weil sich das in einigen Jahren nur noch eine Elite leisten können wird. Und zu der werden wir gehören, nach unserem Jurastudium. Gar keine Frage.

Man muss sich einfach frühzeitig entschließen, die eigenen, ganz persönlichen Interessen radikal an die erste Stelle zu setzen und auf den gesamten Rest vollständig zu pfeifen, man muss sich entscheiden, ein Gewinner zu sein – und wenn man sich dann beizeiten noch das richtige Parteibuch besorgt, hat man irgendwann ausgesorgt, spätestens nach der politischen Karriere, weil man all die lukrativen Aufsichtsratsposten bekommt, als Dankeschön, weil man immer so nett war. Okay, ein bisschen Glück gehört auch dazu. Man muss ja leider erst gewählt werden hierzulande, man kann sich die Plätze im Parlament (noch) nicht kaufen. Bisschen ärgerlich. Aber wenn dann irgendwann der Clou gelingt, wenn das Schicksal einen als Teil einer kleinen, käuflichen Lobby-Partei ohne Anstand und Moral auf die Regierungsbank setzt, dann hat man einfach mal gewonnen.

So wie du. Jackpot! Und klar, natürlich muss man dann zwischendurch auch mal ein bisschen was aushalten können auf dem Weg zum Ziel. Da darf man sich nicht zu schade sein. Da muss man sich mit Chuzpe in die diversen Talkshows und Interviews setzen und einfach mal kompletten Scheiß erzählen. Da muss einem die Forschung egal sein, da muss man die Wissenschaft ausklammern, da dürfen einen die Fakten nicht interessieren! Das ist fortgeschrittene Rhetorik. Wie besteht man Diskussionen, ohne ein einziges sinnvolles Argument? Indem man Volker Wissing ist! Das ist schon die ganz hohe Kunst. Da braucht es nur ein paar gute Schlagwörter wie Technologieoffenheit. Und man darf nie vergessen zu betonen, dass man nichts verbieten will. Und dass man die Leute bei der Transformation mitnehmen muss. Gerade die einfachen Leute, die es nicht so dicke haben.

Und dann lacht man sich gemeinsam mit den anderen Ego-Shootern in der Parteizentrale einen Ast, weil die einfachen Leute tatsächlich so einfach sind, dass sie den ganzen Mist tatsächlich fressen.
Die merken gar nicht, wie fulminant sie verarscht werden.
Wunderbar! Hoch die Tassen! Auf die Zukunft – ohne Tempolimit und mit echten Boxermotoren.
Wie geil ist das denn?
Danke, Volker!
Danke, FDP!
GAH

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El Kurdis Kolumne im April

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El Kurdis Kolumne im April


Die U-Bahn in unseren Köpfen

Hin und wieder besuche ich meine Quasi-Heimatstadt Kassel – und betreibe dort semi-sentimentale kulturwissenschaftliche Studien.
Neulich stand ich auf dem Platz vor dem alten Kasseler Hauptbahnhof und trauerte um die Kasseler U-Bahn. Die es selbstverständlich nie gab. Dazu ist die „Stadt der Künste und Kongresse“ – so eine frühere Eigenwerbung – bei aller Liebe mit ihren 200.000 Einwohnern dann doch zu klein.
Was es aber gab, war eine einzelne, solitäre U-Bahn-Station. Eben dort: Unter dem Vorplatz des Hauptbahnhofes. Mit allem Drum und Dran: U-Bahn-Schildern, Rolltreppen und einer schicken Ladenzeile auf einer „B-Ebene“.

Welche Drogen man damals – Mitte der 1960er – in der „nordhessischen Metropole“ genommen haben muss, um auf die Idee zu kommen, eine stinknormale Straßenbahn vor dem Bahnhof mal kurz unter die Erde tauchen und sie direkt dahinter wieder aus dem Hades herausfahren zu lassen, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.

Vermutlich wollte man genauso modern sein wie der ewige hessische Konkurrent Frankfurt, der zeitgleich eine richtige U-Bahn baute. Wobei Frankfurt für Kassel eine ziemlich größenwahnsinnige Referenz war: Die Stadt am Main zählte schon damals drei bis vier Mal so viele Einwohner und war der Standort eines riesigen Flughafens und vieler internationaler Banken. Einzig beim direkten Geschmacksvergleich der lokalen Spezialitäten „Handkäs mit Musik“ (faktisch: Harzer Käse in einer Zwiebelmarinade) und „Ahle Wurscht“ (so eine Art Eichsfelder Stracke, bloß in lecker) hat Kassel bis heute die Nase und Zunge vorn.
Ansonsten lebten wir in Kassel nun mal im Zonenrandgebiet, in der Provinz, in der Hauptstadt von Hessisch-Sibirien, und freuten uns, bei Sturm nicht von der Erdscheibe herunter zu kullern …

Allerdings genossen wir es, dass wir mit DDR 1 und 2 immerhin zwei TV-Sender mehr als die Frankfurter empfangen konnten. Das war‘s dann aber auch schon.

Andererseits: Es funktionierte. Ich erinnere mich, dass wir als Jugendliche, nachdem wir uns im Kino zunächst durch das Anschauen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ über die Drogenkonsumgewohnheiten von echten Großstadt-Teenagern informiert hatten, in die Kasseler U-Bahn-Station pilgerten – um dort dann zwar keine Opiate, aber doch immerhin leichte Cannabis-Produkte zu uns zu nehmen. Das fühlte sich fast authentisch an …

Einige Jahre später zog ich dann zum Studieren nach Hildesheim. Dort stellte ich fest, dass man für eine Fake-U-Bahn-Station noch nicht mal eine Straßenbahn braucht. Wer schon mal in Hildesheim war, weiß: Die Fußgängerzone wird von einer großen Straße, der Kaiserstraße, zerschnitten, die man heute oberirdisch an einer Fußgängerampel überquert. Früher aber existierte an dieser Stelle eine berolltreppte Unterführung. Soweit so üblich. Aber anders als andernorts, stattete man in Hildesheim diese Unterführung mit Läden aus (Popcorn, Billig-Klamotten, einen griechischen Imbiss, Ledergürtel), ließ das Ganze dann über die Jahre gezielt verranzen und verrotten und pinselte so dort für ca. 30 Meter einen charmant urban-urinigen Heroin-Chic unter die Erdoberfläche.
Wenn es mir in Hildesheim gelegentlich etwas zu idyllisch und eng wurde, stellte ich mich manchmal für fünf Minuten in diesen „U-Bahn“-Tunnel. Einfach so. Und atmete ein. Und durch.

Als ich Ende der 80er das erste Mal Hannover besuchte, beeindruckte mich hier natürlich die richtige U-Bahn. Ich dachte: Das muss tatsächlich eine Großstadt sein! Noch beeindruckender aber fand ich, dass man hier auch noch Teile der Fußgängerzone tiefergelegt hatte. Und den Autoverkehr an einigen Stellen nach oben. So als wollte man sagen: Hier ist soviel los, wir müssen auf mehreren Ebenen arbeiten!
Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Kumpel Matthias in seinem klapprigen Ford Fiesta über die Hochstraße am Aegi fuhr. Und es uns ein bisschen wie fliegen vorkam. Und auf eine paradoxe und faszinierend altmodische Art „modern“. So als wären wir in einen Science-Fiction-Film aus den 1960ern gerutscht, in dem auf dem Boden wie gehabt Autos und Fußgänger insektenartig herum krauchen, eine Etage höher aber der coole „state-of-the-art“-Verkehr stattfindet: umherzischende Flugtaxis und schwebende Menschen mit düsengetriebenen Flugrucksäcken …

Die U-Bahn-Stationen in Kassel und Hildesheim sind inzwischen Geschichte. Verrammelt und verschüttet. Auch die Hochstraße am Aegi ist Vergangenheit. Und fast schon vergessen.
In diesem Sinne: Gern geschehen. Mein Leben ist Service.
● Hartmut El Kurdi

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Ein letztes Wort im März

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Ein letztes Wort im März


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, in der Türkei und in Syrien hat die Erde gebebt, ein schreckliches Unglück mit tausenden Toten …

Ja, das Ausmaß ist verheerend und zutiefst bestürzend. Viele Menschen in Niedersachsen haben Verwandte, Bekannte und Freunde in der Erdbebenregion – Trauer, Sorge und Verzweiflung sind groß. Ich erlebe bei den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen insgesamt eine große Anteilnahme, viel Mitgefühl und eine enorme Hilfsbereitschaft. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Niedersachsen in der Not so zusammensteht.

Wie hilft Niedersachsen, wie läuft das ab?

Das Land hat aus seinen Beständen mehr als 150.000 Tonnen Hilfsgüter im Wert von über 850.000 Euro ins Erdbebengebiet geliefert, darunter Feldbetten, winterfeste Zelte, Heizgeräte und Decken. Niedersachsen hatte umgehend Hilfe angeboten und kurz darauf erfolgte auch der Abruf. Die staatliche Katastrophenhilfe wird von einem gemeinsamen Lagezentrum von Bund und Ländern koordiniert, das wiederum als nationale Kontaktstelle für die gemeinsame Katastrophenschutzhilfe der EU dient. Aber es sind vor allem auch viele Wohlfahrts- und Rettungsorganisationen, die sofort Hilfe geleistet haben. Das Technische Hilfswerk etwa weiß sehr genau, was in solchen Fällen notwendig und zu tun ist. Und es gibt viele private Initiativen: Der Ukrainische Verein hat den Türkischen Gemeinden sofort seine Spendensammelstelle zur Verfügung gestellt. Bei meinem Besuch dort war ich von der Zusammenarbeit wirklich beeindruckt – und bin es ehrlich gesagt immer noch. 

Erdogan steht in der Kritik, weil Hilfe teilweise erst sehr spät vor Ort war …

Es ist schon sehr bedenklich, dass vielerorts auch Tage nach dem Erdbeben noch keine Rettungskräfte im Einsatz waren. Wir dürfen auch nicht nur auf die Türkei schauen, aus Syrien haben uns zunächst kaum Bilder erreicht, das Ausmaß von Tod und Zerstörung in den ohnehin bereits vom Krieg schwer gezeichneten Regionen können wir nur erahnen. Dorthin hätte die Hilfe der Vereinten Nationen viel früher kommen müssen, was die Verantwortlichen mittlerweile ja auch selbst eingeräumt haben. 

Ich war ein bisschen fassungslos, als Erdogan vor die Kameras getreten ist, um zu verkünden, dass man den Medien, die jetzt kritisch berichten, auf keinen Fall glauben sollte, dass es denen mit ihren „Lügen“ nur um Spaltung gehe. Glaubt nicht den Kritikern, das war der Tenor …

Der Umgang Erdogans mit Medien und die Pressefreiheit in der Türkei sind ja schon seit langem ein Dauerthema. Alle kritischen Medien per se als unglaubwürdig darzustellen ist zutiefst undemokratisch. Man muss nicht jede mediale Kritik teilen, aber man muss souverän damit umgehen können. 

Solche Anwürfe gibt es aber durchaus auch bei uns.

Sie spielen auf den Vorwurf der „Lügenpresse“ an, der gerne von rechter Seite erhoben wird …

und teilweise auch von der linken Seite.

Es ist ein recht hilfloser, leicht zu durchschauender und scharf zurückzuweisender Versuch, andere Standpunkte nicht zuzulassen, indem man ihre Quellen grundsätzlich anzweifelt und diskreditiert. Bei Erdogan wirkt es so, als wolle er Kritik an seiner Person abwenden. Das wird ihm hoffentlich nicht gelingen. Wir brauchen in der öffentlichen Debatte unterschiedliche Meinungen und Standpunkte, mit denen man sich auch offen auseinandersetzen können muss. Medienvielfalt und Pressefreiheit zählen zu den Grundpfeilern unserer Demokratie.

Jetzt sind wir schon fast im Thema, ich wollte mit Ihnen heute eigentlich über ChatGPT sprechen, beziehungsweise über KI und die Medien. Das birgt ja ganz neue Möglichkeiten, leider auch zur Manipulation. Sind wir darauf vorbereitet?

Definitiv noch nicht gut genug.

Was muss denn passieren?

Ich denke insgesamt, dass der Umgang mit Medien im Bildungswesen eine zentrale Rolle spielen muss. Wir haben es heute mit einem ganz anderen Manipulationspotenzial zu tun. Junge Leute wachsen mittlerweile mit TikTok, YouTube und vielen anderen Medien auf. Und natürlich werden sie dadurch beeinflusst. Meine Generation ist auch beeinflusst worden – durch Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. Aber die Berichte dort waren journalistisch aufbereitet, das ist in den sozialen Medien nicht der Fall. Die Verbreitungs- und Interaktionsmöglichkeiten sind mittlerweile vollkommen andere als zu meiner Schulzeit. Wir sind allerdings leider noch weit davon entfernt, die Herausforderungen, die ChatGPT und KI gerade auch mit Blick auf Manipulationsmöglichkeiten oder auch Fehleranfälligkeit mit sich bringen, systematisch anzugehen.

Es gibt Studien darüber, dass das Problem der Desinformation gar nicht so sehr die jungen Leute betrifft, sondern dass Menschen ab 30 und verstärkt ab 40 aufwärts Fake nicht erkennen.

Leider haben wir inzwischen immer mehr ein Problem mit Meinungs- und Informationsblasen, die nicht mehr in Frage gestellt werden.

Es scheint so zu sein, dass Menschen mit einer vorgefassten Meinung ins Netz gehen und sich dann dort nur Informationen zusammenpuzzeln, die ihre Meinung unterstützen. Alles andere wird geflissentlich ignoriert.

Im Netz besteht dafür leider eine ganz besondere Versuchung und ein ausgeprägter Resonanzboden. Für viele Themen finden sich im Internet und den sogenannten Sozialen Medien zahlreiche vermeintliche Belege oder Quellenangaben, die sich bei näherem Hinsehen als falsch herausstellen. Und bei den Posts die den Nutzerinnen und Nutzern angezeigt werden spielen Algorithmen eine große Rolle. Man bekommt überwiegend nur noch das angezeigt, was dem eigenen Profil und Klickverhalten und damit der eigenen Meinung entspricht.  

Wie könnte man denn gegensteuern? Wo findet man im Netz beispielsweise wirklich verlässliche Informationen?

Es gibt viele verlässliche Quellen. Zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung und die Landeszentralen der Länder, sie stellen zu vielen Themen gut aufgearbeitete Informationen bereit. Und wir haben nach wie vor zum Glück einen breit aufgestellten, vielfältigen Qualitätsjournalismus. Außerdem finde ich für erste Informationen auch häufig Wikipedia hilfreich. Aus meiner Sicht schafft Wikipedia es in den meisten Fällen gut, den seriösen Anspruch durchzuhalten und es hält Quellenangaben vor. Gerade aber seriöse Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen werden jedoch von denjenigen, die nur die eigene Meinung bestätigt sehen wollen, oft ignoriert. Gegensteuern können wir langfristig dadurch, dass möglichst frühzeitig ein kluger Umgang mit Medien und Informationen vermittelt wird. Wie können Informationen validiert und Quellen beurteilt werden? Welche Interessen verfolgt möglicherweise die Verfasserin oder der Verfasser? Diese Methoden zu lehren, ist primäre Aufgabe der Schulen, aber auch später der Erwachsenenbildung. Nur so wird sich unsere Gesellschaft langfristig gegen Desinformation wehren können.

Ich finde die Diskussionen um den künftigen Umgang mit den Medien momentan noch ein bisschen zu klein. Wir müssen uns ja darauf vorbereiten, dass da etwas auf uns zurollt, dass die Desinformation rapide zunehmen wird, Stichwort Deep Fake. Demnächst halten Sie dann eine Rede im Internet, die Sie nie gehalten haben …

Wir stehen bei der Beantwortung dieser Fragen noch am Anfang. Die technische Entwicklung ist der Politik oft voraus. Wir haben im Umgang mit Hate Speech erste Kontrollmechanismen eingezogen. Diese Mechanismen müssen aber natürlich kontinuierlich begleitet und nachjustiert werden. Manche Plattformen ignorieren die Maßstäbe auch einfach und entziehen sich so wie zuletzt z.B. Twitter jeder Kontrolle. Das war auch einer der Gründe, warum ich Twitter nicht mehr nutze, eine Konsequenz, die jeder persönlich ziehen könnte. Insgesamt kann ich Ihnen aber nur Recht geben, wir müssen sehr wachsam sein und bleiben. Der Einsatz von KI-Programmen eröffnet nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ ganz andere Möglichkeiten. Es ist durchaus denkbar, dass mithilfe solcher Programme ganze öffentliche Debatten komplett künstlich inszeniert oder zumindest massiv beeinflusst werden können. Wir müssen das sehr ernst nehmen. 

Das ist eine Gefahr für die Demokratien?

Ja, absolut. Zusammen mit einer Unterdrückung der freien Presse und kritischer gesellschaftlicher Kräfte verstärkt es in autoritären Staaten noch einmal die Möglichkeiten, die Menschen im eigenen Land massiv zu manipulieren. Ich habe zum Beispiel in Russland in der Vergangenheit sehr viele friedliebende und differenziert denkende Menschen kennengelernt. Dass wir dort nun nach einem Jahr Krieg mit Zehntausenden Toten noch immer jede Menge Unterstützung für Putin sehen, das ist aus meiner Sicht auch das Ergebnis einer systematischen Manipulation über Jahre durch die Staatsmedien.

Interview: Lars Kompa

 

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Der Freundeskreis im Gespräch im März

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Der Freundeskreis im Gespräch im März


Diesen Monat sprechen wir mit Toren Grothe (TG), dem Vorstandsvorsitzenden der Mecklenburgischen Versicherung, und Björn Steiner (BS) aus dem Vorstand des Brainhouse247 über die Zukunft der Arbeit, alternative Arbeitsweisen und Work-Life-Balance. Beide sind Mitglieder des Freundeskreis e.V.

Lasst uns damit beginnen, dass ihr euch vorstellt: Wer seid ihr und was macht ihr?

Toren Grothe

TG – Mein Name ist Toren Grothe, ich bin 49 Jahre alt und Vorstandsvorsitzender der Mecklenburgischen Versicherungsgruppe, die hier in Hannover ansässig ist. Ich bin der 12. Vorstandsvorsitzende in einer 225-jährigen Geschichte. Von Haus aus bin ich Versicherungskaufmann, habe anschließend Wirtschaftswissenschaften hier in Hannover studiert und bin seit 20 Jahren im Unternehmen tätig. 2016 bin ich schließlich in den Vorstand berufen worden und 2021 Vorstandsvorsitzender geworden. Meine wichtigste Aufgabe ist es, dieses traditionelle und historisch geprägtes Haus fit für die Zukunft zu machen und zu zeigen, dass Versicherung nicht langweilig und angestaubt ist. Eine großartige Aufgabe, für die ich sehr dankbar bin.

À propos „angestaubt“: Wenn man sich die Werbespots von Versicherungen ansieht, überwiegt ein recht konservatives und traditionelles Bild von Familie, von Geschlechterrollen … Beruft man sich da nicht auch auf Tradition und Beständigkeit?

TG – Versicherungen sollten Sicherheit ausstrahlen und entsprechend wird Tradition im Marketing natürlich gerne aufgegriffen. Das eine oder andere ist selbstverständlich veraltet, aber dennoch etwas, wodurch eine gute Verbindung zum Thema Sicherheit hergestellt werden kann. Als Versicherungsgesellschaft ist man allerdings auch ein Stück weit dazu aufgefordert, sich über das Marketing immer wieder neu zu erfinden.

Kommen wir zu dir …

Björn Steiner

BS – Mein Name ist Björn Steiner, ich bin auch 49 Jahre alt und komme aus Stuttgart. Ich habe Kommunikationswissenschaften studiert, bin aber erst einmal in eine komplett andere Branche abgedriftet und habe eine Zeit lang Clubs betrieben. Zwischenzeitig war ich in Amerika, habe dort als Brandmanager ein Modelabel mit aufgebaut und anschließend in Deutschland einige Influencer und Stars gemanagt. Bevor ich zu BRAINHOUSE247 kam, war ich mit Herrn Arweck, dem ehemaligen Kommunikationschef von Porsche, in der Markenberatung tätig; vor allem für Marken, die sich schwer tun, aus dem Analogen ins Digitale zu kommen. Das digitale Erscheinungsbild einer Person, ihre Marke, ihre Reichweite, wird mindestens so wichtig sein wie die Performance. Mit dem Grundgedanken habe ich immer neue Konzepte entwickelt. Und Herr Panzer, ein erfolgreicher Immobilienentwickler, kam auf mich zu und sagte, er wolle gemeinsam mit mir ein Betriebssystem für Immobilien schaffen, das die Zukunft des Arbeitens verändert. Mit einem innovativen ganzheitlichen Konzept innerhalb von Gebäuden wollte er verhindern, dass Gebäude, die heute noch super sind, morgen schon an Wert verlieren. Und dann hat er mir das alte Siemens-Gebäude in Laatzen, dieses 18.000m²-Monster, gezeigt. Wir haben uns anschließend mit Experten aus Gesundheit, Digitalisierung, Technologie zusammengesetzt und das Konzept feingliederig weiterentwickelt. So war ich anfangs beratend bei BRAINHOUSE247 tätig und wurde schließlich in den Vorstand aufgenommen, um für die operative Geschichte verantwortlich zu sein und diese Welt zu kreieren.

Inwiefern soll Brainhouse247 die Arbeit verändern?

BS – Durch den Ort, die Services und die DNA sollen Arbeitnehmer positiv gestimmt sein, Arbeit anders wahrzunehmen, neue Möglichkeiten zu entdecken und sich frei zu entfalten. Wir wollten von Anfang an einen Ort schaffen, an dem der Mensch im Mittelpunkt steht und mehrere Möglichkeiten zur freien persönlichen Entfaltung hat. Kindererziehung, Standorterreichbarkeit, Öffnungszeiten – alle Hemmschwellen reduzieren wir auf ein Minimum. Die DNA besteht aus Lernen, Begegnungen und Gesundheit. Wir haben Services wie 24/7-Öffnungszeiten, eine fußläufig erreichbare Kita, Carsharing, Gastronomie, ein eigenes Gesundheitszentrum, ein E-Sports-Zentrum, einen Maker-Space, eine eigene Poststelle, einen IT-Support, ein Eventcenter und Fitnessstudios. Alles ist so konzipiert, dass es zu unserer DNA beiträgt. Und die Mitgliedschaft kostet dann einen gewissen Preis – 500 Euro –, wobei aber die Mitglieder einen solchen Mehrwert erfahren werden, dass wir glauben, dass sie gar nicht mehr im traditionellen Alltag arbeiten möchten. 95 % der Firmen haben laut Umfragen aktuell hauptsächlich Themen wie ihr Kerngeschäft auf der Agenda. Wir nehmen diesen 95 % viel ab, indem wir uns ergänzend um das Wohlbefinden der Mitarbeiter bemühen.

TG – Das sind einige Punkte, die für Arbeitgeber wirklich interessant und attraktiv sind. Zum einen ist es der Punkt, Arbeitsmöglichkeiten anzubieten, die man im Zweifel im eigenen Unternehmen auf diese Art und Weise gar nicht darstellen kann. Selbst, wenn man es wollte, ist man mit den eigenen räumlichen Gegebenheiten eingeengter. Außerdem ist es wichtig, zu versuchen, die Bindung der Mitarbeitenden zum Unternehmen bei allen flexiblen Möglichkeiten, die es aufgrund von Corona inzwischen gibt, aufrecht zu erhalten. Das bestimmt auch die Attraktivität als Arbeitgeber. Es reicht nicht mehr, nur Präsenz in Social Media zu zeigen; Unternehmen brauchen eine eigene Identität. Dabei geht es unter anderem um Familienfreundlichkeit und darum, dass man das dann nicht nur auf einen Flyer schreibt, sondern die Menschen auch spüren lässt, was das Unternehmen mit „familienfreundlich“ meint. Das hat unglaublich viele Facetten und je mehr Möglichkeiten ein Unternehmen hat, solche Angebote zu unterbreiten, desto besser kommt es an.

BS – Wir haben z. B. ein Gesundheitszentrum mit einem Ärzteteam, in dem wir einen ganz neuen Ansatz fahren: präventive Gesundheit, Vorsorgeuntersuchungen und Check-ups … Wir möchten zeigen, dass der, der früher vielleicht ein paar Tage krank gewesen ist, durch aktives, präventives Gesundheitsmanagement – wir reden auch über mentale Programme – allgemein fitter ist. Ein weiterer Aspekt der DNA ist das Lernen. Das Thema „berufliche Weiterentwicklung“ ist für immer mehr Menschen interessant. Wir haben ein Weiterbildungszentrum, in dem sich die Mitarbeiter selbst weiterentwickeln. Wir werden jede Woche einen eigenen Speaker-Circle mit Experten, Talenten und Keynote-Speakern bilden. So wird es einmal in der Woche einen Speaker-Tag zum Thema Gesundheit, Politik, Kultur oder Technologie geben. Und dann haben wir den dritten Punkt: Begegnungen. Die Isolation hat vielen nicht gut getan, sodass wir gesagt haben, der Ort muss Begegnungen protegieren. Wir haben zwei verschiedene Arten, wie wir die Menschen im BRAINHOUSE247 miteinander vernetzen. Es gibt ein Buddy-System. Das sind die guten Seelen des Hauses, zu denen ich gehen kann, wenn ich privat im Haus ein Potenzial sehe, aber vielleicht eine Hemmschwelle wegen zwei Jahren in Isolation besteht. In solchen Momenten hilft der Buddy. Außerdem haben wir den Connection-Master, der die Menschen im Haus aktiv vernetzt. Man meldet sich dort an und sucht z. B. jemanden, der sich mit Marketing und Vertrieb auskennt. Über den Connection-Master kann ich Experten finden, die mich in diesen Bereichen unterstützen.

Gab es bestimmte Vorbilder?

BS – Nein, wir sind tatsächlich – und das war das Schöne an dem Projekt – völlig unbelastet da rein und durften komplett frei gestalten. Unser Unternehmensinhaber hat uns in dem Punkt vollkommen vertraut. Deutschland hat doch eine ziemlich negative Einstellung zum Thema Arbeiten. Daran haben wir uns orientiert und bei der Entwicklung herausgefunden, dass wir auf keinen Fall auf die Ebene mit einem Coworking gestellt werden wollen. Wir wollten etwas schaffen, wo die Menschen Part einer Community sind und gefördert werden. Bei uns im Haus haben wir überall Leute, auch Etagenmanager, die danach schauen, wie es den Menschen geht und was sie brauchen. Sich wohlzufühlen und wertgeschätzt zu werden, ist wichtig.

Ihr seid euch ja einig, dass Arbeitgeber*innen den Arbeitnehmer*innen etwas bieten müssen. Es gibt ja zwei Sichtweisen: Nach der einen hat heute die Arbeitgeberseite die Probezeit und Arbeitnehmer*innen entscheiden, ob sie bleiben wollen. Es gibt aber auch die kritische Sicht, dass sich diese ganzen Freiheiten, flexible Öffnungszeiten oder unbegrenzte Urlaubstage etc., zu Ungunsten der Arbeitnehmerseite auswirken. Wie blickt ihr darauf?

BS – Ich glaube, dass viele Themen gerade noch sortiert werden müssen. Einerseits kommt die Frage auf, ob weniger gearbeitet wird, wenn Leben und Arbeiten verbunden wird. Wir befinden uns auf einem Weg, auf dem der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern immer mehr vertrauen muss. Es hat sich herausgestellt, dass die Produktivität unter Corona nicht gelitten hat, dass es aber ein deutlich höheres Stressaufkommen gab. Ich glaube, dass das Vertrauen, das infolge des Home Office aufgekommen ist, die Produktivität steigert: Ich gebe dir einen Benefit und du arbeitest, teilst dir das selbstständig ein und bist damit hoffentlich zufriedener. Wir challengen natürlich die Ergebnisse immer mal wieder, aber dadurch, dass du dich wohlfühlst und diesen Benefit erfährst, steigt meiner Meinung nach deine Motivation, deine Produktivität, deine Treue zur Marke … Und man muss sich aus diesem alten Unternehmertum, alles zu kontrollieren, lösen.

TG – Das Thema Eigenverantwortung finde ich auch ganz wichtig dabei. Kontrolle ist eigentlich sowieso vorbei, so kann man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr führen. Das ist auch gar nicht die Anforderung an Führungskräfte. Der Qualitätsmaßstab ist allerdings der Kunde und der wird so oder so spiegeln, ob die Qualität und der Service, den wir anbieten, stimmen. Dafür brauche ich eigentlich keine Führungskraft. Die Rolle der Führungskräfte verändert sich allgemein im Moment sehr – und das vor allen Dingen in Richtung der Belegschaft. Mitarbeiter verlassen nicht Unternehmen, sondern sie verlassen Führungskräfte.

Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen, mehr Eigenverantwortung, mehr Freiheit: Siehst du da auch eine potenzielle Gefahr, dass sich Arbeitnehmer*innen dadurch mit einer freiwilligen Selbstkontrolle mehr Stress machen als eigentlich notwendig?

TG – Ja, das kann ich nur bestätigen. Home Office hat durchaus mehr Flexibilität mitgebracht, aber besonders motivierte Kolleginnen und Kollegen gehen über die eigentliche Anforderung weit hinaus. Es gibt Menschen, die einen besonderen eigenen Leistungsanspruch haben. Das kann man im Haus ein Stück besser im Auge behalten als im Home Office. Über das Home Office sind die Mitarbeitenden in ihren vier Wänden und man bekommt kein Gefühl dafür, wie es demjenigen zu Hause geht. Es passiert tatsächlich häufig, dass Menschen sich über das eigentlich mögliche Maß hinaus belasten. Es ist eine Aufgabe für jede Arbeitgeberin, eine Möglichkeit und ein Gespür dafür zu entwickeln. Als Arbeitgeberin habe ich auch eine Verantwortung für die Belegschaft dabei. Dieses Führen über Distanz stellt eine völlig neue Anforderung an Führungskräfte. Damit müssen uns auseinandersetzen und gute Lösungen finden. Da ist jedes Unternehmen gefragt, Auszeiten anzubieten und dem Team die Möglichkeit zu geben, außerhalb ihres gewohnten Umfelds in Interaktion miteinander zu treten.

Wie geht man mit Mitarbeiter*innen um, die auf solche Interaktionen oder teambildende Maßnahmen gar keine Lust haben?

TG – Jeder ist individuell, was seine eigenen Vorlieben angeht. Ich würde das nicht als Zwangsveranstaltung interpretieren. Natürlich würde ich als Führungskraft hinterfragen, warum das so ist, aber es kann und soll niemand zu so etwas gedrängt werden – zumal z. B. Teamveranstaltungen unter Zwang nicht den Effekt haben, den man sich von ihnen erhofft.

Wie gehst du mit der Kritik um, dass mehr Freiheiten zu einer übermäßig großen Selbstkontrolle führen können?

BS – In unserem Ökosystem haben wir hierfür eine deutlich geringere Gefahr als im Home Office, weil die Menschen bei uns oft auch als Teams zusammenkommen und dabei mag es auch jemanden geben, der alles als Teamleiter so ein bisschen steuert. Die Führungskraft der Zukunft hat die Herausforderung, die Menschen emotional, persönlich zu kennen, ernst zu nehmen, zu begeistern. Diejenigen, die das können, werden in Zukunft die besten Führungskräfte sein. Der Ort, den wir dafür gestaltet haben, bietet genau das.

Spiegelt sich die Suche nach neuen Wegen ein wenig im Kunstpreis, den die Mecklenburgische alle zwei Jahre vergibt? Geht es dabei ums Prestige?

TG – Wir vergeben den Kunstpreis nun seit 20 Jahren. Der Hintergrund ist, dass wir wieder einen stärkeren Bezug zu Neubrandenburg aufbauen wollten – also zur Gründungsstadt der Gesellschaft. Bedingung für den Kunstpreis ist, dass man entweder in Mecklenburg-Vorpommern geboren ist oder dort als Künstler arbeitet. Mittlerweile ist es auch Prestige, weil es uns gelungen ist, dem Kunstpreis einen Namen zu geben, der mittlerweile auch eine Attraktivität für Künstler hat. Wir werden mit diesem Kunstpreis mittlerweile exklusiv in Verbindung gebracht. Es gibt einen Katalog dazu und auch eine hohe mediale Präsenz vor Ort.

Zum Abschluss: Was sind eure Ziele, Hoffnungen, Wünsche für die Zukunft?

BS – Ich hoffe, dass wir mit dem BRAINHOUSE247 wirklich einen Ort schaffen, an dem sich die Menschen künftig sehr gerne aufhalten und wo sie gerne arbeiten. Ich möchte, dass wir dazu beitragen können, dass dieses moderne Arbeiten den Menschen guttut und ihnen hilft, mit den doch hohen Anforderungen, die heutzutage da auf Arbeitnehmer einprasseln, besser klarzukommen – und vor allem gesund zu bleiben. Außerdem hoffe ich, dass wir hier in Deutschland aufwachen. Die Zeiten sind extrem verrückt – Covid, Krieg – das sind schwierige Zeiten und viele Menschen machen sich Sorgen. Wir verhindern mittlerweile zu oft, wir verwalten zu oft, machen es Menschen, die kreativ sind, nicht leicht, erfolgreich zu sein. Wir müssen anfangen, weg von dieser reinen Verwaltung zu gehen und uns wieder mal ein bisschen was zu trauen …

TG – Da stimme ich vollkommen zu. Die Unsicherheit ist etwas, das sehr prägend für unsere Zeit ist, und da ist mein Wunsch natürlich, dass wir lernen, damit vernünftig umzugehen. Wir müssen uns aber auch die Zeit und die Ruhe nehmen, die es dafür braucht. Es gilt, für uns, für die Unternehmen, für die Gesellschaft, eine Problemlösungskompetenz zu entwickeln, miteinander vernünftig im Dialog zu bleiben und die Dinge am Ende anzupacken.

CK

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