Ein letztes Wort im Januar …

Herr Weil, ich bin ganz entschieden gegen eine Große Koalition im Bund. Sie nicht. Warum nicht?
Theoretisch bin ich das auch, denn Große Koalitionen sind ja immer nur eine Notlösung. Aber ganz praktisch haben wir momentan eine sehr unkomfortable Situation. Jamaika ist nach allen Regeln der Kunst geplatzt. Jetzt müssen wir uns fragen, wie wir im Bund zu einer neuen Regierung kommen. Die brauchen wir, auch um die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie zu unterstreichen. Die SPD hat direkt nach dem 24. September gesagt, dass sie das Wählervotum verstanden habe. Und dass sie in die Opposition geht. Das war zu dem Zeitpunkt richtig. Und es gab ja auch eine denkbare Alternative. Diese Jamaika-Alternative ist uns inzwischen aber abhandengekommen. Und darum wird nun die SPD auf die eine oder andere Weise Mitverantwortung übernehmen müssen.

Bei der SPD ist man ja geteilter Meinung, in der Führungsriege tendierte man eher in Richtung GroKo, die Jusos wollen das so gar nicht. Die Basis diskutiert vehement, mal in die eine, mal in die andere Richtung.
Es muss auch diskutiert werden, denn es geht um eine sehr schwierige Abwägung. Emotional war die gesamte SPD nach der Wahl auf Opposition eingestellt. Wir hatten als Partei den Wählerwillen verstanden und akzeptiert: Ende der Großen Koalition. Rational ist es nun aber so, dass keiner von uns ein Interesse daran haben kann, dass wir ganz am Ende bei Neuwahlen landen. Wir haben einen Auftrag der Wählerinnen und Wähler und müssen zunächst einmal sehr ernsthaft versuchen, damit zurechtzukommen. Das alles ist nicht leicht, es gibt keinen Königsweg. Deshalb müssen wir uns die Zeit nehmen, ruhig und besonnen auszuloten, welche Vorhaben mit der CDU möglich sind.

Gerade ist überall zu lesen, die SPD gerate zunehmend unter Druck. Verstehe ich nicht so ganz. Erstens wird Deutschland nicht untergehen, auch wenn es mit der Regierungsbildung noch dauert. Und zweitens sehe ich eigentlich eher die CDU/CSU und Angela Merkel unter Druck. Die sind dran, ein Bündnis zu schmieden.
Natürlich, Frau Merkel hat den berühmten Regierungsauftrag, den die größten Parteien nach Wahlen nun einmal haben. Aber der Parteitag im Dezember hat bewiesen, dass es der SPD nicht egal ist, was in Deutschland passieren wird. Unsere Partei hat sich immer für das Große und Ganze mit zuständig gefühlt und Verantwortung übernommen.

Warum eigentlich? Muss die SPD immer staatstragend sein?
Staatstragend klingt so ein bisschen in die Jahre gekommen. Aber wie sollte das Große und Ganze funktionieren, wenn wir nur noch Klientelparteien hätten, die einzig auf die Interessen derjenigen berücksichtigten, die sie primär vertreten? So eine Vorstellung ist jedenfalls konträr zu meinem Gesellschaftsbild. Es geht mir und uns ums Gemeinwohl. Es geht darum, eine ganze Gesellschaft nach vorne zu bringen und nicht nur einzelne Gruppen. Darum sollte es übrigens allen Parteien gehen.

Können Sie genau das eventuell der FDP noch mal erklären…
Nein, darauf muss die FDP alleine kommen. Sie kann bei Jeremia 29,7 nachlesen: „Suchet der Stadt Bestes (…) denn wenn‘s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.“ Aber noch mal zu dem Begriff staatstragend. Ich habe bei diesem Begriff eher das Bild einer Säule vor Augen, die ihren Teil dazu beiträgt, dass das ganze Gebäude steht. Und das kommt meinem Bild von der Aufgabe einer Partei in einer Gesellschaft ziemlich nahe. Was aber nicht heißt, dass es aus meiner Sicht zwangsläufig zu einer großen Koalition kommen muss. Ich bin kein Verfechter von Großen Koalitionen. Aber ich bin sehr dafür, dass wir die verschiedenen Optionen gründlich prüfen. Es geht darum, dass wir einen handlungsfähigen, demokratischen Staat präsentieren.

In unserem letzten Interview haben Sie gesagt, „die SPD ist erfolgreich, wenn sie bodenständig und bürgernah auftritt und sich ganz konkret als ‚Kümmerer‘ präsentiert“. Und dass eine erfolgreiche SPD dann auch interessant und attraktiv für die Menschen sei.
Vollkommen richtig.

Wie soll die SPD das hinbekommen in einer Neuauflage der Großen Koalition im Bund?
Es dürfte in einer Großen Koalition kein „weiter so“ geben. Aber die SPD darf ihre Probleme auch nicht auf die Große Koalition reduzieren. Was ich damit zum Ausdruck bringen will: Es wäre naiv, anzunehmen, dass die SPD in der Opposition automatisch zu alter Kraft und Stärke zurückfände. Die SPD aber auch die anderen Parteien vermitteln doch allzu oft den Eindruck, außerhalb der Gesellschaft zu stehen und nicht Teil der Gesellschaft zu sein. Genau das aber war aber ein wesentliches Element des Wahlerfolges der SPD in Niedersachsen. Wir haben authentisch vermittelt, dass wir ein Teil der niedersächsischen Gesellschaft sind, nichts Besseres, nichts Schlechteres, ein Teil davon.

Die SPD wäre im Bund ein sehr kleiner Partner. Entsprechend agiert und kommentiert bereits die CDU/CSU. Da macht Christian Schmidt in Sachen Glyphosat einen Alleingang, da mahnt Alexander Dobrindt, die SPD solle sich mit den Ansprüchen mal ein bisschen mäßigen. Nach Augenhöhe klingt das nicht.
CDU/CSU sind darauf angewiesen, dass die SPD mitmacht – das weiß auch Herr Dobrindt. Und es geht uns bei unseren Forderungen nicht um uns sondern darum, der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Und bei Licht betrachtet wäre die Große Koalition, über die jetzt gesprochen wird, eine ganz normale, fast eher kleine Koalition. Sie würde gerade mal von 53 Prozent der Stimmen im Deutschen Bundestag getragen. Beide Parteien haben ja schwer Federn gelassen bei den Bundestagswahlen.

Trotzdem ist die SPD weitaus kleiner.
Und gerade darum ist es so wichtig, dass die SPD nicht einfach so weitermachen kann, wie bisher. Die Union eigentlich auch nicht, aber ich bin ja nicht der politische Berater der CDU/CSU. Letztlich müssen sich aber beide großen Parteien in Deutschland die Frage stellen, was sie verändern müssen, um die Menschen wieder überzeugen zu können. Mir würde da schon einiges einfallen. Die Flüchtlingskrise im Herbst 2015 beispielsweise war eine Zäsur. Danach haben wir überwiegend Scheindiskussionen erlebt, diskutiert wurde und wird rauf und runter über Abschiebung. Das eigentliche Schlüsselthema aber ist die gesellschaftliche Integration. Das ist eine schwere Aufgabe ist, die auf Bundesebene in hohem Maße ignoriert worden ist. Dafür trägt insbesondere die CDU/CSU die Verantwortung. Die Bundesregierung hat damit einen Beitrag dazu geleistet, dass das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates sich verschlechtert hat. Wir hatten leider vor allem gegen Ende der letzten Legislatur einen Staat, der auf Bundesebene die Probleme, die auf dem Tische lagen und liegen, nicht wirklich ernsthaft angegangen ist. Das muss sich ändern. Die Verantwortlichen in Berlin müssen sich endlich den gesellschaftlichen Problemen stellen, sie offen ansprechen und dann wirklich ernsthaft und hart an Lösungen arbeiten.

Eine Schwäche, die sie da feststellen, der vergangenen Regierung – an der die SPD beteiligt war.
Ja.

Und nicht zu knapp beteiligt war.
Ja. Nicht genug, aber auch nicht zu knapp.

Okay, lasse ich mal so stehen. Kommen wir zur Möglichkeit der Tolerierung einer Minderheitsregierung. Was spricht dagegen?
Auch das ist ein diskutabler Weg. Der größte Vorteil bestünde darin, dass es keine Große Koalition gäbe. Ein Nachteil wäre, dass wir keine wirklich stabile Lösung hätten, weil alle Beteiligten jederzeit den Stecker ziehen könnten, die Geduldeten genauso wie die Duldenden. Auf dieser Grundlage würden wir meiner Einschätzung nach in absehbarer Zeit zu Neuwahlen kommen.

Vielleicht würden ja zwei Jahre auch erst mal reichen.
Man muss alle Möglichkeiten ernsthaft durchdenken und gewissenhaft abwägen. Die dritte Möglichkeit wäre noch die gebundene Tolerierung. Man würde sich im Vorfeld über einzelne, feste Punkte einigen und im Übrigen von Mal zu Mal neu entscheiden. Bei der Variante müsste man sich allerdings fragen lassen, warum man dann nicht gleich ganz in die Regierung einsteigt, damit die verabredeten Punkte auch vernünftig umgesetzt werden.

Weil man dann nicht die Reservebank der Angela Merkel ist, vielleicht?
Eine schöne Formulierung, da haben Sie mich gut zitiert.

Interview: Lars Kompa


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2 Kommentare für “Ein letztes Wort im Januar …”

  1. Axel sagt:

    „handlungsUNfähigen“?
    Zitat: „Aber ich bin sehr dafür, dass wir die verschiedenen Optionen gründlich prüfen. Es geht darum, dass wir einen handlungsunfähigen, demokratischen Staat präsentieren.“
    Hat den Tippfehler noch keiner bemerkt? Habe ich die Ironie nicht verstanden? Oder habe ich mich in „meinem“ MP so getäuscht? „handlungsUNfähigen“?

  2. Wolke sagt:

    Oh, là là! Vielen Dank, Axel, für deinen Hinweis! Bei all dem GroKo-Hickhack waren wir wohl etwas unaufmerksam … 😉 Wir haben den Fehler korrigiert.

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