Prof. Selin Arikoğlu von OYA e. V.

OYA e. V. unterstützt Personen, die bereits straffällig geworden sind oder als gefährdet gelten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Unterstützung der Angehörigen, denn „bestraft wird immer die ganze Familie“, so die Gründerin des Vereins, Prof. Selin Arikoglu. Die Idee dazu entstand durch ihre vielfältigen Erfahrungen in der Straffälligenarbeit. Benannt ist OYA nach ihrer Mutter.

„Oya ist der Vorname meiner Mutter, die mir und meinen Geschwistern vorgelebt hat, allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen“, erklärt Arikoglu. „Wir haben in einem Viertel gewohnt, das man heute ‚Brennpunkt‘ nennen würde. So bin ich früh mit straffälligem Verhalten meiner Freund*innen in Kontakt gekommen. Meine Mutter war so etwas wie die inoffizielle Sozialarbeiterin des Bezirks. Wenn Freund*innen von mir richtig Mist gebaut hatten, haben sie auf der Polizeistation nicht die Nummer ihrer Eltern angegeben, sondern gesagt: ‚Rufen Sie bitte Tante Oya an.‘ Oft hat meine Mutter dann erreicht, dass sie Sozialstunden statt Jugendarrest bekommen haben.“
Derart geprägt, fing Arikoglu im Alter von 18 Jahren an, sich im Jugendvollzug zu engagieren und setzte sich während ihres Studiums der Sozialen Arbeit für Straffällige ein. Sie arbeitete in der Justizvollzugsanstalt Uelzen, in der Jugendanstalt Hameln und ist als Anstaltsbeirätin der JVA Hannover und Sehnde tätig. Seit 2014 lehrt sie in der HAWK Holzminden, der FH Hannover und der Uni Hildesheim mit der Thematik Straffälligkeit/Kriminalität und Rolle der Sozialen Arbeit im Strafvollzug. Aktuell tritt sie eine Professur an der Katholischen Hochschule Berlin an.
Als sie 2019 als Anstaltsbeirätin in der JVA Hannover einen ehemaligen Inhaftierten wiedertraf, den sie während seiner Jugendhaft als Sozialarbeiterin beraten hatte, entwickelten sie gemeinsam die Idee, einen Verein zu gründen, um dauerhaft mit Studierenden Projekte in der JVA durchführen zu können. „Mir war dabei ganz wichtig, nicht nur die Belange der Straffälligen, sondern vor allem auch die der Angehörigen zu berücksichtigen. Diese werden nämlich im Vollzug so gut wie gar nicht wahrgenommen.“ Bald starteten sie mit einer Entlassungsvorbereitungs-Maßnahme in der JVA. Das Ende der Haft, so sehr es herbeigesehnt wird, ist ein schwieriger Moment für alle Betroffenen. Wie finde ich zum Beispiel eine Wohnung, nachdem ich neun Jahre eingesessen habe? Wie bewerbe ich mich? Wie integriere ich mich in meine Familie, wenn meine Frau jahrelang praktisch alleinerziehend war? Hierbei unterstützt und berät OYA engmaschig und kostenlos und begleitet die Familien bei Bedarf auch über mehrere Jahre.
Inzwischen hat der Verein 55 ehrenamtliche Mitarbeitende mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Viele sind Studierende im Fach Soziale Arbeit. Besonders stolz ist Arikoglu auf ihre „OYA Youngstars“, engagierte Schüler*innen, die nach entsprechender Vorbereitung zum Beispiel in Schulen oder Beratungsstellen als Konfliktvermittler*innen eingesetzt werden. Unter ihnen sind auch Kinder, Nichten, Neffen von ehemals und aktuell inhaftierten Menschen, die Arikoglu durch ihre Angehörigenarbeit kennengelernt hat. „Bei uns können sie eigene Ideen einbringen und drehen jetzt zum Beispiel Videos für Social Media, die Gleichaltrige für das Problemfeld ‚Straffälligkeit‘ sensibilisieren. Wir machen Exkursionen mit den Youngstars, haben die JVA Hannover besucht und die Drogenberatung Drobs, wo sie sehr umfassend über das Thema Sucht informiert wurden. Im Gegenzug werden sie bei unseren Präventionsmaßnahmen dabei sein und dort die Perspektive ihrer Altersgruppe einbringen“, erklärt Arikoglu.
Monatlich erscheint ein OYA-Newsletter mit Interviews zu wechselnden Themen, in denen Straffällige und ihre Angehörigen in anonymisierter Form zu Wort kommen. „Meine Haltung ist, dass ich grundsätzlich Inhaftierten als Mensch begegne. Ich habe keinerlei Empathie gegenüber dem straffälligen Verhalten, kann der Person und ihrer Biografie aber mit Respekt und großer Empathie gegenübertreten.“ Aber kennen die Mitarbeitenden des Vereins denn die Biografien und die Delikte der Inhaftierten, wenn sie sie im Rahmen ihrer Maßnahmen treffen? „Wenn es auffälliges Verhalten oder Sicherheitsbedenken gibt, dann erfahren wir das vorher. Notfalls sind dann Bedienstete der JVA dabei, aber in der Regel können wir in einem dafür zur Verfügung gestellten Raum völlig ungestört kommunizieren – auf Augenhöhe und unabhängig von Geschlecht, Religion, Ethnie, sozialem Status und auch der Tat.“

● Annika Bachem

www.oya-ev.de


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