Tag Archive | "2022-03"

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Über Kultur


Gefühlt beginnt das Jahr 2022 erst so richtig in diesen Tagen, wir freuen uns auf den März, auf mehr Sonne und hoffentlich auch ein bisschen mehr Leben. Zum ersten Mal seit Monaten ist ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Wir werden im März und spätestens im April mit großer Wahrscheinlichkeit die Aufhebung der Einschränkungen erleben und verbinden damit die Hoffnung, dass sich dann auch viele der sogenannten Spaziergänger besinnen und sich der Nebel in den Hirnen allmählich wieder lichtet. Spätestens jetzt, in diesen Tagen, während der Gesundheitsminister noch warnt, bloß nicht zu schnell alle Vorsicht fahren zu lassen, aber gleichzeitig mehr und mehr Politikerinnen und Politiker auf die Aufhebung aller Beschränkungen drängen (manche aus dem Team Freiheit muss man ja beinahe festbinden), dürfte doch klar sein, dass niemand aus der Politik jemals ein Interesse an diesen Beschränkungen hatte. Weit und breit keine Diktatur. Und keine geheimen Verschwörungen. Alles Unsinn. Was wir sehen, sind ganz regulär von demokratischen Mehrheiten gewählte Politikerinnen und Politiker, die es nun sehr eilig haben, endlich einen Haken an Corona zu machen. Wir sind nach wie vor in Deutschland, mit allen Macken, Widersprüchen und Unzulänglichkeiten. Und darüber sind wir heilfroh, denn wer sich in der Welt so umsieht, stellt fest, dass es kaum noch Orte, wo man freier leben könnte.
Was Freiheit ist, echte Freiheit, das erschließt sich mit einem kurzen Blick auf die Kultur, auf die Künste. In dieser Ausgabe habe ich mit Sonja Anders, Intendantin Schauspiel Hannover, über Kultur gesprochen. Sonja Anders ist zeitgleich mit Laura Berman in Hannover gestartet, sehr einig waren sie sich zu Beginn ihrer ersten Spielzeit, dass sie Schauspiel und Oper viel mehr öffnen wollten für die Stadt. Und dann kam Corona dazwischen, doch der Plan steht nach wie vor und ein Teil des Weges ist auch schon geschafft. Aber natürlich geht es jetzt erst richtig los …

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Tonträger im März

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Tonträger im März


Modell Bianka: Kummerland
„Lovepunk“ nennt die hannoversche Band ihre Musik, und das passt gut, denn die Punk-immanente Rotzigkeit fehlt hier fast ganz und kommt wohldosiert in wenigen gescreamten Refrains zum Einsatz. Dieses Debüt ist vom ersten bis zum zehnten Song liebevoll gemacht: Melodiöse, gemäßigte Uptempo-Prügelsongs mit klugen Texten und Hooklines, zu denen man eher singen als mitgröhlen möchte.

 

 

 

 

 

Tokunbo: Golden Days
Die Musikerin Tokunbo, bekannt als Kopf der mehrfach Jazz-Award-gekrönten Acoustic-Soul-Jazz-Band Tok Tok Tok, liefert mit ihrem neuesten Werk eine warmherzige Melange aus Folk und jazzigem Pop mit einem unüberhörbaren Country-Einschlag. Entstanden während des Lockdowns 2020, ist das Album stilistisch ein Gruß an die klassischen Songwriter der 70er Jahre wie The Carpenters und Carol King.

 

 

 

 

 

Black Sea Dahu: I Am My Mother
Die Schweizer Indie-Folkband ist ein Familienunternehmen um die Singer-Songwriterin Janine Cathrein und ihre Geschwister Vera und Simon, das lediglich die Stellen für Bass, Schlagzeug und Keyboard mit Externen besetzt hat. Sängerin Janine besitzt eine tatsächlich kaum verwechselbare Stimme, die den lyrisch bis orchestralen Sound der Band zu etwas Besonderem macht.

 

 

 

 

 

Toundra: Hex
Das achte Album der spanischen Instrumental Post-Rock-Band startet nicht völlig Genre-untypisch gleich mit dem dreiteiligen 20-Minuten-Epos „El Odio“, zu Deutsch: der Hass. Eben diesen hinter sich zu lassen, sei Anlass und Thema dieses eruptiv-dynamischen Werkes, sagt Gitarrist Esteban Girón. Fein ziselierte Melodien, abgesetzt mit schroffen, dissonanten Ausbrüchen, lassen keinen Gesang vermissen.

 

 

 

 

 

Fabritius: Chambre Noire
Nach zwei kreativen Jahren in Paris ist Jan Fabritius nach Berlin zurückgekehrt, nicht nur, um für „seine Familie“, das Indie-Label City Slang, zu arbeiten, sondern auch, um sein erstes Soloalbum aufzunehmen: Melancholisch-noisige Singer-Songwriter-Gitarrenmusik mit schnarrend-zerbrechlichem Gesang, der einen guten Kontrast zu den überwiegend sehr harmonischen Melodiebögen setzt.

 

 

 

 

 

Kalle Wallner: Voices
Dieses überwiegend instrumentale Album ist Musik für Mucker. Brillante Kaskaden und epische Soli des Prog-Rockers, Live- und Studiogitarristen sowie Gründungsmitgliedes von RPWL erfreuen Gitarrenmenschen genauso wie die perfekte Abmischung alle Soundfetischisten. Als Extra-Bonbon konnte der heute in San Diego ansässige Ausnahmeschlagzeuger (und Hannover-Gewächs) Marco Minnemann gewonnen werden.

 

 

 

 

King Hannah: I’m Not Sorry, I Was Just Being Me
Das erste Album der beiden Liverpooler Hannah Merrick und Craig Whittle versammelt zwölf eindringliche, magisch-düstere, fesselnde Songs voller Melancholie, frickeliger Rhythmen und – wie im Titel schon angedeutet – Kompromisslosigkeit. „Bei uns wird nichts vorgespielt. Wir wollen nicht sauber oder poliert klingen. Wir wollen echt, dynamisch und authentisch klingen.“ Das gelingt den beiden auf diesem Debüt ganz wunderbar. Mit Unterstützung der Musiker Ted White, Jake Lipiec und Olly Gorman wurde es in nur acht Monaten aufgenommen. Angeblich wurde die Band von Gitarrist Craig Whittle schon geplant, ohne dass die namensgebende Sängerin davon wusste. Whittle hatte sie bei einem ihrer Auftritte gesehen und war so begeistert, dass er sofort seine Chance ergriff und sie, als sie sich Jahre später zufällig kennenlernten, überredete, gemeinsam Musik zu machen.

 

 

Rolf Blumig: Rolfie lebt
Es ist wunderbar anzuhören, in welchem Maße der junge Leipziger Musiker darauf pfeift, was man so macht – und einfach macht. Wirklich vogelwilde Songs, deren Sound schon treffend als Mischung von Frank Zappa und International Music bezeichnet wurde. Psychedelischer Krautrock mit überschwänglichem Gesang, bei dem die nächste Wende hinter jeder Zeile lauert. Was dann fröhlich hervorspringt, kann auch mal Bossa Nova oder Blues sein, oder Blumig singt mit sich selbst ein funky Duett, einmal Brust-, einmal Falsettstimme. Melodien sind dazu da, sie euphorisch in alle Richtungen auszudehnen, und Zeit für ein Solo ist immer. Das ist sympathisch überdreht, geht immer wieder mitreißend groovig und zart prügelnd nach vorne und nervt, im Gegensatz zu Frank Zappa, all jene gar nicht, die in ihren Herzen ein bisschen Platz für positiv verrückte Frickelmusik haben.

 ● Annika Bachem

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Ein letztes Wort im März

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Ein letztes Wort im März


Lassen Sie uns heute mal über Populismus reden. Oder eher über guten Stil in der Politik, angesichts von recht flachen Diskussionen und einer CDU/CSU, die sich noch ein bisschen in der Opposition finden muss – so jedenfalls mein Eindruck. Wenn ich beispielsweise Sie mit Markus Söder vergleiche …
… fallen Ihnen hoffentlich ein paar Unterschiede auf.

Markus Söder taucht zum Beispiel viel öfter in den einschlägigen Talkshows auf. Den muss man festbinden, wenn eine Fernsehkamera in der Nähe ist, oder?
Der Kollege Söder macht sicherlich eine sehr ausgeprägte Medienarbeit. Hinzu kommt, dass die bayerischen Ministerpräsidenten gleichzeitig immer Vorsitzende der CSU sind und damit traditionell auf der Bundesebene gewissermaßen als Teil der Bundesregierung über viele Jahre hinweg eine größere Rolle gespielt haben. Das ist nach dem Regierungswechsel allerdings anders, daran muss man sich in der CSU offensichtlich noch ein bisschen gewöhnen.

Der bayrische Ministerpräsident ist ja gerade mal wieder vorgeprescht mit der Ablehnung der Impfflicht für Pflegekräfte. Der er zuvor zugestimmt hat. Steigen Sie da noch durch?
Das war aus meiner Sicht ein Unding und völlig inakzeptabel. Es kann doch nicht sein, dass die Anwendung von geltendem Recht von einem Ministerpräsidenten infrage gestellt wird. Wenn Ministerpräsidenten anfangen, die eigenen Gesetze infrage zu stellen, wer soll sie dann überhaupt noch befolgen? Und das auch noch bei einem Thema, das höchst einvernehmlich in der Politik besprochen und im Bundestag und auch mit den Stimmen Bayerns im Bundesrat beschlossen worden ist, über alle Parteien hinweg – mit Ausnahme der AfD. Da können sich die Querdenker aller Art nur die Hände reiben. Inzwischen ist der Kollege ja nun glücklicherweise wieder zurückgerudert. Das war dennoch ein ziemlicher Aussetzer, in einer Zeit, in der sich so viele Menschen klare Orientierung durch die Politik wünschen.

Ich staune momentan insgesamt ganz regelmäßig über die CDU/CSU, da wird plötzlich mit aller Seelenruhe kritisiert, was man in all den Regierungsjahren selbst nicht hinbekommen hat. Für neue Regierungen, beziehungsweise Politiker*innen in neuen Ämtern galt früher mal die 100-Tage-Regel, bevor kritisiert wurde. Bei der CDU/CSU habe ich mir in den vergangenen Wochen gewünscht, dass sie sich auf der Oppositionsbank ebenfalls diese 100 Tage gönnen.
Sie meinen, 100 Tage Schonzeit für die Opposition? (Lacht) Im Ernst, von dieser Hundert-Tage-Regel ist leider nicht mehr viel übriggeblieben. Heute geht es mit der Bewertung sogar schon vor dem Amtsantritt los. Das ist mir jedenfalls bei der Bildung der neuen Bundesregierung aufgefallen, der Bundeskanzler und die Kabinettsmitglieder waren noch nicht einmal vereidigt und sind schon kritisiert worden. Aber darauf muss man sich wohl einstellen mittlerweile.

Das ist doch schlicht nicht redlich, etwas zu kritisieren, was ich selbst verbockt habe.
Ich habe auch den Eindruck, dass sich die Union in der Opposition nicht mehr so gut an das erinnert, was sie selbst noch vor ein paar Monaten gesagt und auch beschlossen hat. Da ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht nur ein Beispiel von vielen. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: In Schlüsselfragen ist es wichtig, dass die Politik Gemeinsamkeiten zeigt, und dazu gehört derzeit vor allem auch die Pandemiepolitik. Das hat in der Vergangenheit alles in allem und trotz vieler Einzeldiskussionen ganz gut geklappt, aber droht im Moment ins Rutschen zu geraten. Der Kurs von Angela Merkel hat derzeit in der Union nicht mehr viele Freunde, scheint mir.

Inzwischen scheint auch wieder fast egal, was die Wissenschaft sagt und wozu sie rät.
Ja, teilweise ist das so und auch das gefällt mir nicht. Man kann die Wissenschaft nicht in Zweifel ziehen, nur weil einem die Ergebnisse nicht passen. Wobei ich überhaupt nichts dagegen habe, dass auch die Wissenschaft kritisch hinterfragt wird. Aber grundsätzlich sollten wir uns doch einig sein, dass sich da typischerweise Leute äußern, die von der Sache sehr viel mehr Ahnung haben, als Leute wie Sie und ich. Man kann darüber diskutieren, welche politischen Entscheidungen aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen abzuleiten sind, aber deshalb darf man nicht einfach die Erkenntnisse und Empfehlungen ignorieren.

Momentan wird beispielsweise gerne gesagt, dass die Impfplicht nicht kommen darf, weil sie gegen Omikron gar nichts mehr ausrichten könne.
Das ist natürlich Unfug, weil von Anfang an klar war, dass die Impfpflicht gegen die Omikron-Welle nichts helfen kann. Es ging immer darum, dass wir uns mit der Impfpflicht für eine erneute Infektionswelle im kommenden Herbst rüsten. Und da sind wir wieder bei der Wissenschaft: Die Expertinnen und Experten sagen sehr übereinstimmend, dass mit hoher Wahrscheinlich im Herbst ein neuer Gegner auf dem Feld stehen wird. Es ist noch nicht absehbar, mit welcher Variante wir es dann zu tun haben werden – wir müssen aber davon ausgehen, dass uns das Virus erneut herausfordern wird. Und nach zwei Jahren zermürbendem Kreislauf zwischen Infektionswellen und Entspannungsphasen ist es an der Zeit, jetzt den Ausgang zu nehmen. Dieser Ausgang, davon bin ich überzeugt, ist ein sehr hoher Impfschutz in der gesamten Bevölkerung. Das ist der Grund, weshalb ich für die Impfpflicht bin. Im Moment wird leider sehr viel über jene gesprochen, die sich nicht impfen lassen wollen und die Impfpflicht ablehnen. Über alle anderen, die sich haben impfen lassen und die sich rücksichtsvoll, korrekt und vorbildlich verhalten haben, deren Grundrechte aber trotzdem stark eingeschränkt wurden, wird kaum gesprochen. Das sind aber mehr als zwei Drittel der Gesellschaft.

Dieses Verhältnis ist ja in den Medien teilweise recht verzerrt dargestellt, wenn ich beispielsweise an die BILD denke. Ich habe insgesamt den Eindruck, dass es immer schwerer wird, wirklich durchzusteigen und die vielen Informationen richtig einzuordnen. Mir scheint, dass es höchste Zeit für ein Fach „Medienkompetenz“ an den Schulen wird.
In der Tat muss das ein Schlüsselthema in der künftigen Pädagogik werden. Vor allem Kinder und Jugendliche müssen frühzeitig lernen, Informationen kritisch bewerten und einordnen zu können. Dass man beispielsweise erkennt, ob man sich in einer Blase bewegt – dazu gehört auch ein pluralistischer Ansatz bei der Informationsbeschaffung, dazu gehört die Kenntnis der Manipulationsmöglichkeiten und der Umgang mit gezielten Informationsbombardements.

Dazu gehört dann aber auch, im Journalismus hohe Maßstäbe anzusetzen, also absolut seriös zu arbeiten. Der Trend ist eher ein anderer.
Womit wir wieder am Anfang unseres Gesprächs sind. Denn wenn es um Seriosität geht, muss zuallererst auch die Politik mit gutem Beispiel vorangehen. Und dazu würde gehören, bei so einem Thema wie der Pandemie die Parteipolitik weitgehend auszuklammern. Geschieht das Gegenteil, sorgt das überall für Unsicherheit, die dann auf diesen riesigen Resonanzboden im Internet trifft. Die Politik hat hier eine große Verantwortung, das gilt auch für die Opposition.

Apropos seriös, ich kann Ihnen den Altkanzler Gerhard Schröder am Ende nicht ersparen. Was sagen Sie zu seinen Äußerungen bezüglich der Krise in der Ukraine?
Sie meinen das „Säbelrasseln“, dass von der Ukraine ausgehen würde? Nein, das sehe ich anders. Unbestreitbar hat nun einmal Russland an der Grenze über einhunderttausend Soldaten zusammengezogen und nicht die Ukraine. Leider geht die Kriegsgefahr derzeit von Russland aus und ich hoffe sehr, dass es damit schnell ein Ende hat.

● Interview: Lars Kompa

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Prof. Selin Arikoğlu von OYA e. V.

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Prof. Selin Arikoğlu von OYA e. V.


OYA e. V. unterstützt Personen, die bereits straffällig geworden sind oder als gefährdet gelten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Unterstützung der Angehörigen, denn „bestraft wird immer die ganze Familie“, so die Gründerin des Vereins, Prof. Selin Arikoglu. Die Idee dazu entstand durch ihre vielfältigen Erfahrungen in der Straffälligenarbeit. Benannt ist OYA nach ihrer Mutter.

„Oya ist der Vorname meiner Mutter, die mir und meinen Geschwistern vorgelebt hat, allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen“, erklärt Arikoglu. „Wir haben in einem Viertel gewohnt, das man heute ‚Brennpunkt‘ nennen würde. So bin ich früh mit straffälligem Verhalten meiner Freund*innen in Kontakt gekommen. Meine Mutter war so etwas wie die inoffizielle Sozialarbeiterin des Bezirks. Wenn Freund*innen von mir richtig Mist gebaut hatten, haben sie auf der Polizeistation nicht die Nummer ihrer Eltern angegeben, sondern gesagt: ‚Rufen Sie bitte Tante Oya an.‘ Oft hat meine Mutter dann erreicht, dass sie Sozialstunden statt Jugendarrest bekommen haben.“
Derart geprägt, fing Arikoglu im Alter von 18 Jahren an, sich im Jugendvollzug zu engagieren und setzte sich während ihres Studiums der Sozialen Arbeit für Straffällige ein. Sie arbeitete in der Justizvollzugsanstalt Uelzen, in der Jugendanstalt Hameln und ist als Anstaltsbeirätin der JVA Hannover und Sehnde tätig. Seit 2014 lehrt sie in der HAWK Holzminden, der FH Hannover und der Uni Hildesheim mit der Thematik Straffälligkeit/Kriminalität und Rolle der Sozialen Arbeit im Strafvollzug. Aktuell tritt sie eine Professur an der Katholischen Hochschule Berlin an.
Als sie 2019 als Anstaltsbeirätin in der JVA Hannover einen ehemaligen Inhaftierten wiedertraf, den sie während seiner Jugendhaft als Sozialarbeiterin beraten hatte, entwickelten sie gemeinsam die Idee, einen Verein zu gründen, um dauerhaft mit Studierenden Projekte in der JVA durchführen zu können. „Mir war dabei ganz wichtig, nicht nur die Belange der Straffälligen, sondern vor allem auch die der Angehörigen zu berücksichtigen. Diese werden nämlich im Vollzug so gut wie gar nicht wahrgenommen.“ Bald starteten sie mit einer Entlassungsvorbereitungs-Maßnahme in der JVA. Das Ende der Haft, so sehr es herbeigesehnt wird, ist ein schwieriger Moment für alle Betroffenen. Wie finde ich zum Beispiel eine Wohnung, nachdem ich neun Jahre eingesessen habe? Wie bewerbe ich mich? Wie integriere ich mich in meine Familie, wenn meine Frau jahrelang praktisch alleinerziehend war? Hierbei unterstützt und berät OYA engmaschig und kostenlos und begleitet die Familien bei Bedarf auch über mehrere Jahre.
Inzwischen hat der Verein 55 ehrenamtliche Mitarbeitende mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Viele sind Studierende im Fach Soziale Arbeit. Besonders stolz ist Arikoglu auf ihre „OYA Youngstars“, engagierte Schüler*innen, die nach entsprechender Vorbereitung zum Beispiel in Schulen oder Beratungsstellen als Konfliktvermittler*innen eingesetzt werden. Unter ihnen sind auch Kinder, Nichten, Neffen von ehemals und aktuell inhaftierten Menschen, die Arikoglu durch ihre Angehörigenarbeit kennengelernt hat. „Bei uns können sie eigene Ideen einbringen und drehen jetzt zum Beispiel Videos für Social Media, die Gleichaltrige für das Problemfeld ‚Straffälligkeit‘ sensibilisieren. Wir machen Exkursionen mit den Youngstars, haben die JVA Hannover besucht und die Drogenberatung Drobs, wo sie sehr umfassend über das Thema Sucht informiert wurden. Im Gegenzug werden sie bei unseren Präventionsmaßnahmen dabei sein und dort die Perspektive ihrer Altersgruppe einbringen“, erklärt Arikoglu.
Monatlich erscheint ein OYA-Newsletter mit Interviews zu wechselnden Themen, in denen Straffällige und ihre Angehörigen in anonymisierter Form zu Wort kommen. „Meine Haltung ist, dass ich grundsätzlich Inhaftierten als Mensch begegne. Ich habe keinerlei Empathie gegenüber dem straffälligen Verhalten, kann der Person und ihrer Biografie aber mit Respekt und großer Empathie gegenübertreten.“ Aber kennen die Mitarbeitenden des Vereins denn die Biografien und die Delikte der Inhaftierten, wenn sie sie im Rahmen ihrer Maßnahmen treffen? „Wenn es auffälliges Verhalten oder Sicherheitsbedenken gibt, dann erfahren wir das vorher. Notfalls sind dann Bedienstete der JVA dabei, aber in der Regel können wir in einem dafür zur Verfügung gestellten Raum völlig ungestört kommunizieren – auf Augenhöhe und unabhängig von Geschlecht, Religion, Ethnie, sozialem Status und auch der Tat.“

● Annika Bachem

www.oya-ev.de

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Liebe Leserinnen und Leser,

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Liebe Leserinnen und Leser,


Gefühlt beginnt das Jahr 2022 erst so richtig in diesen Tagen, wir freuen uns auf den März, auf mehr Sonne und hoffentlich auch ein bisschen mehr Leben. Zum ersten Mal seit Monaten ist ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Wir werden im März und spätestens im April mit großer Wahrscheinlichkeit die Aufhebung der Einschränkungen erleben und verbinden damit die Hoffnung, dass sich dann auch viele der sogenannten Spaziergänger besinnen und sich der Nebel in den Hirnen allmählich wieder lichtet. Spätestens jetzt, in diesen Tagen, während der Gesundheitsminister noch warnt, bloß nicht zu schnell alle Vorsicht fahren zu lassen, aber gleichzeitig mehr und mehr Politikerinnen und Politiker auf die Aufhebung aller Beschränkungen drängen (manche aus dem Team Freiheit muss man ja beinahe festbinden), dürfte doch klar sein, dass niemand aus der Politik jemals ein Interesse an diesen Beschränkungen hatte. Weit und breit keine Diktatur. Und keine geheimen Verschwörungen. Alles Unsinn. Was wir sehen, sind ganz regulär von demokratischen Mehrheiten gewählte Politikerinnen und Politiker, die es nun sehr eilig haben, endlich einen Haken an Corona zu machen. Wir sind nach wie vor in Deutschland, mit allen Macken, Widersprüchen und Unzulänglichkeiten. Und darüber sind wir heilfroh, denn wer sich in der Welt so umsieht, stellt fest, dass es kaum noch Orte, wo man freier leben könnte.
Was Freiheit ist, echte Freiheit, das erschließt sich mit einem kurzen Blick auf die Kultur, auf die Künste. In dieser Ausgabe habe ich mit Sonja Anders, Intendantin Schauspiel Hannover, über Kultur gesprochen. Sonja Anders ist zeitgleich mit Laura Berman in Hannover gestartet, sehr einig waren sie sich zu Beginn ihrer ersten Spielzeit, dass sie Schauspiel und Oper viel mehr öffnen wollten für die Stadt. Und dann kam Corona dazwischen, doch der Plan steht nach wie vor und ein Teil des Weges ist auch schon geschafft. Aber natürlich geht es jetzt erst richtig los …

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Wir brauchen Impflicht!

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Wir brauchen Impflicht!


Foto: PixabayVöllig klar: Über Sinn und Form einer allgemeinen Impfpflicht darf und soll und muss gestritten werden (wenn auch bitte nicht mehr allzu lange). Bei einer anderen Frage der öffentlichen Gesundheit darf es jedoch keine zwei Meinungen geben, und diese betrifft die Ausstattung von Räumlichkeiten, in denen Impfungen vorgenommen werden. Nach den kuriosen Fällen von Fehlverabreichungen, die sich in den vergangenen Monaten im Rahmen der hannoverschen Impfkampagne ereigneten (und die trotz fehlender Negativfolgen natürlich Wasser auf die Mühlen aller Impfgegner*innen waren), haben wir nämlich in einer investigativen Intensivrecherche ermitteln können, dass ein fataler Mangel für diese bedauerlichen Irrtümer verantwortlich war – und zwar der Mangel an Beleuchtungsmitteln.
Erinnern wir uns zurück an den Jahresanfang: 42 Jungen und Mädchen wurde fälschlicherweise eine Erwachsenendosis des Coronaschutzimpfstoffs gespritzt. Da die Kinder zwischen fünf und elf Jahre alt waren, ist eine optische Verwechslung eigentlich unwahrscheinlich (zur Sicherheit haben wir uns die kleinen Stöpsel einmal angesehen, und ein Boss Baby war wirklich nicht darunter). Doch die Aussage eines Krankenpflegers, der dabei war und sich zu einem Gespräch mit uns bereiterklärt hat, wirft ein nun Licht auf die Angelegenheit: „Unser Einsatz war in dem neueröffneten Impfzentrum im Panorama am Zoo – die stimmungsvollste Location, an der ich bislang gespritzt habe“, sagt uns Olli P. (Name geändert). „Doch die geile Atmosphäre war gleichzeitig ein Fluch: In dem schummrigen Licht des Regenwaldes fiel es mir mit meinen +5 Dioptrien nicht immer leicht, meine Patient*innen zu erkennen. Und wenn die Panoramaschleife auf Nacht ging, konnte ich überhaupt nichts mehr sehen. Ob mir ein halbwüchsiger oder ein ausgewachsener Oberarm entgegengestreckt wurde – keine Ahnung! Immerhin habe ich aber noch ins richtige Körperteil getroffen. Von einer Kollegin von mir weiß ich, dass sie versehentlich einige Knie gepikst hat.“ Auch der Fall der etwa 3.000 Moderna-Dosen, die trotz abgelaufenen Verfallsdatums verimpft wurden, geht unseren Recherchen nach auf akute Unterbelichtung zurück. Die Ärztin Cardi B. (Name geändert) berichtet: „In unserer Kühlkammer war schon vor Monaten das Licht ausgefallen, doch der Hausmeister konnte das Problem noch nicht beheben. Er ist noch immer in Quarantäne auf Mallorca, der Arme … Wir haben uns deshalb mit diesen Leuchtsternen zum Kleben beholfen. Kennen Sie die Dinger? Bei dem bisschen Helligkeit, das die abstrahlen, kann man nicht mal seine eigene Hand erkennen – geschweige denn ein mikroskopisch kleines Datum lesen!“
Um Pannen wie diese in Zukunft zu vermeiden, scheint die Einführung einer allgemeinen Impflichtpflicht unumgänglich. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir bereits an Gesundheitsminister Karl Lauterbach geschickt, der uns telefonisch informiert hat, dass er ihn gründlich durcharbeiten wird – sobald er eine neue Glühbirne für seine Schreibtischlampe gefunden hat … ● AD

Foto: Pixabay

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