El Kurdis Kolumne im Februar

El Kurdis Kolumne im Februar

Das ewige Kultur-Pingpong

Ich kenne Menschen, die davon erzählen, wie sie von ihren in NS-Rassenkunde geschulten und dann meist nur im Vorbeigehen entnazifizierten Eltern oder Großeltern quasi täglich die gebellte Anweisung bekamen, sie sollten doch gefälligst diese „N“-Musik ausmachen. Auf dem Turntable lagen dann ironischerweise meist die Beatles, die Rolling Stones oder Elvis. Also weiße Künstler.

Ich selbst habe das allerdings nicht mehr erlebt. In meiner Generation wurde Popmusik nur noch selten mit rassistischen Argumenten und Begriffen abqualifiziert. Was natürlich nicht heißt, dass es in den 70ern und 80ern keinen Rassismus gab. Aber der richtete sich eher gegen die realen „Gastarbeiter“ und „Besatzungskinder“ von nebenan als gegen medial vermittelte Schwarze Unterhaltungskünstler*innen. Selbst die Elterngeneration hörte Harry Belafonte und war stolz auf „ihren“ Roberto Blanco, solange keiner von beiden versuchte, die eigenen Tochter zu heiraten.

Auch hatte man die Bedeutung der afrikanischen Einflüsse auf die Popmusik inzwischen als positiv akzeptiert. So handelten in der 1976 produzierten 17teiligen britischen TV-Doku über die Geschichte der Popmusik „All you need is love“ mindestens sechs Episoden von den Schwarzen Wurzeln des Pop. Es war Allgemeingut: Ohne die Musik, die die verschleppten Sklaven aus Afrika mitgebracht und in den Südstaaten der USA modifiziert hatten, ohne deren „working songs“ und „field holler“, ohne den Blues, ohne Spirituals hätte es keinen Jazz gegeben, keinen Swing, keinen Rock’n’Roll, keinen Beat, keinen Soul, keine Disco-Musik. Auch keinen Punk. Was nicht alle wussten, war, dass nicht einmal die Country-Musik ohne Schwarze Einflüsse existieren würde. Denn auch diese vermeintlich weißeste Form der US-Unterhaltungsmusik speist sich eben nicht nur aus den Volksmusiken der europäischen Einwanderer – von den irisch-schottischen Reels und Jigs über Alpenjodler bis zur tschechischen Polka –, sondern auch aus dem Blues. So soll der Country-Gott Hank Williams das Gitarrespielen als Kind von Rufus „Tee Tot“ Payne gelernt haben, einem Schwarzen Straßenmusiker aus Alabama. Und tatsächlich kann man die afro-amerikanischen Offbeats, Bluenotes und Bluesphrasierungen vielleicht nicht aus jedem, aber doch aus jedem zweiten Hank Williams-Song heraushören.

Für die sogenannte „Hochkultur“ gilt übrigens das gleiche: Weder haben die Deutschen den Roman, noch das Theater, das Sonett oder die Oper erfunden. Aber sie haben an der Entstehung vieler Kulturformen mitgewirkt – indem sie Einflüsse aufgenommen und weiterentwickelt haben. Andere haben andernorts diese Formen fortgeführt; die Ergebnisse dieser kulturellen Evolution dienten wiederum als Impulse für hiesige Künstler*innen. Kunst und Kultur sind per se dynamisch und multikulturell und ignorieren Grenzen. Kultur ist ein nicht enden wollendes Pingpong-Spiel.

Und dennoch existiert die Chimäre von einer originär deutschen, englischen oder französischen Kultur. Und das nicht erste seit der absurden, nicht totzukriegenden Debatte um die vermeintliche „Leitkultur“. Ich hörte vor einiger Zeit mal einen Theaterzuschauer in einer Diskussion über Geflüchtete und den Umgang der Kulturinstitutionen mit ihnen sagen, er wolle weder fremdsprachige Theateraufführungen, noch Übertitelungen in „seinem“ Stadttheater, schließlich sei das ja ein Ort für „Deutsche Kultur“, in dem es um Tradition und die Pflege der deutschen Sprache ginge. Als er dann gefragt wurde, ob er auch keinen übersetzten Shakespeare, Molière oder Gorki mehr sehen wolle – schließlich sei das ja auch keine „Deutsche Kultur“ – reagierte er verwirrt. Das sei ja was anderes, das sei ja immerhin europäische Kultur und schließlich würde Shakespeare ja schon lange … der wäre ja quasi schon fast … und überhaupt: Schlegel-Tieck zum Beispiel … „waren zwei Übersetzer“, antwortete ihm jemand, „die eigentlich ganz viele waren, weil der in Hannover geborene romantische Philosoph Friedrich Schlegel irgendwann die Lust verlor und sich lieber seinen Studien der indischen Sprache und Kultur widmete, so dass andere das Übersetzungswerk zu Ende bringen mussten.“ Amen, dachte ich.

Und nur zur Erinnerung. Das letzte Mal, als wir uns in Deutschland auf vermeintlich echte deutsche, patriotische und nationale Kultur konzentrierten, verloren wir u.a. Billy Wilder, Douglas Sirk, Lotte Lenya und Kurt Weill. Gut getan hat es uns nicht. Bis heute werden wir dafür mit Filmkomödien von Til Schweiger und Stand-up-Shows von Mario Barth bestraft.

Hartmut El Kurdi

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