Tag Archive | "2020-05"

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Kultur ist systemrelevant


Keine Konzerte, keine Ausstellungen, keine Lesungen, keine Aufführungen, gar nichts. Erst ganz allmählich wird in diesen Tagen nun das Leben hochgefahren, die Geschäfte haben geöffnet, ein paar Schülerinnen und Schüler kehren zurück in die Klassenzimmer – aber wann wir uns wieder über Veranstaltungen freuen dürfen, über Kultur, das steht noch in den Sternen. Es kann durchaus noch Wochen, vielleicht sogar Monate dauern, bis wir einen Veranstaltungskalender, so umfangreich wie beispielsweise den in unserer März-Ausgabe in diesem Jahr, wieder füllen können. Das kommt einem reichlich unwirklich vor. Fast gespenstisch. Der März war noch prall gefüllt, im Mai ist schon nichts mehr übrig. Natürlich, es wird gestreamt in diesen Tagen, die Kulturveranstalter probieren diverse neue Formate aus, um ihr Publikum über das Internet zu erreichen. Aber allen ist dabei klar: Das kann auf Dauer kein Ersatz sein für die echten Live-Erlebnisse, das ist alles nur Behelf.
Und wir alle bemerken, fast alle bemerken in diesen Tagen, welchen Stellenwert die Kultur hat, bzw. wohl eher haben sollte. „Kultur ist systemrelevant!“, so haben wir es auf unseren Titel geschrieben. Ein Statement. Was ich damit verbinde, dazu am Ende mehr.
Wir haben für diese Ausgabe ohne Kultur sehr viele Kulturschaffende angeschrieben, fast 150 waren es am Ende. Und wirklich alle haben geantwortet, sich teilweise entschuldigt, keinen Beitrag liefern zu können, zu sprachlos zu sein, zu „fertig“. Fast 90 haben trotzdem Texte und Fotos geschickt, sie haben teilweise kreativ auf unsere Anfrage reagiert, teilweise eigene, persönliche Texte verfasst oder sich die Zeit genommen, unsere umfangreichen Fragen zu beantworten.
Wiederholt sich das nicht? Diese skeptische Frage kam natürlich. Ja und nein. Natürlich gleichen sich die Probleme, aber es ist dennoch spannend, zwischen den Zeilen den zum Teil sehr unterschiedlichen Umgang mit der Krise zu erkennen. Optimistisch, pessimistisch, verzweifelt oder auch wütend, sehr viele unterschiedliche Tonlagen zeichnen in dieser Ausgabe gemeinsam ein Bild zu einer Kulturlandschaft zwischen Warteschleife, Schockstarre und purer Existenzangst. Letzteres ist nachvollziehbar. Vielen Kulturschaffenden hat das Virus von einem Tag auf den anderen die komplette Lebensgrundlage entzogen. Was ist jetzt zu tun? Soll man an die Reserven gehen, falls überhaupt welche vorhanden sind? Die versprochene Soforthilfe war für viele soloselbstständige Künstlerinnen und Künstler keine Hilfe, sie haben oft keine Betriebsmittel im herkömmlichen Sinne. Ist die Grundsicherung eine Alternative? Sie zu beantragen ist für die meisten Kulturschaffenden eine Zumutung, zumal abseits aller Theorie in der Realität Welten aufeinandertreffen, wenn Künstlerinnen und Künstler mit skeptischen Verwaltungsangestellten klarkommen müssen.
Ich denke, es braucht in Hannover noch mal eine weitere Soforthilfe, speziell konzipiert für die Kulturschaffenden. Die Niedersächsische Sparkassenstiftung und die VGH-Stiftung sind bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und haben einen Sonderfonds für Kulturschaffende aufgelegt. Die Stadt Hannover sollte – vielleicht im Schulterschluss mit einigen großen, teils städtischen Unternehmen – noch mal nachlegen, auch im Sinne der Bewerbung zur Kulturhauptstadt.
Wenn ich hier eben von der Skepsis der Verwaltungsangestellten gesprochen habe, dann hat das schon einen gewissen Hintergrund. Ich habe von vielen Kulturschaffenden gehört, vor allem aus dem Bereich der bildenden Kunst, dass die Kommunikation vor Ort teilweise nicht ganz einfach ist. Wenn man zum Beispiel gefragt wird, was man kann, was man gelernt hat, und dann antwortet, dass man Kunst studiert habe. Dass man also Kunst kann. Dann bekommt man ein Stirnrunzeln.
Solche Begegnungen sind bestimmt für beide Seiten nicht leicht, für die Kulturschaffenden aber sind sie äußerst unangenehm, werden sie doch in die Rolle gedrängt, sich für ihr Tun rechtfertigen zu müssen. Wobei es ein klassischer Musiker noch einfacher hat als ein bildender Künstler. Der Musiker hat wenigstens hörbar etwas zu bieten, ob der bildende Künstler was kann, das ist am Ende immer auch Geschmackssache. Und schon sind wir mitten in der Diskussion, welchen Wert Kultur in den unterschiedlichen Facetten eigentlich hat. Und bei der Frage, ob man in Krisenzeiten darauf nicht eine Weile verzichten könnte. Womit wir wieder bei unserem Statement sind. Meine klare Antwort: Nein, kein Verzicht! Kultur ist systemrelevant, denn Kultur verbindet, Kultur ist ein Bollwerk gegen Rassismus, Kultur hilft der Gemeinschaft, Kultur ist ein lebenswichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Gerade in großen Krisen müssen wir die Kultur und unsere Kulturschaffenden schützen. Denen überlasse ich nun das Wort in unserer gedruckten Mai-Ausgabe.

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind

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Super Nice

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Super Nice


Foto: Frank RohneIn dem mehr als netten Einrichtungsstore findet die geneigte Jägerin der schönen Dinge alles, was das eigene Heim (oder das von jemandem, den man gerne beschenkt) schicker und zugleich gemütlicher macht. Mit Produkten von der Wohndeko, die einen harmonischen Interiorstil perfektioniert, über vielfältige Wohnaccessoires im zeitlosen nordischen Design bis hin zu individueller, einfach nicer Mode und süßen Geschenkideen hat Ladeninhaberin Birte Markert die Südstadt 2015 um einen schmucken Independent-Store reicher gemacht. Über den Onlineshop gibt es zurzeit viele Schmuckstücke aus dem Ladensortiment zum Nach-hause-liefern-Lassen sowie die Möglichkeit, Gutscheine zur späteren Verwendung (oder zum Verschenken) zu erwerben.

Decken, Kissen, Teppiche, gestrickt oder aus samtenen oder seidig-glänzenden Stoffen,  Kerzenständer, Minigewächshäuser und vieles mehr, je nach Interieur-Geschmack edel silberfarbend, im warmen Kupferton oder aus Messing im angesagten Vintage-Stil – das Super Nice macht gleich auf den ersten Blick mit zauberhaften Elementen einen ausgeglichenen Eindruck und liefert Wohlfühlakzente zum Mitnehmen. Für poppige Farbtupfer und gute Laune sorgen Neonkerzen in gelb, orange und pink, natürliche Ruhepole für das Auge sind Geschirrstücke in Aqua-und Sandtönen (etwa aus der Sea & Sand-Serie von Broste Copenhagen), ovale Teller in Blau / Pfirsichton oder etwa pastellfarbene Vasen mit zartem Schimmer. Neben Schönem von der Firma House Doctor präsentiert Birte eine Fülle kleinerer, unbekannterer Labels. Bei jeder Entscheidung, was das Angebot des Ladens erweitern soll und was nicht, verlässt sie sich auf ihr Bauchgefühl und folgt ihrem persönlichen Geschmack: Sie bietet an, was sie selbst schön findet und was in das Gesamtbild passt. Bei der angebotenen Mode, die den unaufgeregten und geschmackvollen Style ihrer Auswahl in den Bekleidungsstil transportiert, überwiegen ebenfalls Erd- und Wasserfarben mit und ohne dezenten Mustern.
Da normalerweise der Bus die Sallstraße herunterfährt und viel Berufsverkehr den Laden passiert, ist die Wahrnehmung super und Super Nice hat schon viele StammkundInnen gewonnen. Bei Events mit dem Namen „Super Delicious“, die Birte in unregelmäßigen Abständen veranstaltet, kommen diese und neue KundInnen in einer loungigen Atmosphäre bei Musik und Häppchen zusammen, stöbern entspannt durch die Neuheiten, beraten sich gegenseitig und quatschen miteinander (Termine auch in Zukunft auf der Facebookseite!).
In der heutigen Ausnahmesituation musste schnell eine Möglichkeit her, das Super Nice trotz Ladenöffnungsverbot am Laufen zu halten, weswegen Birte sofort anfing, Gutscheine anzubieten. Das so hereingekommene Geld hat die Ladenbesitzerin reinvestiert und davon Verpackungsmaterial und ein Shopsystem gekauft, sodass inzwischen ein gut gefüllter Onlineshop zur Verfügung steht – einfach mal reinschauen! Wer lieber oder zusätzlich weiter Gutscheine erwerben oder verschenken möchte um das Super Nice zu unterstützen, schreibt eine E-Mail an hello@superniceshop.de oder auf Instagram eine PN mit Name, E-Mail-adresse, Lieferanschrift und Gutscheinwert, bekommt umgehend die Rechnung per Mail zugeschickt und nachdem das Geld überwiesen ist, den Gutschein per Post. Und schon bald kann man sich selbst oder der glückliche Beschenkte über ein super nices neues Stück aus dem überaus netten Südstadtladen freuen!   Anke Wittkopp

Sallstraße 31
30171 Hannover
Tel. (0511) 89 90 58 76
www.superniceshop.de

Öffnungszeiten:
Di – Fr 11-18 Uhr
Sa 11-14 Uhr

Fotos: Frank Rohne

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Franziska Haiduk, Initiatorin der Plattform Hannoverhelfen.de

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Franziska Haiduk, Initiatorin der Plattform Hannoverhelfen.de


Corona hat Hannover in den vergangenen Wochen fest im Griff gehabt und die Einschränkungen zur Bekämpfung der Virusausbreitung haben viele GeschäftsinhaberInnen um ihre Existenz bangen lassen. Anstatt in Schockstarre zu verharren, hat Franziska Haiduk die Flucht nach vorn und die Initiative ergriffen: Sie hat mit ihrem Bruder und der Unterstützung ihrer Eltern sowie dem Team ihres Familienunternehmens, der schlafzimmerei, „Hannoverhelfen.de“ ins Leben gerufen. Eine Plattform, die den lokalen Handel abbildet. Geschäfte und Restaurants können sich hier kostenlos registrieren. So entsteht ein geballter Überblick über alle Geschäfte in Hannover, die einen Onlineshop, Liefer- oder Abholservice anbieten oder Bestellungen für Gutscheine und Produkte via E-Mail oder Beratung über Skype ermöglichen – während des Lockdowns, aber auch darüber hinaus. Im Gespräch in der Redaktion erzählt die 29-jährige Franziska bei mitgebrachten himmlischen Elysée-Törtchen, dass sich bereits mehr als 300 Betriebe registriert haben, welche weiteren Initiativen sie selbst durch Hannoverhelfen.de kennengelernt hat und warum sie die Hannover-Community dazu animieren will, in ihrer Stadt einzukaufen.

Die Initiative ,Hannoverhelfen.de’ habe ich aus einem Impuls heraus gestartet, als ich mich mit meinem Bruder darüber austauschte, dass wir irgendwas machen müssen,“ beginnt Franziska und wird genauer: „Das ist ja nicht wirklich was, was ich mir alleine ausgedacht habe, so ein Branchenverzeichnis gibt es ja schon. Konkret gesehen habe ich etwas Vergleichbares bei der Wirtschaftskammer Kärnten, dem Pendant zur IHK. Die machen unglaublich viel für den Einzelhandel. Da dachte ich mir: ich bau’ jetzt einfach mal so eine Seite, denn das hilft echt!“
Im Austausch mit ihrem Bruder hat sie noch in derselben Nacht die Seite aufgesetzt, ab dem nächsten Morgen wurde zusammen mit den Eltern weiter überlegt, das Gerüst erweitert und Hannoverhelfen.de live geschaltet. Franziska kümmert sich im Familiengeschäft um das Technische, den Onlineshop und gemeinsam mit ihrem Bruder Marcel um das Marketing. Marcel macht jetzt viel für Hannoverhelfen auf Instagram.
„Wir sind immer abwechselnd im Laden und teilen die Aufgaben dort ganz gut auf, aber zwei Wochen lang war ich auf jeden Fall durchgehend mit der Seite beschäftigt. Denn gelernt habe ich ursprünglich etwas anderes. Ich habe Psychologie in Österreich studiert und vier Jahre in Klagenfurt gelebt, wo, wie gesagt, sehr viel für den lokalen Einzelhandel gemacht wird. Die unterstützen sich dort unheimlich gegenseitig und diese Einkaufen-nebenan-Mentalität ist eine ganz andere als in Deutschland. Das habe ich über die sehr professionelle Wirtschaftskammer immer weiter mitverfolgt. Für Medien habe ich mich auch schon immer interessiert. Ich finde es total spannend, wie technisch etwas entsteht und mag es, wenn man direkt ein Ergebnis sieht. Beim Coding ist das ähnlich, dazu habe ich mal ein Seminar gemacht und den Geek in mir entdeckt. Die Seite ist zwar ein Baukastensystem und nicht perfekt durchcodiert, was man auch sieht, aber der Zweck heiligt die Mittel! Die Seite muss nicht perfekt sein, denn das wäre sehr teuer – und die Idee dahinter ist nun mal: es ist frei zugänglich für alle und ist und bleibt kostenlos. Da die Plattform viel Zeit in Anspruch nimmt, haben unsere Kollegen und Freunde uns sofort unterstützt, denn sie haben schnell den Mehrwert darin gesehen. Es war wichtig, dass für den lokalen Handel jetzt etwas passiert. Und in unserer Familie haben wir schon immer großen Wert auf lokale Qualitätsprodukte gelegt. Es gibt einfach so wahnsinnig viele coole Läden, die nicht verschwinden sollen – da konnten wir jetzt nicht ohnmächtig dasitzen und in die passive Opferrolle gehen, sondern mussten eben schauen, wie es weitergehen kann.“
Hannoverhelfen.de hilft unter anderem über die Steigerung der Reichweite: Jeder, der eine Website oder einen Google-Eintrag hat, wird gepusht, denn über die vielen Verlinkungen freut sich jede Suchmaschine. Ein klarer Benefit! Über Social Media werden zusätzlich wertvolle Reichweiten erzielt. Ein weiterer Vorteil ist, dass man als Besucher der Seite durch die Clusterung nach Branchen und momentanen Einkaufsmöglichkeiten viele Läden auf einen Blick versammelt hat, die man sonst vielleicht noch gar nicht kennt.
Franziska erinnert sich an einen Aha-Moment vor nicht allzu langer Zeit: „Da habe ich mich selbst erwischt, als ich mit meiner Mama letztes Jahr in Freiburg war und wir ganz viele tolle Lädchen entdeckt haben. Da habe ich zu ihr gesagt; wie schade, dass es bei uns nicht solche schönen Concept Stores gibt. Dabei gibt es die! Ich habe durch die Initiative so viele Läden kennengelernt, da sind richtig viele coole dabei. Man ist in seiner Heimatstadt oft ein bisschen träge, zirkuliert im eigenen Viertel. Im Urlaub dagegen sucht man eigentlich immer nach den kleinen Läden, du willst eben nicht die Mainstreamsachen haben, die alle gleich sind. Und mit diesem Blick mal durch Hannover zu gehen und zu sehen, wow, es gibt so viele tolle Läden – die Leute ein bisschen dazu animieren, das ist unsere Mission.“
Dem selben Ansatz folgt die ebenfalls ehrenamtliche Initiative „Support your locals“ von acht hannoverschen EinzelhändlerInnen: Luise von OhMyGoddess hat den Account bei Instagram gegründet, wo Läden und Produkte vorgestellt werden. Franziska schwärmt: „Wir waren von Anfang an im Austausch und ergänzen uns total super. Support your locals läuft über Instagram und Facebook, – sie haben eine größere Reichweite mit doppelt so vielen Followern – und stellen da eher Produkte vor, die du direkt anfragen kannst. Hannoverhelfen.de zeigt eher die Läden bzw. die Personen, Services und bietet allgemeine Infos. Da wollen wir nochmal schauen, wie wir diese Ergänzung noch weiter ausbauen können. Wir sind fast täglich im Kontakt, damit wir nicht dasselbe teilen und es für die Interessenten nicht langweilig wird. Und natürlich um zu schauen, wie es weitergeht, wenn die Läden wieder offen haben, denn der Support-your-locals-Gedanke ist ein dauerhaftes Thema.“
Apropos helfen, da steht natürlich die Frage im Raum, ob die Fördergelder vom Bund und Land eigentlich bei den kleinen Läden und damit da ankommen, wo sie gebraucht werden? Franzi ist sich da noch nicht so sicher: „Es gibt Geschäfte, die sind der Situation jetzt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und von finanzieller Hilfe abhängig. Es gibt welche, die haben schon was bekommen und sind wenigstens für den Moment sicher. Es gibt aber auch Fälle, in denen sogar Gründerzuschüsse verweigert wurden. Und da frage ich mich wirklich, warum?! Die Zeit rennt. Manche schaffen einen Monat ohne Einkommen, andere vielleicht nur zwei Wochen. Das ist leider die traurige Wahrheit. Zumal jetzt die Banken noch nicht einmal mehr Kredite rausgeben. Das ist meiner Meinung nach ein riesiges Problem: Die Leute sind dazu bereit, Kredite aufzunehmen, und das, obwohl es eine unverschuldete Situation ist, bekommen dann aber keine. Ich finde, da müssen die Banken in die Pflicht genommen werden! Die Steuerzahler haben die Banken schon x-mal mit Milliarden gerettet, da wurde nicht lange gefragt, ob das in Ordnung ist, sondern einfach gemacht. Jetzt muss das andersrum auch mal funktionieren, zumal wir ja sowieso dafür haften. Wenn 60 Prozent der Arbeitsplätze und 80 Prozent aller Ausbildungsplätze der Mittelstand stellt, und davon bricht nur ein Viertel weg, dann ist das für die Menschen und die Wirtschaft eine Katastrophe. Also da sollten wir und vor allem die Politik schleunigst was tun.“
„Was tun!“, das schien vor der Öffnung auch die Devise des lokalen Einzelhandels gewesen zu sein, es gab manch kluge Idee, wie Franziska weiß: „Das Süß, ein kleiner Concept Store rund um Brautmode, hatte sich etwa reelles Window Shopping ausgedacht: Ans Schausfenster waren Kästchen gemalt, darin jeweils ein Produkt mit einem Preisschild. Von außen waren dann Post-its dran, und die hat man als Bestellung durch den Briefschlitz mit dem Geld geworfen – die Inhaberin hat das Gekaufte dann zurückgeschoben.“ Andere Geschäfte, wie z.B. NoaNoa oder Second Date, hatten Produkte vor ihre Geschäfte gestellt und daneben eine Vertrauenskasse, in die man das Geld für das ausgewählte Produkt hereinlegen konnte.
Da sie kein Geschäft auf Hannoverhelfen eintragen kann, dessen InhaberIn das ggf. gar nicht möchte, und da die Zeit für die Recherche fehlt, bittet Franziska: „Wenn euer Lieblingsladen fehlt, sprecht deren GeschäftsführerInnen an, damit sie sich registrieren. Dadurch wird das Informationsangebot noch größer. Ganz allgemein und grundsätzlich: Folgt euren Lieblingsläden online! Je größer die Fanbase, desto größer die Reichweite, desto bekannter wird ein Geschäft. Einfach mal einen Beitrag liken, kommentieren, etwas verlinken, teilen. Das hilft, auch wenn es indirekt ist. Vor allem auch anderen Interessenten, denn euch kann man mehr glauben als irgendwelchen fremden Influencern, die was weiß ich für einen Scheiß vermarkten. Und natürlich: Kauft lokal! Ich will da gar nicht dogmatisch sein, aber vielleicht wird einigen durch die Krise wieder bewusster, dass ein vielfältiger und gutgehender Handel gut für uns alle ist. Denn wir leben alle in derselben Stadt. Wer lokal einkauft, sichert Arbeitsplätze und unterstützt Einzelhändler, die wiederum ebenso ihren Umsatz z.B. in Form von Steuern und Einkäufen wieder lokal in den Umlauf bringen. Zu guter Letzt: Traut euch! Verliert die Hemmungen, Fragen zu stellen, wenn ihr etwas Bestimmtes sucht. Denn man muss nichts kaufen, nur weil man eine Antwort bekommen hat.“

 Interview und Text: Anke Wittkopp

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Ein letztes Wort im Mai

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Ein letztes Wort im Mai



Herr Weil, wie geht‘s Ihnen? Gesundheitlich gut, aber ansonsten hatte ich schon deutlich bessere Zeiten. Ich glaube aber, das geht momentan fast allen Menschen so.

Ich kann mir vorstellen, dass diese Krise an Ihnen nochmal extra zerrt. Dass das alles extrem anstrengend ist. Es ist natürlich ein völlig anderes Arbeitsleben als zuvor: Ich habe keine Veranstaltungen mehr, ich habe ganz wenige Außentermine – vor allem vermisse ich den direkten, persönlichen Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern sehr. Ich war in den letzten 20 Jahren nie so häufig in meinem Büro und auch nie so regelmäßig zu Hause – aber was heißt schon zu Hause in diesen Zeiten. Man hat dann auch dort stundenlange Telefonkonferenzen, ein Privatleben gibt es kaum. Also, wie alle anderen Menschen auch, wünsche ich mir schleunigst meint altes Leben zurück. Und weiß sehr genau, dass das wohl noch eine ganze Weile dauern wird und vor allem, dass es viele Menschen derzeit deutlich schwerer haben als ich.

Wie kommen Sie eigentlich „runter“ nach ihren Arbeitstagen im Augenblick? Wie erholen Sie sich? Das hängt immer sehr von den Arbeitstagen ab, gestern war ich zum Beispiel um 18.30 Uhr zu Hause, aber hatte danach noch ein halbes Dutzend Telefon- und Videokonferenzen. Danach war ich dann einfach zu nichts mehr zu gebrauchen. Aber es gibt auch Tage, da können wir abends noch mal um den Block gehen und am letzten Wochenende bin ich endlich mal wieder regelmäßig gelaufen. Das entspannt mich und bringt mich auf andere Gedanken. Wer aber wie ich gesund und nur beruflich eingespannt ist, sollte nicht klagen. Es ist klar, vieles ist belastend und anstrengend, aber viele andere Menschen sind krank oder haben Angehörige verloren oder sie haben infolge der Corona-Krise gravierende existenzielle Probleme.

Sie bekommen momentan wahrscheinlich auch viel Kritik. Das gehört in politischen Ämtern ja sowieso dazu, aber so massiv ist das im Augenblick gar nicht. Eher im Gegenteil: ich erlebe zumindest auch, dass viele Leute anerkennen, dass wir, dass die Politik in Deutschland in dieser Krise im Großen und Ganzen ganz gut funktioniert. Einige Menschen, die früher beim Thema Politik die Nase gerümpft haben, wissen jetzt eine verantwortungsvolle Politik zu schätzen. Es gibt momentan tatsächlich öfter Lob als Kritik, allerdings auch sehr, sehr viele Fragen auf die es leider in dieser Ausnahmesituation nicht immer die erhofften Antworten geben kann – denn viele Entscheidungen hängen vom jeweils aktuellen Infektionsverlauf ab.

Trotzdem, viele Sätze beginnen in dieser Zeit mit „man müsste, man sollte, man hätte, man kann doch nicht …“. Wie gehen Sie damit um? Ich nehme das sehr ernst. Diese Kritik ist ja keine Spielerei, es gibt meistens handfeste und ernsthafte Gründe. Ich möchte nicht so tun, als hätten wir für jede Frage schon die perfekte Antwort gefunden. Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation, niemand von uns hat eine solche Krise schon einmal durchlebt, es gibt keine Erfahrungswerte, keiner hat den großen Masterplan in der Schublade, der uns mit hundertprozentiger Gewissheit ans richtige Ziel führt. Nach dem Shutdown folgt jetzt der Versuch, wieder ganz allmählich, mit sehr vorsichtigen Schritten zu einer Art Normalität zurückzukehren. Wir sind uns dabei alle sehr bewusst, dass wir noch auf dünnem Eis unterwegs sind. Niemand kann exakt sagen, wie die jetzt nach und nach zu treffenden Maßnahmen sich im Einzelnen konkret auf das Infektionsgeschehen auswirken werden. Es gibt nur gut begründete Wahrscheinlichkeiten. Und ich kann Kritik insofern durchaus nachvollziehen, man kann anderer Meinung sein. Ich höre zum Beispiel sehr besorgte Stimmen aus der Wirtschaft: da gibt es Unternehmer, die befürchten, sehr bald vor den Trümmern ihres Lebenswerks zu stehen. Ich bin darum weit davon entfernt, beleidigt zu sein über sachliche Kritik. Aber wir stoßen eben auch auf sehr viel Verständnis dafür, dass wir momentan immer das Große und Ganze im Blick haben müssen.

Es ist alles ein Fahren auf Sicht momentan, so ein Vortasten. Das trifft es ganz gut, es gibt ja gerade einige Bilder, die gerne bemüht werden: das dünne Eis, das Vortasten, das sind alles ganz gute Beschreibungen für das, was wir derzeit erleben und derzeit unternehmen. Und ich verstehe natürlich, dass beispielsweise Gastronomen, denen von heute auf morgen die wesentliche Einkommensquelle entzogen wurde, sich nichts sehnlicher wünschen, als bei den ersten Lockerungen dabei zu sein und das auch lautstark einfordern. Aber wenn die sich vorstellen würden, selbst Ministerpräsident zu sein und die Verantwortung für solch eine Entscheidung übernehmen zu müssen, würde sich der Blickwinkel vermutlich ändern. Und noch etwas: Wenn ich die deutsche Politik im internationalen Vergleich sehe, dann bin ich momentan wirklich verdammt froh, hier in Deutschland zu leben. Man sieht sehr deutlich, wie unterschiedliche Politikstile zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Wir haben in Deutschland sehr früh und sehr transparent informiert, zu einem Zeitpunkt, als die Trumps und die Johnsons dieser Welt noch so getan haben, als sei das alles gar kein Problem. Und ich bin, wenn wir diese Krise irgendwann überwunden haben werden, sehr gespannt auf den internationalen Vergleich: Welche Form des Regierens ist eigentlich für eine Gesellschaft die beste? Einstweilen liegen wir da aus meiner Sicht gut im Rennen.

Das Ergebnis kann man teilweise schon vorwegnehmen, was beispielsweise Trump in den USA anrichtet, ist ja kaum zu glauben. Nun, ich würde mir wünschen, dass die Bürgerinnen und Bürger hierzulande nach der Überwindung der Corona-Krise einen anderen Blick auf ihre Politikerinnen und Politiker und die Parteien haben. Wir hatten es ja zuletzt vor der Krise mit einem spürbaren Vertrauensverlust zu tun und ich hoffe, dass wir mit verantwortungsvollen Entscheidungen Vertrauen in Politik und Staat zurückgewinnen können.

Kommen wir noch mal zur Kritik. Bei den Kulturschaffenden, denke ich, muss die Hilfe dringend nachgebessert werden, denn sie kommt teilweise nicht an. Die haben oft keine Betriebskosten, bei denen sind sozusagen Essen und Trinken die Betriebskosten. Es gibt da ein ganz gutes Programm, dessen größter Nachteil sein Name ist: „die Grundsicherung“ für Selbstständige. Bei dem Wort Grundsicherung zucken natürlich viele zusammen, die sich als aktive und freie Unternehmerinnen und Unternehmer sehen und nicht als Empfänger von Sozialleistungen. Über diese innere Hürde, für die ich großes Verständnis habe, muss man in dieser Zeit nun hinwegkommen. Denn es handelt sich um ein gutes Hilfsangebot –  es gibt die Erstattung für Mietkosten, Krankenversicherung und einen Regelsatz, das dürften in den meisten Fällen über 1.000 Euro sein und es findet derzeit im erleichterten Antragsverfahren – anders als sonst – auch keine vollständige und ausführliche Vermögensprüfung statt.

Sie würden den Kulturschaffenden also diese Grundsicherung empfehlen? Ja, ich würde empfehlen, die gefühlte Hürde, die ich aus vielen Gesprächen kenne, jetzt zu überwinden und zunächst einmal auf dieses Programm zuzugreifen. Unabhängig davon prüfen wir aber derzeit auch noch, ob Ergänzungen notwendig sind.

Ein paar Kritikpunkte hätte ich noch auf dem Zettel, aber das meiste davon hat tatsächlich Zeit bis nach der Krise. Dann aber, denke ich, werden wir tatsächlich Bilanz ziehen müssen, nicht nur international. Manche Schieflagen hierzulande werden mit dieser Krise momentan sehr offensichtlich. Ich denke da zum Beispiel an die schlechte Bezahlung in der Pflege. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, wir werden in unserer Gesellschaft über verschiedene Themen ganz grundlegend und neu diskutieren müssen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege gehören dazu, sie standen bei mir allerdings auch schon vor der Corona-Krise ganz oben auf dem Zettel. Dazu gehört aber auch die Frage, wie wir sicherstellen können, dass beispielsweise Medizinprodukte auch in Deutschland langfristig kostendeckend hergestellt werden können. Momentan sind wir im Krisenmodus, wenn wir das überwunden haben, geht es an die inhaltliche Aufarbeitung.   Interview: Lars Kompa

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