Tag Archive | "2021-05"

Diana Quiring von KinderHelden

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Diana Quiring von KinderHelden


Fotos: Sandra GunjacaFür mehr Bildungs- und Chancengleichheit zu sorgen, das hat sich die gemeinnützige GmbH KinderHelden auf die Fahnen geschrieben. Sie ist ein strategisches Partnerprojekt der Swiss Life Deutschland Stiftung und arbeitet mit über 1000 Ehrenamtlichen an sechs Standorten. In Hannover ist Diana Quiring seit etwa einem Jahr dabei. Ihre wöchentlichen Treffen mit der zehnjährigen Remaf sind für sie ein echtes Highlight, das sie nicht mehr missen möchte.

Dass Diana Quiring sich neben ihrem fordernden Job im Marketing eines Finanzdienstleisters überhaupt ehrenamtlich engagiert, liegt auch ein bisschen an der Corona-Pandemie. Nach einer dreimonatigen Auszeit, die Quiring in Indien verbracht hatte, „strandete“ sie im März 2020 pandemiebedingt mit anderen Touristen in Goa. Viele der etwas älteren Reisenden, die sich dort in einer Art Notgemeinschaft zusammengefunden hatten, waren komplett überfordert mit der Situation. „Ich habe mich um sie gekümmert, ihnen gezeigt, welche Flüge es noch gibt und wo man sich informieren konnte. Dabei habe ich gemerkt, wie gerne ich helfe“, so die 35-Jährige, die damals den Entschluss fasste, sich sozial zu engagieren, sobald sie wieder sicher zu Hause wäre.
„Eigentlich wollte ich mich um ältere Menschen kümmern, aber dann kamen mir die KinderHelden wieder in den Sinn, die Laura Held, die Mentoring-Beraterin der KinderHelden für Hannover, uns einige Zeit vorher schon einmal vorgestellt hatte. Laura schaut sich an, wer gut zusammenpassen würde, also wer zu welchem Kind. Das hat sie so gut drauf, sie könnte auch eine Dating-Agentur aufmachen“, erzählt Quiring lachend. Diana Quirings „Match“ ist die zehnjährige Remaf, die mit ihren Eltern und ihren zwei Geschwistern vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen ist.
Die angehenden MentorInnen werden in einem persönlichen Gespräch und einem Workshop auf ihre Tätigkeit vorbereitet.  Auch nach dem Start unterstützen die KinderHelden die MentorInnen und sind als Ansprechpartner für sie da.
Die KinderHelden arbeiten mit verschiedenen Schulen in Brennpunkt-Gebieten zusammen. Die dort tätigen LehrerInnen melden den KinderHelden, welche SchülerInnen Förderbedarf haben und von den Treffen profitieren könnten. Manche Kinder melden sich sogar selbst.
Um Nachhilfe geht es bei den KinderHelden nicht, sondern eher um eine Stärkung des Selbstbewusstseins, die Erweiterung der Perspektive oder auch der sprachlichen Kompetenzen. Und natürlich ist das Programm so auch ein Beitrag zur schulischen Förderung der Kinder.
„Als Laura Held anrief und sagte, sie hätte ein Tandem-Kind für mich, war ich total aufgeregt“, so Quiring, die sehr leicht Zugang zu Remaf fand und im Grunde sofort verzaubert war von dem Mädchen: „Remaf ist so ein freundliches, offenes Kind! Durch sie bekomme ich Zugang zu einer ganz anderen Welt. Ich bin 35, Single und habe noch keine eigenen Kinder.“ Mit sechs Jahren ist Diana Quiring selbst mit ihrer Familie aus Russland nach Deutschland gekommen und kann sich in Remafs Geschichte wiederfinden. „Ich musste mich integrieren, war schüchtern und konnte die Sprache nicht richtig. Ich fühlte mich fremd und hatte immer das Gefühl, dass ich anders bin als die anderen.“
Jede Woche treffen die beiden sich einmal für zwei bis drei Stunden. Bei jedem Treffen überlegen sie, was sie beim nächsten Mal unternehmen wollen. Oft gehen sie spazieren oder sie lesen zusammen. Remaf wohnt mit ihrer Familie im Sahlkamp, wo es auch schöne Ecken gibt, aber natürlich findet sie es spannender, auch einmal andere Stadtteile zu erkunden. Schon bald nach Beginn ihrer Tandem-Freundschaft sagte Remaf: „Du warst noch nie bei mir zum Essen!“ Eine Einladung folgte und Quiring war begeistert von der Herzlichkeit der Familie und der leckeren syrischen Küche.
So nutzen im Grunde beide Tandem-Partnerinnen einander, um ein bisschen über den Tellerrand hinauszublicken. Remaf hat zum Beispiel den Traum, Polizistin zu werden. Ihre Eltern hatten ihr aber gesagt, dass das nicht möglich sei für ein Mädchen aus Syrien. Diana Quiring konnte diesen Irrtum nicht nur ausräumen, sondern auch Mut machen, diesen Weg später zu gehen. Ein Freund von ihr ist Polizist, und sie plant als Überraschung für Remaf ein Treffen der beiden oder vielleicht sogar einen Besuch auf seiner Polizeiwache zu arrangieren.
„Anfangs hatte ich Zweifel, ob mir diese Verpflichtung neben meiner Arbeit nicht zu stressig sein würde. Es ist mir aber gelungen, in meinem Kopf einen Schalter umzulegen: Wenn ich jetzt das Haus verlasse und zu Remaf fahre, ist das eine Auszeit für mich – wie ein kleiner Urlaub. Ich bin dann in ihrer Welt und kann komplett abschalten. Wenn viel zu tun ist, muss ich mich eben später noch einmal hinsetzen.“
Die KinderHelden begleiten ihre Schützlinge normalerweise für ein Jahr. Manche Tandems bleiben auch länger zusammen. Wenn ihr KinderHelden-Jahr im Sommer vorbei ist, wird Diana Quiring sich vielleicht auch anderweitig engagieren, sie hat viele Pläne. Mit Remaf wird sie auf jeden Fall in Kontakt bleiben.

● Annika Bachem

Foto: Sandra Gunjaca

Neue MentorInnen sind bei den
KinderHelden herzlich willkommen!
Infos unter www.kinderhelden.info

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Curry Cullum

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Curry Cullum


Das Gourmet-Bistro darf zurzeit zwar weder seine Türen zum großen, im modern-industrial Mix eingerichteten Raum, noch seine nett gelegene Terrasse am Klagesmarkt öffnen, was alleine wegen der enormen Gin-Karte und der Sehnsucht nach einem ordentlichen Feierabenddrink bedauerlich ist. Doch zum Mitnehmen bekommt man hier eine sehr ansehnliche Auswahl an vielfältigen Burgern und Dazugehörigem: Mit Luxus-Fleischsorten wie Strauß, Wasserbüffel oder Kobe kann man den herkömmlichen Hamburger pimpen oder zwischen neun Rind-, einem Hähnchen- und zwei vegetarischen Pattys wählen – und auch damit zum Burger-Gourmet werden. Abwechslungsreiche Vorspeisen und Salate, VW-Currywurst, Super-Fritten und hausgemachte Spezial-Dips heben das Curry Cullum von der Masse ab und haben uns zum Test verleitet – den wir mit dem passenden (Gin-) Cocktail später im Jahr auf der Terrasse unbedingt noch fortsetzen wollen.

Als wir zur Abholung schreiten, wartet vor der Tür nur noch ein Fahrradkurier des ortsüblichen Lieferdienstes, aber für das Selber-Mitnehmen spricht nicht nur dessen miese Bezahlung. Da wir bei der telefonischen Bestellung einen genauen Zeitpunkt mitgeteilt bekommen haben, der vom Burger-Griller exakt eingehalten wird, verbringen die Burger und vor allem die empfindlichen Kartoffelprodukte zwischen Zubereitung und Verzehr nicht eine Minute länger als nötig an der frischen Luft, wo sie unschön abkühlen und schlimmstenfalls matschig werden können. Außerdem geben wir unser Trinkgeld, das momentan wegen der vielen Bringdienst-Bestellungen ohnehin schon knapp sein dürfte, lieber der Curry-Cullum-Servicekraft als dem Monopolisten.
Statt Plastikverpackungen werden Pappschachteln und Papiertüten für den Transport des Essens von der Restaurantküche bis auf den heimischen Wohnzimmertisch genutzt. Ein guter Start. Gemein haben alle drei Burger das hausgemachte Brioche-Bun mit fluffigem Inneren und Sesam auf der optisch ansprechenden, leicht gebräunten und festeren Oberfläche. An den „inneren“ Werten fällt sogleich der Lollo Bionda Salat positiv auf und dass statt üblicher Fertigsaucen selbstgemachte Salsa und Mayo verwendet werden.
Mit geübter Bratkunst hat der Griller den abgefragten Medium-Wunsch voll erfüllt, das regionale Rindfleisch ist innen noch schön rosa und damit saftig. Was etwas irritiert, ist, dass statt der klassischen Tomate eine Gurke auf dem Patty liegt – gerade beim „Forrest Gump“ (für 9,90 Euro) mit Bacon und selbstgemachter Erdnussbutter hätte die rote Fruchtscheibe noch das letzte Quäntchen feuchten Frische-Effekts beigesteuert, der nun fehlt. Wer kennt es nicht – wenn Erdnusssauce kühl und damit fest wird, stellt sich eine trocken wirkende Zähigkeit ein. Im Restaurant genossen wird das Gump-Problem nicht auftreten, aber zu Hause müssen wir die zweite Burgerhälfte bereits schneller essen, um dem Effekt noch zuvorzukommen, was etwas stresst. Wahrscheinlich hat der ursprüngliche Gedanke, die Curry Cullum Salza Sauce anstelle der Tomate einzusetzen, einfach nur beim verzögerten Essen seine Nachteile – wir hoffen es zumindest und werden dem ansonsten empfehlenswerten „Forrest“ noch eine zweite „Vor-Ort-frisch-auf-den-Tisch-Chance“ geben. Der vegetarische Patty im Burger namens „Speedy“ (für 8,90 Euro) überzeugt schon bei erster Gelegenheit mit seinen 120 Gramm Soja-Biomischung mit getrockneten Tomaten, Zwiebeln und Paprika sowie der hauseigenen Honig-Senf-Mayo und der erwähnten Salsa. Wie die Fleisch-Pattys ist auch hier der Kern des Burgers gut gegrillt und entsprechend sehr saftig und würzig.
Beim „Sou Louis“ (für 9,90 Euro) mit übrigens wohlschmeckendem Bacon – der uns schon in der coolen Kombi mit Erdnussbutter gut gefallen hatte – geht die Tomatensalsa im Vergleich zur leicht pikanten Barbeque-Sauce etwas unter. Das macht aber nichts, denn die ist in ihrer Intensität charakterstark rauchig und nicht zu süß. Dagegen sind die Dips unserer Wahl (Honig-Senf-Mayo und Wasabicreme, je 1,20 Euro) einen Tick zu neutral; gut für den milden Creme-Schärfegrad, suboptimal für die Mayo.
Und damit kommen wir zu den Co-Stars der Veranstaltung, den Kartoffel-Beilagen. Auf dem letzten Platz landen die (mit 3,90 Euro teuersten) Sweet Potatoes, denn die haben weder viel Biss noch viel Pepp. Einstimmig zum Renner des Abends gekürt werden die Belgischen Fritten (für 3,20 Euro), die mit ihrer krossen Art bis zum letzten Happen überzeugen. Fast ebenso toll finden wir die Potato Chips (für 3,60 Euro), dick geschnittene Kartoffelschalen-Schnitze, die auch Geschmack und Konsistenz mitbringen. Diese beiden, der bereits erwähnte Drink, das Feierabend-Treiben auf dem Klagesmarkt … – oh Sommer ohne Lockdown, wo bleibst du?!

  ● Anke Wittkopp

 

Postkamp 18
30159 Hannover
Tel. (0511) 47399361
www.curryculum.de

Momentan nur Take Away
Di – Do 16 – 23 Uhr
Fr – So 14 – 24 Uhr
Mo Ruhetag

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Essen nebenan!

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Essen nebenan!


Wir haben in dieser Mai-Ausgabe Platz geschaffen für all jene, die uns in „normalen“ Zeiten als ihre Gäste begrüßen. Ich habe in den vergangenen vier Wochen mit sehr vielen Leuten aus der Branche gesprochen und viel Frust und Fassungslosigkeit erlebt. „Stell dir einfach vor, dir verbietet jemand von heute auf morgen zu schreiben“, hat ein befreundeter Gastronom zu mir gesagt. Schwer vorstellbar. Da kommt jemand um die Ecke, schließt deinen Laden zu und schmeißt den Schlüssel weg. Wirklich schwer vorstellbar.

Die Branche hält den Kopf knapp über Wasser, so mein Eindruck, zwar warten einige noch immer auf die Auszahlung der Hilfen, aber insgesamt schaffen es bisher viele, die Ausfälle mit dem Außer-Haus-Verkauf zumindest abzufedern. Trotzdem, man geht davon aus, dass etwa ein Fünftel der Unternehmen die Krise nicht überstehen werden. Sowohl im Einzelhandel als auch in der Gastronomie werden wir die tatsächlichen Folgen wohl erst sehen, wenn der Kampf gegen die Pandemie (hoffentlich bald) gewonnen ist. Genau dann, wenn der Neustart ansteht, wenn es ohne weitere Hilfen wieder in den Normalbetrieb geht, genau dann wird es für viele richtig brenzlig und genau dann können wir alle sehr viel tun für die angeschlagenen Branchen. Genau dann sollten wir gute Gäste sein, genau dann sollten wir oft und gerne shoppen gehen. Wir sollten einfach nachholen, was uns Corona in den vergangenen Monaten verboten hat, aber bitte möglichst offline.

Ich bin inzwischen sehr zuversichtlich, dass wir es schon bald geschafft haben. Und ich glaube, ich bin mit meiner Zuversicht nicht allein. Auch die Veranstalter und Kulturschaffenden arbeiten schon fleißig an den Programmen für die kommenden Monate. Meine Prognose: Wir werden im Mai noch einen weiteren Monat fast ohne Live-Kultur auskommen müssen und wir werden auch in unseren Freiheiten weiter Einschränkungen hinnehmen müssen. Aber im Juni, da bin ich mir ganz sicher, wird es zum Beispiel wieder erste Live-Konzerte geben und auch die Theater werden wieder durchstarten. Anlass zur Freude werden dann demnächst auch die dummen Gesichter der Querdenker-Fraktion geben, wenn plötzlich alle Freiheiten zurück sind und sich die hysterische und idiotische Schreierei damit plötzlich erübrigt. Ja, ich freue mich auf den Sommer, gerne im Schwimmbad mit Kindern und Ball, gerne ohne Ballweg.

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Ein letztes Wort im Mai

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Ein letztes Wort im Mai


Herr Weil, wir treffen uns Mitte April, bringen Sie mich mal auf den neusten Corona-Stand.
Das ist gar nicht so einfach, wir führen dieses Gespräch in den Tagen nach Ostern und wir wissen nicht genau, inwieweit die Feiertage die Erfassung der Infektionszahlen beeinflusst haben. Es zeichnet sich aber schon deutlich ab, dass die Lage nach wie vor ernst ist. Wir haben noch immer ein viel zu hohes Infektionsniveau, gar keine Frage. Es gibt mehr und mehr Städte, die in die Notbremse hineinwachsen oder gar nicht erst herausgekommen sind, siehe Hannover. Wir werden also wohl oder übel noch eine ganze Zeit mit diesen schlimmen Begleitumständen leben müssen.

Was sagen Sie zu den neuen Entwicklungen im Bund, Stichwort Infektionsschutzgesetz?
Für Niedersachsen wäre eine bundesgesetzliche Regelung nicht nötig gewesen. Und bei uns führt das dementsprechend auch zu keinen großen Änderungen. Im Gegenteil, wir sind in manchen Bereichen sogar deutlich strenger und wir haben auch unsere Gründe dafür. Nehmen Sie die Schulen. Ich weiß natürlich, was für eine unglaubliche Belastung die derzeitige Situation für Kinder, Jugendliche und Eltern bedeutet. Aber in dieser dritten Welle spielt das Infektionsgeschehen bei Kindern und Jugendlichen nun einmal eine wesentlich größere Rolle als in den beiden ersten Wellen. Deswegen müssen wir hier nun noch vorsichtiger sein. Im Bundesvergleich ist die Lage bei uns im Moment stabil. In einigen anderen Bundesländern aber, insbesondere im Osten, ist die Infektionslage leider beunruhigend.

Sie sagen, für Niedersachsen wäre eine bundesgesetzliche Regelung nicht nötig gewesen. Insgesamt aber schon, die Bundesländer haben ein ziemliches Durcheinander veranstaltet …
Die gemeinsamen Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz sind anschließend von einzelnen Ländern teilweise ausgesprochen kreativ interpretiert worden. Und ich kann gut verstehen, dass das im Kanzleramt keine Freude ausgelöst hat. Aber, wie schon gesagt, Niedersachsen hat sich an die Vereinbarungen gehalten und für Niedersachsen ändert sich mit den Änderungen im Infektionsschutzgesetz nichts Grundlegendes.

Sie sitzen ja, wie alle Politikerinnen und Politiker, die momentan regieren, sehr zwischen den Stühlen. Die einen wollen lieber heute als morgen öffnen, sorgen sich um die Folgen für die Kinder, um die Folgen für die Wirtschaft, die andere Seite wünscht sich einen möglichst harten und konsequenten Lockdown. Eine Mitte scheint es gar nicht mehr zu geben. Können Sie eigentlich noch? Das muss doch unfassbar anstrengend sein, ständig in eine Vermittlerrolle gezwungen zu sein.
Ja, das ist anstrengend. Aber das ist eben jetzt unsere Aufgabe. Eine schwierige Aufgabe, ganz ohne Zweifel. Wir dürfen die Dinge nicht schön reden, aber auch nicht schlechter als sie sind. Immer die richtige Balance zu finden, das ist keine leichte Übung. Damit mache ich auch immer wieder meine persönlichen Erfahrungen. Weder Panik noch Laissez Faire helfen uns weiter. Würden wir alle Aktivitäten einstellen und uns als Gesellschaft ‚tiefkühlen‘, dann gäbe es riesige Folgeschäden. Die Akzeptanz solcher Maßnahmen wäre nach einer Weile mutmaßlich gering. Würden wir andererseits so tun, als hätten wir die Pandemie fast überwunden, dann würde uns die Realität sehr schnell und sehr bitter einholen. Darum glaube ich nach wie vor an einen vernunftbetonten und vorsichtigen Umgang mit dem Virus. Daran möchte ich unbedingt festhalten.

Was sagen Sie zu dieser Studie zum Asthma-Spray, ist das der Gamechanger?
Wenn sich diese Studien bestätigen, wäre sicher einiges gewonnen. Aber ich bin vorsichtig mit solchen Aussagen. Wir haben es ständig mit neuen Entwicklungen zu tun, wir lernen auf der einen Seite und werden besser, wir erleben aber auch immer wieder Enttäuschungen. Wir haben inzwischen eine Dominanz der Mutationen, die uns große Probleme bereiten. Wir sehen, nachdem viele Ältere nun geimpft sind, dass die Todesfälle in dieser Altersgruppe zurückgehen. Wir sehen aber auch, dass leider die Jüngeren deutlich häufiger und heftiger erkranken, teilweise mit harten langfristigen Folgen. Das sogenannte Long-Covid-Phänomen geht einher mit hoch belastenden Folgewirkungen, einige Menschen sind noch Monate nach ihrer Infektion komplett kraftlos, andere bekommen kaum Luft, wieder andere haben ständig am ganzen Körper Schmerzen. Die Risiken bei dieser Erkrankung sind sehr groß – das dürfen wir bei allen Diskussionen nicht vergessen. Es geht darum, vorsichtig zu bleiben!

Trotzdem ist es auch bei mir so, dass ich manche Einschränkungen nicht ganz nachvollziehen kann, beziehungsweise ich zum Beispiel nicht erkenne, warum sich ein Einzelhändler in seinem Geschäft momentan nicht einmal 1 zu 1 mit Kundinnen und Kunden verabreden darf.
Wir haben natürlich riesige Abgrenzungsprobleme und Ungerechtigkeiten. Dieses Virus ist einfach nicht gerecht. Es ist aus meiner Sicht fast unmöglich, immer eine Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Wir sind oft gezwungen zu generalisieren. „Click & Meet“ im Einzelhandel wird in Zukunft übrigens eine wesentlich größere Rolle spielen als bisher.

Es gibt aber schon ziemlich offensichtliche Ungleichbehandlungen und damit Ungerechtigkeiten. Das ist ja genau das, was momentan so kontrovers diskutiert wird. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich zähle mich eigentlich mehr zur Lauterbach-Fraktion, aber ich denke eben auch, dass man in manchen Branchen und Bereichen mehr differenzieren sollte und ein bisschen Öffnung wagen könnte.
Ja, sehr gerne, aber zunächst müssen wir mit den Infektionszahlen runter. Solange wir auf einem so hohen Niveau sind wie aktuell, müssen wir sehr generelle Maßnahmen verhängen und können leider nur sehr wenig Rücksicht nehmen auf einzelne Bereiche.

Lassen Sie uns noch kurz ein bisschen in die Zukunft schauen. Wie lange meinen Sie, müssen wir das alles noch aushalten? Wann haben wir es hinter uns?
Solche Prognosen kann man natürlich seriös kaum machen. Aber ich bin wirklich guten Mutes, dass wir im Sommer eine große Mehrheit der Bevölkerung geimpft haben werden. Wobei niemand den Zeitpunkt genau bestimmen kann. Klar ist, dass die Impfstoffmenge deutlich mehr werden wird. Es geht spürbar voran, aber es gibt auch immer wieder Rückschläge. Wir werden Ende April so weit sein, dass wir mehr als ein Viertel der Menschen in Niedersachsen wenigstens das erste Mal geimpft haben. Und aus meiner Sicht klingt das schon nach einer echten Perspektive. Das Licht am Ende des Tunnels wird spürbar heller. Es kommt jetzt sehr auf das nächste Quartal an. Diese Zeit müssen wir einigermaßen glimpflich miteinander überstehen.

Was halten sie von Sputnik als Impfstoff?
Alles, was gute Wirkung zeigt und zugelassen wird, ist mir sehr willkommen.

Also Sputnik zugelassen landet auch im Arm des Ministerpräsidenten?
Warum nicht? Mir ist es wirklich völlig egal, wo der Impfstoff entwickelt worden ist. Wenn er gut ist, dann wollen wir ihn. Ich würde mich auch sofort mit AstraZeneca impfen lassen.

Ganz zuletzt noch kurz ein Wort zur Wirtschaft. Was wäre ihre Strategie für die Zeit nach Corona? Muss der Staat Impulse setzen? Viel Geld in die Hand nehmen? Was wird dann aus der Schuldenbremse?
Ich denke, wir werden genau das tun müssen und starke Impulse setzen. Denn die Probleme werden in manchen Branchen erst nach Corona so richtig sichtbar sein. Wir haben aber in Deutschland durch die Schuldenbremse sehr enge Grenzen für staatliche Unterstützung, insbesondere in den Ländern. Das stört mich sehr, wir können es aber nicht ändern. Ich bin prinzipiell der Auffassung, dass man Investitionen auf Sicht finanzieren sollte, das machen seriöse private Haushalte ja auch. Laufende Ausgaben muss man aber durch laufende Einnahmen finanzieren können. Mein Problem mit der Schuldenbremse ist, dass sie nicht zwischen laufenden Ausgaben und Investitionen differenziert – aus meiner Sicht ein Fehler. Und der zweite Fehler ist, ganz konkret, dass der Bund einige Spielräume hat im Umgang mit der Schuldenbremse, die Länder aber nicht. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum sich unsere Vorgänger vor 15 Jahren auf eine solche Vereinbarung eingelassen haben. Das war nicht besonders weitsichtig.

Interview: Lars Kompa

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Unter Freunden – Alix Dudel und Laura Zacharias

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Unter Freunden – Alix Dudel und Laura Zacharias


Wieder einmal blicken wir freundschaftlich auf unsere Stadt – heute von außen. Unsere Gesprächspartnerinnen aus dem Freundeskreis Hannover sind auch an ihren neuen Wohnorten begeisterte Hannoveranerinnen geblieben. Die Sängerin, Diseuse und Schauspielerin Alix Dudel (AD) lebt heute in Berlin und sagt: „Wer weiß, was noch kommt.“ Die Radiomoderatorin Laura Zacharias (LZ) hat es nach Tübingen verschlagen. Sie kämpft zu Anfang des Video-Calls mit Tonproblemen und denkt bei Stichwort „Vorstellungsrunde“ zunächst, dass sie – ganz Moderatorin – Alix Dudel vorstellen soll. Wir können sie beruhigen, heute ist sie Gast.

Foto: Heinz-Günter HamichFoto: Ulrich StammLZ – Ich stelle mich vor, okay (lacht). Ich bin gebürtige Hannoveranerin, im Friederikenstift geboren und praktisch auf dem Wakitu in der List aufgewachsen. Als Kind habe ich im Mädchenchor Hannover gesungen und wollte unbedingt Opernsängerin werden. Leider hatte ich später Probleme mit den Stimmbändern und musste mich von dieser Idee verabschieden. Nach vielen Überlegungen, was man sonst so mit „Stimme“ machen kann, bin ich dann über Umwege und ein Journalistik-Studium in Dortmund wieder nach Hannover und zum Radio gekommen. Damals wurde gerade ein völlig neuer Radiosender aus der Taufe gehoben, Radio Hannover. Ich wurde Redaktionsmitglied der ersten Stunde und habe die ganze Senderstruktur mit aufgebaut, begeistert von der Idee eines lokalen Radiosenders. Radio-Erfahrung hatte ich schon während meines Studiums bei anderen freien Lokalsendern gesammelt. Bei Radio Hannover war ich sechs Jahre und wäre wahrscheinlich auch nie weggegangen, wenn mein Mann nicht hier in Tübingen einen sehr spannenden Job bei Curevac bekommen hätte. Der musste in Hannover viel zurückstecken, weil ich fürs Radio natürlich sehr umtriebig und viel unterwegs war. Deswegen gestehe ich ihm das jetzt auch mal zu (lacht). Ich arbeite jetzt beim Südwestrundfunk, beim Fernsehen als Redakteurin.

Dann werfen wir den Ball mal rüber zu Alix.   
AD – Ich bin auch ein hannoversches Urgestein, obwohl ich nicht in Hannover geboren bin, sondern in Krefeld. Ich bin aber schon mit vier Jahren nach Hannover gekommen und hier aufgewachsen. Jetzt sage ich schon „hier“, weil es sich so anfühlt (lacht). Ich bin in Hannover zur Schule gegangen, habe meine erste Liebe dort erlebt, meine Lehre gemacht und auch die Kunst und Kultur ist dort zu mir gekommen. In den 80er-Jahren habe ich Friedhelm Kändler getroffen, der mich sehr fasziniert hat und dessen Texte mich bis heute begleiten. Viel Spaß hat mir meine Zeit als Sprecherin beim NDR gemacht, das war in den 90er-Jahren. Gegen Ende der 90er bekam ich dann den Drang, etwas Neues auszuprobieren. Damals ergab sich die Gelegenheit für mich, zu Freunden aufs Land zu ziehen, in die Nähe von Hildesheim. Ich war aber die ganze Zeit noch sehr mit Hannover verbunden. Im Kanapee, das Erwin Schütterle damals kreiert hat, habe ich meine ersten Premieren gefeiert und viele meiner Lieder dort uraufgeführt. Jetzt ist es schon wieder zehn Jahre her, dass der nächste Wechsel dran war, der mich nach Berlin geführt hat. Trotzdem fühlt sich meine Seele immer noch sehr hannoversch an, das ist für mich immer noch Heimat, wo ich viele Freunde habe. Zwei meiner Geschwister leben auch da. Und ich bin immer wieder gern zu Gast, auch auf der Bühne.

Gibt es Aspekte in Hannover, die ihr von außen anders seht? Oder vielleicht auch Dinge, die ihr vermisst?
AD – Für mich war Hannover immer ein guter Ort, um mich zu entwickeln. Ich wusste anfangs gar nicht, wo es mit mir hingehen soll. Viele meiner Freunde sind damals nach Berlin gegangen. Es hieß immer, da tobe das Leben, man müsse da hin, wenn man Kultur machen will. Ich glaube, ich wäre da untergegangen. In Hannover hatte ich die Möglichkeit, mich peu à peu zu entwickeln. Berlin, das merke ich auch jetzt, ist toll! Aber man muss aktiv sein und permanent sagen: „Hier bin ich!“ Und wenn man das nicht laut genug sagt, ist man praktisch nicht da. In Hannover habe ich das ganz anders erlebt. Die Menschen hier haben mich getragen und mich auch manchmal, wenn ich mich in meiner Kemenate versteckt habe, herausgeholt und gesagt: „Dudel, mach was!“ Und dann habe ich es gemacht (lacht). Zum Beispiel war es gar nicht mein Plan, Moderationen zu machen. Dann kam Udo Püschel, der damals das Programm beim GOP gemacht hat, und sagte: „Mach das doch mal, du bist so bekannt hier.“ Und so folgte ein Schritt auf den nächsten. Das wäre woanders so nicht passiert. Aber klar, das lag natürlich auch daran, dass ich hier Freunde hatte.
LZ – Da kann ich mich nur anschließen. Obwohl es eine Großstadt ist, ist Hannover, was die Menschen angeht, ein Dorf. Ende Oktober, kurz vor dem letzten Lockdown, bin ich ein einziges Mal durch die Innenstadt gegangen und habe bestimmt 40 Menschen getroffen, die ich kannte und mit denen ich sofort wieder anknüpfen konnte, als wäre ich nie weg gewesen. Ich habe mich unheimlich gefreut über diese Wärme!
Und was mir im Oktober total aufgefallen ist, ist diese Weite. In Süddeutschland guckt man praktisch immer gegen einen Berg. Das ist natürlich auch schön. Aber erst jetzt merke ich, wie sehr ich dieses platte Land mag!

Du hast beim Fernsehen jetzt wahrscheinlich nicht ganz so mit der Pandemie zu kämpfen, Laura.    
LZ – Ja, ich arbeite in der Redaktion einer Talksendung, dem Nachtcafé, und bin sehr glücklich, dass ich jetzt beim SWR bin. In Hannover habe ich ja sehr viele Veranstaltungen moderiert und hatte schon den Gedanken, mich auch hier in Tübingen als freie Moderatorin selbstständig zu machen. Aber als ein Event nach dem anderen abgesagt wurde, war schnell klar, dass das im Moment nicht die allerbeste Idee ist. Ich biete das grundsätzlich schon noch an, aber Veranstaltungen, wie ich sie moderiert habe, gibt es eben im Moment nicht.

Wie geht es dir in der Situation, Alix? Ich habe deinen Blog gesehen und den einen oder anderen melancholischen Eintrag. 
AD – Man schwebt ja durch die unterschiedlichsten Stimmungen im Laufe der Zeit. Anfangs war da ein großer Willen zum Durchhalten und viele Ideen, was man jetzt auf die Beine stellen könnte. Aber diese Energie bröckelt natürlich auch irgendwann. Je länger das dauert, desto lethargischer wird man leider. Ich komme ganz gut durch die Zeit. Ich habe mal eine Feldenkrais-Ausbildung gemacht und gebe jetzt online Unterricht. Das tut mir gut und hält auch mich fit. Dazu habe ich wieder angefangen, Gesangscoaching zu nehmen, als Vorbereitung auf die Zeit, wenn es wieder losgeht.

Ich hätte gedacht, du gibst Unterricht. 
AD – Ich mache beides. Ich gebe Sprechunterricht, ich nehme ihn aber auch. Die Stimme verändert sich mit den Jahren und es schleichen sich Fehler ein, die man, wenn sich Auftritt an Auftritt reiht, oft gar nicht bemerkt. Es ist ganz interessant, jetzt die Zeit zu haben, etwas in die Tiefe zu gehen und hier und da mal etwas zu überprüfen.

Tut so eine lange Pause der Stimme vielleicht sogar gut, oder ist das eher gefährlich, sie so „abzutrainieren“?     
AD – Gefährlich ist das nicht. Eine Pause ist schon ganz gut, aber man braucht zum Singen eine große Körperspannung. Da ist Sport und ein gutes Körperbewusstsein schon wichtig in einer Zeit, wo wir alle viel auf dem Sofa sitzen und gerne mal ein Glas Wein trinken (lacht).
LZ – Das ist bestimmt nicht leicht, sich fit zu halten, um in dem Moment, wo man wieder vors Publikum darf, vielleicht besser zu sein als je zuvor! Und keiner kann wirklich sagen, wann das sein wird. Wie motivierst du dich dafür?
AD – Ach, das ist unterschiedlich. Mein Gitarrist Sebastian Albert und ich hatten im Februar 2020 gerade ein neues Programm vorgestellt, im März war dann alles zu. Wir waren aber genau an dem Punkt, wo man, um weiter am Programm zu arbeiten, das Publikum braucht. Ich habe dann angefangen zu lesen und bin dabei auf eine polnische Schriftstellerin gestoßen, Wisława Szymborska, die mich sehr interessiert. Sie ist in Deutschland gar nicht so bekannt, obwohl sie 1996 den Literaturnobelpreis bekommen hat. Ich habe Kontakt aufgenommen zu einer polnischen Kollegin, mit der ich sehr gern arbeiten möchte, Celina Muza. Da habe ich jetzt Feuer gefangen und gucke, wie ich daraus mit Musik ein Programm formen kann. Und irgendwann wird der Augenblick kommen, wo Auftritte wieder möglich sind.

Arbeitest du immer so, dass du Texte suchst und sie dann vertonst? Wer schreibt die Musik dazu?
AD – Die Texte von Friedhelm Kändler hat zum Beispiel oft Andreas Tarkmann vertont, oder auch Uli Schmid, mit dem ich in den letzten Jahren ganz viel gearbeitet habe. Von Georg Kreisler oder Hildegard Knef gibt es schon Vertonungen, die wir dann nehmen und anpassen. Jetzt arbeite ich mit dem Jazzgitarristen Sebastian Albert, und der bearbeitet die Musik dann für sein Instrument. Wenn ich mit einer Band arbeite wie im Frankfurter Tigerpalast, dann suchen die sich zusammen, was es gibt, und bearbeiten das für ihr Setting. Es gibt Lieder, die begleiten mich seit Anfang der 90er-Jahre, weil sie einfach so toll sind. Ein wunderbares Lied, das ich vielleicht nie wieder singen darf, heißt „Darf ich mal durch?“, und ich drängele mich dabei durch das Publikum zwischen den kleinen Tischen hindurch. Das ist ja im Moment überhaupt nicht mehr vorstellbar.
LZ – Dieser Gedanke schmerzt schon sehr. Mir geht das auch immer so, wenn ich alte Bilder sehe von Veranstaltungen. Auch bei der der Talkshow, die wir jetzt schon lange Zeit unter Corona-Bedingungen ohne Publikum produzieren, merkt man, dass das was mit den Leuten macht. Schrecklich, der Gedanke, dass man diese Nähe vielleicht nie wieder aufbauen kann.

Diese Gewöhnung ist gruselig, dass man jetzt ältere Filme sieht und denkt „Die stehen aber dicht zusammen!“. Aber du wirst dieses Lied bestimmt wieder singen!
AD – Wollen wir es hoffen. Gestern wurde ich geimpft. (Allgemeines Hurra!) Noch merke ich keine Nebenwirkungen. Vielleicht merkt ihr was?

Sieht alles gut aus.
AD – Na, schauen wir mal. Ich habe zwei Livestreams gemacht in diesem Jahr und muss sagen, dass mich das nicht so begeistert. Es ist mir sehr fremd, nur für die Kameras zu spielen. Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Und man ist sehr abhängig von der Qualität der Kameras, des Lichts und des Tons. Das kann ich selbst gar nicht kontrollieren. Wenn ich vor Menschen auftrete, kann ich aus dem Publikum so viel aufnehmen und umsetzen! Das sind gar keine direkten Kommentare, sondern eher Stimmungen. Ich merke, ob das Publikum aufgekratzt ist, ob die Menschen zugewandt sind oder vielleicht müde. Das macht etwas mit meiner Energie. Und so etwas spürt man von einer Kamera natürlich überhaupt nicht.
LZ – Ja, man muss sich immer wieder ausprobieren. Ich liebe einfach Gespräche mit Menschen und deshalb auch den Job als Moderatorin. Ich habe jetzt ein paar Podcasts ins Leben gerufen, das macht auch wirklich Spaß. Aber es ist letztlich doch etwas völlig anderes als ein Gespräch mit einem Gegenüber.

Bei dir, Laura, finde ich ja interessant, dass du Stadionsprecherin warst. 
LZ – Ja! Das war eine verrückte Episode! Die Leute vom VFV Borussia 06 Hildesheim waren auf mich aufmerksam geworden und wollten diesen Job einfach gern mal weiblich besetzen. Ich bin überhaupt keine Fußball-Expertin, aber fand das sofort spannend. Nach einer Zeit in Hildesheim wurde ich vom HSC Hannover abgeworben und habe das da noch eine Saison gemacht. Es ist ja leider immer noch so, dass viele es ablehnen, wenn eine weibliche Stimme durch den Lautsprecher erklingt. Es gab auch durchaus solche Äußerungen in den sozialen Medien. Ich habe damals beschlossen, das einfach auszusitzen. Ein Mehr an weiblichen Stimmen würde diesem sehr männlich geprägten Umfeld sehr guttun. Aber selbst als Stadionsprecherin müssen Frauen sich ganz anders beweisen als Männer, da werden kleinste Fehler ganz anders wahrgenommen. Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, diese Tätigkeit hier fortzusetzen. Leider ist ja der Amateurfußball auch im Lockdown.

Aber dafür würdest du jetzt nicht als Gaststar nach Hannover einfliegen?  
LZ – Doch! Das habe ich mit den Leuten vom HSC so besprochen, die haben gesagt: „Wann immer du in Hannover bist und Zeit hast am Sonntagnachmittag.“ Sobald es wieder Spiele mit Publikum gibt, mache ich das. Auch für solche Vereine ist es ja ein Thema, diese Zeit ohne ihren „zwölften Mann“ durchzustehen.

Es gibt angeblich sogar Fußballer, die im leeren Stadion besser spielen, weil sie dann nicht so aufgeregt sind. Gibt es SängerInnen, die besser sind, wenn keiner guckt?     
AD – Das ist eine Typsache. Ich habe im Kanapee gelernt, sehr nah am Publikum zu sein. Für manche, die gewöhnt sind, auf der großen Bühne mit viel mehr Abstand „ins schwarze Loch” zu singen, ist es dann total aufregend, das Publikum während des Auftritts zu sehen. Ich war dann wiederum auf der großen Bühne extrem aufgeregt, weil es mir so ungewohnt war, niemanden zu sehen. Man kann aber beides lernen.

Wie geht es denn bei dir weiter, Alix?   
AD – In Hannover bin ich, wenn es klappt, am 11. Juni in der Kulturkatakombe Wettbergen. Üblicherweise trete ich vor allem zwischen September und März auf und habe im Sommer eine kreative Pause. Jetzt werden im Sommer Bühnen im Freien aufgebaut und die Zuschauer nach draußen gesetzt. Mal sehen, ob das was wird. Wir hangeln uns wirklich ein bisschen durch.
Deine Art von Musik findet normalerweise draußen ja eher selten statt.
AD – Ja, ich habe das auch lange eher ungern gemacht, weil ich den Raum brauche. Musikalisch-literarische Programme wie mein Mascha-Kaléko-Programm sind so intim und bezaubernd, da möchte man nah beieinander sitzen. Das neue Programm mit der Jazzgitarre hat eine andere Farbe, das geht auch draußen. Im Freien muss man kurzweiliger sein, weil Texte da so verfliegen. Ein längerer Text oder  Gedichte haben eine Tiefe, für die man einfach eine andere Atmosphäre braucht. Da schafft das Licht zum Beispiel auch kleine Räume.
LZ – Krass, wie sich das Erleben von Kultur gerade wandelt. Ich mag Open Airs, aber ich vermisse schon dieses Intime …
AD – Ja. Aber in diesen kleinen Theatern konnten wir im letzten Jahr zum Teil nur zehn Leute empfangen. Das macht man, damit man überhaupt etwas macht, aber damit kann man natürlich kein Geld verdienen. Aber es wird Möglichkeiten geben, und es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.

Stichwort Freundeskreis: Ihr seid beide Mitglieder, obwohl ihr nicht mehr in Hannover lebt.     
AD – Ich habe nach wie vor Kontakt zu Erwin Schütterle, der ja lange Geschäftsführer war. Der hat mir einfach mal ein Beitrittsformular auf den Tisch gelegt und gesagt: „Dann bekommst du auch das Stadtkind.“ (lacht). Das habe ich keine Sekunde bereut und lese so von alten Bekannten und was es so Neues gibt. Das ist meine Verbindung zu Hannover.
LZ – Mir geht das auch so. Ich war ja sehr aktiv im Freundeskreis und habe zum Beispiel die Kulturpreisverleihung oder Podiumsdiskussionen moderiert. Das passte einfach perfekt zu dem, was ich schon immer für Hannover tun wollte. Harald Schmidt hat mal gesagt, Stuttgart sei das Hannover des Südens. Vielleicht ist Hannover ja das Stuttgart des Nordens? Eine solche Verbindung muss ich unbedingt halten.

● Annika Bachem 

Foto L. Zacharias: Ulrich Stamm, Foto A. Dudel: Heinz-Günter Hamich

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