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Randgruppenbeleidigung im Dezember


Karen, die Fußballmutti

Sie ist ein aus den USA stammendes, popkulturelles Phänomen, diese Karen. Eine weiße Frau über 40, mit blondem Bob, die sich über alles und nichts beschwert. Privilegiert, dabei aber doch zu kurz gekommen, scheint es ihr einziger Lebenszweck zu sein, anderen Menschen das Dasein bitter zu machen – in Amerika vornehmlich Persons of Color, ist ja klar.
Das ist ziemlich fies, denn: Es gibt Frauen, die Bob tragen und nett sind. Es gibt auch Frauen, die Karen heißen und nett sind. Und es gibt Frauen, die nicht rassistisch und trotzdem Arschlöcher sind. Aber irgendwie muss das Stereotyp heißen und so heißt es nun Karen, natürlich englisch ausgesprochen.
In Zeiten vor dem Internet hieß das bei uns „Fußballmutti“. Wenn das Kind der Fußballmutti nicht für das Spiel aufgestellt wurde, war der Teufel los. Sie äußerte sich in despektierlicher Weise über andere Kinder, die sehr wohl mitspielen durften. „Der kleine Fette da kann doch gar nichts sehen mit seiner Colaflaschenbodenbrille, die übrigens hässlich ist. Kassengestell, sieht man gleich.“ Dass der kleine fette Blindfisch aber nicht nur den Ball, sondern auch das Tor traf – im Gegensatz zu ihrem Spross – interessierte sie dabei natürlich nicht. Fußballmutti wollte sofort den Trainer sprechen, um ihren Sohn in die Elf beordern zu lassen. Dann den Vereinspräsidenten, Bürgermeister, Generalbundesanwalt, sämtliche Minister. Und als das alles nicht half, drohte sie damit, ihren Cousin zu informieren: Gas- Wasserinstallateur Jochen Dodevoss, seines Zeichens Trikotsponsor des Vereins. „Entweder, mein Kind spielt jetzt hier mit, oder ihr könnt sehen, wo ihr nächste Saison eure Trikots herbekommt!“

Heute also heißt Fußballmutti Karen und um ihre Rolle ausfüllen zu können, braucht sie nicht mal Kinder oder einen Bob-Schnitt. Einzig ihre Missgunst ist vonnöten, sich durchs Leben zu bulldozern. Die Nachbarn grillen? Karen ruft die Polizei, weil man den Geruch auf ihrem Balkon wahrnehmen kann. Alle Fenstertische im Restaurant sind besetzt, keiner mehr frei für Karen? Karen verlangt nach dem Geschäftsführer. Die Rückgabefrist ist abgelaufen? Karen droht dem Kassenpersonal, für deren Entlassung zu sorgen. Ein achtjähriges Mädchen verkauft am Straßenrand selbstgemachte Limonade? Das geht so nicht, Karen ruft sofort beim Staatsanwalt an.

Wer am Bahnhof genüsslich sein Pfeifchen schmaucht, dabei einen halben Meter außerhalb des abgeklebten Raucherbereichs steht, den wird Karen ganz sicher darauf hinweisen. Karen trägt keine Maske, auch nicht bei einer Inzidenz von 481 und erst recht nicht in Bus und Bahn. Weil das nämlich ihre persönliche Freiheit beschneidet, jawohl! Die Freiheiten anderer spielen für Karen nur eine untergeordnete Rolle – wie sonst sollte sie ihrem Vergnügen des Polizeirufens frönen können, wenn in der Nachbarwohnung versehentlich gelacht wird?

Natürlich ist sich Karen der Tatsache, dass niemand sie mag, völlig bewusst. Aber das ist marginal, wer schert sich schon um Beliebtheit, wenn gerade auf dem Hinterhof drei Häuser weiter ein unangemeldeter Flohmarkt stattfindet? Glücklicherweise kann Karen oft keinen allzu großen Schaden anrichten, denn es ist eine Milchmädchenrechnung: Wer schon bei seinen grundsätzlich harmlosen Nachbarn nicht besonders beliebt ist, findet auch selten Fans unter Polizisten oder sonstigen Was-zu-sagen-Habern. Letztere finden es oft aber auch nicht lustig (obwohl das Verständnis sicherlich da ist), wenn man eine übergeschnappte Karen einfach mal die Treppe hinunter schubst, deshalb: Contenance!

IH

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