Der Gummitwist der alten weißen Männer

Zum letzten Mal: Der Begriff „alter weißer Mann“ ist weder altersdiskriminierend noch sexistisch oder rassistisch. Es geht bei dabei um etwas ganz anderes. Natürlich sind nicht alle Personen, die einen Penis haben, Lichtschutzfaktor 50 benutzen müssen und vernünftigerweise schon mal Geld für einen „Lifta“-Treppenlift zurücklegen „alte weiße Männer“. Dieser Club rekrutiert seine Mitglieder nur im ersten Schritt über Äußerlichkeiten. Geschlecht, Hautfarbe und Alter sind zwar die Aufnahmebedingungen, aber im Folgenden geht es vor allem um Inhalte. Tatsächlich haben auch einige jüngere Frauen wie Alice Weidel und Menschen mit orientalischer Abstammung wie Akif Pirincci im Clubhaus einen Besucherstatus. Aber nur solange sie keine Quoten für weibliche Führungskräfte fordern oder Rassismus anprangern.
Alte weiße Männer haben eine dialektische Superkraft. Einerseits leugnen sie, dass die Geschicke in unserer Gesellschaft zu großen Teilen von ihresgleichen bestimmt werden, andererseits tun sie alles dafür, dass es so bleibt: Ein paradoxer intellektueller Gummitwist. Vorhopsen, zurückspringen, ausweichen, verheddern.
Ein interessanter Vertreter dieser Gattung ist der sich als liberal empfindende Kolumnist des ZEIT-Magazins Harald Martenstein, der kürzlich in einer Kolumne schrieb: „Der Feminismus ist heute eine gesellschaftliche Macht, Frauen sitzen an vielen wichtigen Schaltstellen, ihre Meinung dominiert in den Medien.“
Schauen wir uns diese Meinungsdominanz doch mal an: Auf 95 Prozent der Chefredakteurssessel in Deutschland sitzen Männer (Stand 2016). Wie nun fünf – oder vielleicht inzwischen sieben oder gar acht – Prozent Entscheiderinnen die öffentliche Meinung dominieren sollen, würde ich doch gerne mal erfahren. Offensichtlich ist es so, dass schon ein paar mehr Frauen als früher in einer Männerwelt dazu führen, dass sich die Herren paranoiderweise umstellt und dominiert fühlen.
In meinem Arbeitsbereich ist es übrigens nicht viel besser. Nur 22 Prozent der deutschen Theater werden von Frauen geleitet, Regie führen zu 70 Prozent Männer, nur 24 Prozent der inszenierten Texte stammen von Frauen. Und dann verdienen die Regisseurinnen auch noch 30 bis 50 Prozent weniger.
Und wie sieht es mit dem „Weiß-“ oder „Nicht-Weißsein“ aus? Es gibt bei uns rund 25 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, d. h. laut offizieller Definition: mit mindestens einem Elternteil, der nicht mit einer deutschen Staatsangehörigkeit geboren wurde. Dazu kommen alle, deren Einwanderungsgeschichte weiter zurückliegt, zum Beispiel die in Deutschland geborenen Enkelinnen von türkischen Gastarbeitern. Und die seit Generationen schwarzen Deutschen. Und die Sinti. Und noch ein paar andere. Insgesamt reden wir hier von vielleicht 35 oder 40 Prozent der Bevölkerung, die man als „Nichtweiße“ im rassismuskritischen Kontext bezeichnen könnte.
Wenn man sich aber mal in den Redaktionsstuben, Dramaturgenbüros und Chefetagen deutscher Unternehmen oder Parteien umschaut, dann wird man – hoppla – noch nicht einmal 20 Prozent „Nichtweiße“ dort finden.
Nun könnte man sagen: Okay, das ist leider so, Shit happens, das ändern wir jetzt. Weil wir eine faire Gesellschaft sein wollen. Wir bringen jetzt einfach mal mehr Frauen und mehr Menschen mit dunklerer Hautfarbe und „Ös“ und „Ys“ in ihren Namen und vielleicht auch mal ein paar Leute unter 50 (oder gar jüngere Frauen mit „Ös“ oder „Ys“ in ihren Namen) in Positionen, in denen Dinge entschieden werden. Prozentual ungefähr so viele, wie es auch in der Gesamtgesellschaft sind.
Aber nein, wie auf ein Stichwort schließen die „alten, weißen Männer“ die Reihen und erklären uns, dass diese Ungerechtigkeiten gar nicht existierten, dass eigentlich sie es wären, die diskriminiert würden. Weil man ihre akademischen Machtverteilungsclubs, ihre weißen Burschenschaften, ihren „locker-room-talk“ und ihre männlichen Hinterzimmer-Klüngeleien nicht mehr zeitgemäß findet. Und sie behaupten, dass wissenschaftlich denkende junge Frauen, die gegen den Klimawandel kämpfen, verwöhnte hysterische Gören wären, dass junge orientstämmige Deutsche, die oft noch so islamisch sind wie die CDU christlich – also nur folkloristisch und nominell – uns eine andere „Kultur“ aufzwingen wollten. Oder dass Führungspositionen bei uns nach „Leistung“ vergeben würden und dass es „leider“ nicht so viele Frauen mit entsprechenden Fähigkeiten gäbe.
Nein, das Entscheidende an den „alten weißen Männern“ ist nicht das, was sie sind, sondern ihr Wille, dass alles so bleibt, wie es ist: In ihren Händen..
Hartmut El Kurdi


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3 Kommentare für “Der Gummitwist der alten weißen Männer”

  1. Christian S sagt:

    Sorry, aber was für ein Käse. Wir leben in einem Land das fast zwei Jahrzehnte eine Frau als oberste Regierungschefin hat. Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und LBTQ-Orientierung haben höchste Regierungsämter in den Ländern und Ministerien inne.

    Der grosse Denkfehler ist doch eine Benachteiligung nicht durch eine gerechte Regelung ersetzen zu wollen, sondern durch eine Benachteiligung und polemische Herabwürdigung der „anderen Seite“ ausgleichen im Sinne einer Retourkutsche.

    Bei Betriebsräten gibt es die Regelung, dass das Geschlecht in der Minderheit in einem Betrieb MINDESTENS mit soviel Vertretern in das Gremium gewählt wird, wie es unter den Mitarbeitern vertreten ist.

    Das ist gerecht.

    Wenn in den vielen Technologiefirmen in Deutschland Frauen deutlich unter 20 % in der Belegschaft stellen, wie gerecht ist es dann feste Quoten in deren Vorstand zu fordern?

    Gerade Powerfrauen, die sich bis zur Spitze durchgekämpft haben sind vehement gegen eine solche Entwertung ihrer persönlichen Leistung.

    Da muss man doch an die Wurzel des Problems gehen und Frauen mehr für die MINT-Fächer begeistern, die nebenbei auch zu deutlich besser bezahlten Jobs führen als Kindergärtnerin und Krankenschwester. Und das klappt auch schon gut in den jüngeren Altersgruppen.

    Wenn das alles nicht fruchtet und das fragwürdige Ziel der völligen Gleichheit erreicht, akzeptieren dass manche Frauen sich vielleicht auch ohne Unterdrückung, Bevormundung und Benachteiligung lieber dafür entscheiden, nicht Karriere zu verfolgen sondern lieber mehr Familie zu erleben, lieber einen sozialen Job als erfüllender zu wählen.

    WIe diskriminierend und entwertend ist es, Frauen pauschal in der Opferrolle zu sehen?

  2. Ralf T. sagt:

    Da kann Mann/FRau auch anderer Meinung sein.
    Ein gutes Beispiel dafür ist ein Artikel in der Stuttgarter Zeitung mit dem Titel: Auch alte weiße Männer werden diskriminiert.

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rassismus-in-der-sprache-auch-alte-weisse-maenner-werden-diskriminiert.c22b5f0f-e06b-4abd-b2f3-6b4f7194eff9.html?reduced=true

  3. Frederick W. sagt:

    Sehr geeehrter Herr Kurdi

    Wenn man von der Hautfarbe auf die Werte der Personen schliesst ist das Rassismus.
    Wenn man vom Geschlecht auf ein Set negativer Eigenschaften schliesst, ist das sexistisch.

    Ich mache mal ein Beispiel. Vielleicht hilft es, wenn ich dafür ihren Text als Vorlage verwende:

    ‚Natürlich sind nicht alle Frauen die sich schminken, grosse brüste haben und blond sind ‚blondinen‘. … Blondinen haben eine erotische superkraft. Einerseits interessieren sie sich nicht für Geld, andererseits wissen sie genau, wie man es den Männern aus der Tasche zieht.‘

    Wenn wir uns nun einig sind, dass der Text sexistisch ist. Wieso genau ist es ihrer nicht?

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