Ein letztes Wort im Februar

Herr Weil, mir scheint, wir brauchen dringend mal wieder ein bisschen mehr Zuversicht und Optimismus. Was sind Ihre positiven Erwartungen für 2020? Was sind Ihre Wünsche?
Ich möchte, dass Niedersachsen das Klimaland Nummer 1 wird in Deutschland. In diesem Jahr müssen dafür die politischen Voraussetzungen geschaffen werden. Grundsätzlich sind wir gut aufgestellt, weil wir in Niedersachsen bekanntlich ziemlich viel erneuerbare Energie produzieren, insbesondere mit Wind. Wenn es gelingt Klimaland Nummer 1 zu werden, dann kann das in der Folge viele weitere positive Effekte haben. Das ist natürlich mit sehr viel Arbeit verbunden, wenn ich zum Beispiel an den Umbau in der Automobilindustrie denke. Und das alles braucht im Bund die richtige Begleitmusik, das ist ganz essenziell. Alle wissen, dass die gesamte Windenergiebranche momentan in einer ernsthaften Krise steckt. Wenn sich daran nichts ändert, dann wird aus meinen frommen Wünschen wohl eher nichts werden. Aber dann wird auch aus den ehrgeizigen Klimaschutzzielen in ganz Deutschland nichts werden können. Also, Chancen und Risiken liegen in diesem Jahr, und auch in den nächsten zehn Jahren, sehr eng beieinander.

Und über Niedersachsen hinaus, was wünschen Sie sich für Deutschland?
Wenn wir hier jetzt wirklich ein Wunschkonzert machen, dann wünsche ich mir, dass überall wieder die Vernunft einkehrt, dass die Leute sich besinnen, was sie eigentlich an unserem Land haben. Dass wir weiß Gott nicht perfekt sind, aber dass auch nicht alles in Grund und Boden geredet werden muss. Und dass man sich laut, deutlich und entschlossen zur Demokratie bekennt, und nicht zulässt, dass permanent irgendein verbaler Unrat über die Menschheit ergossen wird.

Das betrifft den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Genau. Mir sind die vielen Misstöne schon gut erklärlich. Wir stecken in einer Phase grundlegender Veränderungen, die alle gleichzeitig auf uns niederprasseln: Globalisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung – also der Ausstieg aus fossiler Energie. Dieser komplexe Wandel schafft Unsicherheit und weckt die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Wir müssen deshalb sehr darauf achten, dass unsere Gesellschaft beieinander bleibt, sonst werden wir nicht so erfolgreich sein können, wie wir das in der Vergangenheit waren. Wir haben alle Möglichkeiten, aber dieses Auseinanderstreben in unserer Gesellschaft – bezeichnend finde ich in diesem Zusammenhang zum Beispiel den Ton, der teilweise in den sozialen Medien herrscht – diese Tendenz zur Spaltung, die ist nicht nur kontraproduktiv, sie ist gefährlich. Da mache ich mir ernsthaft Sorgen. Und wenn wir, ins Positive gesetzt, im Jahr 2020 irgendwann sagen können: so, jetzt haben es alle begriffen, das lassen wir uns nicht gefallen, das lassen wir nicht unwidersprochen, dann kann das ein richtig gutes Jahr werden.

Ich finde ja bezeichnend, dass Wunsch und Sorge momentan so eng beieinander liegen, genauso Chance und Risiko.
Das ist vielleicht ein Merkmal der momentanen Zeit, wir stehen tatsächlich vor großen Weichenstellungen. Wobei ich noch einmal daran erinnern möchte, dass wir bei den Sorgen die Kirche manchmal auch im Dorf lassen sollten. Die Lage ist insgesamt wahrscheinlich  besser als die Stimmung. Das Jahr beginnt für mich immer so richtig mit dem Epiphaniasempfang der evangelischen Kirche im Kloster Loccum. Dort redet traditionsgemäß der Ministerpräsident. Und ich habe in diesem Jahr in meiner Rede daran erinnert, was eigentlich vor 75 Jahren los war. Das ist ja jetzt noch nicht so lange her. Was sich in diesen 75 Jahren für die Leute beispielsweise in Niedersachsen verändert hat, ist überwältigend positiv. Zum Beispiel ist die Lebenserwartung für Neugeborene heute 20 Jahre länger als damals. Das bringt es sehr schön auf den Punkt. 20 Jahre ist ein Wort. Wir haben seither zum ersten Mal mehrere Generationen, die in Frieden leben konnten. Ich zum Beispiel bin jetzt 61 Jahre alt und kenne in meinem Leben keinen Krieg. Alle meine Vorfahren, und Ihre auch, hatten Kriegserfahrungen. Das muss man sich klar machen. Vieles von dem, was wir heute genießen können, wird aber gegenwärtig als ganz selbstverständlich wahrgenommen. Das ist es allerdings gar nicht. Vor diesem Hintergrund der insgesamt positiven Entwicklung sind mache berechtigte Zukunftssorgen nicht mehr ganz so riesig. Einige Themen werden aber regelmäßig aus diesem Gesamtzusammenhang gezerrt und derart hochgejazzt, dass man denken könnte, wenn dafür jetzt nicht schleunigst eine Lösung auf dem Tisch liegt, dann geht die Welt unter. So ist es nicht. Ich finde, ehe man sich in die Kritik stürzt, sollte man einen Moment innehalten und überlegen, ob nicht vielleicht auch schon eine Menge ganz gut ist.

In Niedersachsen, in Deutschland, okay, da ist eine Menge gut. Der Blick auf die Welt ist momentan allerdings grausam …
Na ja, auch global ist die Gesundheitsversorgung oder die Armutsbekämpfung insgesamt durchaus besser geworden. Aber politisch erleben wir zurzeit ein Desaster. In Brasilien haben wir einen rechtsextremen Präsidenten, der überhaupt kein Problem damit hat, den Umweltfrevel in den Regenwäldern massiv zu unterstützen. In den USA haben wir einen Präsidenten, der ununterbrochen neue Konflikte anzettelt, ohne zu wissen, wie er diese Konflikte eigentlich zu einem friedlichen Ende bringen soll. Ein schlimmes Beispiel dafür ist der Konflikt mit dem Iran. Großbritannien hat sich entschieden, aus der EU auszutreten, obwohl das für das Land selbst und für uns alle nicht gut sein wird. Und was hat eigentlich die türkische Armee in Libyen zu suchen? Und, und, und, die Liste ist unfassbar lang. Auch hier wieder ein Wunsch für 2020, nämlich, dass die Europäer endlich merken, dass auf sie ganz viele Hoffnungen gesetzt werden. Ich wünsche mir sehr, dass sich die Vernünftigen endlich zusammenschließen, um den anderen nicht das Feld zu überlassen. Ein starkes Europa für Frieden und Zusammenhalt, das wäre eine schöne Entwicklung.

Stattdessen sagt Trump uns, wie wir unsere Energiepolitik gestalten sollten, beziehungsweise reagiert mit Sanktionen, weil ihm Nord Stream 2 nicht passt.
Das unterstreicht wieder, dass viele internationale Regeln nicht mehr eingehalten werden. Das Verhalten der USA bei diesem Thema ist aus meiner Sicht inakzeptabel. Das geht nicht. Punkt.

Und es bleibt nicht bei Worten, es werden gerne auch Fakten geschaffen. Bei Nord Stream 2 hat sich das maßgebliche Unternehmen zurückgezogen, die Fertigstellung wird sich damit reichlich verzögern. Trump schmeißt Steine und erfreut sich an den Wellen.
Wobei ich mir sicher bin, dass diese Wellen auch in seine Richtung zurückschwappen werden. Es wird ja immer deutlicher, dass dieser Kurs auch ein selbstschädigender ist. Das alles bleibt nicht ohne wirtschaftliche Konsequenzen in den USA. Deswegen wird Europa immer wichtiger. Ich bin in den vergangenen Jahren auf diversen Reisen in vielen Ländern darauf angesprochen worden, dass man sich sehr unwohl fühlt in einer Welt, in der überall Konflikte geschürt werden, und dass man nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit jenen Teilen der Welt sucht, die für Vernunft stehen. Daran gibt es ein starkes Interesse. Eine solche Rolle kann ein geeinigtes Europa sehr gut spielen, die Rolle eines Partners, der niemandem etwas aufzwingen will, verlässlich ist und für bestimmte Werte steht.

Verlässlich sein und für bestimmte Werte stehen – wir kommen zum Schluss noch mal kurz zur SPD.
Und ich dachte schon, Sie kriegen diese Kurve diesmal nicht mehr (lacht).

Wie geht es denn der alten Tante momentan? Wird 2020 jetzt alles besser?
Ich bin kein Prophet, aber ich sage es mal so: 2019 war ein ganz schlechtes Jahr für die SPD. Und wenn wir es 2020 hinbekommen, die Hälfte der Fehler aus 2019 nicht zu machen, dann wird es schon deutlich besser sein. Aber keine Frage, wir sind momentan in einer Situation des Umbruchs und ich denke, dass niemand im Augenblick sagen kann, wo wir mit der SPD Ende des Jahres stehen werden. Wenn die SPD als glaubwürdig und verlässlich wahrgenommen wird, zum Beispiel als verlässlich sozial, wäre aus meiner Sicht schon sehr viel gewonnen. Die SPD muss die Fachkraft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sein.
Interview: Lars Kompa


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