Ein offener Brief an Peter Altmaier

Lieber Peter, es ist wirklich gut, dass wenigstens du einen klaren Kompass und einen festen Glauben hast. Alles muss jetzt schnell wieder so werden wie vor Corona! Das hat oberste Priorität. Daran müssen wir alle in den nächsten Wochen und Monaten mit Hochdruck arbeiten. Über Gedöns wie den Klimawandel können wir uns dann danach immer noch unterhalten. Jetzt muss zunächst mal der Rubel wieder rollen. Der Weg zurück ist das Ziel! Kaufen, kaufen, kaufen! Konsum ist das Gebot der Stunde. Wir brauchen wieder Wachstum. Ein paar Prozent, jetzt sofort! Oder wenigstens kommendes Jahr.
Und das darf doch alles auch gar keine Frage sein, oder? Was denn sonst? Sollen wir stattdessen etwa unseren erreichten Wohlstand aufs Spiel setzen? Manche Spinner haben ja momentan solche absurden Ideen. Und sprechen davon, dass wir alle umdenken müssen. Dass es einen Neustart geben müsse, dass wir uns abwenden müssen vom fortwährenden Wachstum. Davon hältst du gar nichts. Und man sieht dir das Entsetzen durchaus an, wenn sie dir in irgendeiner Talkshow mal wieder so einen Weltverbesserer an die Seite setzen oder gar der Precht mit seinem erhobenen Zeigefinger vom drohenden Weltuntergang salbadert. Dann tritt dir der Schweiß auf die Stirn, du rutschst unruhig hin und her auf deinem Platz und wenn du dann endlich etwas sagen darfst, dann geht es los im Stakkato-Stil, atemlose kurze Sätze. Dass man sich doch jetzt nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten dürfe, dass es jetzt um das Große und Ganze gehe, dass man in so einer Situation mit dem richtig großen Besteck ans Werk gehen müsse, was die Bundesregierung nun ja auch getan habe, weswegen wir ihn doch schon wieder erleben, den schnellen und dynamischen Aufschwung – oder zumindest demnächst. Also alles gar nicht so schlimm, die Rezession sei weit weniger stark ausgefallen als angenommen, weil die deutsche Wirtschaft vor der Krise schon in einer so guten Verfassung gewesen sei, ausgestattet mit großer Kraft und Stärke. Und darum gehe es jetzt demnächst auch ganz schnell wieder aufwärts. Wir alle würden erleben, dass die deutsche Wirtschaft in gar nicht allzu ferner Zukunft noch stärker sein werde als vor der Krise. Der Aufschwung beginne genau jetzt! Ach, Unsinn, im Grunde sei Deutschland schon mittendrin im Aufschwung. Fertig! Ich, Peter Altmaier, habe gesprochen!
Und wir, deine Fans, wir glauben dir! Jedes Wort! Und versprechen hiermit hoch und heilig, dass wir nun auch wieder brav konsumieren werden, damit der Motor so richtig anspringt. Wir werden uns gleich morgen auf den Weg machen, wir werden in Massen die Innenstädte bevölkern, wir werden … Moment, das wäre vielleicht doch eher kontraproduktiv in diesen Zeiten. Also, wir werden massenhaft bei Amazon, Zalando, eBay und Co. bestellen, wir werden die Lieferdienste zuschmeißen mit unseren Wünschen, uns wird dabei völlig egal sein, wo all die schönen Sachen herkommen und wie die produziert werden, ob es da in den Herkunftsländern jemand mit den Menschenrechten nicht ganz so genau nimmt, ob das Klima Schaden nimmt, ob da Kinderhände im Spiel sind oder wo die ihre Steuern zahlen, denn die Hauptsache ist doch, so insgesamt weltwirtschaftlich, dass die überhaupt irgendwo Steuern zahlen. Oder?
Wir werden um der guten Sache willen nun erstmal beide Augen zudrücken, bis wir mindestens das Vor-Corona-Niveau erreicht haben, wir werden die Autohäuser leerkaufen und uns die ganz dicken Brummer vors Haus stellen, wir werden Nachts das Licht anlassen und im Winter die Heizung bis zum Anschlag aufdrehen, wir werden die schlanke Linie ignorieren und fressen und saufen, bis der Arzt kommt und wir werden morgens eine halbe Stunde länger duschen, damit der volkswirtschaftliche Rubel rollt. Ja, wir werden uns jetzt sogar privat verschulden, um noch nicht notwendige Investitionen einfach mal vorzuziehen – die Waschmaschine ist ja inzwischen auch schon wieder zwei Jahre alt. Und dann, wenn alles wieder gut ist, wenn die Maschine rund läuft, wenn Vollbeschäftigung und blühende Landschaften erreicht sind, aber erst dann, werden wir wieder diesem Oberlehrer Precht zuhören. Und vielleicht, aber nur, wenn das der Wirtschaft absolut nicht schadet, kann man dann an manchen Stellen ganz sachte umsteuern, ungefähr in dem Tempo, in dem du, lieber Peter, in den letzten Jahren die Energiewende vorangetrieben hast. Lieber Peter, du hast einen Plan – wir sind dabei!             ● VA


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert