Ein letztes Wort im November

Herr Weil, wir führen dieses Interview Mitte Oktober, kurz nach dem letzten Corona-Krisengipfel in Berlin. Die erwartete zweite Welle ist da, wir sind mittendrin, Sie sehen sich nach den Gesprächen mit der Kanzlerin und den Länderchefs bestätigt in Ihrem Kurs für Niedersachsen. Beschreiben Sie doch mal diesen Kurs.
Umsicht und Vorsicht, das ist die Kurzfassung für unseren Kurs. Dass die Zahlen bei uns im Land vergleichsweise immer noch niedriger sind als anderswo, mag auch daran liegen, dass die Landesregierung sehr frühzeitig auf den Wiederanstieg der Infektionszahlen reagiert hat. Zahlreiche der in Berlin besprochenen Maßnahmen finden sich bereits in der niedersächsischen Corona-Verordnung. Wir hatten beispielsweise die Zahl der in privaten Räumen zulässigen Feiernden schon zuvor auf 25 begrenzt und zwar unabhängig von der Inzidenz. Wir wollen insbesondere ältere und vorerkrankte Menschen schützen und den Präsenzbetrieb im Bereich der Schulen und KiTas aufrechterhalten. Außerdem müssen wir es der Wirtschaft möglich machen, sich von den Einschnitten im Frühjahr zu erholen – zumindest da, wo jetzt nicht erneute Einschränkungen notwendig sind.

Was ist aus Ihrer Sicht jetzt besonders wichtig in den kommenden Wochen?
Unser eigenes Verhalten, ganz klar. Wir brauchen in den nächsten Wochen die Rücksichtnahme und die Solidarität aller Menschen in Niedersachsen. Es müssen sich wirklich alle an die Regeln halten, also Abstand wahren, Mund-Nasen-Bedeckung tragen, Hygieneregeln befolgen. Hinzu kommen regelmäßiges Lüften und das Nutzen der Corona-Warn-App. Diese Krise kann Politik nicht allein bewältigen, entscheidend sind die Bürgerinnen und Bürger selbst.

Ist diese zweite Welle die Folge der Lockerheit, die sich bei vielen Leuten in der letzten Zeit im Umgang mit Corona eingestellt hatte? Oder liegt es jetzt einfach an der Jahreszeit?
Es gibt sicherlich mehrere Ursachen. Eine wesentliche liegt in der Tat in den zu vielen Begegnungen unter Alkoholeinfluss beim Feiern. Natürlich spielt es auch eine Rolle, dass wir uns alle jetzt wieder mehr in geschlossenen Räumen aufhalten und weniger im Freien. Da hilft nur Lüften und der Verzicht auf alle nicht unbedingt notwendigen Kontakte.

Für mich gibt es eine zentrale Erkenntnis aus den letzten Wochen und Monaten: Wenn sich alle vorsichtig verhalten und die Regeln beachten, ist so gut wie alles möglich, Leichtsinn rächt sich auf der anderen Seite bitter …
Den Satz unterschreibe ich sofort. Genau das ist der Kurs.

Corona ist anstrengend, Corona stresst, ich sehe, dass in meinem Umfeld viele sehr müde und auch traurig sind. Ein Mittel wäre unter normalen Umständen in der Tat, sich einfach mal kurz in den Arm zu nehmen. Auf diese wohltuende Nähe müssen wir aber momentan weitgehend verzichten.
Tja, alles ist leider aktuell eben nicht möglich. Das Beachten der Regeln bedeutet leider den Verzicht auf etwas, was uns eigentlich ganz besonders wichtig ist: nah beieinander zu sein bei schönen und bei traurigen Ereignissen. Zuspruch und Nähe müssen wir jetzt und in den nächsten Monaten in anderer Form hinbekommen – so gut es irgend geht. Intensive Gespräche kann man auch auf Abstand führen – gegebenenfalls über Skype oder übers Telefon. Auch über den guten alten handgeschriebenen Brief freuen sich Freunde und Angehörige sicher sehr. Sorge bereiten mir – wie bereits im Frühjahr – alte und kranke Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Sie brauchen eigentlich besonders viel Präsenz und körperliche Nähe und gerade das ist in Zeiten von Corona gefährlich. Wir hoffen, dass wir mit Hilfe von Schnelltests mehr Sicherheit und mehr Begegnungen für alle Menschen schaffen können.
Mittel- und langfristig halte ich die körperliche Distanz für ausgesprochen problematisch, wir Menschen sind einfach soziale Wesen, ohne Nähe geht es nicht. Wie lange können wir das aushalten?
Wir müssen ja auch nicht ganz darauf verzichten, aber wie Sie selbst gesagt haben: Leichtsinn rächt sich ganz schnell.

Wir können aber immerhin einkaufen und essen gehen, wir können Veranstaltungen besuchen, ins Theater gehen, zu Ausstellungen, ins Museum. Es gibt sogar wieder Konzerte. Wie gehen wir denn mit jenen um, die diese Freiheiten durch ihren Leichtsinn nun wieder gefährden? Braucht es noch härtere Sanktionen?
Es stimmt, die Einschränkungen werden noch härter werden, je mehr Menschen in Niedersachsen in leichtsinniger Weise andere gefährden. Ich bin auch für konsequente Sanktionen. Noch wichtiger als Sanktionen ist aber das eigene Engagement: Wer es in seinem Umfeld beobachtet, dass andere sich nicht an die Regeln halten, sollte diese Mitmenschen ansprechen. Das hat nichts mit Denunziation zu tun, das ist ein Ausdruck gemeinsamer Verantwortung.

In Deutschland stehen wir vergleichsweise sehr gut da, trotzdem erlebe ich in meinem Umfeld, dass sich der Optimismus mehr und mehr verabschiedet. Ich kann das ganz gut nachvollziehen. Machen Sie mir doch mal ein bisschen Mut.
Erstens: Bis jetzt haben wir im internationalen Vergleich hervorragend abgeschnitten und übrigens auch Niedersachsen im nationalen Vergleich. Insgesamt haben wir bei allen Schwierigkeiten gute Erfahrungen gemacht. Daran können wir doch anknüpfen, oder? Zweitens: Zusammenhalt macht stark! Wenn wir uns gegenseitig um uns kümmern, geht es uns auch zusammen besser – auch so eine Erfahrung der letzten Monate. Und drittens: Hope is on the way! Die Impfstoffentwicklung macht spürbar Fortschritte und das ist dann wirklich eine Perspektive.

Notwendig ist aus meiner Sicht ja so etwas wie ein Spagat. Auf der einen Seite ist es für die Wirtschaft immens wichtig, dass sich die Leute jetzt nicht zu Hause eingraben, sondern die verbleibenden Freiheiten nutzen, unter Beachtung der Regeln. Auf der anderen Seite ist man am sichersten wohl zu Hause. Das ist unser Dilemma, oder?
Klar, aber so ist es nun einmal. Und im Vergleich mit vielen anderen Menschen auf der Welt geht es uns in Deutschland trotzdem noch ziemlich gut.

Sie machen auf mich immer einen sehr zuversichtlichen Eindruck, bei allen doch sehr akuten Problemen. Verraten Sie mir mal Ihr Geheimnis, wie bleibe ich optimistisch?
Mir hilft es, wenn ich nicht nur auf das schaue, was traurig oder schwierig ist und was schlecht läuft, sondern vor allem auch auf all das, was bei uns gut funktioniert. Anders als in anderen Ländern haben wir einen Staat, der dazu beitragen kann, dass wirtschaftliche und soziale Krisen überwunden werden und ein großes Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger, die anderen helfen. Sie haben sicher auch schon oft den Satz gehört: „Ich habe noch nie so gerne in Deutschland gelebt!“ So geht’s mir auch.

● Interview: Lars Kompa


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert