Wolfram Hänel: Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte

Je älter man wird, desto wichtiger, aber auch schwieriger wird die Auseinandersetzung mit der eigenen Jugendzeit. In Wolfram Hänels Roman Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte wird ebensolch eine Reise in die Vergangenheit unternommen – zurück in eine Schulzeit im Hannover der 1970er Jahre, die von Rebellionen, Zukunftsträumen und dramatischen Ereignissen geprägt ist. Erstmals im Jahr 2009 erschienen ist das Buch kürzlich vom zu Klampen-Verlag wiederaufgelegt worden.

Der Roman beginnt mit einer ziemlich denkwürdigen Szene: Als der Protagonist Kurt Appaz zu später Stunde von einem feuchtfröhlichen Abend mit seinem Kumpel Kerschkamp nach Hause radelt, erblickt er einen Mann, dem ein Beil aus dem Kopf ragt. Zunächst traut Appaz seinen Augen nicht, schließlich weist sein Gedächtnis dank dem übermäßigen Alkoholkonsum ein paar Lücken auf, doch nach kurzem Nachdenken weiß er zwei Dinge ganz genau: 1. In der Kneipe hat er sich von seinem Freund dazu überreden lassen, an einem Klassentreffen ihres Abiturjahrgangs teilzunehmen, um eine alte Rechnung zu begleichen. Und 2. dieser Mann mit dem Beil im Kopf ist echt! Behutsam spricht Appaz ihn an, erfährt, dass das Malheur im Zuge eines Streits mit der Gattin passiert ist, und begleitet den verwirrten Herrn anschließend zum nächstgelegenen Krankenhaus. Dort wird er in die resoluten Hände der hübschen Neurochirurgin Darleen übergeben, die die Wunde in Nullkommanichts versorgt hat – und sich im formloser werdenden Gespräch in ihrem Büro als Leserin von Appaz‘ Büchern entpuppt. Eine schräge Episode, von denen es in diesem zumindest semi-autobiografischen Roman (unter dem Pseudonym Kurt Appaz ist das Buch ursprünglich veröffentlicht worden) nur so wimmelt!
Gerahmt werden diese skurrilen Detailgeschichten von der Schilderung des im Suff beschlossenen Ausflugs in die Vergangenheit, also dem Klassentreffen. Diesem fiebern Appaz und Kerschkamp mit gemischten Gefühlen entgegen, denn sie haben ihre Schulkameraden seit 33 Jahren nicht mehr gesehen. Bereits im Vorfeld kommen bei Appaz Erinnerungen an die mit Kerschkamp gemeinsam verlebte Kindheit und Jugend hoch: die schwierigen Anfänge ihrer Freundschaft in der Grundschule, die Entwicklung von Erzfeinden zu Busenfreunden, merkwürdige Erlebnisse und gemeinsame „Abenteuer“, die sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt haben. Und dann folgt das eigentliche Klassentreffen im Landheim des Gottfried-Wilhelm-Gymnasiums, wo es dann doch ein eher unspektakuläres Wiedersehen gibt. Während die ehemaligen Mitschüler zunehmend belanglose Anekdoten aus der gemeinsamen Zeit zwischen 1966 und 1975 erzählen, taucht plötzlich jemand auf, an den sich niemand erinnern kann. Und mit einem Mal gerät das Treffen außer Kontrolle …
Als „einer der vielschichtigsten Schriftsteller im deutschen Sprachraum“ wurde Wolfram Hänel gelobt, als er 2001 mit dem Kurt-Morawietz-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Und das ist gar nicht mal untertrieben, schließlich hat der 1956 in Fulda geborene Autor mittlerweile über 120 Bücher veröffentlicht, von Krimis über Jugendromane bis hin zu Reiseführern. Nach dem Schulabschluss studierte er Deutsch und Englisch an der FU Berlin sowie an der Uni Hannover und schloss das Studium 1982 mit dem Ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab. In den folgenden Jahren arbeitete er als Plakatmaler und Theaterfotograf für die Landesbühne Hannover, als Werbetexter, Studienreferendar, Spiele-Erfinder und Dramaturg, bevor er schließlich zu schreiben anfing – zunächst vor allem für Kinder und Jugendliche, nachher auch für das erwachsene Publikum. Viele seiner neueren Werke entstehen in Zusammenarbeit mit seiner Lebens- und Schreibpartnerin Ulrike Gerold und werden unter Pseudonymen wie „Freda Wolff“ (Schwesterlein muss sterben (2014), Nichts ist kälter als der Tod (2017)) oder „Ulrike Wolff“ (Alle unsere Träume (2019), Die Dame vom Versandhandel (2020)) veröffentlicht. Auch Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte ist zunächst unter einem Pseudonym erschienen. Es ist der Auftakt einer Dilogie, die in „1975. Aus dem Leben eines langhaarigen Taugenichts“ ihren Abschluss findet. Auch dieses Buch wird als Neuauflage bei zu Klampen erscheinen, voraussichtlich im Oktober.

    ● Anja Dolatta
Der Junge, der mit
Jimi Hendrix tanzte
Eine Jugend in den 70er Jahren
von Wolfram Hänel
zu Klampen Verlag
388 Seiten
20 Euro
Mehr Infos auf
www. haenel-buecher.weebly.com                                                        


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