Ein letztes Wort im August

Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten

Stephan Weil



Herr Weil, wir sprechen Mitte Juli. Urlaubszeit, auch Sie waren ein paar Tage wandern, ehe es in den kommenden Tagen dann direkt in den Wahlkampf geht. Und die CDU holt gerade auf. Das wird kein Spaziergang, oder?

Beim Wahlkampf liegt die Betonung immer auf der zweiten Silbe, gerade in Niedersachsen. Von einem Spaziergang kann also wirklich nicht die Rede sein. Aber mir macht eine solche Auseinandersetzung Spaß und deswegen gehe ich frohgemut auf die Zielgerade.

Wenn man sich anschaut, welche politischen Probleme in Niedersachsen bei den Leuten auf der Agenda stehen, dann rangieren die Themen Bildung, Schule und Ausbildung sehr weit oben. Finden Sie, da hat sich genug getan in den vergangenen Jahren während Ihrer Amtszeit?

Im Moment dominieren die Sorgen wegen der Energiepreise und der Versorgung, aber natürlich geht es auch immer um Bildung. Passiert ist sehr viel und zwar positiv und negativ. Positiv: Wir haben die Kita-Beiträge abgeschafft, das war eine enorme Entlastung, gerade für viele Alleinerziehende mit kleinem oder mittlerem Einkommen. Die Ausbildungszahlen für Erzieherinnen und Erzieher sind stark gestiegen und wir hatten noch nie so viele Lehrkräfte in Niedersachsen. Das sind nur einige Beispiele. Aber die Belastungen sind auch gestiegen: Corona hat die Schulen enorm gestresst und wir haben heute 35.000 Kinder und Jugendliche mehr an den Schulen als vor einem Jahr, viele davon aus der Ukraine.

Die Unterrichtsversorgung ist so schlecht wie nie, bei der Digitalisierung läuft es eher zäh und das Corona-Management von Minister Tonne wird beispielweise von den Lehrerverbänden massiv kritisiert. Hat die Landesregierung wirklich ihre Hausaufgaben gemacht?

Bei der Unterrichtsversorgung werden oft Äpfel mit Birnen verwechselt. Durch den zusätzlichen Förderbedarf bei immer mehr Kindern stehen leider nicht alle Lehrerstunden auch im Unterricht zur Verfügung. Die Schüler-Lehrer-Relation in Niedersachsen ist dennoch im Bundesvergleich gut. Aber unbestritten brauchen wir mehr junge Leute, die als Lehrkräfte vor allem an Haupt- und Realschulen gehen wollen. Das ist der Hauptgrund, warum ich diese Lehrerinnen und Lehrer, und die an den Grundschulen, künftig genauso bezahlen will wie Gymnasialkräfte. Dieser Unterschied ist ein alter Zopf, der endlich weg muss. Und was die Kommunikation während der Pandemie gegenüber den Schulen anbelangt: Da habe ich bei meinen Schulbesuchen viel Positives beispielsweise über die Briefe gehört, mit denen Grant Hendrik Tonne regelmäßig über die nächsten Schritte berichtet hat. Das sehen Verbände vielleicht manchmal anders als die Basis.

Ganz oben auf der Agenda stehen auch die Themen Energiepolitik und Energiewende. Sie haben in Niedersachsen große Pläne … 

Ja, Niedersachsen soll 2040 klimaneutral sein und wir wollen das Energieland Nummer eins in Deutschland werden.

Aber wie kann man das realisieren, wenn in der Koalition im Bund die FDP ständig auf die Bremse tritt?

Den starken Ausbau der Erneuerbaren Energien hat sich die ganze Bundesregierung vorgenommen, auch die FDP. Und nach meinem Eindruck hat auch sie inzwischen begriffen, dass darin die Zukunft unserer Energieversorgung liegt. Die Erneuerbaren sind nicht nur klimaschonender, sondern auch wirtschaftlicher. Jetzt wünsche ich mir, dass wirklich alle Menschen das auch einsehen und wir schnell viele Windanlagen realisieren können. Diejenigen, die in der Nähe solcher Anlagen leben, sollen dann davon auch finanziell profitieren. 


Die Themen Klimawandel und Umweltschutz sind eng mit der Energieproblematik verknüpft. Momentan richten sich alle Blicke auf die LNG-Terminals, aber wie steht es denn in Niedersachsen bislang wirklich um den Ausbau der Wind- und Solarenergie?

Wir produzieren mit Abstand am meisten Windenergie in Deutschland. Aber auch wir sind in den letzten Jahren nicht so weit gekommen, wie wir das eigentlich wollten. Insbesondere der frühere CDU-Wirtschaftsminister Altmaier stand permanent auf der Bremse. Inzwischen hat die Ampel für neue gesetzliche Regelungen auf Bundesebene gesorgt. Darin wird der Klimaschutz höherwertiger eingestuft als andere Belange. Damit werden auch viele noch offene verwaltungsgerichtliche Verfahren jetzt endlich zugunsten des Klimaschutzes entschieden werden können. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen wir die Photovoltaik um weitere 65 Gigawatt ausbauen, die Windenergie um 30 Gigawatt an Land und um 70 Gigawatt auf See.

Mobilität und Verkehr sind ebenfalls wichtige Themen für viele Menschen in Niedersachsen. Mittlerweise sind Sie auch für ein Tempolimit. Ein Sinneswandel, oder?

Der ist jetzt auch schon wieder locker zwei oder drei Jahre alt. De facto kann man doch schon lange auf den Autobahnen kaum mehr als 130 km/h fahren. Das reicht doch auch.

Was tut Niedersachsen konkret für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, wie unterstützt das Land die Kommunen?

Das Land Niedersachsen fördert den Ausbau und die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in diesem Jahr mit mehr als 100 Millionen Euro. Darunter sind inzwischen vor allem auch Rufbusse, die in Regionen mit geringerer Bevölkerungsdichte individuell auf die Bedarfe der Fahrgäste eingehen. Das finde ich eine richtig gute Perspektive in unserem Flächenland.

Anderes Thema, die Gründung einer Landeswohungsbaugesellschaft ist ein wichtiges Vorhaben in ihrem Wahlprogram zur kommenden Landtagswahl. Auch ein Sinneswandel, die Forderung hat es viele Jahre nicht auf die Agenda geschafft. Warum ist so eine Gesellschaft jetzt eine gute Idee? 

Von mir aus hätten wir diese Gesellschaft schon längst. Beim Bau von neuen Wohnungen zu bezahlbaren Preisen klemmt es schon länger. Nach meiner tiefen Überzeugung muss auch die öffentliche Hand selbst mit dafür sorgen, dass es in Niedersachsen genug bezahlbaren Wohnraum gibt. Das können wir nicht nur dem Markt überlassen.


Kommen wir zuletzt noch einmal zur aktuellen Situation, die steigenden Energiepreise und die Inflation setzten die Menschen zunehmend unter Druck. Wie können und sollten Bund und Land das abfedern? 

Wir werden die drohende Energieknappheit und die steigenden Preise nur gemeinsam in den Griff bekommen. Gemeinsam bedeutet auch mit den Bürgerinnen und Bürgern, die durch kleine, freiwillige Energiesparmaßnahmen unsere Gasvorräte und ihren eigenen Geldbeutel schonen. Besondere soziale Härten müssen abgefedert werden. Da ist zuallererst die Bundesebene gefragt, die auch schon vieles geleistet hat. Es muss aber weitere Entlastungspakete geben, insbesondere für Rentnerinnen und Rentner und andere Bevölkerungsgruppen mit kleinem Einkommen. Und es ist richtig, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Grundsicherung anheben möchte – wenn es nach mir ginge, lieber sofort und nicht erst Anfang nächsten Jahres. Das Land tut, was es kann. Wir sind in intensiven Gesprächen mit den hiesigen Energieunternehmen, Wohnungsbaugesellschaften, mit den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, den Sozialverbänden und den Kirchen. Wir wollen mit Moratorien und mit Härtefallfonds gemeinsam verhindern, dass Menschen in Niedersachsen ihre Wohnung verlieren, die Energie abgeschaltet bekommen oder sich nicht mehr genug zu essen kaufen können. 

 

Ich würde mir für jene Menschen, die nun tatsächlich in Existenznöte geraten, die gleiche Bazooka wünschen, die man während der Pandemie für die Wirtschaft parat hatte. Sie auch?

Ja, und ich hoffe sehr, dass das auch die FDP in der Ampelregierung im Bund einsehen wird. Für viele Menschen, die noch nie einen Cent öffentliche Unterstützung gebraucht haben, geht es jetzt bei der Energiepreisexplosion ans Eingemachte. Dass Friedrich Merz in einer solchen Situation vor neuen sozialen Wohltaten und damit verbundenen höheren Schulden warnt, ist perfide. Wer so redet, lebt offenbar in einer ganz anderen Welt und kann sich finanzielle Not gar nicht mehr vorstellen. 

Interview: Lars Kompa

 


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