Ein letztes Wort im Dezember

Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, geben Sie es zu, Frau Hamburg und Sie hatten den Koalitionsvertrag schon seit Monaten in der Schublade, oder?

Nö, so war es nicht, aber es gab zwei Wahlprogramme mit vielen vergleichbaren Zielen, das war eine gute Grundlage.

Dennoch, warum konnte das alles so schnell gehen, waren die Schnittmengen wirklich so groß?

Ja, das war das Entscheidende. Wir waren uns beispielsweise einig, dass Niedersachsen sehr schnell und ambitioniert die Erneuerbaren Energien ausbauen muss und dass die Transformation unserer Industrie in Richtung CO2- Neutralität weiter unterstützt werden muss. Wir sind uns der Krise im Energiebereich bewusst und wollen den davon besonders betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Institutionen schnell und unkompliziert helfen. Und dann gab es noch etwas: Von Anfang haben wir Kompromisse dort gesucht, wo wir uns nicht einig waren. Niemand hat da groß gepokert.

Welche Unterschiede gibt es denn zwischen der SPD und den Grünen in Niedersachsen?

Typischerweise gibt es unterschiedliche Sichtweisen, wie schnell manche Ziele zu erreichen sein werden. Zum Beispiel hat die SPD bei den anstehenden Veränderungen immer auch und gerade die Situation und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Auge. Die Betroffenen müssen bei Veränderungen auch mitgehen können.

Was steht jetzt für Niedersachsen in den nächsten 100 Tagen auf der Agenda?

Einen ersten wichtigen Schritt haben wir bereits getan, in dem wir den Nachtragshaushalt in Höhe von fast drei Milliarden Euro auf den Weg gebracht haben. Jetzt steht die Landtagsentscheidung an und dann gilt es, den Schutzschirm tatsächlich aufzuspannen: Denjenigen, die trotz der anstehenden Entlastungen des Bundes die Preissteigerungen nicht bewältigen können, muss schnell und möglichst unbürokratisch geholfen werden. Außerdem tun wir alles in unserer Macht Stehende, damit ab Ende Dezember möglichst große Mengen Flüssiggas über die neuen Terminals in Wilhelmshaven importiert werden können. Gleichzeitig bereiten wir uns aber auch in den nächsten Wochen sicherheitshalber auf etwaige Energiemangellagen vor, von denen wir hoffen, dass sie nie eintreten werden. Und daneben gibt es einen weiteren Schwerpunkt: Zusammen mit den Kommunen muss es uns gelingen, weitere Unterbringungsplätze und Versorgungskapazitäten für die etwa 1.000 Geflüchteten zu organisieren, die jede Woche nach Niedersachsen kommen. Mit dem Winter und der Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine könnten es sogar noch mehr werden. Das ist eine richtig schwierige Aufgabe.

Und wo sehen Sie Niedersachsen im Herbst 2027 vor den nächsten Landtagswahlen?

Bis dahin werden wir die aktuellen Krisen längst überwunden haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Herbst 2027 einen deutlich höheren Anteil unserer Energie aus Erneuerbaren Quellen beziehen werden. Damit könnte in Niedersachsen der CO2 Ausstoß deutlich verringert werden. Wir wollen bis dahin das Energieland Nummer 1 in Deutschland sein. In fünf Jahren wird hoffentlich über die Terminals in Wilhelmshaven und Stade vorwiegend grüner Wasserstoff importiert werden. Und wir werden alles daransetzen, dass im Herbst 2027 der öffentliche Personennahverkehr in Niedersachsen von sehr viel mehr Menschen genutzt wird als heute. Dafür muss neben dem bundeseinheitlichen Nahverkehrsticket auch das ÖPNV-Angebot insbesondere im ländlichen Raum deutlich ausgebaut worden sein. Wir müssen bis 2027 überall in Niedersachsen eine gute und gut erreichbare ärztliche Versorgung haben. Das wird dann vielerorts über regionale Gesundheitszentren erfolgen, in denen mehrere Ärztinnen und Ärzte und andere Professionen aus dem Gesundheitssektor zusammenarbeiten. Ach ja, und wir werden 2027 in Niedersachsen hoffentlich eine deutlich bessere Unterrichtsversorgung haben, unter anderem deshalb, weil wir dann den Lehrkräften als Einstiegsgehalt in allen Schulformen A 13 zahlen.

Eine unangenehme Wahrheit ist ja, dass der Staat zwar unterstützt, aber nicht vollständig alles ausgleichen kann, was uns an Härten bevorsteht. Müsste man das nicht viel deutlicher kommunizieren, um keine falschen Erwartungen zu wecken?

Ich habe den Eindruck, dass wir den Menschen sehr klar und ehrlich sagen, was auf sie zukommt. Keiner versucht, zu verschleiern, dass der Energiepreisdeckel nicht zu den Energiepreisen führen wird, die wir früher einmal gehabt haben. Jede und jeder in Niedersachsen weiß oder kann wissen, dass es darauf ankommt, selbst Energie zu sparen, damit wir gut durch den Winter kommen und nebenbei etwas fürs Klima und für den eigenen Geldbeutel tun.

Momentan wird ja über das neue Bürgergeld diskutiert. Die CDU befeuert da aus meiner Sicht ziemlich platt eine Neiddebatte. Wie sehen Sie das?

Einige CDU-Politiker wissen nicht oder wollen nicht wissen, mit wie wenig Geld viele Menschen in Deutschland auskommen müssen. Da gibt es eine teilweise erschreckende Ignoranz und soziale Kälte. Ich hoffe, dass wir da noch zu einem vernünftigen Kompromiss kommen. 

Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der keine Lust hatte, arbeiten zu gehen, und stattdessen lieber staatliche Leistungen bezogen hat. Sie?

Ich erlebe eigentlich auch nur Menschen, die gerne arbeiten würden, aber aus gesundheitlichen Gründen oder mangels ausreichender Qualifikation keinen Job finden. Deswegen geht es beim neuen Bürgergeld vor allem auch um viel mehr Angebote zur Fortbildung.

Machen Sie sich Sorgen, dass die CDU/CSU abdriftet ins Populistische, ähnlich den Republikanern in Amerika? Es gab ja jetzt schon ein paar Ausfälle in der Richtung …

Ich hoffe nicht und es würde die AfD nur stärker machen. Das ist eine alte Erfahrung – am Ende wählen Bürger*innen das Original, nicht die Kopie. Gerade in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger erhebliche Belastungen hinnehmen müssen und wir uns gleichzeitig um zahlreiche Geflüchtete aus den Krisenherden dieser Welt kümmern müssen, ist es wichtig, für Solidarität und Zusammenhalt und auch für Einigkeit unter den Demokraten zu arbeiten.

Bei all den Scheindebatten und Nebelkerzen scheint mir manchmal das Wesentliche auf der Strecke zu bleiben. Wie gelingt uns eine vernünftige Unabhängigkeit, wie schaffen wir mehr globale Gerechtigkeit, wie schützen wir unser Klima und wie unsere Demokratie, das sind die Grundfragen, um die es aus meiner Sicht eigentlich gehen muss. Und Deutschland diskutiert über 53 Euro …

Das ist schon richtig, wir sollten uns auf die großen Linien und auf die wirklich wichtigen Themen konzentrieren, und das gelingt uns nicht immer. Insgesamt erlebe ich die Menschen in Niedersachsen als vernünftig und umsichtig. Die Landtagswahlen haben gezeigt, dass eine überwältigende Mehrheit mit denen rechtsaußen nichts am Hut hat. Diese Gemeinsamkeit müssen wir pflegen und ausbauen. Dann wären wir schon ein großes Stück weiter.

Bei den wirtschaftlichen Abhängigkeiten geht es auch um China. Und wir sind ganz schnell bei VW. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, die Abhängigkeit wieder zurückzufahren?

Da reden wir über den größten und am schnellsten wachsenden Automarkt der Welt. Aus meiner Sicht geht es weniger um ein Zurückfahren, sondern um eine stärkere Diversifizierung. Volkswagen muss sich bemühen, neben China auch in anderen Teilen der Welt stärker zu werden.

Zuletzt fast ganz privat, wie halten Sie es in diesem Jahr zu Hause mit der Weihnachtsbeleuchtung?

Meine Frau und ich haben zu Hause sowieso keine Lichterketten. Im Wohnzimmer wird es natürlich wieder einen Weihnachtsbaum geben, und zwar mit echten Kerzen. Das war schon immer so, aber in diesem Jahr natürlich erst recht, auch um Gas und Strom einzusparen. Ich freue mich auch schon drauf, ich bin ein echter Weihnachtsfan.

Interview: Lars Kompa


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