Ein letztes Wort im Januar

Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

 

Herr Weil, in letzter Zeit fällt in Diskussion recht häufig der Begriff Doppelmoral – den Ansprüchen, beispielsweise bei der Einhaltung der Menschenrechte, stehen wirtschaftliche Interessen gegenüber. Müssen wir unseren Kompass generell neu ausrichten? Müssen wir umsteuern? Wie stehen Sie zu Geschäften mit Katar, mit China, mit dem Iran …

Die Welt ist heute eng vernetzt und wir können nicht einfach aussteigen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber trotzdem entscheidend, wie uns zuletzt die zahlreichen Probleme mit Lieferketten etc. vor Augen geführt haben. Und zweitens sollte man sich auch darüber im Klaren sein, dass wir zu einem sehr eurozentrierten Blick neigen. Eine Mehrheit der Menschen lebt aber unter ganz anderen Bedingungen, in anderen Kulturkreisen und teilweise auch mit anderen Wertmaßstäben. Drittens müssen wir konstatieren, dass wir, wenn wir den Blick auf uns selbst richten, vielleicht auch nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Mir ist bei der Diskussion um die schlimmen Arbeitsbedingungen von Stadionarbeiter*innen in Katar zum Beispiel wieder eingefallen, dass es bei uns erst eine Pandemie gebraucht hat, ehe wir bestimmte Beschäftigungsformen in der Fleischindustrie verboten haben. Und auch das ist erst passiert, nachdem es dort viele Infektionen gegeben hatte. Kurz gesagt:  wir haben unsere eigenen Wertmaßstäbe, zu denen müssen wir auch stehen, sollten selbst nach ihnen leben und auch dafür werben, aber wir sollten dabei den erhobenen Zeigefinger möglichst vermeiden.

Ich kann das ein Stück weit mitgehen, wahrscheinlich ist es völlig utopisch, dass wir irgendwann nur noch Geschäfte mit lupenreinen Demokratien machen, aber ich würde mir dennoch künftig eine schärfere Linie wünschen. Nehmen wir den Iran: Wir haben viele Jahre weggesehen und gute Geschäfte gemacht. Ein Verweis auf die Zustände in den Schlachthöfen bei uns reicht mir da nicht.

 Da dürfen Sie mich nicht missverstehen, mir ging es eben nur darum, dass wir nicht so tun sollten, als ob wir ohne Fehl und Tadel wären. Das sind wir nämlich definitiv nicht. Was den Iran angeht, ist die Sache für mich klar. Das brutale Vorgehen des iranischen Regimes gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger ist unerträglich und die EU hat deshalb auch die Sanktionen verschärft. Aber auch das ist immer ein Balanceakt – denn die Sanktionen sollen das Regime treffen und nicht die Bevölkerung.

Mir scheint es dennoch so – bei allem Verständnis für die Komplexität der Themen –, dass wir in Deutschland oft nicht laut genug für die Menschenrechte eintreten. Und das gilt auch für Europa insgesamt. Für mich sind die Menschenrechte nicht verhandelbar, man darf sich gerne klar dazu bekennen und muss den Rücken durchdrücken gegenüber jenen, die diese Rechte missachten. Ich finde, dass man es teilweise mit der Diplomatie übertreibt. Vor allem, wenn ich sehe, dass sich ja auch immer wieder Fenster öffnen. Wir haben gerade in China gesehen, dass die Menschen sich auch nicht alles gefallen lassen. Ist es nicht gut, zu zeigen, dass es alternative Systeme gibt, in denen das Zusammenleben anders geregelt ist?

Wie gesagt, für unsere Wert zu werben, ja. Bei der Form sollten wir aber auch auf die Wirkung in dem jeweiligen Land achten. Wenn es sehr harte öffentliche Kritik von außen gibt, kann das Gegenreflexe auslösen und die Nation stärker zusammenrücken lassen. Es gibt bei vielen Menschen einen ausgeprägten Nationalstolz, China ist dafür ein Beispiel. Das kann man auch in vielen muslimischen Staaten beobachten und dort, wo es eine Geschichte der Kolonisation gibt. Wenn man Menschen in anderen Staaten von außen vorschreiben möchte, wie sie zu leben haben, sind die Reaktionen in solchen Gesellschaften manchmal ausgesprochen allergisch. Beispielsweise beim Thema Klimaschutz: Wenn der reiche Westen Ländern in Afrika Klimaschutz verordnen will, dann fordert ausgerechnet der Teil der Welt, der für den Klimawandel verantwortlich ist, Maßnahmen von denjenigen, die unter den Folgen am meisten leiden. Ich halte es für wichtig, dass wir lernen, uns immer auch die Brille der anderen aufzusetzen und ihren Blick miteinbeziehen. Und das muss auch nicht immer auf offener Bühne geschehen. Nehmen wir den in der Öffentlichkeit stark kritisierten Chinabesuch des Bundeskanzlers im vergangenen November und sein Gespräch mit Präsident Xi Jinping. Am Ende hat Xi gemeinsam mit Scholz den russischen Präsidenten aufgefordert seine atomaren Drohgebärden zu unterlassen. Die viel gescholtene Hinterzimmer-Diplomatie ist häufig besser als ihr Ruf und muss beileibe nicht schwierige Themen aussparen. Wenn ich bei meinen China-Reisen Probleme angesprochen habe, dann habe ich mit meinen Gesprächspartnern durchaus vernünftig darüber reden können. Die Antworten haben mich nicht unbedingt überzeugt, aber es gab einen Austausch. Hätte ich das mit großer öffentlicher Begleitmusik gemacht, wäre das Ergebnis ein völlig anderes gewesen – und ganz sicher nicht besser. Es bleibt immer ein Balanceakt.

Aber ist das nicht einfach zu wenig und zu vorsichtig? Wenn man den Chinesen sagt, dass das, was mit den Uiguren passiert, nicht geht, beenden die ja nicht gleich alles Handelsbeziehungen mit Deutschland, oder?

Es ist ja gerade auch nicht so, dass das nicht angesprochen wird. Im Gegenteil, das geschieht immer wieder, diese Themen werden nicht ausgespart. Wobei man dann von chinesischer Seite hört, dass das alles falsch sei und nur im Westen so berichtet werde. Und man dann umgekehrt auf den Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte verweisen kann. Das ist wesentlich besser, als wenn gar kein Austausch möglich ist, finde ich.

Kommen wir noch einmal zurück zu unserem Kompass. Wandel durch Handel ist gescheitert, das kann man so feststellen, oder?

Das war immer eine Hoffnung, aber keine Gewähr. Aber natürlich muss uns das Verhalten Russlands eine Lehre sein. Unser Maßstab muss künftig sein, nicht zu abhängig zu werden von einzelnen Staaten – das gilt besonders für ein autokratisches Regime. Das war in der Vergangenheit ein Fehler und da müssen wir zwingend umsteuern. Die deutsche Wirtschaft ist beispielsweise immens abhängig vom Handel mit China. Das ist auch kein Wunder, denn China ist ein riesengroßer Markt. Aber dennoch ist es nicht gesund, wenn ein ausländischer Markt im Grunde bei uns über die Existenz ganzer Unternehmen entscheiden kann. Darum müssen wir noch stärker versuchen, Stück für Stück zu diversifizieren. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn das ist kein Prozess, der über Nacht passiert. Das braucht viele Jahre.

Noch ein anderes Thema, auch Handel, aber anderer Handel: Wie gehen wir künftig mit Waffenlieferungen um? Wir liefern zum Beispiel immer noch an Saudi-Arabien. Wie stehen Sie dazu?

Ganz grundsätzlich sind mir Waffenlieferungen nie sympathisch. Innerhalb des Nato-Bündnisses finde ich sie aber in Ordnung, das sind mit uns verbündete Staaten. Außerhalb des Bündnisses müssen wir deutlich vorsichtiger sein. Dabei ist eine Lieferung von Defensiv-Waffen weniger problematisch als von Offensiv-Waffen, wobei das natürlich im Einzelfall immer wieder eine schwierige Unterscheidung ist.

Sind wir eigentlich auch im Krieg? Ich habe den Eindruck, dass die Autokratien näher rücken, dass der Einfluss größer wird. Dass ein hybrider Krieg längst stattfindet.

In jedem Fall müssen wir viel stärker aufpassen. Dass zum Beispiel Russland versucht, die Diskussion in Deutschland zu beeinflussen, ist offenkundig. Es gibt einen Niedersachsen, von dem der Satz stammt: „Der Friede muss bewaffnet sein“. Und das war nicht Honecker, wie viele meinen, denn dieser Satz wurde in der DDR missbraucht. Der Satz stammt von Wilhelm Busch. Der andere soll dir nichts Böses tun können, das finde ich nach wie vor eine kluge Orientierung. Einschließlich des Grundsatzes, dass man auch jenen hilft, die angegriffen werden. Aber nichts darüber hinaus. Wir – und das schließt für mich eigentlich alle Demokratien ein – müssen uns in vielerlei Hinsicht verteidigen können – militärisch, aber auch gegen Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Wir stehen damit auch nicht alleine, das ist jedenfalls die Erfahrung, die ich auf vielen Auslandsreisen gemacht habe: Es gibt eine große Mehrheit von Nationen, die wünscht sich eine Weltgemeinschaft, die gleichberechtigt und auf der Basis von Menschenrechten und Regeln funktioniert, in der also nicht das Recht des Stärkeren gilt. Und viele wünschen sich dabei von Europa eine Führungsrolle. Ich glaube, dass es Europa künftig darum gehen muss, in diesem Sinne Flaggschiff zu sein.

Interview: Lars Kompa

 


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