Ein letztes Wort im Februar

Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

 

Herr Weil, die Wirtschaft in Deutschland hat momentan mit diversen Problemen zu kämpfen. Sie führen dazu wahrscheinlich täglich zahlreiche Gespräche. Vielleicht fassen Sie zum Start mal die Probleme in den verschiedenen Branchen zusammen.

Lassen Sie mich lieber erst einmal mit ein paar guten Nachrichten beginnen. In der ersten Januarwoche machen die Industrie- und Handelskammern in Niedersachsen ihre Neujahrsempfänge, zu denen immer viele hundert Unternehmerinnen und Unternehmer kommen. Und auf diesen Neujahrsempfängen herrschte eine deutlich bessere Stimmung als ich das erwartet hätte. Die Vertreterinnen und Vertreter der niedersächsischen Wirtschaft wirkten sehr problembewusst, aber vor allem auch selbstbewusst. Und vielleicht kann man das so erklären, dass wir nach der großen Nervosität im vergangenen Herbst im Hinblick auf die Energieversorgung und die Preisentwicklungen inzwischen doch eine wesentlich bessere Planbarkeit haben. Und man sieht auch, dass die angekündigte harte Rezession wohl ausfällt. Im Moment sprechen die Prognosen von einer milden Rezession, es mehren sich aber auch die Stimmen, die sagen, dass es vielleicht gar keine Rezession geben wird. Das zeigt zum einen die starke Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft und zum anderen, dass es hilft, wenn ein Staat sich entschlossen engagiert.

Jetzt aber die Probleme …

Aktuell sind es erstens die Preise. Wir haben eine hohe Inflation, insbesondere getrieben durch die Energiepreise. Das ist natürlich ein Problem. Das sieht man beispielsweise sehr deutlich in der Baubranche. Zweitens haben wir das Thema Fachkräftemangel, wobei man wohl eher allgemein schon von einem Arbeitskräftemangel sprechen muss. In fast allen Branchen gibt es große Sorgen, was den Nachwuchs betrifft. Woher nehmen? Das dritte große Thema sind die internationalen Lieferketten, die immer noch unzuverlässig sind. Das vierte Thema sind vor allem in den Industriebetrieben die Anforderungen an die Transformation in Richtung Klimaschutz: Produktion und alle anderen Abläufe müssen sukzessive auf CO2-Neutralität umgestellt werden. Und auch der fünfte Punkt ist nicht ganz neu, das ist das Thema Digitalisierung. Viele Unternehmen registrieren, dass sie ihre Geschäftsmodelle digitalisieren und so optimieren müssen, wer das nicht tut, fällt zurück. Es gibt also derzeit wirklich eine Häufung von Herausforderungen.

Wie kann der Staat, wie sollte der Staat helfen?

Bei der Inflation helfen hoffentlich sehr der Energiepreisdeckel und die ergänzenden Hilfen des Landes. Noch vor ein paar Monaten drohte eine harte Rezession, in der dann auch sehr viel Kaufkraft einfach nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Und weil der Staat sich genau dagegen gestemmt hat, sind auch die generellen Aussichten für die Wirtschaft wieder besser. Bei den Fachkräften müssen wir unsere Bildungsqualität weiter deutlich steigern, gerade auch im mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Aber auch, wenn man das optimal hinbekäme, würde es nicht reichen, damit den Bedarf an Arbeitskräften perspektivisch zu decken. Und deswegen geht es in diesem Jahr vor allem auch um ein modernes Zuwanderungsrecht. Das ist inzwischen übrigens eine in der Wirtschaft ebenfalls breit geäußerte Forderung – wir brauchen Zuwanderung, das ist wirklich Konsens. Beim Thema Lieferketten kann die nationale Politik relativ wenig ausrichten. Viele Widrigkeiten im internationalen Markt lassen sich nicht von heute auf morgen neu justieren. Und oft handelt es sich letztlich um unternehmerische und nicht um politische Entscheidungen. Anders verhält es sich bei der Transformation hin zu mehr Klimaschutz, da gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Unterstützung. Eine besonders wichtige Aufgabe des Staates ist es aktuell, dafür zu sorgen, dass die Energiepreise für energieintensive Unternehmen nicht zu hoch werden. Andernfalls würde sich die Wettbewerbssituation der Unternehmen so sehr verschlechtern, dass Investitionen in die Transformation gar nicht mehr möglich wären. Und es werden große Investitionen nötig sein. Außerdem muss der Staat alles dafür tun, dass die Erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Und bei der Digitalisierung braucht es in erster Linie Fachkräfte. Darum wird in Niedersachsen Informatik jetzt ein Pflichtfach. Die Umstellung der Technik und der Abläufe ist natürlich vor allem ein Thema der Unternehmen, viele haben sich da bereits auf den Weg gemacht.

Wenn ich mit Unternehmer*innen spreche, dann steht auf der Problemliste an erster Stelle immer ganz groß die Bürokratie, auf dem zweiten Platz folgt die Bürokratie und auf Platz drei folgt gleich dahinter die Bürokratie. Viele würden gerne Ideen umsetzen, aber fühlen sich ausgebremst. Und aus der Verwaltung hört man beispielsweise sehr oft, was nicht geht, aber man bekommt nur selten einen Hinweis, wie etwas vielleicht doch funktionieren könnte …

Wir sind in Deutschland eindeutig überreguliert, dafür gibt es leider zahlreiche Beispiele. Und davon sind beileibe nicht nur die Unternehmen betroffen. Es ist über Jahrzehnte ein kompliziertes Geflecht an langwierigen Verfahren und allzu detaillierten Regelungen entstanden, das nicht mit einer Gesetzesänderung aufgelöst werden kann. Dieses Geflecht besteht aus Regelungen der EU, des Bundes und – hoffentlich – relativ wenigen Landes- und kommunalen Regelungen. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Zuständigkeiten, nacheinander ablaufende Verfahren und eine unübersichtliche Rechtsprechung. Darum halte ich wenig von einer allgemeinen Entbürokratisierungsdebatte, wir müssen stattdessen Schwerpunkte identifizieren, an denen wir zuerst ansetzen. Das Thema Infrastrukturplanung lässt sich beispielsweise gut separieren und in diesem Bereich sind echte Fortschritte möglich. Das würde etwas bringen. Ein anderes Beispiel ist die Pflege. Sie ist extrem bürokratisiert, die Krankenpflege wie die Altenpflege. Wenn wir es schafften, durch Digitalisierung und auch eine echte Aufgabenkritik die ausufernden Dokumentationspflichten in den Griff zu kriegen, hätten die Pflegenden mehr Zeit und mehr Freiräume, um sich jeweils individuell um die ihnen anvertrauten Menschen zu kümmern und es gäbe auf beiden Seiten weitaus mehr Zufriedenheit. Also, wir müssen uns die einzelnen Bereiche genau anschauen und jeweils praktikable Lösungen finden. Wenn ich Unternehmerinnen und Unternehmer treffe, bitte ich eigentlich immer darum, dass wir Hinweise auf besondere Widrigkeiten und möglichst konkrete Verbesserungsvorschläge bekommen. Aber das alles wird sich nur nach und nach und ganz konkret in klar umrissenen Bereichen lösen lassen. Und nicht mit einer 25. Expertenkommission.

Mir fällt bei der Bürokratie auch die Energiewende ein.

Ja, auch der Bereich des Ausbaus der erneuerbaren wurde fast zu Tode bürokratisiert.

Und Expertenkommissionen bringen nichts?

Es gab ja schon viele und das allein hat uns nicht wesentlich weitergebracht. Wir sehen doch auch selbst schon viele konkrete Missstände und da müssen wir ran. Und wir können von anderen lernen. Nehmen wir noch einmal das Thema Infrastrukturplanung. Bei uns wird momentan ein Brückenneubau zur Generationenaufgabe – das geradezu klassische Beispiel ist die Friesenbrücke an der deutsch-niederländischen Grenzen in Ostfriesland. Da haben wir mal den Kollegen aus den Niederlanden auf der anderen Seite der Ems über die Schulter geguckt, die sind wesentlich schneller als wir. Und die Niederlande sind auch ein Rechtsstaat, dort gibt es auch Bürgerrechte. Aber sie haben das bessere System und einen gestrafften Rechtsschutz. Was ausdrücklich richtig ist. Wir können nicht weiter alles bis in die dritte Instanz bringen. So kommen wir zu langsam voran. Ich möchte über die Probleme nicht weiter abstrakt sprechen und in Expertenkommissionen sitzen, ich möchte konkret werden.

Dass alles so lange dauert, sorgt regelmäßig dafür, dass das Vertrauen in die Politik schwindet.

Natürlich sorgt das für Verdruss und schlechte Laune, auch bei mir selbst. Aber es geht auch anders. Dass es mit dem LNG-Terminal in Wilhelmshaven derart schnell geklappt hat, zeigt, dass wir Tempo können. Die Rahmenbedingungen, die dort herrschten, müssen wir verallgemeinern. Es ist für die schnelle Realisierung des LNG-Terminals eine eigene gesetzliche Grundlage geschaffen worden, man hat die Voraussetzungen heruntergedimmt und sehr früh gesagt: fangt an! Es gab also die Erlaubnis für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn. Es musste nicht alles zuvor rechtskräftig entschieden sein. Für mich ist dieses Beispiel eine Art Blaupause. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es beispielsweise bislang stets umfangreiche Abwägungsprozesse. Im Landkreis Lüneburg ist beispielsweise eine Windkraftanlage nicht genehmigungsfähig, weil sie die Sicht auf eine historische Windmühle behindern könnte, die allerdings gar keine Flügel mehr hat. Da verwundert es nicht, wenn wir mit dem Ausbau nicht vorankommen. Also, wir müssen sehr konkrete Optimierungen und Beschleunigungen vornehmen. Der Bundesgesetzgeber hat jetzt die richtige Schlussfolgerung gezogen, dass Maßnahmen des Klimaschutzes ein überragendes Anliegen sind und darum allen anderen Belangen vorgehen. Das macht mir Hoffnung, dass wir auch in anderen Bereichen pragmatischer werden. Und als Länder drängen wir den Bund zu einem Pakt für Beschleunigung. An dieser Stelle wollen wir viel Druck machen.

Interview: Lars Kompa

 

 


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