Editorial 2024-03

Liebe Leser*innen,

der 8. März rückt näher, bald feiern wir den Internationalen Frauentag – wobei vielen Frauen nach feiern gar nicht so recht zumute sein dürfte. Wir werden die üblichen, kämpferischen Reden hören, darüber, dass alles dringend noch viel besser werden muss und dass sich nun aber wirklich alle demnächst die größte Mühe geben werden. Versprochen! Und am 9. März kehren wir dann alle gemeinsam zurück in die Realität.

Die sieht leider noch immer nicht wirklich gut aus. Im Gegenteil. Weltweit erleben wir derzeit in vielen Ländern eher ein Rollback. Von Gleichberechtigung weit und breit keine Spur, Frauen dürfen vielerorts gerne Mütter sein, gute Köchinnen und Putzfrauen, willige Dienerinnen, aber mehr auch nicht. Sie werden entrechtet, sie bekommen keinen Zugang zu Bildung und politischer Teilhabe, sie werden misshandelt, missbraucht und umgebracht. Keine guten Voraussetzungen für eine Party am 8. März.

Und wir müssen gar nicht über den Iran sprechen, über Afghanistan, über die vielen Länder, in denen Frauen Menschen zweiter Klasse sind. Wir können in Deutschland bleiben. Denn auch bei uns ist nach wie vor sehr viel im Argen. Frauen werden noch immer für die gleiche Leistung schlechter bezahlt, Frauen werden als Unternehmerinnen nicht ernst genommen, Frauen wird gerne mal der berufliche Aufstieg in höhere Positionen verwehrt, wenn Frauen Kinder bekommen, leidet meistens die Karriere und unterm Strich sind sie häufig sehr allein mit allen damit verbundenen Aufgaben. Frauen werden diskriminiert, ausgenutzt, unterschätzt, geschlagen, gequält und Schlimmeres. Da ist noch so viel krumm, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Echte Gleichberechtigung? Fehlanzeige! Jede Stunde werden bei uns 13 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Jede dritte Frau hat schon mal körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Alle drei Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und es wird nicht besser. Nach meinem Eindruck verkehrt sich die Entwicklung stellenweise sogar ins Gegenteil, ich bemerke bei vielen jungen Menschen zunehmend wieder ein eher konservatives Rollenverständnis, das an die 1950er-Jahre erinnert.

Diese letzten Sätze habe ich übrigens von mir selbst abgeschrieben, aus einem Grußwort im Frauenbranchenbuch, das im vergangenen Jahr erschienen ist. Und besagtes Grußwort habe ich wiederum teilweise von mir selbst abgeschrieben aus einem älteren Text zur Gleichberechtigung im Stadtkind. Und ich bin mir sicher, wenn ich in fünf oder zehn Jahren einen weiteren Text schreibe zum Stand der Gleichberechtigung in Deutschland, dann geht das wieder ganz einfach mit Copy-and-paste. Leider.

Mein Text im Frauenbranchenbuch ging noch ein bisschen weiter: Für mich geht es beim Thema Gleichberechtigung ganz grundsätzlich um Augenhöhe, um Wertschätzung, um Respekt. Respekt, den viele Männer offensichtlich nicht haben. Und den Frauen laut und deutlich einfordern sollten. Es geht aber auch um Respekt, den Frauen gegenüber sich selbst empfinden sollten. Es geht um Selbstermächtigung. Es geht darum, alte Muster aufzubrechen und Rollen zu hinterfragen …

Das Thema Gleichberechtigung ärgert mich seit Jahren maßlos. Wir leben im 21. Jahrhundert, dieses Thema dürfte längst keines mehr sein. Aber die Ungerechtigkeiten halten sich hartnäckig. Es geht mal ein paar Schritte in die richtige Richtung, aber dann auch wieder ein paar Schritte zurück. Und plötzlich sind sie wieder da, Geschlechterstereotype, die das Verhalten und die Chancen von Frauen und Männern nachhaltig beeinflussen. Was beispielsweise auf TikTok verbreitet wird, spottet jeder Beschreibung. Es hat mich in den Fingern gejuckt, in dieser Ausgabe zum Weltfrauentag einen Text beizusteuern, in dem ich unter anderem auch über Emanzipation und Feminismus diskutieren wollte. Ich gehe da vieles mit, sehe aber manches auch sehr skeptisch. Okay, vielleicht ist es beispielsweise gut, für Frauen Safe Spaces zu schaffen. Vielleicht ist es gut, wenn Männer hin und wieder draußen bleiben müssen. Aber die eigentliche Frage ist doch, was in den Köpfen passieren muss, damit solche Schutzräume gar nicht erst nötig werden. Schafft man mehr Gleichberechtigung, indem man gegen die Männer kämpft, oder gelingt das besser, wenn man sie mitnimmt? Und welche Rolle spielen eigentlich die Frauen bei der Weitergabe von Geschlechterstereotypen? Sie erziehen ja die Männer von morgen und haben die Männer von heute erzogen. Klar, auch das ist ein Problem, Frauen und Männer sollten eigentlich gleichberechtigt für ihre Kinder Sorgen. Aber die Realität ist halt noch eine andere. Was allerdings eventuell auch eine Chance ist. Denn damit haben die Frauen es aus meiner Sicht tatsächlich ein Stück weit selbst in der Hand. (Ich weiß schon jetzt, dass ich für diese steile These Ärger bekommen werde.)

Wie gesagt, es hat mich gejuckt. Aber dann hat mich Ayda Kırcı angerufen und gefragt, ob ich nicht in der März-Ausgabe ein paar Frauen zu Wort kommen lassen will. Und ich wollte (nach der Einsicht, dass es vielleicht gar nicht schlecht ist, als älterer weißer Mann stellenweise auch einfach mal die Fresse zu halten). Ab Seite 50 finden sich in dieser Ausgabe darum nun neun Beiträge von Frauen, neben Ayda haben Hanna Naber, Christina von Saß, Petra Bahr, Laura Berman, Gwendolin von der Osten, Sabine Busmann, Djenabou Diallo-Hartmann und Mona Manon Sandhas ihre Gedanken beigesteuert. Dafür ein großes Dankeschön!

Viel Spaß mit dieser Ausgabe!

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind


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