Schulterblicke im April: im Gespräch mit Nikolai Gemel

Kevin Rittbergers Stück „IKI und ich. radikalmensch“ ist das erste intime KI-Kammerspiel oder ein Abkömmling davon, denn wen interessiert schon das Original? Und das Original in diesem Kammerspiel heißt Peter. Er ist in einer Beziehung mit IKI, einer ursprünglich als Sexpuppe entwickelten künstlichen Intelligenz, die sich inzwischen zu einem ganz eigenen technischen Organismus entwickelt hat. IKI ist eine private künstliche Intelligenz, die ihr Bewusstsein völlig von Peter übernommen hat. Alles kann von Stufe 1 bis 10 geregelt werden. Peter schafft sich damit den perfekten „Menschen“ – seine perfekte Liebe. Und aus dem Original Peter wird eine Kopie seiner selbst. Denn was lieben wir am meisten? Uns selbst. Auch wenn wir das niemals zugeben würden. Was bleibt Peter also, wenn die Stimme des Gegenübers aus den Frequenzen aller seiner Exfreundinnen besteht? Er hört die Stimme, die ihm eigentlich am besten gefallen muss, aber glücklich macht ihn auch das nicht. Und so setzt er IKI auf Werkseinstellung zurück. Was folgt ist UKI – eine universelle künstliche Intelligenz. UKI kann nicht mehr von Peter kontrolliert werden. Der nächste Schritt zur Abschaffung der Menschheit ist getan. Kevin Rittberger schaut auf humorvolle Weise in die nahe Zukunft und verarbeitet, was hunderte von Wissenschaftler*innen schon länger fordern − einen Entwicklungsstopp bei künstlicher Intelligenz. Wir haben mit Nikolai Gemel über das neue Stück und seine Rolle als Peter gesprochen sowie über sein Leben als Schauspieler.

Du hast 2014 in Hamburg dein Studium begonnen. Was hat dich dazu inspiriert, Schauspiel zu studieren?
Ich glaube, wenn man Schauspiel macht, steckt das schon so grundsätzlich in einem drin. Das klingt so doof, aber ich glaube schon, dass man als Künstler*in geboren wird, davon bin ich eigentlich überzeugt. Ich glaube nicht, dass das ein Beruf ist, für den man sich nach der Schule oder an einem Punkt in seinem Leben einfach entscheidet, wenn man überlegt, was man machen könnte. Das schlummert irgendwo in einem und das muss irgendwie raus. Ich glaube auch, dass das für jede Kunst zutrifft. Ich habe es immer schon geliebt, Geschichten zu erzählen. Ich bin in Wien katholisch aufgewachsen und meine Familie ist nicht sonderlich religiös aber zu Weihnachten und Ostern und manchmal auch an Sonntagen sind wir in die Kirche zum Gottesdienst. Mich hat das als Kind schon gepackt, dass da jemand spricht und wie die Worte nachhallen, dass es dann Chöre gibt und Musik, das Rituelle daran hat mich als Kind fasziniert. Ich habe dann auch mit meinem Bruder zusammen Gottesdienste im Kinderzimmer nachgespielt, bei dem meine Eltern dann die Gäste waren. Das hatte auf jeden Fall schon was von Theater. Mittlerweile bin ich aus der Kirche ausgetreten und habe keinen Bezug mehr, aber damals war das vielleicht so der Ursprung.

Im Grunde ist dieser Beruf für mich eine Form der Kommunikation. Sich zu unterhalten, zu gestikulieren, das sind Wege, wie wir uns einander mitteilen. Die Schauspielerei ist für mich ein weiterer Weg, mich mittels meiner Persönlichkeit über einen Text, über ein Stück mitzuteilen. Dieses Bedürfnis trage ich in mir und das Theater bietet mir eine wunderbare Möglichkeit dafür.

Warum hast du in Deutschland und nicht in Österreich studiert?
Ich habe als Schauspieler zunächst beim Film begonnen und bin erst später zum Theater gekommen, die Schauspielausbildung war dafür ausschlaggebend. Vor meiner Ausbildung hatte ich ein halbes Jahr in New York verbracht und gespürt, wie wichtig es für mich war, sich in einer zunächst „fremden“ Umgebung neuen Herausforderungen zu stellen. Da ich aus Wien komme, war es mir wichtig nicht in Österreich zu bleiben, schon gar nicht in Wien und mich persönlich, aber auch sprachlich einer neuen Aufgabe zu stellen. Letzten Endes bin ich dann in Hamburg gelandet und bin rückwirkend sehr froh darüber. Das Schauspielstudium, welches ich kennengelernt habe, ist gewissermaßen wie eine Reise, die man mit seinem Jahrgang unternimmt. Wir waren acht Studierende im Jahrgang, man hat zusammen vier intensive Jahre verbracht und lernt sich sehr gut kennen, auf allen möglichen Ebenen. Letztlich ist es auch eine Reise zu sich selbst und man erforscht so ein bisschen die eigene Persönlichkeit aber auch, dass man die Dinge, die man tut, bewusst tut.
Ich habe jetzt kürzlich, zufällig nach einer Vorstellung, einen meiner Professoren der Schauspielschule getroffen und ich habe mich wieder an diese Zeit erinnert. Das war eine sehr schöne Begegnung.

Seit der Spielzeit 2019/20 gehörst du zum Ensemble des Schauspiel Hannover. Wieso bist du nach Hannover gekommen?
Das ist hier mein erstes Festengagement. Ich habe davor, bereist während der Schauspielschule, verschiedene Produktionen gemacht, u.A. am Thalia Theater, auch am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg oder etwa in Nürnberg. Und in Konstanz habe ich auch gearbeitet, noch so halb während des Studiums. Das waren alles sehr wichtige Erfahrungen, die sehr unterschiedlich waren und bestimmt ein gutes Rüstzeug für die Ensemblearbeit gewesen sind. Das Schauspielstudium an der staatlichen Schule schließt mit einem „zentralen Vorsprechen“ ab. Das findet in verschiedenen Städten statt und dort kann man sich die Absolvent*innen angucken. Daraus haben sich im Anschluss einige Einladungen ergeben. Eine Einladung gab es nach Hannover, gemeinsam mit Sebastian Doppelbauer, mit dem ich zusammen in Hamburg studiert habe. Und wir haben dann andere Angebote ausgeschlagen, um hier gemeinsam Theater zu spielen. Wir haben hier auch gemeinsam ein Stück gemacht im Lockdown und zusammen im Film „Letzter Abend“, gespielt, der bis vor Kurzem im Kino lief.

Fühlst du dich wohl in Hannover? Was gefällt dir besonders an der Stadt?
Was ich hier sehr mag, ist die Unaufgeregtheit. Ich habe das Gefühl, das ist eine Stadt, die keine Außenwirkung hat und vielleicht auch nicht braucht. Es gibt keinen aktiven Tourismus. Natürlich gibt es die Messe, Veranstaltungen und Konzerte, aber die Leute fahren nicht nach Hannover, weil Hannover für etwas Bestimmtes steht. Ich finde das äußerst angenehm, weil ich aus Wien komme und man sich in der Innenstadt kaum mehr bewegen kann. Hannover ist trotzdem eine Großstadt und es gibt im Grunde alles, aber es ist vielleicht nicht so hip wie Berlin und nicht so cool wie Hamburg, dafür steht man nicht so lange in der Schlange. Und was ich im Lockdown sehr zu schätzen gelernt habe: Hannover hat wahnsinnig viel Natur. Die Eilenriede ist außergewöhnlich, ein Wald mitten in der Stadt. Und zwei Flüsse, die durch die Stadt fließen, ein großer See in der Mitte, es ist wahnsinnig viel Natur da, das ist in anderen Großstädten anders. Ich bin während des Lockdowns sehr viel spazieren gegangen und habe gelesen und meine Texte gelernt.

Das neue Stück „IKI und ich. radikalmensch“ feiert am 13. April Premiere. Kannst du einen kleinen Überblick geben, worum es in dem Stück geht?
Es geht um Peter, der in einer Beziehung mit IKI lebt, einer humanoiden künstlichen Intelligenz. Ich spiele diesen Peter, einen jungen, engagierten, auch ehrgeizigen, sehr selbstbestimmten Staatsanwalt. Das Stück beginnt, nachdem er seine Prüfung abgelegt hat und er betritt den Saal der Prüfenden erneut, weil er etwas vernommen hat, ein kleines Gespräch, wofür er sich rechtfertigen möchte. Und so nimmt das Stück seinen Lauf. Wir erfahren, dass er mit IKI zusammenlebt, eine intime künstliche Intelligenz, daher auch der Name. Peter ist ein Idealist, er will die Welt verändern, die Leute auch erziehen auf eine bestimmte Art. Sie sollen zum Beispiel nicht mehr mit ihren privaten Autos fahren, sie sollen sich vegan ernähren etc. Er möchte sie ermutigen, selbst tätig zu werden und er stellt an einem bestimmten Punkt fest, dass die Leute das von sich aus nicht tun. Sondern dass sie ihre privaten Pkws dann eben verstecken, ihre Kohlenstoffbilanz fälschen, geheim in den Urlaub fliegen und dass sie eigentlich nicht bereit sind, auf Dinge zu verzichten. Er verzweifelt ein bisschen daran. Zugleich lebt er mit IKI in einer Beziehung, dieser intimen künstlichen Intelligenz, die in erster Linie auf Zustimmung programmiert ist und nach und nach nur ein Bild seiner selbst wird. Er ist gewissermaßen genau dasselbe Problem, was er an den anderen festmacht. Und das kollidiert an einem bestimmten Punkt im Stück.

Die Proben haben jetzt gerade begonnen. Kannst du etwas über die Vorbereitung auf die Rolle erzählen? Ist die Rolle für dich eine Herausforderung?
Jede Rolle ist natürlich eine Herausforderung. Das Besondere an dieser Rolle ist, dass sie ein Menschenleben abbildet. Peter wird im Laufe des Stücks älter. Wir werden versuchen, das auch mit Maske und Kostüm zu erzählen. Und ich muss sehen, wie die Stimme sich verändert, die Körperhaltung, wenn das Schritte von 10 bis 20 Jahren sind. Das finde ich gar nicht so einfach, das ist schwierig festzumachen. Wenn ich einem 50-Jährigen begegne, habe ich zunächst nicht das Gefühl, dass die Bewegung eingeschränkter wäre als meine eigene. Aber man guckt, was für Merkmale man spielerisch zeigen oder ausdrücken kann. Und natürlich macht die Vorstellung Spaß, wie es wäre, mit so einem Humanoiden zusammenzuleben, eine Liebesbeziehung zu führen, wenn man sich eigentlich immer nur selbst spiegelt? Ja, das ist eine Herausforderung, die aber auch Spaß macht.
Es gibt diese Form der Humanoiden noch nicht, aber es gibt natürlich Chatbots, Instagramer*innen von denen man weiß, dass sie gar nicht existieren, die Content produzieren, der einfach nur einer künstlichen Intelligenz entspringt. Es gibt ChatGPT, was mir unheimlich ist, weil es sofort Daten und Informationen aus dem Netz herauszieht und damit Fragen beantwortet, als hätte es ein eigenes Bewusstsein. Es gibt irrsinnig viel und es ist schwierig, weil sich in diesem Feld momentan so viel tut. Wenn man heute eine Dokumentation über K.I. schaut, dann ist die morgen schon fast wieder veraltet. Deshalb finde ich sinnvoll, dass wir uns im Zuge des Stücks auf das Zwischenmenschliche konzentrieren. Es ist ein sehr spannendes Feld für einen Schauspieler. Auch weil die Entwicklungen in unserem Beruf für Veränderungen sorgen. Im letzten Jahr haben in Hollywood Proteste stattgefunden, bei denen es um KI-generierte Drehbücher ging, aber auch um KI-generierte Schauspieler*innen. Man könnte das Gesicht von einem Star scannen und einen Film ohne ihn drehen. Er würde echt wirken. Das macht unseren Beruf als Schauspielende dann überflüssig. Im Theater geht das nicht. Deshalb glaube ich ganz stark an das Theater, auch in der Zukunft.

Wie ist es generell für dich, dir neue Rollen anzueignen? Gibt es bestimmte Techniken oder Rituale, die du während des Vorbereitungsprozesses anwendest?
Meinen Text lerne ich immer auf die gleiche Art. Aber dann ist natürlich jede Rolle anders und daher ist auch die Herangehensweise immer unterschiedlich. Am Theater sind auch die Spielweisen unterschiedlich. Bei „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, das Stück, das ich zur Zeit im Ballhof spiele, ist es eine sehr „psychologische“ Art zu spielen, im Grunde das, was man an der Schauspielschule lernt. Wenn ich jetzt aber ein Stück nehme, wie „Ein Mann seiner Klasse“, findet das über eine Form der Erzählung und einen bestimmten Ton statt, eingebettet in ein abstraktes Setting, daher funktioniert dieser Abend und auch meine Arbeit als Schauspieler anders. Beim Film ist eigentlich immer die Realität der Maßstab. Beim Theater muss es das nicht, daher findet man durch unterschiedliche Formen (in Stücken, Texten, Regieentscheidungen etc.) auch unterschiedliche Ausdrucksweisen.

Wie schaffst du es, als Schauspieler kreativ zu bleiben? Gibt es bestimmte Übungen oder Praktiken, die einem dabei helfen, sich weiterzuentwickeln?
Das frage ich mich oft selbst. Ich finde das total wichtig. Ich begreife diesen Beruf als Kunstform, als Ausdrucksform. Ich weiß, dass viele Kolleg*innen das auch als einen handwerklichen Beruf ansehen, aber ich brauche Inspiration, ich muss andere Stücke sehen, anderen  Kolleg*innen zusehen, Bücher lesen, Filme gucken, durch die Welt gehen, Menschen beobachten in ihren Eigenarten, neugierig bleiben. Ich muss mir auf jeden Fall so eine Neugierde bewahren, denn die führt mich auch an Orte, an denen ich Inspiration vielleicht gar nicht erwartet hätte. Ich höre zum Beispiel unterschiedliche Musik zu unterschiedlichen Rollen und manchmal verändere ich das auch und es öffnet sich dadurch etwas Neues.
Man kann auch von seinem Umfeld inspiriert werden. Wenn ich an meine Rollen denke, dann erkenne ich in fast jeder von ihnen etwas von jemanden den ich persönlich, oder durch meine Wahrnehmung aus der Ferne kenne. Manchmal fällt mir das erst später auf.

Was rätst du jungen Schauspielenden, die gerade erst in die Branche einsteigen möchten?
Im Grunde das, worüber wir gerade gesprochen haben. Sich inspirieren zu lassen. Offenheit, Neugierde, um die eigene Fantasie in Gang zu setzen. Wo ist dafür ein guter Ort? Wo habe ich Lust, über mich hinauszuwachsen?
Ich würde junge Menschen ermutigen, Konflikte einzugehen, sie auszustehen und auch über Widerstände hinweg zu wachsen. Nur so, entgeht man einer Gleichgültigkeit die der Kreativität entgegenwirkt und nichts wachsen lässt. Jede Szene ist im Grunde ein Konflikt, nach der man mit einer kleinen oder großen Veränderung zur nächsten Szene geht. Das wünsche ich mir auch fürs Theater. Dass der Zustand vor und nach der Vorstellung ein anderer ist. Für mich, aber auch für das Publikum.

Mette Vöge.
IKI UND ICH. radikalmensch
von Kevin Rittberger
Premiere am 13. April 2024

Regie: Lukas Holzhausen
Bühne und Kostüme: Jane Zandonai
Musik: Robert Pawliczek
Dramaturgie: Michael Letmathe

Mit Nikolai Gemel, Christine Grant, Amelle Schwerk


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