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Über Humor – Ein Gespräch mit Matthias Brodowy

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Über Humor – Ein Gespräch mit Matthias Brodowy


Foto: Iris KlöpperIch dachte, wir müssen unbedingt mal über Humor sprechen in diese Zeiten, bevor der uns ganz abhanden kommt. Aber vielleicht erzählst du zuerst, wie du geworden bist, was du heute bist. Du bist ausgebildeter Kirchenmusiker, oder?
Ja, das habe ich nebenberuflich gemacht. Und meine Bio geht ganz schnell. Ich bin dazu gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde. Ich wollte eigentlich Lehrer werden und habe Geschichte und katholische Theologie studiert. Aber so von innen heraus war ich schon immer Musiker. Mein Traum als Jugendlicher war, auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen. Und das mache ich jetzt auch, allerdings eine andere Art von Musik. Ich habe mich damals natürlich mehr als Rock- oder Pop-Musiker gesehen. Das war der Traum. Den ich mir jetzt aber zumindest teilweise auch verwirklicht habe, so mit Band auf der Bühne. In der großen Besetzung, beispielsweise beim Bühnenjubiläum, waren wir 12 Leute mit Backgroundsängerinnen und Brass-Combo im Hintergrund.

Wie bist du denn zur Musik und zum Kabarett gekommen?
Wir haben in der Schule eine AG gehabt, die aus einer Projektwoche entstanden war. Ich bin da eher zufällig reingeraten, weil jemand erkrankt war. Für den bin ich eingesprungen. Es gab ein paar schöne Zufälle in meinem Leben. Ich bin also zufällig in dieses Satire-Projekt geraten, daraus wurde eine AG. Und dann habe ich irgendwann ein erstes Soloprogramm gemacht, das war 1997. Mit all den Texten, die die Kollegen vorher abgelehnt hatten. Das war so ein ganzer Stapel. Und ich habe mir gesagt: Die können doch nicht alle schlecht sein.

Waren sie schlecht?
Das weiß man ja selbst nie so genau. Jedenfalls hat mich Hanns Dieter Hüsch 1999 für das Soloprogramm mit dem Kabarettpreis „Das schwarze Schaf“ ausgezeichnet. Und ich bekam in der Folge mein erstes Management. Dann stand ich vor der großen Frage: Willst du eine Deutschland-Tournee machen neben dem Studium oder willst du das richtig machen? Ich habe mir gesagt, dass ich mein Studium ja immer noch zu Ende machen kann und habe mich für die zweite Möglichkeit entscheiden. Also habe ich das Studium erstmal unterbrochen. Und mich dann 2001 doch exmatrikuliert. Ich habe einfach darauf gesetzt, dass es was werden könnte. Und ich bin dabeigeblieben.

Warst du früher der Klassen-Clown?
Nur ein bisschen. Ich habe in der 5. Klasse schon eine Sketche-Gruppe gegründet. Die hieß auch so:  Sketche-Gruppe. Ich hatte immer so eine Affinität dazu. Ich habe Laurel und Hardy geliebt. Die „Väter der Klamotte“. Dieter Hallervorden, Fredl Fesl – ich habe alle Platten und Kassetten gehabt, natürlich auch von Otto. Das hat ja meine Generation geprägt. Und ich habe Loriot verehrt und Hanns Dieter Hüsch. Und dann natürlich: Scheibenwischer – den habe ich immer zusammen mit meinen Großeltern gesehen. Das war meine Sozialisation. Und die hat unweigerlich dazu geführt, dass ich das heute machen muss.

Ich habe erst vor ein paar Tagen wieder gegrübelt, was eigentlich lustig ist. Da hat in der Bahn vor mir so ein junger Mann seiner Freundin was erzählt, das lustig sein sollte, und sie hat die ganze Zeit gelacht. Aber es war nicht die Bohne lustig. Und ich habe gedacht, okay, wenn dich nur dein Freund oder deine Freundin lustig findet, heißt das noch lange nicht, dass du lustig bist.
(Lacht) Das könnte eine Regel sein.

Aber dann ist mir Hazel Brugger eingefallen, die ist mal gefragt worden, woran sie sich orientiert, ob etwas lustig ist. Und sie hat gesagt, nur an sich selbst. Wenn sie dann auf die Bühne gehe, würde es schon einer im Saal lustig finden, nämlich sie selbst – und das wäre doch schon gut. Das fand ich auch ganz einleuchtend. Wie ist das bei dir? Wie testest du, ob etwas lustig ist?
Ich teste es tatsächlich live auf der Bühne. Ich mache keine Testläufe …

Deine Frau sitzt nicht in der Jury?
Nein, ich lese vielleicht mal was vor. Aber es geht bei mir ja auch ein bisschen um das ganze Paket. Es ist vielleicht lustig, aber auch gerne literarisch. Und dazu kommt die Präsentation auf der Bühne. Die ganze Geschichte muss stimmen. Ob das funktioniert, das kann man nur live testen. Wenn ich dann abstürze auf der Bühne, dann setze ich mich noch am gleichen Abend hin und gucke, was ich ändern kann. Aber du hast gefragt, was lustig ist. Ich habe da so eine Theorie: Lustig ist oft die Tragik. Ich glaube nicht daran, dass „nur lustig“ funktioniert. Das jedenfalls funktioniert bei mir nicht. Vielleicht finde ich darum Mario Barth nicht so lustig. Ich finde es lustig, wenn die Leute dazu etwas Tragisches in sich haben. Nehmen wir mal Laurel & Hardy. Bei denen geht alles total schief, die sind immer am Boden zerstört, und es ist trotzdem irgendwie lustig. Oder Charlie Chaplin. Das ist zunächst mal überhaupt keine lustige Figur, eher im Gegenteil. Aber aus der Tragik entsteht diese besondere Komik. Oder Donald Duck. Ich habe bis heute das Sonderheft abonniert. Donald Duck ist lustig, weil er ein tragischer Held ist. Diese tragischen Helden ziehen sich durch die ganze Geschichte der Komik. Nehmen wir Loriot, seine vielen Charaktere, Erwin Lottemann. Eine fast tragische Gestalt, wenn er da so hilflos sitzt als Lottogewinner. Genau da entsteht die Komik. Bei mir ist es anscheinend oft komisch, wenn ich zum Beispiel über meine eigenen Unzulänglichkeiten nachdenke. Über meine großen Fehler? Wenn ich meiner Tragik nachspüre. Daraus entsteht dann oftmals meine Komik.

Das ist dieser selbstironische Blick, oder? Ohne den geht nicht viel …
Man muss vor allem über sich selbst lachen können. Menschen, die über sich selbst nicht lachen können, sind den Fundamentalisten sehr nahe. Es gibt wenige Humoristen von der Sorte. Bei manchen entwickelt es sich vielleicht im Alter in diese Richtung. Dass sie dann auf so eine unglaubliche Art und Weise über andere lachen und gar nicht mehr über sich selbst. Das finde ich auch tragisch – aber in dieser Tragik liegt wiederum so gar keine Komik …

Mario Barth kannst du ziemlich gut nachmachen …
Ich habe das bei einer Nummer irgendwann mal gemacht. Das ist auch nicht so schwer. Aber okay, was Mario Barth für sich erreicht hat, muss man anerkennen. Und er hat sein Publikum. Ich persönlich finde ihn halt nicht so witzig. Vielleicht, weil für mich zum Humor immer auch eine gewisse Haltung gehört. Das ist das, was ich vertrete. Und bei Mario Barth geht es nicht um Haltung. Da geht es um pures Entertainment. Ich will die Leute natürlich auch unterhalten, aber ich bleibe dann bei diesem alten Satz, der ist nicht von mir, den hat irgendjemand mal gesagt: In Unterhaltung steckt auch Haltung. Das ist mir persönlich wichtig. Mario Barth bedient einfach ein komplett anderes Genre. Nicht mein Humor …

Ich finde, bei Mario Barth ist es oft so ein denunziantischer Humor …
Das trifft es ziemlich gut. Und manchmal schlägt er dabei in eine Kerbe, die mir sehr unheimlich ist. Weil er damit politische Strömungen bedient, die ich als Humorist niemals bedienen möchte. In einer Sendung ist es mal um die Subventionierung von Plätzen in der Oper gegangen und das hat er exemplarisch am Opernhaus Hannover gemacht. Das ging dann so in die Richtung, dass er gefragt hat, wie viele Kindergärten man mit dem Geld finanzieren könnte. Ich habe darüber erst nur gelesen und mir dann Teile der Sendung angesehen. Und ich war tatsächlich stinksauer. Wie kann man das machen? Er hat selbst von Theatern profitiert. Und profitiert noch immer. Natürlich, wir kommen eher aus der freien Szene, wir sind nicht subventioniert. Aber wie, um Himmels Willen, soll denn Hochkultur stattfinden, wenn das nicht bezuschusst wird? Ich kann doch nicht Beethoven aufwiegen gegen einen Kindergartenplatz. Das geht nicht …

Die Öffentlich-Rechtlichen hatte er ebenfalls schon öfter im Visier, wegen der angeblichen Geldverschwendung.
Ja, und der Applaus kommt dann von jenen, die unbedingt die Gebühren abschaffen wollen. Da lachen am Ende die Falschen.

Wobei ich finde, dass beispielsweise die Rechten so gar keinen Humor haben. Jedenfalls sehe ich da nie jemanden lachen. Oder wenigstens mal kichern. Die Rechten kichern nicht. Steile These?
Ich glaube, sie lachen gerne über andere. Es gibt zu diesem Zweck ja sehr viele despektierliche Witze. Aber Humor? Humor heißt für mich, nicht nur zu lachen, sondern das heißt für mich auch Selbstreflexion. Ein echter Humorist lacht nicht über den, der auf einer Bananenschale ausrutscht. Der rutscht selbst aus. Ein Rechter würde das nicht tun. Am Ende kriegt der sonst ja den Arm nicht mehr hoch – den rechten …

Für andere ausrutschen, das hat eine gewisse Größe …
Das ist etwas, was ich immer versuche. Ich mag diese Konsequenz. Ich bin ja ein riesengroßer Rammstein-Fan. Und das, was mich bei dieser Band fasziniert, ist die Konsequenz ihrer Auftritte. Da kann man jetzt natürlich philosophieren: Was bedienen die für eine Ästhetik, usw. Aber ich weiß, aus welcher Ecke sie kommen, ich weiß, dass sie sich ursprünglich als Punk-Band empfinden und grundsätzlich politisch links stehen. Die ziehen jedenfalls ihre Auftritte mit allerletzter Konsequenz durch. Das beeindruckt mich. Das beeindruckt mich derart, weil sie manchmal gegen jede Form verstoßen. Jeder Regisseur würde sagen, dass es so nicht geht. Ihr könnt nicht, wie zum Beispiel bei diesem Paris-Konzert, zuerst sechs Minuten lang mit Fackeln durch den Saal gehen, bevor es losgeht, die Leute wollen, dass es anfängt. Nein, sie können. Und dann ziehen sie das auch durch. Gnadenlos. Und dann gibt es nicht ein: „Hallo Hannover! Seid ihr gut drauf?“ Es gibt überhaupt keine Ansprache, sondern das ist alles durchinszeniert von vorne bis hinten. Ich habe immer gedacht, dass wir als Künstler davon alle lernen können. Nämlich nicht immer das zu machen und zu bedienen, was erwartet wird und was man halt so macht. Sondern konsequent zu sein, wenn man selbst von einer Sache überzeugt ist. Und das mache ich ebenfalls gerne. Es durchziehen, wenn mir etwas in den Kopf kommt. Ich bin zum Beispiel schon einmal fast nackt auf die Bühne gegangen. Fast.

Also doch nicht ganz konsequent …
(Lacht) Aber fast ganz konsequent. Dass war im GOP in Bad Oeynhausen zur Abschlussvorstellung. Da spielt man sich gerne auf der Bühne gegenseitig Streiche und versucht, die Kollegen zum Lachen zu bringen. Und im Programm waren zwei ukrainische Partner-Akrobaten, mit natürlich extrem muskulösen Körpern, die beide so mehr oder weniger in Unterhose auftraten – in so dünnen, knappen Dingern. Und die haben nie gelacht, die haben nie gelächelt, die waren immer ernst. Und ich habe gesagt: Die kriege ich. Also habe ich mich während der Abschlussvorstellung bis auf die Unterhose ausgezogen, habe aber meine Socken und meine Lackschuhe wieder angezogen und habe so die Ansage gemacht. Das hat mich natürlich furchtbar viel Überwindung gekostet, extrem viel Überwindung. Das war für mich wirklich das Schwierigste, was ich je auf einer Bühne gemacht habe. Ich habe ja nun keine besonders tolle Figur. Was ich für ein Bild auf der Bühne abgegeben habe, so spärlich bekleidet … Aber ich habe mein Ziel erreicht. Die beiden haben mich gesehen und mussten sofort sehr lachen. Das ist, was ich meine: Man muss manchmal auf der Bühne auch konsequent sein. Und dabei ist es wichtig, dass man sich selbst nicht nur nicht ernst nimmt, sondern dass man bereit ist, sich auch wirklich zum großen Kasper zu machen.

Diese Konsequenz, also dieser Mut, sich der Lächerlichkeit preiszugeben, das zeichnet ja auch alle aus, die du eben erwähnt hast. Laurel und Hardy, Loriot, Otto, Dieter Hallervorden mit seiner Flasche Pommes.
Ja, da ist immer so eine gewissen Albernheit im Spiel, mit der man auch auf sich selbst zeigt. Das ist aus meiner Sicht der Unterschied zu manchen Erscheinungen in der Fernsehbranche, wo sehr gerne mit dem Finger auf andere gezeigt wird. Das muss dann auch gar nicht unbedingt intellektuell sein. Ich mag intelligenten Humor, aber ich mag auch mal Albernheiten. Da bin ich ganz auf der Linie von Hanns Dieter Hüsch, der immer sehr humanistisch-philosophisch unterwegs gewesen ist, aber der trotzdem diese Albernheit gepflegt hat. Beides stand nebeneinander. Ich glaube, das ist die beste Mischung: Humanistisch zu sein und albern.

Deine Ideen findest du oft im Alltag, oder? Also wenn du beispielsweise mit der Bahn unterwegs bist. Du bist wahrscheinlich ein guter Beobachter.
Das gehört natürlich dazu. Loriot war beispielsweise ein Weltmeister der Beobachtung zwischenmenschlicher Kommunikation. Wenn man die Texte liest, die er geschrieben hat, und dann durch die Supermärkte geht und zum Beispiel älteren Ehepaaren zuhört, dann entspricht das teilweise exakt dem, was Loriot in seinen Dialogen aufgeschrieben hat. Das war seine große Kunst. Diese Gespräche ohne große Übertreibungen und in kluger Verknappung so wiederzugeben, dass sich jeder sofort darin wiederfindet. Wenn man das einmal aufgesogen hat, und ich habe Loriot tatsächlich aufgesogen, dann bekommt man irgendwie dieses loriotische Auge und Ohr. Man weiß, wo man genau hinsehen und hinhören muss. Und gerade, wenn ich Bahn fahre, kann ich oft gar nicht anders. Ich muss dann den Leuten beim Gespräch zuhören. Es ist manchmal unfassbar witzig, ich muss eigentlich gar nichts mehr machen, außer fleißig mitzuschreiben. Man kann Witziges wirklich überall im Alltag entdecken. Du hängst beispielsweise in irgendeiner Telefon-Warteschleife und musst irgendwelche Tasten drücken und fliegst nach 20 Minuten trotzdem raus. Da kann man entweder wahnsinnig ärgerlich werden oder man nimmt es mit Humor. Das Nicht-Perfekte ist oft das Komische. Wenn unsere Welt perfekt wäre, hätten wir nichts mehr zum Lachen.

Ist Humor in diesen Zeiten noch wichtiger als sonst?
Ich finde, Humor ist immer wichtig, weil Humor, wenn man ihn wirklich verinnerlicht hat, vor Fundamentalismus bewahrt. Menschen, die in der Lage sind, zu lachen, zu lächeln, die sind eher davor gefeit. Und Lächeln ist vielleicht noch wichtiger als Lachen. Ich habe beispielsweise Donald Trump nie wirklich lächeln sehen, jedenfalls nicht echt. Ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass der Mann entspannt und fröhlich lächeln kann. Ich könnte noch andere Leute aufzählen. Beatrix von Storch. Es gibt viele Menschen, die habe ich noch nie entspannt lächeln sehen. Und solche Menschen sind mir unheimlich. Stufe eins der Unheimlichkeit.

Und Stufe zwei?
Sind Menschen, die nicht über sich selbst lachen können. Solange man das noch kann, ist alles gut. Wenn man das nicht mehr hinbekommt, wird es problematisch. Und ich finde, man muss gerade in Krisenzeiten lachen und lächeln können. Das hilft. Das hilft sogar zu überleben. Viele Menschen haben Diktaturen seelisch überlebt, weil sie Witze darüber gemacht haben. Es gibt sehr spannende Arbeiten zum Thema Humor in Diktaturen, auch in deutschen Diktaturen. Wenn umgekehrt Leute dogmatisch werden, wenn daraus Fundamentalismus entsteht, religiöser Fundamentalismus, politischer Fundamentalismus, dann ist Humor völlig abwesend. Sie sind nie entspannt, sie nehmen sich selbst unfassbar wichtig, sie kreisen innerlich nur noch um das eine Thema, was sie bewegt. Jegliche Form von Selbstironie ist weg. Wenn man selbstironisch ist, hat man auch eine gewisse Selbstdistanz. Und damit auch eine gesunde Distanz zu Themen, die einem wichtig sind. Das kann ich besonders gut sagen, denn ich bin katholisch. Aber ich kann trotzdem über gewisse Witze sehr lachen und mache sie auch selbst.

Ich finde selbstironische Menschen meist auch viel sympathischer. Leute, die über sich selbst lachen, die überhaupt lachen. Und ich habe zu solchen Menschen automatisch auch mehr Vertrauen.
Und zu jenen, die keine Selbstironie haben, entwickle ich kein Vertrauen. Wenn sie ihr Thema so ernst nehmen, dass sie nicht mehr lachen können, das macht mir das persönlich Angst. Solche Leute mag ich nicht.

Trotzdem scheint es so zu sein, dass gerade solche Leute es oft in ziemlich relevante Positionen schaffen. Während Leute, die andere zum Lachen bringen, oftmals damit zu kämpfen haben, dass man sie insgesamt nicht so ganz ernst nimmt und ihnen auch nicht so viel zutraut.
Ja, wobei es aber auch sehr humorvolle Menschen in relevante Positionen schaffen. Wenn wir mal durch die Garde der großen Politiker Deutschlands gehen, dann war beispielsweise Helmut Schmidt ein Weltmeister. Auch ein Weltmeister des Timings. Der hatte wirklich den Schalk im Nacken, verbunden mit einer großen Eitelkeit. Die er aber auch haben durfte. Und man musste gar nicht immer mit ihm einer Meinung sein. Wenn er zum Beispiel in einem Interview eine Antwort gegeben hat, den Satz angefangen hat, dann in aller Seelenruhe nach einer Zigarette angelte, sie anzündete, einen tiefen Zug nahm, den Rauch langsam ausstieß, um dann den Satz zu beenden … Das ist eine Gabe, weltmeisterliches Timing. Und das ist auch Humor. Das mag für viele überheblich wirken, aber ich fand es immer sehr lustig.

Es gibt auch viele Fotos, wo Loki und er sich gemeinsam totlachen. Deren Beziehung hat sehr über den gemeinsamen Humor funktioniert. Trotzdem konnte Helmut Schmidt auch sehr, sehr ernst sein.
Und ich mag genau diese Mischung. Wenn jemand, der meistens sehr förmlich ist und sehr akkurat, plötzlich mal einen raushaut. Dann denkt man: Donnerknispel, der hat ja Humor! Das finde ich wunderbar. Humor zu haben, ist wirklich eine sehr schöne und wichtige Eigenschaft. Und in der Humor-Bundesliga spielt man, wenn man über sich selbst lachen kann. Das ist die Königsklasse. Und das wünsche ich den Menschen, damit sie nicht in die Falle von Fundamentalisten und Dogmatikern geraten oder selbst zu welchen werden. Wer über sich selbst lachen kann, wird nie ein Fundamentalist.

Kann man das lernen? Über sich selbst zu lachen?
Das glaube ich schon, dass man das kann. Und ich glaube, man muss die Leute auch darauf stoßen. Das mache ich zunehmend in meinem Kabarettprogramm. Und zwar immer an meiner Person, ich nehme mich nicht mehr so ernst. Und ich nehme auch meine Meinung nicht mehr so ernst. Mein Programm „Keine Zeit für Pessimismus“ ist sehr politisch, so politisch wie nie zuvor. Und auch sehr ernst, so ernst wie nie zuvor. Trotzdem versuche ich klarzumachen: Das ist jetzt eine Haltung, die ich zeige, das ist sicherlich eine sehr humanistische Haltung, aber auch die ist nicht dogmatisch. Und ich nehme mich selbst in dieser Botschaft nicht so ernst. Darum kommt nach einem sehr ernsten Part auch immer schnell was ganz Albernes. Damit die Leute befreit lachen können. Ich mag sehr diesen Begriff Nonsens, also non sense. Ich finde es großartig, mal etwas total Sinnloses und Blödes zu machen. Und oft findet sich gerade im Nonsens dann letztlich doch etwas sehr Sinnhaftes. Da fällt mir Christoph Schlingensief ein, der echt anarchistische und absurde Sachen gemacht hat, aber eben mit einer unglaublichen Tiefenwirkung.

Bei diesem Wechselspiel zwischen Ernst und Nonsens musste ich an Sebastian Pufpaff denken. Dein Humor?
Ja, total. Pufpaff mag ich sehr gerne. Ich muss zugeben, ich habe TV total mit ihm bisher geschwänzt, was aber nur damit zusammenhängt, dass ich kein so großer Fernsehgucker bin. Aber ich schätze sehr, was er macht. Im Fernsehen gucke ich eigentlich nur die Simpsons. Ich bin insgesamt so ein Zeichentricktyp. Ich bin natürlich sozialisiert mit Asterix und Obelix. Asterix und Kleopatra habe ich bestimmt 10-, 12-mal gesehen. Und ich kann den immer wieder gucken. Ich bin dazu ein sehr großer Fan von Carl Barks, das ist der Zeichner von Entenhausen. Ich mag aber auch die beiden neuen Asterix-Zeichner sehr gerne, ich fand den letzten Band sehr schön. Da steckt ganz viel Humor drin. Man kann sehr viel entdecken. Übrigens auch bei den Simpsons. Viele denken ja, das ist Zeichentrick, das ist nur was für Kinder. Aber in Amerika ist das eher eine Fernsehserie für Erwachsene und es steckt unfassbar gute Satire drin, das ist fantastische Gesellschaftssatire.

Ich schätze, South Park ist nicht so deins.
Stimmt. Ich habe es probiert, aber das ist nichts für mich. Es ist lustig, aber es darf für mich nicht zu surreal werden. Und ich mag einfach mehr dieses Liebevolle. Darum auch Donald Duck und Dagobert. Das ist alles beschaulich. Oder ein plumper Obelix. South Park ist mir irgendwie zu präsentativ. Da komme ich emotional nicht rein.

Noch mal zurück zu der Frage, ob man Humor lernen kann. Wenn ich mir momentan die Leute ansehe, die bei diesen Spaziergängen unterwegs sind, dann glaube ich nicht, dass die viel lachen. Ich bin mir aber sehr sicher, dass viele von denen mal gelacht haben …
Ja, das glaube ich auch.

Verliert jemand, der den Humor verliert, auch ein Stück seiner Menschlichkeit? Diese Menschen sind ja hasserfüllt und teilweise auch übergriffig.
Das ist für mich sehr klar, wer keinen Humor mehr hat, der hat etwas zutiefst Menschliches verloren. Also vielleicht nicht seine Menschlichkeit, aber etwas zutiefst Menschliches. Zum Menschen gehört es, traurig zu sein. Und zum Menschen gehört es, auch mal fröhlich zu sein. Wenn Menschen nur noch dogmatisch und monothematisch durch die Welt gehen und missionarisch überzeugen wollen, haben sie, glaube ich, etwas verlernt, was uns Menschen ausmacht …

Kann man Humor neu lernen? Sollten wir vielleicht versuchen, diese Leute zum Lachen zu bringen?
Ich habe mich auf inhaltliche Diskussionen eingelassen und das war jedenfalls ein Fehler. Keine Chance, das bringt nichts. Vielleicht hätte man vor Monaten noch sagen können, dass man sich mal trifft und nicht über Corona, sondern über etwas ganz anderes redet. Um dann gemeinsam zu lachen. Heute ist es aber schwierig, nicht über Corona zu sprechen. Es gibt in meinem Bekanntenkreis durchaus Leute, die etwas in diese Richtung drängen und es ist ganz unmöglich, über etwas anderes zu reden, man landet fast zwangsläufig bei diesem Thema. Und was ich auch immer öfter höre: Kabarettisten müssen gegen den Staat sein. Das halte ich für Quatsch.

Was müssen denn Kabarettisten?
Sie müssen gegen Missstände anreden. Missstände gehen aber nicht nur von der Politik aus. Missstände kommen sehr oft auch mitten aus der Gesellschaft. Ich habe mal ein Programm gemacht, vor Corona, ich glaube 2016, das hieß Gesellschaft mit beschränkter Haltung. Und eines meiner Ziele war, zu sagen, dass ich als Kabarettist durchaus gesellschaftskritisch sein kann. Dass ich die Gesellschaft kritisch betrachten kann. Wir sind ja sehr oft eine recht haltungslose Gesellschaft. Auch das habe ich als Kabarettist zu thematisieren. Und ich lasse mir die Themen natürlich nicht vorschreiben.

Erlebst du das, dass dir Leute sagen wollen, was du machen und lassen sollst?
Ja, das ist ein Phänomen, das mir insbesondere seit der sogenannten Flüchtlingskrise immer wieder begegnet ist. Menschen sagen mir, ich soll mich nicht um die Politik kümmern, dass sei nicht mein Ding, ich soll machen, was ich kann, und sie damit zum Lachen bringen. Das kommt natürlich überhaupt nicht in Frage. Was ich mache, das ist meine künstlerische Freiheit. Einem Maler sagt man ja auch nicht, mal nicht immer Sonnenblumen. Schneide dir erstmal ein Ohr ab.

Du tauchst hin und wieder ja bei den Öffentlich-Rechtlichen auf. Wie lange vorher musst du deine Texte denn bei der Zensurabteilung abgeben?
(Lacht) Das ist auch so eine absurde Geschichte, dass es Leute gibt, die ernsthaft davon überzeugt sind, wir dürften nicht frei machen, was wir wollen. Wenn ich heute auf die Bühne gehe, dann trage ich einige Maßnahmen der Politik gerne mit. Weil ich damit einverstanden bin. Bin ich damit schon ein Staatskabarettist? Ich glaube nicht. Aber das hält sich hartnäckig. Wir sind alle von den Öffentlich-Rechtlichen gekauft und richtig gut bezahlt. Da sage ich: Wenn es mal so wäre, dann hätte ich jetzt in der Krise keine Krise, sondern ausgesorgt. Wir werden gerne diffamiert, wenn unsere Meinung nicht respektiert wird. Dann wird gesagt: Das ist ja nicht deine Meinung, du gibst nur die Meinung der Politik wieder. Ich finde das wirklich hochdramatisch. Und wenn ich gleichzeitig sehe, was für Slogans da momentan durch die Gegend getragen werden, dann frage ich mich: Wie könnt ausgerechnet ihr uns vorwerfen, dass wir nicht nachdenken?

Glaubst du, dass das wieder nachlässt, wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist?
Das wünsche ich mir, aber das alles wird uns noch lange beschäftigen. Angefeuert durch unsere schönen neuen Kommunikationsstrukturen. Da bekommt dann der Satz von Frau Merkel, über den wir alle gelacht haben, plötzlich eine ganz andere Wahrheit: Das Internet ist für uns alle Neuland. Wir haben tatsächlich noch nicht gelernt, mit diesem Medium richtig umzugehen. Ich würde diesen Satz von Frau Merkel heute jederzeit unterschreiben. Drei Stunden auf Facebook und du unterschreibst diesen Satz. Eine kritische Reflexion findet nicht mehr statt. Man wartet nicht ab und denkt nach, sondern haut sofort eine Meinung raus. Man beschafft sich nicht zuerst Informationen und begibt sich so präpariert in den Diskurs. Das findet nicht mehr statt. Und das ist für uns alle tatsächlich Neuland. Das fliegt uns immer mehr um die Ohren. Wir werden lernen müssen, damit umzugehen, dass Meinungen sich generell radikalisieren. In so einer überindividualisierten Gesellschaft werden Menschen leben, die sagen: Demokratie ist nur, wenn das gemacht wird, was ich für richtig halte.

Ein egoistischer, egozentrischer Blickwinkel.
Und da schließt sich der Kreis, denn dieser Blick ist völlig humorlos.

Mir scheint, wir führen hier ein ziemlich ernstes Gespräch. Meinst du, wir sind zu ernst?
(Lacht) Humor ist eine ernste Angelegenheit. Da ist sogar was dran. Wenn ich am Schreibtisch sitze und arbeite, Texte schreibe, daran feile, dass ein Text lustig wird, dann ist das eine stille und konzentrierte Arbeit. Und wenn mich Leute dabei beobachten, bekommen die das manchmal nicht zusammen. Dass da etwas Lustiges entsteht. Das ist mein Handwerk. Das musste ich auch erst lernen. Meine ersten Programme habe ich nicht geschrieben, ich habe nur improvisiert. Ich hatte immer einen Wust von Zetteln, die ich mir irgendwie sortiert hatte, und habe versucht, alles reinzubimsen. Aber es gab keine richtigen Aufzeichnungen. Ich habe erst sehr spät angefangen, Texte zu schreiben. Und jetzt wird mein neues Programm eine reine Lesung werden.

Ohne Musik.
Nicht ganz. Das Programm heißt „Klappstuhl und ich“. Das wird eine literarische Lesung, ganz bewusst und zum ersten Mal ohne Klavier, nur mit Gitarren. Mein Freund Chrille, der aus meiner Band, wird an meiner Seite sitzen und Gitarre spielen. Und ich werde Gitarre spielen. Das wird etwas ganz Neues. Das ist immer mein Anspruch bei jedem neuen Programm. Dass es ganz anders sein soll. Und die Texte sollen natürlich lustig sein. Das ist Handwerk und Arbeit. Insofern ist Humor stellenweise wirklich eine sehr ernste Angelegenheit. Und ich habe dazu auch einen durchaus literarischen Anspruch an meine Texte. Was ich mag, dafür gibt es bei Loriot sehr schöne Beispiele. Also wie man grammatikalisch Sätze schön setzen kann. Das entfaltet dann selbst bei den banalsten Themen eine gewisse Größe. Ich möchte mich nicht selbst rühmen, aber ich hatte einmal eine sehr primitive, und dennoch sehr lustige Nummer über Unterhosen. In der sich viele Männer, aber noch mehr Frauen, die die Unterhosen ihrer Männer kennen, wiedergefunden haben. Da gab es die Formulierung „in Ermangelung einer Unterhose“. Das ist so eine Konstruktion, die in einem Comedy-Text eigentlich nicht vorkommen würde. „In Ermangelung einer Unterhose zog ich, wenn Sie so wollen als Provisorium, zunächst einmal eine Überhose an. Ich habe noch nie mit so viel Respekt den Reißverschluss zugemacht.“ Das war dann der ganze Satz. Ich fand den sehr schön. Man bildet ja heute auch nicht mehr die Vergangenheitsform mit „zog“, man würde „ich habe etwas angezogen“ sagen. Auf so etwas achte ich, das sind Kleinigkeiten, die aus meiner Sicht auch Humor schaffen. Sprache schafft Humor.

Dazu fällt mir Max Goldt ein …
Ja, ganz großartig. Aber in dem Bereich war für mich Roger Willemsen der allergrößte. Wer seinen Vokabelschatz erweitern will, der lese ein Buch von Roger Willemsen. Das ist eine Sprache, die verzaubert. Eine wahnsinnige Brillanz und intellektuelle Schärfe. Und trotz dieses Hauchs einer gewissen bourgeoisen Eitelkeit ist da immer auch ein starkes Augenzwinkern. Es ist eine einzige Freude, diese Texte zu lesen. Ich bin ein großer Fan. Nach außen war er immer sehr förmlich, immer gut gekleidet, immer höflich und liebenswürdig, aber dabei hatte er auch diesen Schalk im Nacken. Ganz großartig, selbst in seinen politischen Analysen, die gestochen scharf waren, die teilweise auch ins Traurige gingen. Er hat nie diesen Faden verloren, er war ein ganz großer Humanist.

Was er wohl zur aktuellen Lage gesagt hätte. Gesellschaften, die das Lachen verlernen, sind arg gefährdet, oder?
Unbedingt! Wichtig ist, glaube ich, dass man sich so eine gewisse Lässigkeit erhält. Gegenüber allem Wahnsinn, der so passiert. Auch, was die Kritik angeht. Nach Corona werden sie die nächste Sau durchs Dorf treiben und sich auf die Maßnahmen im Zuge der Klimakrise stürzen. Jetzt ist es die Impf-Diktatur, als nächstes kommt die Öko-Diktatur. Und sie werden wieder alle munter und fundamental hassen. Aber manche Dinge müssen halt gemacht werden. Wenn ich mir die Datenlage von Wissenschaftlern ansehe und eine derart große Mehrheit von Wissenschaftlern sagt, dass wir jetzt handeln müssen, dann müssen wir eben handeln. Und wir können sogar noch handeln. Stattdessen wird im Netz gegen Elektromobilität gewettert und der Hass trifft Greta Thunberg. Ganz persönlich. Und sehr humorlos. Können wir nicht alle ein bisschen gelassener sein? Ein schönes Beispiel ist die Glühbirne. Was war da los, als die EU die Glühbirne verboten hat. Alle dachten, das sei nun der Untergang der abendländischen Kultur. Sie nehmen uns das Licht. Und jetzt staune ich, was für tolle LED-Leuchtmittel es gibt und zu sehr günstigen Preisen, die viel Energie sparen und universell einsetzbar sind. Manche brauchen nicht mal mehr einen Stromanschluss. Wäre das so gekommen ohne Glühbirnenverbot? Also, lasst uns alle miteinander gelassener sein. Und lasst uns wieder mehr lachen.

Zu versuchen, jemanden zum Lachen zu bringen, das ist auch ein Zeichen von Zuneigung, oder?
Sogar ein Akt großer Menschlichkeit. Ich bin Schirmherr beim Ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienst der Malteser. Da gibt es viele Ehrenamtliche, die Schwerstkranke begleiten. Aber wer denkt, sie sitzen dort am Bett und halten die Hand und man weint nur, der irrt. Man lacht auch gemeinsam, und das ist das Schönste, was passieren kann und es kommt recht häufig vor. Lachen ist so wichtig, auch noch im allerletzten Moment. Lachen befreit. Humor ist ein Ventil, auch für unsere angestauten Ängste. Wer nicht mehr lachen kann, der wird erdrückt..      Foto: Iris Klöpper

● Lars Kompa

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Maryam Mohammadi von UFU e. V.

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Maryam Mohammadi von UFU e. V.


Der Verein „Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover e. V.“ – kurz UFU – hilft geflüchteten Menschen bei ihrem Start in Hannover. Gegründet 2013, hat sich hier ein großer Erfahrungsschatz in der Geflüchtetenarbeit angesammelt. Das zeigt sich in einer Vielzahl kluger und überaus sinnvoller Projekte, geleitet von engagierten Ehrenamtlichen. Eine von ihnen ist Maryam Mohammadi, die 2017 selbst aus Afghanistan fliehen musste und seit 2019 im Vorstand des UFU tätig ist.

„Wir haben von Anfang an versucht, uns möglichst breit aufzustellen“, berichtet Mit-Gründerin und Vorsitzende Renée Bergmann. „Anstatt in ein Heim zu gehen und dort zu helfen, haben wir Nachbarschaftskreise im ganzen Stadtgebiet aufgebaut, in denen Ehrenamtliche Geflüchteten in der Nähe ihres eigenen Wohnorts helfen, zum Beispiel bei Behördengängen.“ Als sich 2015 zahlreiche Menschen für Geflüchtete engagieren wollten, war es ein großes Glück, dass man auf das Know-how und die bereits geschaffenen Strukturen des Vereins zurückgreifen konnte. Über einen 2015 neu gegründeten Nachbarschaftskreis in Bemerode stieß der heutige Vorstand Frank Steinlein dazu. Damals schob er zunächst ein „Ordnerprojekt“ an: „Wenn Geflüchtete in einer Unterkunft ankommen, hat sich in der Regel ein Riesenhaufen Bescheide angesammelt. Allein schon sprachlich sind die meisten davon total überfordert, besonders, wenn verlangt wird, für Behördentermine einzelne Unterlagen vorzulegen. Wir sind also in die Unterkünfte gegangen und haben den Menschen geholfen, die Papiere strukturiert und übersichtlich abzulegen“, erklärt Steinlein. „Manche Familien bekommen jeden Tag Behördenbriefe, die sie nicht verstehen. Das macht natürlich Angst und Stress. Es ist also eine große Erleichterung, wenn da jemand Ordnung hineinbringt und Einzelheiten erklären kann“, ergänzt Renée Bergmann. Über dieses Projekt stieß auch Maryam Mohammadi zum Verein, der Frank Steinlein damals beim Übersetzen ihres Lebenslaufes half.
Maryam Mohammadi hat in Bochum studiert und einen Master in Wirtschaft und Management abgelegt, um anschließend in ihr Heimatland zurückzukehren. Von dort musste sie 2017 fliehen – und fand sich für drei Jahre in einer Geflüchtetenunterkunft wieder. Heute arbeitet sie hauptamtlich für den niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Ich kenne die Situation der Menschen in den Heimen gut. Die Hoffnung, die man zunächst hat, und die Enttäuschung und Perspektivlosigkeit, wenn man erwartet hat, die Unterkunft nach ein paar Monaten zu verlassen, und dann zieht sich das jahrelang hin. Dort ist es eng, man teilt sich Bad und Küche mit Fremden, die oft einen völlig anderen kulturellen und sprachlichen Hintergrund haben. Sehr viele sind traumatisiert und haben psychische Probleme. Das alles führt natürlich zu Konflikten, die leicht eskalieren. So kamen wir auf den Gedanken, ein Berliner Peer-Mentoring Projekt, in dem Geflüchtete, die in Unterkünften leben, zu Streitschlichtern ausgebildet werden, zunächst als Modellprojekt in Hannover zu initiieren. Anfang 2021 liefen dazu erste Gespräche mit den Johannitern, die neben dem DRK Träger der meisten Geflüchtetenheime sind und sehr aufgeschlossen reagiert haben.“ Über die Heimleitungen von zwei Unterkünften fanden sich sofort Interessierte, die in den ersten Info-Veranstaltungen sehr aktiv und hoch motiviert waren. „In den Kursen trainieren die Freiwilligen, Vorurteile abzubauen und die Bereitschaft zu entwickeln, einander zuzuhören, unabhängig von Sprache und Kultur. Die Fähigkeit, die Perspektive wechseln zu können, ist das Wichtigste“, so Mohammadi. „Vorurteile gibt es ja nicht nur bei Deutschen gegenüber Ausländern, sondern auch bei den MigrantInnen verschiedener Nationalitäten untereinander. Hier ist interkulturelle Kompetenz gefragt, die natürlich erst einmal vermittelt werden muss. Wichtig ist, dass jeder zu Wort kommt und dass die Gespräche auf der gleichen Ebene stattfinden. Man findet gemeinsam heraus, wie es weitergeht. So ist es auch viel leichter, sich zu bewegen, weil man diesen Weg ja selbst erarbeitet hat. Es war beim Training toll zu sehen, wie zum Beispiel zwei afrikanische Teilnehmerinnen im Rollenspiel aufeinander zugehen konnten, die tatsächlich schon länger Streit miteinander hatten. Sie haben Verständnis füreinander entwickelt und sind Freundinnen geworden.“

  ● Annika Bachem

Für viele tolle und spannende Projekte ist UFU e. V. auf der Suche nach weiteren Freiwilligen. Wenn es das Pandemiegeschehen zulässt, trifft man sich zum UFU-Stammtisch mit Geflüchteten an jedem 2. Freitag des Monats um 18 Uhr im Café K.

www.uf-hannover.net

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Lutz Flörke: Nebelmeer #7

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Lutz Flörke: Nebelmeer #7


 Foto Bernd HELLWAGEManche Menschen haben das Gefühl, nur eine Nebenfigur in ihrem Leben zu sein. Doch was sie selbst für nichtig halten, ist in den Augen eines anderen mitunter viel wert, womöglich gar einen geistigen Diebstahl. Biographienraub – genau das passiert HP, dem Protagonisten und Erzähler in Lutz Flörkes Roman „Nebelmeer #7“, der Juli letzten Jahres bei duotincta erschienen ist. In dieser vor intertextuellen Anspielungen strotzenden Textcollage nimmt der in Hamburg ansässige Literaturdozent auch seinen eigenen Berufsstand aufs Korn – unter anderem, denn er schüttet auf seine Leser*innen ein Füllhorn an schrulligen Einfällen aus.

„Wir wehren uns gegen alle selbstgestellten ebenso wie medial propagierten Forderungen nach einem frohgemuten Sich-Einlassen auf den Abbau eigener Glücks- und Reflexionsmöglichkeiten. […] Wir wollen nicht dem Erfolg hinterherhetzen wie ihr! Kein Burnout, keine Frühvergreisung des Geistes, keine Gesellschaft mit beschränktem Horizont!“ Mit diesen Worten beginnt das Manifest, das HP zusammen mit seinem Kumpel Maximilian bei ihrer Abiturfeier vorgetragen hat. Damals waren sich die beiden sicher, was sie für ihre Zukunft wollen: den Misserfolg. Und an diese Losung hat sich zumindest HP immer gehalten. So hat er zwar studiert und eine Weile den Eindruck erweckt, als belesener Denker eine glänzende Karriere vor sich zu haben, doch dieses Schicksal hat er (nach seinen Maßstäben: erfolgreich) abgewendet. Nun arbeitet er als Aufseher in der Hamburger Kunsthalle, in die er sich „aus Gründen der Melancholie“ zurückgezogen hat und nun Caspar David Friedrichs weltberühmtes Gemälde „Wanderer über dem Nebelmeer“ von 1817 bewacht – für viele das Sinnbild der Romantik schlechthin, und für Lutz Flörke eine wichtige Inspiration, von der er sogar den Titel für seinen Roman entliehen hat.
Doch zurück zu HP: Während er in der Kunsthalle dem ideellen Misserfolg frönt, hat Maximilian sein ganz weltliches Glück gemacht, gut geerbt, klug investiert, mehrere lukrative Art-Hotels eröffnet und ist in einer festen Beziehung mit Dorothée gelandet, einer ehemaligen Kommilitonin von HP. Vor einigen Jahren, als sie kurz davorstand, nach Göttingen zu ziehen, um eine bürgerliche Existenz als Universitätsdozentin anzutreten, hatte sie mit HP eine Nacht verbracht, um sich mit ihm, einem Meister des „eiferlosen Vor-sich-hin-Lebens“, ein letztes Mal den großen, revolutionären Ideen ihres Studiums hinzugeben. Nun braucht Dorothée noch einmal seine Hilfe: Maximilian hat ihr ein kryptisches Abschiedsvideo geschickt, in dem er das Manifest ihrer Jugend zitiert. HP soll ihn finden – und in Manier eines Privatdetektivs ermitteln, was Maximilian plant.
Widerwillig verlässt der überzeugte Melancholiker die Kunsthalle und geht zu Maximilians Wohnung in der „Endetage“ eines noblen Wohnhauses. Dort begutachtet er den protzigen Mainstream-Reichtum, der sich in teuren Kunstgegenständen und Weinen äußert, und findet schließlich einen versteckten USB-Stick. Rotwein trinkend schmökert er in einem Textdokument, das angeblich die Memoiren seines Freundes enthält. Doch je weiter er liest, desto mehr Details kommen ihm bekannt vor – und schließlich fällt es HP wie Schuppen von den Augen: Das ist seine Lebensgeschichte, die Maximilian da als seine eigene ausgibt! Ein skandalöser Diebstahl, den sein (ehemaliger) Kumpel sogar an einer Stelle rechtfertigt: „Es gibt so viele Menschen, die es niemals schaffen, zur Hauptperson ihres Lebens zu werden. Weshalb soll ich nicht deren Biographie literarisch nutzen?“ Das kann HP nicht auf sich sitzen lassen; sofort macht er sich auf die Suche nach Maximilian. Es beginnt eine Irrfahrt, die ihn an Orte seiner Jugend und zu längst vergessen geglaubten Erinnerungen führt …
Lutz Flörke studierte deutsche Literaturwissenschaft und promovierte zum Dr. phil. Seitdem arbeitet er als Autor, Performer und Dozent überall dort, wo er mit seinen Vorstellungen von Literatur Geld verdienen kann. Er lebt in Hamburg und erhielt Förderpreise des Landes Niedersachsen und der Stadt Hamburg. In „Nebelmeer #7“ hat er ein Thema aufgegriffen, von dem schon sein Debütroman handelt. Denn auch in „Das Ilona-Projekt“ (2018) geht es um einen Mann, der sich zum Protagonisten der eigenen Geschichte machen will und aus diesem Grund vorgezeichnete Wege verlässt. Im Gegensatz dazu darf HP entdecken, wie lesenswert sein bisheriges Leben bereits ist – und er erlebt nebenbei einen verrückten Roadtrip voller überraschender Wendungen. Nahtlos eingeflochten in die Story sind Zitate und Diskurse über das Schreiben, Text- und Erzählformanalysen sowie philosophische Überlegungen zur Gesellschaft, Kunst und Lebensentwürfen. Das Ergebnis ist ein erstaunlich kurzweiliger, schillernder Text, der mal verwirrt, mal erstaunt – und auch immer wieder herzhaftes Lachen auslöst!

● Anja Dolatta                                                                                                                                                                             Foto Bernd Hellwage

 

 

 

Nebelmeer #7
von Lutz Flörke
Verlag duotincta
268 Seiten
17 Euro

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Ein letztes Wort im Februar

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Ein letztes Wort im Februar


Herr Weil, wir sprechen Mitte Januar und natürlich über Corona und
Omikron. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Wir sind in Niedersachsen vergleichsweise sehr gut durch die vierte Welle gekommen und wir schlagen uns bisher auch in der Omikron-Welle noch achtbar. Aber erwartungsgemäß gehen die Zahlen nun deutlich hoch und die Folgewirkungen sind derzeit noch unklar. Wir wissen einerseits: Omikron ist wesentlich ansteckender als die anderen Virusvarianten, die wir bis jetzt kannten. Aber Omikron ist andererseits anscheinend deutlich weniger gefährlich. Es gibt bislang weniger Einweisungen auf den Intensivstationen. Die Frage ist, ob die hohen Ansteckungszahlen diesen Vorteil wieder zunichtemachen. Das ist heute noch ungewiss und wir warten auf entsprechende wissenschaftliche Ergebnisse. Was die öffentliche Stimmung in Niedersachsen angeht, habe ich den Eindruck, dass wir im Moment eine ganz gute Balance haben. Die Regeln werden akzeptiert, auch weil wir auf praktische Einwände eingegangen sind: Also zum Beispiel in der Gastronomie mit „2G plus“, aber der Möglichkeit, bei einer Kapazitätsreduzierung auf das „plus“ zu verzichten. Wir haben jedoch hohe Unsicherheitsfaktoren. In einer Woche kann die Lage schon wieder ganz anders sein.

Und über Niedersachsen hinaus, wie ist aus Ihrer Sicht die Lage insgesamt in Deutschland?
Ich finde auffällig, dass es bei uns diese Omikron-Wand bisher nicht gab, also keine Infektionskurve mit einem beinahe 90-Grad-Winkel, so wie das in anderen europäischen Ländern zu beobachten war. Bei uns steigt sie ebenfalls, unübersehbar und auch steiler als früher, aber es hat nicht diesen Explosionscharakter. Bis jetzt. Das mag daran liegen, dass wir in Deutschland und noch mehr in Niedersachsen frühzeitig ein höheres Schutzniveau hatten. Auf der anderen Seite: Unsere Impflücke ist nach wie vor zu groß. Da gibt es Licht und Schatten. Wir sind jetzt beim Boostern bei über 50 Prozent in Niedersachen, das ist schon gut. Aber etwa jeder sechste Erwachsene ist noch gar nicht gegen Covid geimpft, das sind noch viel zu viele. Wir brauchen einen wesentlich höheren Impfschutz in der Bevölkerung. Das entscheidet nach meiner Überzeugung auch darüber, ob wir diese Pandemie in den Griff bekommen.

Bis die nächste Variante an die Tür klopft …
Klar, es kann immer richtig schlechte Überraschungen gaben. Und es wird auch neue Virusmutationen geben. Aber wenn wir insgesamt einen hohen Impfschutz haben in unserer Gesellschaft, dann muss uns das nicht so Bange machen. Wenn die Impflücke allerdings zu groß ist, können wir im Herbst wieder vor denselben Problemen stehen.

Womit wir wieder bei dem Problem sind, dass sich viele Leute nach wie vor nicht impfen lassen wollen. Eine sehr heterogene Gruppe, teilweise gut gebildet. Und trotzdem sind die mit sehr seltsamen „Fakten“ unterwegs. Kriegen Sie das zusammen?
Nein, ich verstehe es nicht. Lasse ich mich impfen oder nicht? Aus meiner Sicht ist das eine Frage, die nicht ausschließlich persönlich beantwortet werden kann. Die Frage des Impfschutzes spielt doch insgesamt für die Gesellschaft eine große Rolle. Es gib die Ansteckungen, die Schutzmaßnahmen, die Einschränkungen, das betrifft uns alle. Leider erreichen wir offensichtlich einen Teil der ungeimpften Menschen nicht mit Argumenten.

Es kursieren ja die absurdesten Geschichten über Genmanipulation und Unfruchtbarkeit …
Ja, und genau das berührt natürlich tiefste Ängste. Das ist perfide, das sind teilweise wirklich böswillige Fake News.
Ich habe festgestellt, dass ich mich sehr gut vorbereiten muss, wenn ich mit Corona-Leugnern oder Impfgegnern diskutieren will. Ganz oft sind die sehr im Thema, sie haben sich sozusagen fortgebildet auf YouTube und Co. Und sie argumentieren dann sehr selbstbewusst. Wenn ich etwas entgegensetzen will, muss ich ebenfalls Fakten parat haben. Ich höre das auch oft in meinem Bekanntenkreis, es ist gar nicht so leicht, in den Diskussionen zu bestehen.

Wobei es sehr klare Fakten gibt. Etwa 85 bis 90 Prozent der Corona-Patienten auf den Intensivstationen sind nicht geimpft.
Das ist so, das lässt sich nicht bestreiten. Oder nehmen sie die Forschungen zu Long Covid. Wir haben es nachweisbar mit einem gefährlichen Virus zu tun, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel mehr. Wer das nicht glaubt, der möge den Menschen zuhören, die mit Long Covid zu kämpfen haben. Aus meiner Sicht haben wir nur zwei Möglichkeiten, um die Lage langfristig in den Griff zu bekommen: Entweder, wir ergreifen immer wieder sehr harte Schutzmaßnahmen, was kein Mensch will. Oder wir sind alle miteinander durch die Impfung bestmöglich geschützt. Großbritannien hatte jetzt gerade eine harte Omikron-Welle, das Gesundheitswesen hat das dort aber noch bewältigen können. Warum? Weil man in Großbritannien eine Impfquote hat, die wesentlich höher ist als in Deutschland. Die Faktenlage ist aus meiner Sicht relativ klar. Übrigens auch bei den Impfschäden, die im Vergleich zum Nutzen verschwindend gering sind. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschenleben Corona in Deutschland ohne Impfung gekostet hätte. Wir impfen zielstrebig seit 2021 und können gut vergleichen, welche Todeszahlen es vorher gegeben hat. Bei vielen scheint aber die Erinnerung an Ende 2020, Anfang 2021 schon verblasst zu sein. Gerade in den Alten- und Pflegeeinrichtungen sind damals sehr viele Menschen gestorben, das war ganz furchtbar!

Was immer wieder kommt, ist der Vergleich mit der normalen Grippe. Und gerne wird dann gesagt, dass an Corona nun auch nicht viel mehr Menschen sterben …
Dann stellen wir uns mal kurz vor, es hätte keine umfassenden Schutzmaßnahmen gegeben und keine Impfung. Welche Todeszahlen hätten wir dann? Man kann das ansatzweise in jenen Ländern sehen, die Corona zunächst nicht ernst genommen haben. Das hatte dort teilweise verheerende Folgen. Wir können wirklich von Glück reden, dass wir all diese Schutzmaßnahmen haben. Und die einfachste und wirksamste ist die Impfung. Das hat zuletzt auch wieder eine Krankenhaus-Pflegekraft bei der Kundgebung für Solidarität und gegen Corona-Leugner auf dem Opernplatz sehr eindrücklich geschildert.

Sie sind also sehr klar für eine Impfpflicht?
Ja, das bin ich. Das war ich zunächst ehrlicherweise nicht, weil wir es natürlich mit einem Grundrechtseingriff zu tun haben. Aber spätestens mit Omikron ist mir sehr klar geworden, dass wir einen ständigen Wechsel von neuen Infektionswellen und dazwischen Entspannungsphasen erleben. Und manchmal geben sich die Infektionswellen sogar die Klinke in die Hand, so wie jetzt bei der vierten und fünften Welle. Das zermürbt unsere Gesellschaft, das ist verbunden mit großen gesellschaftlichen Schäden, zum Beispiel bei den Kindern und Jugendlichen. Dieser Gefahr immer neuer Wellen können wir nur mit einem hohen Impfniveau begegnen. Ich bin kein Fan der Impfpflicht, aber sie ist leider nötig.

Sie glauben also nicht, dass sich noch viele Menschen durch Argumente überzeugen lassen.
Wir werden mit aufsuchenden Impfangeboten und intensiver Aufklärung sicherlich noch Menschen erreichen können. Aber nach den vielen Monaten der Überzeugungsarbeit oder zumindest der Versuche, bin ich auch einigermaßen desillusioniert. Es gibt eine ganz große Mehrheit der Gesellschaft, die mit einem sehr klaren Blick einverstanden ist mit den Maßnahmen, aus eigener Einsicht. Und es gibt eine Minderheit, die schottet sich immer mehr ab, die ist für Argumente gar nicht mehr offen. Die ist nicht mehr interessiert an Fakten. Grundsätzlich: Wir leben in einem freien Land und jeder soll seine Meinung haben. In diesem speziellen Fall ist aber die Meinung des einen das Risiko des anderen. Wenn die Gruppe der Ungeimpften zu groß bleibt, dann ist das permanent ein latentes Risiko für alle anderen. Und das ist einfach nicht akzeptabel.

Befürchten Sie nach einer Impfpflicht eine noch größere Radikalisierung?
Das ist sehr schwer abzuschätzen. Wir wissen natürlich aus der Geschichte, dass sich aus größeren Protestbewegungen immer noch radikalere Zweige entwickelt haben. Und bei den momentanen Protesten ist sehr offensichtlich, dass Personen mit rechtsextremen Überzeugungen wirklich beide Füße mit drin haben. Insofern müssen wir an der Stelle sehr achtsam sein. Es ist gut, wenn die Verfassungsschutzbehörden genau hinsehen und beispielsweise auch die Netzaktivitäten sehr sorgfältig überprüfen.

Also mehr Überwachung?
Mehr Vorsicht. Ich bin ein Anhänger einer wehrhaften Demokratie. Wir wollen ein freies Land sein, das gilt es dann auch zu schützen. Olaf Scholz hat mal gesagt, er sei liberal, aber nicht blöd. Das bringt es für mich ganz gut auf den Punkt.
     ● Interview: Lars Kompa

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Tonträger im Februar

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Tonträger im Februar


Animal Collective: Time Skiffs
Der neuste Streich der New Yorker Band nach dem 2016er Album „Painting With“, deren Mitglieder sich hinter Pseudonymem wie Panda Bear oder Geologist verbergen, ist in etwa gleichen Teilen zugänglich wie verschroben. Von kompliziert bis hymnisch und verspielt sind die neun Songs Fanmaterial für Freunde leicht verkopfter, experimenteller, psychedelischer Popmusik.

 

 

 

 

 

The Diasonics: Origin of Forms
„Husaren-Funk“ nennt die Moskauer Band, einer der jüngsten Neuzugänge der russischen Instrumental-Funk-Szene, ihre cineastischen Instrumentalstücke, die Psychedelia, Hip-Hop-Rhythmen und osteuropäische Klangfarben vereinen. Fest verwurzelt in den späten 60er und frühen 70er Jahren, haben die fünf hoch talentierten Musiker ihr Debüt auf einem japanischen 8-Kanal-Tonbandgerät aufgenommen.

 

 

 

 

 

Beirut: Artifacts
Eine Songsammlung der US-amerikanischen Folkband um den in Berlin lebenden Sänger und Multiinstrumentalisten Zach Cordon, der die Blasmusik vom Balkan entdeckte, als er in seiner Jugend durch Europa reiste. Aus der Zusammenstellung remasterter Tracks einiger früher EPs wurde hier eine regelrechte Retrospektive mit 17 bisher unveröffentlichten Songs gemacht, die die Entwicklung der Band nachzeichnet.

 

 

 

 

 

The Jazz Butcher: The Highest In The Land
Zeitlos guten Indie-Folk-Pop machen Pat Fish und Max Eider, die sich als The Jazz Butcher, gegründet 1982 in Oxford, immer mal wieder auflösen wollten und doch immer weitergemacht haben. Ein letztes, sehr unaufgeregtes, unaufdringlich schönes Zeugnis davon ist „The Highest In The Land“. Im Oktober ist Pat Fish im Alter von nur 64 Jahren verstorben.

 

 

 

 

 

Silvershark: Burn To Boogie
Was kommt dabei heraus, wenn inmitten des alles beherrschenden C-Frusts der Mucker und Kadavar-Soundmann Steve Burner seine Berliner Freunde von Coogans Bluff, Elder, S.U.G.A.R., Heat, Kadavar, Wucan und Vug ins Studio einlädt? 10 extrem gut gelaunte Songs zwischen Soul, Funk, Yacht Rock und 70er Disco mit elegantem Hüftschwung und viel Spaß beim Raten, welcher Sound da jetzt von wem stammt.

 

 

 

 

 

Tara Nome Doyle: Værmin
Nach „Alchemy“ von 2020 das zweite Album der in Berlin-Kreuzberg lebenden Künstlerin mit irisch-norwegischen Wurzeln, die erneut zeigt, dass die vielleicht schönsten schmerzvollen Lieder, die es zur Zeit zu hören gibt, aus ihrer Feder stammen. Getragen werden sie von Doyles Gesang, den sie meisterhaft zwischen exaltiert-übersüßter Kopf- und schroffer Bruststimme flattern lässt.

 

 

 

 

 

Saitün: Al’Azif
Klingt türkisch, kommt aber aus der Schweiz: Gelangweilt von den Grenzen westlicher Rock-Musik tauchen die vier Basler mit ihrem Debütalbum tief in die Möglichkeiten der Weltmusik ein und hinterfragen gängige musikalische Strukturen und Konventionen. Diese Vielfalt aus Genres und kulturellen Identitäten verweben die Musiker in ein psychedelisch-verspieltes musikalisches Feuerwerk. Der Albumtitel bezieht sich auf das fiktive Werk Al’ Azif, das aus der Feder des ebenfalls fiktiven Lyrikers Abdul Alhazred stammt, der um das Jahr 700 v. Chr. im Jemen gelebt haben soll. Whatever! Das orientalisch-rockige Amalgam der Band mäandert treibend und mit wunderbar melodiösem Gesang nebst Rap-Einlagen durch die Wüste, angefeuert von einer wohldosierten Prise Pathos und nicht frei von Härte. Das Allerschönste: Das Album hält die Spannung bis zum letzten Song.

 

 

Jan Verstraeten: Violent Disco
Ein Album voller kühner Melodien und raffinierter orchestraler Arrangements eines jungen Belgiers, der 2018 schlagartig aus dem Nichts aufzutauchen schien. Zwei Jahre nach seinem vielbeachteten Low-Budget EP-Debüt „Cheap Dreams“ greift Jan Verstraeten, der sich rasant als einer der vielversprechendsten neuen Namen der belgischen Musiklandschaft etablieren konnte, in die Vollen. Auf „Violent Disco“ verknüpft er orchestral-breitwandigen Kammerpop mit Funk und Soul, dargeboten mit seiner schwer zu vergleichenden, intensiv bis kratzig klingenden Soulstimme. Während Verstraeten „Violent Disco“ zunächst als direkte Fortsetzung seiner EP geplant hatte, begann er mit den plötzlichen Veränderungen durch die Pandemie verzweifelt nach musikalischen Abenteuern zu suchen: „During the pandemic I slowly turned into a hungry beast, desperately looking for adventure and excitement.“
  

 ● Annika Bachem

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Ombelle – Hochwertige Naturkosmetik, die duftet wie ein Sommertag in Frankreich

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Ombelle – Hochwertige Naturkosmetik, die duftet wie ein Sommertag in Frankreich


Christian-BehrenCécile Morice ist am Atlantik aufgewachsen und liebt bis heute die raue Schönheit der bretonischen Küste. Mittlerweile lebt die gebürtige Französin in Hannover, doch den Duft ihrer Heimat fängt sie auch hier ein mit ihrer hochwertigen Naturkosmetik, die sie unter dem eigenen Label „Ombelle“ vertreibt. Sie entwickelt und produziert ihre Cremes, Lippenbalsame und Seifen nach eigenen Rezepturen in ihrem Labor in Hannover-Linden.   

Cécile erzählt von ihrem Traum: „Schon als kleines Mädchen habe ich meine Liebe zur Kosmetik entdeckt und viel mit den Cremes meiner Mutter gespielt. Aus diesem Spiel ist eine Leidenschaft entstanden, die ich später zu meinem Beruf gemacht habe. Nach einer Ausbildung zur staatlich geprüften Kosmetikerin und über 15 Jahren Erfahrung in der Naturkosmetikbranche habe ich meinen Traum in die Tat umgesetzt und mit ‚Ombelle‘ mein eigenes Unternehmen gegründet. ‚Ombelle‘ steht für die sonnenschirmförmigen Blüten der Agapanthus, die in der Bretagne häufig vorkommt und den schönen Beinamen ‚Fleur d’Amour‘ trägt. Wie ein Sonnenschirm sollen meine Produkte die Haut schützen und natürlich pflegen. Ich habe mit ‚Ombelle‘ von Beginn an das Ziel verfolgt, die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten und für die Haut so viele positive Effekte wie möglich zu erreichen. Und das alles mit einer Prise Leichtigkeit, Charme und Glamour.“
Das Besondere an ihren Produkten und hervorstechendstes Merkmal ist der Duft: Das verwendete Naturparfüm stammt aus Südfrankreich und ist zu 100 Prozent natürlichen Ursprungs. Die endgültige Mischung für die einzelnen Produkte entsteht erst vor Ort in Hannover. Hinzu kommt Blütenwachs, das nicht nur gut riecht, sondern auch pflegt. Céciles Produkte basieren auf afrikanischer Shea- oder Kpangnanbutter und kommen ohne Wasser aus. Hier wird auf Emulgatoren, Stabilisatoren, Füllstoffe, synthetische Konservierungsstoffe und anderes komplett verzichtet, sodass die Haut nicht gestresst wird und somit die wertvollen Inhaltsstoffe unverdünnt aufnehmen kann. Die Inhaltsstoffe selbst stammen aus kontrolliert-biologischem Anbau und/oder Fair-Trade-Projekten und sind ECOCERT oder COSMOS zertifiziert. Die bewusste Herstellerin verfolgt die gesamte Lieferkette und vermeidet lange Transportwege. Alle Verpackungsmaterialien sind recycelbar, Glastiegel und Metalldeckel werden in Frankreich hergestellt. Sie erreichen Hannover in Papier und Pappe verpackt und werden auch genauso wieder versendet. Der mitgelieferte Nussbaumspachtel stammt aus Deutschland und ist unbehandelt. Er wird von Menschen mit Behinderung in einer Berliner Werkstatt von Hand gefertigt – jeder Spatel ist ein Unikat, worauf die Macher*innen sehr stolz sind.
In Richtung anderer Gründungsinteressierter äußert sich die ‚Ombelle‘-Gründerin mutmachend: „Wer einen Traum hat, sollte daran festhalten und sich nicht beirren lassen. Du weißt, was du kannst. Und für das, was du nicht kannst, hol dir Hilfe. Fragen stellen, Meinungen einholen ist wichtig. Denn nur so bekommt man auch ein Gefühl dafür, ob das Produkt am Markt ankommt. Ich bin froh, dass ich hannoverimpuls an meiner Seite habe. Hier bekomme ich immer wieder wertvolle Tipps und Informationen. Über das Netzwerk war ich auch Teil des Pop-up-Stores ,Fashion Born in Hannover‘ vom kreHtiv Netzwerk e.V., das hilft, um meine Produkte noch bekannter zu machen.“
 Foto: Christian-Behren                ● Jona Daum

 

Ombelle
Cécile Morice
Deisterstr. 26
30449 Hannover
Tel. (0511) 45 93 07 10
cecile@ombelle.bio
www.ombelle.bio

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