Ein letztes Wort im Februar …

weilHerr Weil, wir müssen über den 19. Dezember sprechen. Der Anschlag in Berlin war ein Schock.
Ja, natürlich. Das war ein Schock. Es war der erste Anschlag dieser Art in Deutschland. Aber letztlich ist in Berlin genau das passiert, was Experten schon seit langer Zeit vorhergesagt hatten. Der Terrorismus hat bereits in ganz Europa seine Spuren hinterlassen, jetzt ist er auch in Deutschland angekommen. Und trotz aller Warnungen hat uns der Anschlag tief erschüttert.

Wie bewerten Sie denn die politischen Reaktionen?
Seit dem 19. Dezember 2016 erleben wir eine sich selbst überschlagende Sicherheitsdiskussion, bis heute. Man kann keine absolute Sicherheit garantieren und das wissen auch die Bürgerinnen und Bürger. Viele Menschen reagieren inzwischen ablehnend darauf, wenn zusätzliche Sicherheit simuliert, aber nicht wirklich geschaffen wird. Der Anschlag in Berlin hätte vermutlich verhindert werden können, wenn alle Informationen, die die Behörden hatten, angemessen bewertet und die richtigen Schlussfolgerungen gezogen worden wären. Die Sicherheitsbehörden müssen sehr viele Sachverhalte ähnlicher Art beurteilen, dabei geschehen naturgemäß Fehler. Wir müssen sehr kritisch prüfen, ob schärfere Gesetze einen solchen Anschlag hätten verhindern können. Die aufgeregte Diskussion hat für mich fast skurrile Züge. Und ich fürchte, das ist ein Konjunkturprogramm für die AfD.

Nach meinen Eindrücken vom letzten CDU-Parteitag würde ich fast sagen, es ist auch ein Konjunkturprogramm für die Union. Die rückt momentan deutlich nach rechts. Würden Sie das auch so sehen?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wohin die CDU momentan rückt. Augenblicklich überschlagen sich alle mit neuen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen, gelegentlich ohne Sinn und Verstand. Aber man ist sich darüber innerhalb der Partei nicht einig. Es tobt ein heftiger Richtungskampf in der Union. Die freundlichen Wintergrüße, die beispielsweise Herr de Maizière der CSU auf die Klausurtagung geschickt hat, mit der Forderung nach einer Zentralisierung der sogenannten Sicherheitsarchitektur in Deutschland, waren kein besonders freundlicher Akt gegenüber der Schwesterpartei. Menschen, die ohnehin schon verunsichert sind, fühlen sich durch eine solche politische Diskussion in ihrer Unsicherheit leider bestätigt.

Die Diskussionen machen es also nicht besser.
Nein, im Gegenteil. So schafft man kein Vertrauen. Und gerade beim Thema Sicherheitspolitik wissen die Menschen ziemlich genau zu unterscheiden zwischen einer symbolischen Politik und einer Politik, die tatsächlich etwas bringt. In Niedersachsen arbeiten wir beispielsweise stetig daran, die Zahl der Polizeibeamten zu erhöhen. Wir haben bereits einen historischen Höchststand, den wir in den nächsten Jahren weiter ausbauen werden. Das ist reale Politik, Menschen zum Anfassen, die durch ihre Anwesenheit auf der Straße für Sicherheit sorgen. Die Präsenz von mehr Polizei kann das Sicherheitsgefühl der Menschen erhöhen, das wissen wir aus vielen Umfragen.

Noch mal kurz zur CDU und zum Parteitag. Es gab dort ja auch den Beschluss zum Doppelpass, mit dem Angela Merkel nicht einverstanden war. Wobei sie selbst mit dem Burka-Verbot für Stimmung gesorgt hat. Wenn Sie so einen Parteitag verfolgen, und bei solchen Aussagen und Beschlüssen wird gejubelt, was geht Ihnen dann durch den Kopf? Haben Sie dabei ein gutes Gefühl, dass das momentan der Koalitionspartner der SPD ist?
Nein, natürlich hatte ich dabei kein gutes Gefühl. Es handelte sich schlicht um den Versuch der Parteiführung, sich wieder der Parteibasis anzunähern. Die CDU ist intern gespalten: Die vergleichsweise weltoffene Politik der Kanzlerin stößt an der eigenen Basis auf heftigen Widerstand. Hinzu kommt noch der offene Streit zwischen CDU und CSU. Der Hausfrieden ist heftig gestört. Aber wenn man nun auf diese Art und Weise mit untauglichen Mitteln versucht, zu kitten, sorgt man unterm Strich nur dafür, dass die Verunsicherung in der Gesellschaft noch größer wird. Und das nutzt am Ende nicht der CDU, das nutzt am Ende allenfalls der AfD.

Lassen sich die etablierten Parteien, auch die SPD, zu sehr treiben von „Volkes Stimme“ – denn es ist ja eigentlich eine Minderheit, die rechte Stimmung macht?
Ja, das ist nur eine Minderheit. Aber Sorgen um unsere Sicherheit sind schon verbreitet in der Bevölkerung. Man darf von einem Staat erwarten, dass er alles tut, damit wir uns so sicher wie möglich fühlen können.

Und jeder neue Anschlag ist dann wieder Wasser auf die Mühlen der Rechten, denn wenn man vorher Sicherheit verspricht, sie dann aber offensichtlich doch nicht garantieren kann, verlieren die Bürger immer mehr das Vertrauen.
Ja. Man muss wirklich achtsam diskutieren und genau überlegen, was tatsächlich Sinn macht. Da hilft übrigens ein Blick nach Frankreich. Sicherheitspolitisch haben sie dort viele Möglichkeiten, einschließlich eines nun Monate andauernden Ausnahmezustands. Aber kein Mensch würde behaupten, dass die Sicherheitslage deswegen in Frankreich besser wäre als in Deutschland.

Kommen wir noch mal zu den Wahlen in 2017. Jetzt im Januar, leider nach Redaktionsschluss, wird der Kandidat gekürt.
Ja, wenn Sie den Kanzlerkandidaten der SPD meinen, dann steht das Ende Januar an.

Und Sie werden es nicht.
Nein. Eine Exklusivnachricht für das Stadtkind.

Schade eigentlich. Ich würde ja gerne nach Berlin kommen einmal im Monat.
Ja, aber wir werden uns ganz sicher weiter in Hannover treffen.

Und wann kommt die SPD mit dem Profil um die Ecke?
Ich hoffe, sehr schnell, wenn der Kandidat feststeht. Und das halte ich auch für dringend notwendig, darüber hatten wir uns ja bei unserem letzten Gespräch unterhalten.

Wenn eine Volkspartei merklich nach rechts rückt und die Gesellschaft möglicherweise ebenfalls, muss dann nicht die andere Volkspartei in die Gegenrichtung steuern. Und jetzt zum Beispiel mal auf die Grünen und die Linken zugehen und sagen, komm, wir müssen mal an einen Tisch, die Zeiten sind zu ernst für Spielchen.
Ich würde da eine andere Schlussfolgerung ziehen. Wenn die Union jetzt nach rechts rückt, dann macht sie damit auch Platz in der Mitte. Dort finden sich nach wie vor Menschen, die großen Wert darauf legen, dass Politik rational und vernünftig bleibt. Wir brauchen nicht postfaktische, sondern Realpolitik. Das ist die Chance für die SPD. Und ich würde empfehlen, diese Chance zu nutzen.

Interview: Lars Kompa


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