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Am Küchentisch: mit Chiara Pareo – Staatsoper Hannover

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Am Küchentisch: mit Chiara Pareo – Staatsoper Hannover


immer wieder sitzen wir am Küchentisch zum Gespräch mit Menschen aus Hannover’s Kulturszene, wiederkehrend auch mit den wunderbaren Menschen an der Staatsoper Hannover, die uns jeweils einen spannenden Einblick geben hinter die Kulissen und einen Blick hinter die großen Vorhänge.
Dies Beiträge findet Ihr stets in unserer Print-Ausgabe und ab und zu auch online hier 🙂

Chiara Pareo ist gebürtige Italienerin. Sie erhielt ihre Tanz-Ausbildung an der Associazione Scuola di Danza Maria Taglioni in Crotone und an der Scuola del Balletto di Toscana in Florenz. Ihre ersten professionellen Erfahrungen sammelte sie am Junior Balletto di Toscana. Dort tanzte sie in den Produktionen „Giselle“ von Eugenio Scigliano und „Romeo e Giulietta“ von Davide Bombana. Seit der Spielzeit 2017/18 ist sie Mitglied des Staatsballett Hannover, wo sie in Choreografien von Jörg Mannes zu sehen war. Mit Beginn der Spielzeit 2019/20 tanzt sie in der Compagnie von Marco Goecke. Zu erleben war sie seitdem unter anderem in „Prélude“ (Medhi Walerski), „Rise“ (Emrecan Tanis), „Kosmos“ (Andonis Foniadakis) und in den Choreografien von Ballettdirektor Marco Goecke.

Halb Deutschland liegt derzeit mit Erkältung, Grippe oder Corona flach. Wie geht es dir? Wie hältst du dich als Tänzerin – gerade wo ihr in einer großen Gruppe auch körperlich sehr eng zusammenarbeitet – gesund?

Mir geht es gut. Ich bin zwar ein bisschen müde, weil es gerade viel zu tun gibt, aber es geht mir gut! Ich würde sagen, wir Tänzer:innen sind die gesündesten Menschen von allen. Unsere Körper sind stark, wir nutzen sie jeden Tag. Aber wir sind auch sehr vorsichtig: Wir achten auf unsere Ernährung, auf unseren Schlaf und ziehen uns warm an. Wir sind eine große Gruppe, aber wir haben nicht so viel Kontakt nach außen. Es fühlt sich wie eine Familie an. Wenn eine Person krank ist, sind wir alle krank.

Du sagst, ihr bleibt eher unter euch und habt nicht so viel Kontakte außerhalb der Compagnie. Findest du das gut oder ist es dir manchmal zu viel?

Ein bisschen von beidem. Ich mag die Interaktion mit meinen Kolleg:innen. Natürlich bin ich mit einigen enger befreundet als mit anderen. Manchmal vermisse ich aber jemanden, der nicht in der Tanzwelt unterwegs ist. Mein Freund ist zwar nicht Teil der Compagnie, aber auch Tänzer. Das ist schön, weil er mich genau versteht. Aber manchmal hätte ich auch gerne jemanden, mit dem ich zum Beispiel über Zahlen sprechen könnte … (lacht)

Oder mit dem du ausgiebig kochen könntest? Was ist dein „Comfort-Food“?

Das kann ich mit meinem Freund sehr gut. Ich liebe es zu kochen. Ich habe ein sehr spezifisches Lieblingsessen: Karotten und Hummus. Ich esse das jeden Tag, snacke es, während ich koche. Seit zwei Jahren ernähre ich mich ausschließlich pflanzenbasiert. Na ja, fast ausschließlich. Ich mache ganz kleine Ausnahmen für Käse, auf den ich einfach nicht verzichten kann.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass eine vegane Ernährung und Leistungssport nicht zusammenpassen …

Mein Körper ist dankbar für diese Diät. Ich fühle mich viel besser als vorher. Proteine bekomme ich über Gemüse und Hülsenfrüchte. Ich nehme ein paar Vitamine, zum Beispiel B12. Aber ich fühle mich gut! Mein Körper fühlt sich nicht mehr so schwer an. Von meinen Eltern habe ich zu Weihnachten ein veganes Kochbuch geschenkt bekommen. Und jetzt bin ich am Experimentieren, das macht mir großen Spaß.

Welche Musik läuft, wenn du kochst?

Ich mag jede Art Musik. Mein Freund stellt die Playlist zusammen. Wir können mit den Charts anfangen und bei Techno landen. Ich mag wirklich alles!

Ihr bereitet euch gerade auf die nächste Premiere vor. Der Titel des dreiteiligen Ballettabends „Glaube – Liebe – Hoffnung“ vereint drei sehr große und bedeutungsschwere Wörter miteinander. Für was stehen sie?

Ich verbinde sie mit positiven Aspekten und Gefühlen des Lebens. Und alle drei stehen für mich auch für die Zukunft. Ohne sie ist eine Zukunft nicht möglich. Gerade in der aktuellen gesellschaftlichen Situation sind es drei wichtige Wörter.

M I L K“, „Sway“ und „Hello Earth“ heißen die drei Choreografien. In welcher tanzt du?

Ich tanze alle drei Stücke. In der Premiere werde ich aber nur in „M I L K“ zu sehen sein. Es ist toll mit allen drei Choreografen zusammenzuarbeiten, ich kann dabei viel lernen. Guillaume Hulots Tanzstil ist eher klassisch, Marco Goeckes sehr klar und Medhi Walerskis sanft. Es kann aber auch vorkommen, dass ich an einem Abend alle drei Stücke tanzen werde.

Ist das eine besondere Herausforderung?

Wenn du einmal alles verinnerlicht hast – es spürst – dann hast du es und es ist kein Problem. Tanzt du nur ein Stück ist das fast schade, weil du so viel Adrenalin hast. Bei drei Choreografien kannst du dich steigern. Die zweite wird besser als die erste, die dritte besser als die zweite.

Der Abend startet mit einer Uraufführung. Kannst du uns etwas zu „M I L K“ sagen?

Guillaume hat Marco während seiner Zeit in Stuttgart kennengelernt. Wir kennen ihn daher schon bein bisschen und es gab gleich ein Gefühl der Verbundenheit zwischen uns. Für ihn ist diese Neukreation eine große Sache, wir wollen alles für ihn geben. In dem Stück geht es um seine Beziehung zu seiner Mutter und generell das Muttersein. Die beiden hatte keine gute Beziehung, jetzt, wo beide älter werden, nähern sie sich an. Er hat einen Sommer mit ihr verbracht und viel mit ihr gesprochen. Seine Choreografien beinhalten viele klassische Bewegungen, sein Stil ist sehr ästhetisch. Aber es wird auch darum gehen, bestimmte Positionen zu zerstören … Sehr cool ist, dass wir mit einem Modedesigner zusammenarbeiten. Marvin M’toumo dekonstruiert mit seiner Arbeit das binäre System, Gender und Nacktheit.

Du hast bereits ein Stück von Medhi Walerski getanzt. Jetzt zeigt ihr seine Choreografie „Sway“. Wie würdest du seine Tanzsprache beschreiben?

Medhis Stücke sind alle meditativ. So würde ich es zumindest beschreiben. In seinen Stücken zu tanzen, heißt, wirklich komplett in das Stück einzutauchen. Wir müssen viel zählen, viele Bewegungen wiederholen. Alles ist sehr strategisch. Dabei aber ruhig. Du bist auf der Bühne, zählst und nach einer Weile fühlst du, dass du nicht mehr „außen“ bist, sondern „innen“. Das ist schwer zu erklären. Es ist ein bisschen wie Meditation. Auf einmal fühlt es sich natürlich an und du weißt genau, was du tun musst. Da entsteht eine besondere Energie.

Die Musik zu seiner Arbeit ist besonders. Der junge belgische Sounddesigner Adrien Cronet hat eigens eine Komposition für Walerskis Stück erarbeitet. Inwiefern passt sie zur Choreografie?

Sie besteht hauptsächlich aus Beats, die perfekt zur Choreografie passen. Wenn in der Musik eine Explosion zu hören ist, dann sieht man die auch in der Bewegung oder in der Struktur des Stücks. Man merkt, dass die Musik zeitgleich in Zusammenarbeit mit der Choreografie entstanden ist. Es passt einfach.

Wenn man „Hello Earth“ von Marco Goecke in eine Suchmaschine tippt, tauchen Fotos auf, die ein ganz besonderes Ausstattungsmerkmal zeigen. Genuss bekommt eine ganz konkrete Bedeutung. Erzähl mal, wovon spreche ich? Was wird das Publikum erleben?

Es ist ein älteres Stück von 2013. Man sieht einen anderen Marco als heute, das ist spannend. Es gibt Soli, die sehr schwer zu tanzen sind. Marcos Tanzstil fühlt sich inzwischen nach zuhause an, er ist in unseren Körpern, aber trotzdem herausfordernd. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Popcorn auf der Bühne sein wird. Ja, richtiges Popcorn. Es ist ein bisschen tricky, weil wir das vorher nicht wirklich proben können. Im Ballettsaal frage ich mich manchmal, wie das auf dem ungewohnten Untergrund funktionieren wird. Das ist spannend. Es geht Marco um eine Betrachtung unserer begrenzten Zeit auf Erden. Vom All blickt er hinunter auf die Menschen. Wir wollen unser Leben sinnvoll gestalten, es bei aller Schwere aber auch versüßen.

Nicht viele Tänzer:innen sind beim Wechsel von Jörg Mannes auf Marco Goecke geblieben. Du schon …

Ich weiß nicht genau, was Marco in mir gesehen hat. Ich war sehr jung, ich war gerade mal 19. Aber ich erinnere mich noch genau an den Moment während des Castings. Er hat einfach auf mich gezeigt. Ich wusste, dass das entweder ein sehr schlechtes oder ein sehr gutes Zeichen ist. Eigentlich wollte ich gehen, aber dann habe ich erfahren, dass Marco nach Hannover kommt und dann wollte ich bleiben. Er ist ein Genie! Seine Art zu arbeiten, habe ich noch nie erlebt. Das ist unglaublich. Ich habe gehofft, dass er mich nimmt.

Wenn ich dein strahlendes Gesicht sehe, bereust du diese Entscheidung nicht?

Nein, gar nicht. Ich habe mich als Tänzerin seitdem sehr verändert. Das ist verrückt. Ich war damals auf einem ganz anderen Weg. Und jetzt tanzen wir hier Repertoire auf Weltniveau. Das sollen die Menschen ruhig wissen. Neulich war ich im Kino. Im Film ging es um einen Profikoch, der frustriert war, weil seine Gäste sein Essen nicht verstanden haben. Ich habe mich darin ein bisschen wiedererkannt. Er hatte die besten Zutaten, die besten Mitarbeitenden, aber die Menschen erinnerten sich nach ihrem Besuch nicht einmal mehr daran, was sie gegessen hatten. Wir tanzen hier das Beste, das es in der Tanzszene gibt, arbeiten hart, um unser Niveau zu halten. Manchmal aber bleibt der Saal leer oder wir werden missverstanden. Aber ich liebe meinen Job trotzdem!

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Das Leben als Profitänzerin ist sehr intensiv. Wenn ich dann nicht mehr tanze – ich bin dann 36 Jahre alt –, habe ich vielleicht ein kleines veganes Café in Italien. Ich möchte etwas „Entschleunigtes“ machen.
Dieses Jahr möchte ich das erste Mal bei „All you can dance“ mitmachen und meine erste eigene Choreografie präsentieren. Bisher habe ich noch nichts in diese Richtung gemacht, aber ich habe eine starke Idee im Kopf. Die möchte ich im Sommer umsetzen und das Choreografieren ausprobieren.

Aber erstmal steht jetzt im Februar der Opernball vor der Tür. Das Staatsballett ist auch dabei, was ist geplant?

Wir haben schon erste Proben gehabt. Die gesamte Compagnie wird auftreten. Es war für uns nicht ganz so leicht zu hören, dass wir erst um Mitternacht tanzen werden. Für unsere Körper ist das nicht so gut, normalerweise sind wir dann schon in der Ruhephase. Da müssen wir noch gucken, wie wir das hinbekommen.
Aber die Choreografie wird nicht allzu lang sein, das wird schon gut werden. Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz so euphorisch wie vor Corona und denke, dass ich eher zu denen gehören werde, die früh ins Bett gehen. Aber trotzdem werde ich auf der Bühne alles geben. Es sind ein paar Schritte dabei, die an lateinamerikanische Tänze erinnern, passend zum Motto. Aber natürlich bleibt es Marcos Tanzsprache. Und wie immer steckt eine tiefere Bedeutung dahinter.

Vera Barner

Glaube – Liebe – Hoffnung“ feiert am 11. Februar Premiere im Opernhaus.
https://staatstheater-hannover.de/de_DE/programm-staatsoper/glaube-liebe-hoffnung.1326060

Fotocredit: Ralf Mohr

BU: „Marco Goeckes Tanzstil fühlt sich inzwischen wie zuhause an … er ist ein Genie.“ Chiara Pareo in „A Wilde Story“

 

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