Ein letztes Wort im Juli…

Herr Weil, lassen Sie uns mal über dieses Video von Rezo sprechen. Haben Sie sich das angesehen? Und falls ja, was haben Sie dazu für eine Meinung?
Ja, ich habe mir das angesehen und ich finde, es ist erstens gut gemacht. Und zweitens ist die Kritik im Kern berechtigt, denn es ist ja weiß Gott nicht alles Gold was glänzt in Deutschland. Da muss man auch gar nicht groß drumherum reden. Das Video ist sicherlich eine zugespitzte Darstellung, aber die Probleme, die Rezo anspricht, die sind alle da. Einige der beschriebenen Probleme aber sind sehr komplex. Das sagt Rezo nicht, aber das muss er auch nicht sagen in so einem Video. Worüber ich mich geärgert habe, das waren teilweise die Äußerungen der 70 You-Tuber, die Rezo im Anschluss unterstützend zur Seite gesprungen sind. Da wurden an manchen Stellen CDU und SPD mit der AfD in einen Topf geworfen. Das fand ich voll daneben.

Ich fand ganz beeindruckend, was Rezo da so alles zusammengetragen hat, aber vor allem, dass er für alles Belege angeführt hat.
Ja, da steckt Arbeit drin, gar keine Frage. Das war gut gemacht.

Die Kritik, dass er zwar den Finger in viele Wunden legt, aber auch keine Lösungen parat hat, habe ich jetzt schon öfter gehört.
Das muss ich aber von einem You-Tuber auch nicht erwarten. Lösungen zu entwickeln, das wäre Aufgabe der Politik. Was Rezo beispielsweise anspricht, das ist die Sorge um den Klimawandel. Das treibt viele junge Menschen freitags auf die Straße – Stichwort Fridays for Future. Die jungen Leute sagen: „Macht mal voran!“ Diese Forderung ist unbestreitbar berechtigt. Wir sind zu langsam, es geschieht zu wenig. Das ist übrigens kein angenehmes Feedback für die Älteren, wenn sie sich von den Jüngeren anhören müssen, dass es tatsächlich zu wenig Fortschritte gegeben hat. Aber man muss sich auch klar machen, und das betone ich immer in den Diskussionen, die ich mit Schülerinnen und Schülern habe, dass wir es mit einem sehr großen Umbau der Mobilität und der Energieversorgung zu tun haben. Das ist ein sehr komplexer Prozess, das geht nicht von heute auf morgen, sondern muss schrittweise geschehen. Aber auch dafür braucht es einen Plan. Ich finde den Druck, der jetzt durch diese Demonstrationen aufgebaut wird, deswegen richtig und auch hilfreich. Denn jetzt muss die Politik sich tatsächlich mehr bewegen als bis jetzt geschehen ist.

Es ist ein positiver Druck?
Absolut! Man darf sich nur nichts vormachen über die Größe der Aufgabe. Nehmen Sie zum Beispiel den Umbau in der Automobilindustrie weg von Verbrennungsmotoren und hin zu CO2-Neutralität. Sehr schwierig, auch nicht ohne Risiken. Und mit gesellschaftlichen Begleiterscheinungen, über die man nicht gerne redet. Wenn in Hannover-Stöcken das Werk elektrifiziert wird, dann gibt es hinterher ein paar tausend Arbeitsplätze weniger als vorher. Das muss man einfach auch sagen und damit umgehen.

Hilft dieser Druck vielleicht auch an anderer Stelle? Ich denke zum Beispiel an den Ausbau der Stromtrassen, da gibt es ja immer wieder massive Bürgerproteste. Auch beim Ausbau der Windenergie.
Ja, wir haben es teilweise mit einer ausgeprägten Nimby-Mentalität zu tun. „Not in my backyard!“ Bei Windparks, bei Stromtrassen, eigentlich überall. Und ja, vielleicht hilft es, wenn die Jugend andere Akzente setzt. Das wäre jedenfalls der Energiewende zu wünschen.

Sie haben insgesamt also nicht nur Verständnis für die Schülerinnen und Schüler, sondern freuen sich auch über den Druck, der sich damit aufbaut?
Ja, ich verstehe die jungen Leute sehr gut, sie wollen einfach eine lebenswerte Zukunft haben, und sie haben den Eindruck, dass ein fundamentaler Wandel droht. Diese Bedrohung ist sehr real. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Und ich fühle mich insofern unterstützt, weil wir uns in Niedersachsen seit vielen Jahren dafür einsetzen, dass wir beispielsweise im Bereich der Energiepolitik schneller und konsequenter vorankommen. Aber es gibt massive Blockaden in den Apparaten und auch in der Politik. Da ist Druck von außen sicher hilfreich.

Das dicke Brett wird ein bisschen dünner …
Ja. Aber die Widerstände sind nach wie vor groß. Gerade neulich stand wieder mal eine Stellungnahme einiger Politiker der Union in der Zeitung, die sinngemäß gesagt haben: „Lasst das mal bleiben mit dem Umbau, lasst diesen Quatsch am besten sein.“ Das ist in manchen Kreisen leider eine noch immer verbreitete Meinung. Diese Ignoranz und Verweigerungshaltung hat in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass wir beispielsweise bei der Energiewende nur in Trippelschritten vorankommen. Wir hatten bei der Windenergie im ersten Quartal 2019 einen um 90 Prozent geringeren Ausbau als vor einem Jahr zur selben Zeit. 90 Prozent weniger! Man bekommt fast den Eindruck, dass sich die tatsächlichen Entwicklungen umgekehrt proportional zu der öffentlichen Diskussion verhalten.

Im Video von Rezo ist auch der Ausstieg aus der Braunkohle ein Thema. Und er fragt, warum man sich in dieser Branche um die Arbeitsplätze Sorgen macht und einen sehr späten Ausstieg 2038 beschließt, während in den vergangenen Jahren in der Solarenergiebranche tausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind.
Da muss man ein bisschen genauer hinschauen: Erstens geht der größte Teil der Kohlekraftwerke schon sehr viel früher vom Netz . Da wird manchmal der falsche Eindruck vermittelt, dass die Braunkohle erst 2038 angefasst wird. Das stimmt nicht. Nur die letzten Kraftwerke werden erst 2038 abgeschaltet. Und wenn ich darauf in den letzten Wochen in Schulen kritisch angesprochen worden bin, habe ich immer gesagt: Stellt euch vor, in der Lausitz zu wohnen, und mit eurer Familie komplett abhängig zu sein von dieser Branche. Hat diese Region, haben die Menschen dort nicht eine Chance verdient, sich umzustellen? Ich finde das erstens fair gegenüber der Bevölkerung dort und ich finde das auch wichtig für den Klimaschutz. Klimaschutz braucht eine breite Zustimmung in der Gesellschaft und mit einem harten Abbruch gefährdet man diese Zustimmung. Die Kritik an der zu langsamen Energiewende dagegen, die ist sehr berechtigt. Das viel zu langsame Vorgehen hat in der Tat zu einem Wegfall vieler Arbeitsplätze in der Solarenergiebranche und in der Windenergiebranche geführt. Im Moment machen wir bei den erneuerbaren Energien kaum Fortschritte und ich hoffe sehr, dass sich das jetzt in den kommenden Monaten ändert. Insofern bin gerne dabei, wenn es darum geht, den Druck zu erhöhen.

Ich habe den Eindruck, dass die Schülerinnen und Schüler harte Schnitte einfordern und auch bereit sind, stellenweise in sehr saure Äpfel zu beißen. Sie fragen, um wie viele Menschen es bei der Braunkohle geht. Und ob die so wichtig sind, wenn es auf der anderen Seite um die Zukunft aller Menschen geht. Sie wollen dieses Umsteuern schneller und radikaler und ohne eine vielleicht falsche Rücksichtnahme.
Schneller und konsequenter finde ich richtig. Aber Vorsicht an der Bahnsteigkante, wenn es um berechtigte Belange von Betroffenen geht. Die CO2-Steuer in Frankreich war beispielsweise richtig schlecht gemacht. Das hat die Gelbwesten-Proteste ausgelöst. Solche Proteste sind auch in Deutschland durchaus möglich, denn es ist beileibe nicht so, dass alle Leute bereit wären, ganz persönlich erhebliche Abstriche zu machen. Und manche können das auch gar nicht, weil sie beispielsweise auf dem Land leben und mit einem alten Auto pendeln müssen. Oder sie haben eine alte Ölheizung und kein Geld für eine neue. Man ist wirklich gut beraten, sich mit berechtigten Belangen von Betroffenen auseinanderzusetzen und sie nicht einfach zu ignorieren. Also, ich sehe diesen Kohlekompromiss deutlich positiver. Und ich finde den schrittweisen Ausstieg auch im Sinne des Klimaschutzes vertretbar. Es ist nur sehr bedauerlich, dass wir gleichzeitig bei der Energiewende derart vor uns hinstolpern. Das beides zusammen ergibt dann natürlich kein gutes Bild.

Nehmen wir noch mal zum Ende ein anderes Thema, das Rezo anspricht, das ist die Schere zwischen Arm und Reich. Können Sie verstehen, dass sich in Deutschland viele abgehängt fühlen und ist das nicht tatsächlich auch ein Ergebnis der Regierungsarbeit der letzten Dekaden?
Ja, die Statistiken sprechen da leider eine ganz klare Sprache. Die Reichen sind immer reicher geworden. Die Armen vielleicht nicht noch ärmer, aber die Schere ist sicher noch größer geworden. Ich bin dafür, dass man an die riesigen Einkommen rangeht. Vermögenssteuer ist ein Stichwort, dafür liegt aber bis heute aus meiner Sicht kein wirklich praktikabler Vorschlag auf dem Tisch, wie man das halbwegs verfassungsgemäß und ohne ausufernde Bürokratie umsetzen könnte. Aber ich halte es zum Beispiel seit Langem für richtig, den Spitzensteuersatz zu erhöhen und diese Mittel zu nutzen, um insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten. Das würde den einen sehr helfen und die anderen würden es nicht sonderlich spüren. Aber auch dafür braucht es politische Mehrheiten.


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