Ein letztes Wort im November

Herr Weil, als wir vor einigen Monaten über die SPD und Olaf Scholz gesprochen haben, waren Sie ausgesprochen optimistisch – und ich habe sehr gezweifelt. Und mich gefragt, woher Sie bloß diesen Optimismus nehmen. Jetzt ist Olaf Scholz schon beinahe Bundeskanzler. Verraten Sie mir Ihren Trick? Wo haben Sie die Glaskugel versteckt?
Ein Trick war´s nicht und Prophet bin ich auch nicht. Eines war mir allerdings klar: Je näher die Wahl kommt, desto mehr werden die Wählerinnen und Wähler realisieren, dass die Ära Merkel im Kanzleramt endet. Und dass dann entscheidend sein wird, wem die Bürgerinnen und Bürger dieses wichtige Amt zutrauen und dass Olaf Scholz dafür die richtige Kragenweite hat. Damit lag ich offensichtlich nicht ganz falsch.

Sie haben von Anfang an Olaf Scholz für die genau richtige Wahl gehalten und die SPD nie abgeschrieben. Ich hatte – ehrlich gesagt – schon einen Haken dran gemacht und nach der Nominierung von Olaf Scholz erst recht. Was ist da passiert in den vergangenen Monaten?
Nun, die SPD hatte den richtigen Kandidaten und den hat sie auch geschlossen unterstützt. Am Ende des Tages muss man aber ehrlicherweise auch sagen: Die Fehler der politischen Mitbewerberinnen und Mitbewerber haben sicherlich ebenfalls ihren Teil zum Wahlerfolg der SPD und vor allem von Olaf Scholz beigetragen.

Die Grünen und die CDU haben stellenweise ziemlich mies performt …
Das stimmt und hat mich echt überrascht. Dass die CDU einmal die früheren Fehler der SPD locker überbieten wird, hätte wohl keiner für möglich gehalten. Zerstritten, keine inhaltliche Profilierung und offensichtlich der falsche Kandidat. Bei den Grünen waren es wohl am Ende auch zu viele Stolperfehler. Aber nur durch die Fehler der anderen gewinnt man keine Wahlen. Olaf Scholz und die SPD haben deutlich besser geschafft, Vertrauen in sehr instabilen Zeiten zu vermitteln.

Die CDU hat auf der Zielgeraden heftig verloren. Hat sich damit die Parteienlandschaft in Deutschland nun nachhaltig verändert?
Wir wissen schon seit langem, dass die Parteibindungen nicht mehr so stark sind und es immer mehr Wählerinnen und Wähler gibt, die sich kurzfristig entscheiden, bei wem sie ihr Kreuz machen. Beim Lied auf das Ende der Volksparteien stimme ich allerdings nicht laut mit ein – die SPD jedenfalls hat den Anspruch, möglichst viele Interessen des Volkes zu vereinen und zu vertreten. Das gilt sicher auch für die CDU. Und wir haben parallel zur Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern gesehen, dass die SPD mit Manuela Schwesig fast 40 Prozent der Stimmen erreicht hat. Für eine stabile Demokratie ist es meines Erachtens auch sehr wichtig, dass es Parteien gibt, die nicht nur auf die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen oder auf einzelne Themenbereiche ausgerichtet sind.

Was geht Ihnen so durch den Kopf, wenn Sie sehen, was in der CDU/CSU momentan passiert.
Als Sozialdemokrat kenne ich aus leidvoller Erfahrung in den vergangenen Jahren, was in der Union derzeit passiert. Deshalb glaube ich auch, dass die internen Kämpfe in der Union noch länger dauern werden. Mit einer neuen Parteiführung ist das nicht getan.

Kommen wir mal zu dem, was jetzt ansteht. Aus meiner Sicht haben wir es in Deutschland ja insgesamt mit einem Nimb-Problem zu tun – Not in my backyard. Oder sagen wir Sankt-Florian-Prinzip. Die Leute wollen z.B. Klimaschutz, das alles soll aber möglichst nichts kosten und auch nicht zu anstrengend sein. Und wer das Wort „Verzicht“ in den Mund nimmt, hat schon verloren. Nach der Regierungsbildung ist es höchste Zeit für ein paar unangenehme Wahrheiten, oder?
Die Karten liegen doch schon länger auf dem Tisch. Wir wollen den Atomausstieg, wir wollen den Kohleausstieg, aber irgendwo muss der Strom herkommen – und damit meine ich nicht importierten Atomstrom aus Frankreich. Für die Energiewende brauchen wir mehr Windräder und mehr Leitungen. Wir kommen derzeit nur sehr langsam voran, weil buchstäblich jedes Vorhaben auf Protest und Ablehnung stößt. Wir müssen wesentlich schneller und unkomplizierter werden.

Momentan, Mitte Oktober, laufen die schwierigen Verhandlungen in Berlin. Und Stand heute ist eine Ampel sehr wahrscheinlich. Gibt es Punkte, die Ihnen besonders wichtig sind?
Es gibt vor allem eine gewaltige zentrale Herausforderung für die neue Bundesregierung: Sie muss den Wandel hin zu einer klimafreundlichen Industrieproduktion, zu einer emissionsarmen Mobilität etc. gestalten und steuern – ohne dass dabei große soziale und wirtschaftliche Schieflagen entstehen. Das ist eine Mammutaufgabe.

Gibt es für Sie persönlich rote Linien Richtung FDP?
Grundsätzlich ist niemand gut beraten, bei Verhandlungen viele rote Linien zu ziehen – einige schwierige Punkte sind ja bereits im Rahmen der Sondierung ausgeräumt worden, wie beispielsweise die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Aber insgesamt liegt noch viel Arbeit an, bis die neue Regierung steht.

Ein ganz zentrales Thema ist die Energiewende. Dass Sie ein Drehbuch vermissen, einen klugen Masterplan, das sagen Sie schon seit einigen Jahren. Haben Sie Hoffnung, dass dieser Wurf jetzt endlich gelingen kann?
Er muss gelingen, alles andere wäre fatal. Ich bin allerdings auch optimistisch, denn SPD, Grüne und FDP sind jeweils für einen Aufbruch angetreten. Wenn es gelingt, die Idee von einer Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlichem Erfolg und ökologischer Verantwortung in konkreten Vorhaben zu übersetzen, wird es ein sehr interessantes Programm zur Modernisierung Deutschlands insgesamt werden.

Können Sie mit ein paar Sätzen umreißen, was aus Ihrer Sicht passieren muss in Sachen Energiewende?
Das kann ich in einem Satz auf den Punkt bringen: Wir brauchen vor allem sehr viel mehr Erneuerbare Energie und das sehr, sehr schnell.

Werden Sie in Berlin mitreden bei diesem Thema? Und werden Sie auch bei anderen Themen mitreden?
Niedersachsen sitzt sicherlich mit am Tisch. Als Windenergieland Nr.1 mit starker Industrie und Landwirtschaft sehen wir große Herausforderungen, aber vor allem auch große Chancen für die Entwicklung unseres Landes. Und dafür werden wir uns sehr engagieren.

                      ● Interview: Lars Kompa


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