Ein letztes Wort im Februar

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, wir haben zuletzt darüber gesprochen, was bei langen Nachtsitzungen in Berlin so herauskommt. Sie haben die Kürzungspläne schon einen Tag nach der sogenannten Einigung im Dezember sehr kritisch kommentiert. Inzwischen ist die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge wieder vom Tisch und beim Agrardiesel kommen die Streichungen auch nicht von jetzt auf gleich. Erklären Sie mir mal, warum die Bauern danach noch auf die Straße gegangen sind. War die Ampel noch nicht genug eingeknickt?
Da gibt es eine Geschichte hinter der Geschichte. Man konnte sich ja tatsächlich fragen, als es nur noch um den Agrardiesel ging, ob diese große Protestwelle eigentlich verhältnismäßig war. Aber wir sprechen über Prozesse, die schon länger als 20 Jahre laufen. Die Landwirte fühlen sich in einer Sandwich-Situation. Auf der einen Seite haben wir in unserer Gesellschaft immer höhere Erwartungen an unsere Landwirtschaft entwickelt. Und ganz oft enden die auf der Silbe -schutz: Umweltschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz, Naturschutz usw. Und bei den Bäuerinnen und Bauern gab es dazu durchaus einen Lernprozess. Viele waren und sind bereit, diese Erwartungen möglichst zu erfüllen. Aber sie sagen eben auch, dass die Gesellschaft gleichermaßen anerkennen muss, dass sie mit ihren Betrieben Teil eines größeren internationalen Marktes sind. Sie können nicht selbst über ihre Erzeugerpreise bestimmen, das tun leider andere. Diese Sandwich-Situation ist ein strukturelles Problem in der Landwirtschaft. Und jetzt fordern sie schlicht Planungssicherheit. Und stellen eine berechtigte Frage: Wenn wir mehr leisten sollen – okay. Aber wie sollen wir dafür entsprechend das Geld verdienen? Gibt es dazu Perspektiven und Ideen? Sie fordern außerdem Verlässlichkeit in der Politik. Sie machen Stallumbauten und werden wenig später mit neuen und schärferen Anforderungen konfrontiert. Das ist natürlich problematisch bis existenzgefährdend. An dieser Stelle haben die Bauern ausdrücklich Recht. Das ist nur ein Beispiel. Sehr viel ist in den vergangenen zwanzig Jahren schlecht gelaufen. Und die drohenden Kürzungen waren jetzt einfach der berühmte Tropfen.

Beim Thema Landwirtschaft liegen also viele Fragen ungelöst seit zwanzig Jahren auf dem Tisch. Und man hat das bisher weitgehend ignoriert, obwohl die Kreuze ja schon seit einigen Jahren auf den Äckern stehen und auf die Situation der Betriebe hinweisen.
Ja, diese grünen Kreuze sieht man auch in Niedersachsen häufig. Viele niedersächsische Dörfer hatten früher fünf oder sechs Vollerwerbshöfe. Heute finden Sie in ganz vielen Dörfern nur noch einen größeren Betrieb, der die gesamte Fläche bewirtschaftet. Es gab über viele Jahre hinweg diese, wie ich finde, verhängnisvolle Strategie: Wachsen oder Weichen. Damit hat sich die Landwirtschaft deutlich verändert. Und jetzt sind es vor allem die übrigen, kleinen und mittleren Betriebe, die nicht wissen, wie sie ihre Zukunft planen sollen. Darum haben auch viele Kinder von Landwirten ihre Zweifel, ob sie den Betrieb übernehmen möchten. Und das ist für die Eltern schwer. Viele sitzen seit etlichen Generationen auf derselben Hofstelle. Und noch etwas hält die nachwachsenden Generationen ab: Es geschieht nicht selten, dass die Landwirtschaft als Umweltsünderin diskreditiert wird. Ohne dass gesellschaftlich anerkannt wäre, dass dort harte und verantwortungsvolle Arbeit geleistet wird.

Ein Problem ist der Handel. Die Preise sind einfach viel zu niedrig, oder?
Ja. Und problematisch ist auch, dass man gar nicht weiß, wo die Zutaten für die Produkte herkommen. Wenn Sie zum Beispiel Nudeln oder Fertiggerichte kaufen und es sind darin Eier verarbeitet, dann wissen Sie nicht, woher diese stammen und unter welchen Bedingungen die Hühner gehalten werden. Da kommt die internationale Konkurrenz ins Spiel. Viele Bauern empfinden den Markt als unfair, und da ist eine Menge dran. Es gibt politischen Handlungsbedarf. Und dazu: Wenn die Gesellschaft mehr Forderungen an die Landwirte hat, dann muss sie auch bereit sein, selbst mehr zu leisten, also mehr zu bezahlen. Tierwohl hat einen konkreten Preis. Tatsächlich ist es aber so, dass am Wochenende an der Fleischtheke im Supermarkt dann doch das Sonderangebot nachgefragt wird. Zu Spottpreisen.

Was müsste denn dringend passieren?
Es gibt gute Vorschläge, zum Beispiel von der Borchert-Kommission zur Tierhaltung. Das sind alles keine neuen Erkenntnisse. Trotzdem gibt es keine entsprechenden Entscheidungen. Und genau das macht die Bäuerinnen und Bauern zunehmend wütend. Bei den jüngsten Beschlüssen war es nun so, dass sich alle gewachsenen Vorbehalte gegenüber der Politik voll bestätigt haben. Niemand hat vorher mit den Landwirten geredet, es wurden einfach Entscheidungen getroffen. Und auch die Rücknahme von Entscheidungen fand nicht statt auf der Basis eines Gesprächs, sondern wiederum einseitig. Ich finde, man kann daraus eine Menge lernen.

Ich finde, man hätte schon längst etwas lernen können. Beziehungsweise hätte man es wissen müssen. Ich habe wirklich gegrübelt, wie man als Ampel eigentlich noch mehr ins offene Messer laufen kann, so richtig mit Ansage. Gibt es da keine Berater*innen?
Es ist ja bekannt, dass da ein sehr kleiner Kreis zusammengesessen hat. Bei dem beispielsweise der Bundeslandwirtschaftsminister nicht involviert war. Er hat klar gesagt, dass er dringend abgeraten hätte. Aber das ist jetzt vergossene Milch, um im Bild zu bleiben.

Wenn ich mir die vergangenen Jahre ansehe, mit all den Landwirtschaftsminister*innen der CSU/CDU, von Seehofer bis Klöckner, dann habe ich in Erinnerung, dass es eher eine Allianz gab mit den Landwirten. Die Stoßrichtung war immer eher zukunftsabgewandt. Bloß keine Veränderungen.
Nun, es gab in Berlin auch große Bauerndemos gegen die Politik von Klöckner und anderen. Sicherlich waren vor zehn Jahren noch weniger Landwirte veränderungsbereit. Aber die Landwirte wissen heute genau, dass es Entwicklungen geben muss. Sie erleben ja den Klimawandel hautnah, Stichwort Dürresommer. Veränderungen sind unumgänglich. Und das haben die Landwirte auch beim Tierwohl längst erkannt. Ich habe mal während eines eintägigen Praktikums auf einem großen Milchviehhof festgestellt, dass man sich sehr gut um die Tiere gekümmert hat. Und der Eigentümer hat das auch begründet. Wenn es den Tieren gutgehe, dann gehe es auch ihm gut, weil die Tiere so höhere Erträge brächten.

Wobei es auf der anderen Seite auch schon viele Skandale gab, und nach wie vor viel Mist passiert in der Landwirtschaft, um auch im Bild zu bleiben.
Ja, wobei man deshalb nicht immer eine ganze Branche in Mithaftung nehmen sollte. Und es hat sich auch viel getan. Heute sehen wir beispielsweise Freiluftställe mit Melkrobotern. Die Kühe können sich frei bewegen und selbst bestimmen, wann sie gemolken werden.

Wenn ich auf das Thema Landwirtschaft blicke, dann entdecke ich eine Parallele zu anderen Themen, die wir in Deutschland haben. Die Probleme sind schon Jahre bekannt, aber Lösungen gibt es nicht. Bei der Bildung, beim Verkehr, beim Wohnungsbau, bei der Gesundheit und Pflege, beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Liste ist lang. Die Versäumnisse sind stellenweise atemberaubend. Und dann blicke ich auf die Performance der Ampel und auf die Bereitschaft der einzelnen Akteure, konstruktiv miteinander zu arbeiten. Und was ich sehe, lässt mich ratlos zurück. Haben Sie Hoffnung, dass sich das demnächst noch mal positiv dreht?
Da würde ich zuerst gerne ein bisschen Wein in das von Ihnen dargebotene Wasser gießen. Erstens gab es noch keine Regierung, die so viel mit von außen kommenden Krisen zu tun hatte, vom ersten Tag an. Zweitens sind viele der Strukturprobleme, die Sie eben genannt haben, wesentlich älter als die Ampel. Sie werden nur jetzt immer offensichtlicher. Diese Strukturprobleme, die über Jahre gewachsen sind, lassen sich leider nicht von heute auf morgen lösen. Eine schnelle Reparatur ist einfach nicht realistisch. Und drittens leben in unserer Gesellschaft viele, viele Menschen unter ziemlich auskömmlichen Bedingungen. Nicht alle, das will ich ausdrücklich dazusagen. Aber wenn man sich anschaut, wie unsere Großeltern gelebt haben und wie Menschen in vielen anderen Teilen der Welt leben, dann kann schon feststellen, dass heute bei uns nicht alles schlecht ist.

Okay, es ist nicht alles schlecht.
Na, immerhin.

Aber trotzdem …
Das war ja auch nur die Vorbemerkung zu Ihrer Vorbemerkung. Generell muss Politik die Probleme anpacken und lösen, völlig klar. Ich finde, dass sich die Ampel erstens das Leben selbst sehr schwer macht, weil sie in vielen Fällen durchaus vernünftige Arbeit geleistet hat und weiterhin leistet. Leider bekommt das nur vor lauter öffentlichem Streit kaum noch jemand mit. Zweitens würde ich es sehr begrüßen, wenn man realistische Ziele kommunizieren würde. Sonst weckt man Erwartungen, die einfach nicht zu erfüllen sind. Und drittens wünsche ich mir, dass sich die demokratischen Kräfte in Deutschland jetzt miteinander verständigen und die Reihen schließen. Das ist vielleicht sogar das Wichtigste, angesichts der Entwicklungen um die AfD.

Interview: Lars Kompa


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