Ein letztes Wort im Juli

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, wir haben das Thema bei unseren letzten Gesprächen schon zwangsläufig gestreift – die AfD liegt momentan bei fast 20 Prozent. Über dieses Thema würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten, und zwar auch und gerade als SPD-Landesvorsitzender und nicht primär als Ministerpräsident. Erleben wir in Deutschland jetzt eine ähnliche Entwicklung wie in Italien, Schweden oder Polen?

Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass etwa zwei Drittel derjenigen, die jetzt angeben, die AfD wählen zu wollen, das nicht aus besonderer Sympathie zur AfD tun würden und auch nicht, weil sie sich von der AfD Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen erwarten. Nein, sie wollen in erster Linie ihren Protest gegenüber der aktuellen Politik ausdrücken. Die richtige Antwort auf solche Umfragewerte ist also vor allem eine Politik, die Sicherheit und Vertrauen schafft. Das gilt ganz generell, aber im Moment besonders. Diese Herausforderung gab es bereits bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr. Damals ist es uns zwar leider nicht gelungen, die AfD aus dem Landtag herauszuhalten, aber mit elf Prozent sind die Bäume eben auch nicht in den Himmel gewachsen. Das ist nach wie vor überall in Deutschland möglich, davon bin ich überzeugt. Eine Entwicklung wie in den von Ihnen genannten anderen Ländern ist alles andere als zwangsläufig. Das hängt von der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der demokratischen Parteien ab und von denjenigen, die in diesem Land Verantwortung tragen.

Insbesondere im Osten Deutschlands sind die Zustimmungswerte teilweise noch deutlich höher. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das fällt mir schwer – ich bin ja nun wirklich ein Wessi und wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass ich als solcher nicht so tun sollte, als wäre ich Experte zu Fragen über Ostdeutschland. Bei ziemlich vielen Fragen stellen wir inzwischen fest, dass die Einstellungen der Westdeutschen und Ostdeutschen auseinanderdriften. Wenn man dagegen allein auf Kennziffern schaut, wie beispielsweise auf die Arbeitslosigkeit etc., dann gibt es nicht mehr die ganz großen Unterschiede. Und auch ansonsten haben sich die Lebensbedingungen im Osten in den letzten 33 Jahren sicherlich massiv verbessert. Gleichwohl ist die Stimmung dort offenkundig eine andere. Sicher spielen dabei die Erfahrungen seit der Einheit eine Rolle, aber so richtig erklären kann ich mir diese wachsende Distanz nicht.

Offenbar wird es immer salonfähiger, die AfD zu wählen.

Ja, ein Unterstützen der AfD verliert leider langsam den Status, anrüchig zu sein. Und in Thüringen ist das besonders besorgniserregend, weil man es dort mit der rechtsextremen Höcke-AfD zu tun hat.

Mich wundert diese „Normalisierung“ nicht, denn auch Politiker*innen anderer Parteien klingen zunehmend ganz ähnlich, der Sound wird rechter. Markus Söder ist da nur ein Beispiel. Ich sehe überall zunehmenden Populismus. Sie auch?

In der Tat neigen sowohl Markus Söder als auch Friedrich Merz mitunter zu populistischen Äußerungen. Da kann man aber nur dringend warnen. Es ist eine alte Erfahrung: Wer die Themen von politischen Gegnern stark macht, sollte nicht glauben, davon etwas zu haben. Am Ende wählen die Leute das Original.

Aus den Reihen der Ampel höre ich inzwischen gelegentlich auch recht absurde Einlassungen. Zum Beispiel von Seiten der FDP …

Vielleicht ist das aber gar nicht unbedingt Populismus. Ich habe nichts gegen lebhafte Diskussionen innerhalb einer Koalition, zumal wenn die Koalitionäre aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen. Und in einer Dreier-Koalition sind Einigungen deutlich schwieriger als in einer Zweier-Koalition. Differenzen müssen aber doch nicht in epischer Breite auf offener Bühne austragen werden. Das verunsichert viele Menschen und beschädigt das Vertrauen in die Politik.

Ich habe immer meine Probleme mit der Aussage, dass man die Sorgen und Ängste „der Menschen“ ernst nehmen müsse. Viele dieser Ängste sind irrational oder bewusst geschürt. Wie kann eine Berücksichtigung solcher Gefühle dann Ausgangspunkt für vernünftige politische Entscheidungen sein?

Man muss schon darauf schauen, was die Menschen umtreibt, die vor einem sitzen. Bürgerinnen und Bürger müssen den berechtigten Eindruck haben, dass sich die Politik um ‚ihre‘ Probleme kümmert. Es gibt oft keine einfachen Lösungen und auch das muss dann erklärt werden. Überhaupt muss viel und geduldig begründet werden, gerade bei umstrittenen Themen. Das Heizungsgesetz zum Beispiel soll dem Klimaschutz dienen und ist erst einmal kein Beispiel für einen übergriffigen Staat.

Beim Thema Heizung gab es ja eine regelrechte Kampagne, der Heizungs-Hammer, befördert durch die BILD, Populismus pur.

Ja, das stimmt, aber da sind in der Kommunikation auch vorher viele Fehler gemacht worden. Statt Medienschelte zu betreiben, würde ich mir eher die Frage stellen, wie es passieren konnte, dass ein so wichtiges Thema angegangen wurde, ohne diejenigen zu beteiligen, die die Umsetzung sicherstellen müssen, wie etwa Wärmepumpen-Hersteller oder Handwerksbetriebe. Das hat die Diskussion von Anfang an belastet.

Wenn ich jemanden treffe, der kompletten Unsinn erzählt, faktisch falsch, dazu vielleicht noch rassistisch und/oder sexistisch, dann sage ich dem, dass ich nicht mit ihm diskutieren kann, weil seine Basis verquer ist. Trotzdem mit solchen Menschen zu sprechen, zu diskutieren, halte ich inzwischen für ziemlich nutzlos. Man gibt den meist nur gefühlten Wahrheiten so womöglich nur mehr Gewicht …

Ich wäre da sehr vorsichtig, denn es ist ausgesprochen fragwürdig, jemandem zu sagen, dass er oder sie falsch fühlt. Etwas was Sie oder ich nicht als Problem wahrnehmen, kann von anderen sehr wohl als problematisch empfunden werden. Ich mache ja seit vielen Jahren öffentliche Bürgerversammlungen und habe gelernt, dass es wichtig ist, mit der Antwort da anzusetzen, wo die Fragestellenden sich befinden. Von da aus kann es dann argumentativ weitergehen. Das ist aber wesentlich erfolgreicher, wenn die Menschen zunächst den Eindruck haben, dass ich verstanden habe, um was es ihnen geht.

Gleichwohl haben Sie mir mal gesagt, im Zuge der Diskussionen um die Corona-Impfungen, dass wir sprechen und diskutieren können, wenn wir uns grundsätzlich einig sind, dass Corona eine lebensbedrohliche Krankheit ist. Sonst gäbe es keine Basis.

Ja, aber dennoch gebe ich mir überall dort, wo es nicht um plumpe Schuldzuweisungen oder Beschimpfungen geht, Mühe, auf die Leute einzugehen. Wenn sie aus meiner Sicht falsch liegen, versuche ich, ihnen das auf eine vernünftige Art und Weise zu vermitteln.

Wenn jemand sagt, es gibt den Klimawandel nicht und falls doch, ist er jedenfalls nicht menschengemacht …

Da kann man dann in der Tat nicht mehr vernünftig diskutieren, der Klimawandel ist Realität, die Erkenntnisse der Wissenschaft lassen gar keinen anderen Schluss mehr zu.

Und trotzdem bekommen solche Klimawandel-Leugner immer wieder eine Bühne. Neulich saßen bei Markus Lanz der Klimaforscher Prof. Mojib Latif und Steffen Kotré, energiepolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, nebeneinander. Und Steffen Kotré hat wirklich hanebüchenen Unsinn erzählt, völlig unhaltbares, dummes Zeug. Aber er hatte dort seinen Auftritt und wird einige Menschen erreicht haben. Muss man solchen Leuten diese Bühne geben?

Muss man nicht, kann man aber, das gehört zur Pressefreiheit dazu. Und vielleicht kann man aus solchen Talkshows Anregungen mitnehmen für vergleichbare Diskussionen im eigenen Umfeld.

Auf der anderen Seite haben wir dann das Problem der False Balance. Es scheint so, als säßen dort Gesprächspartner mit ähnlicher Expertise nebeneinander. Und das erzeugt völlig falsche Bilder und Eindrücke.

Ich habe auch schon öffentlich mit Leuten diskutiert, die aus meiner Sicht komplett auf dem falschen Dampfer waren. Dennoch hatte ich auch dann ziemlich oft den Eindruck, mich mit meinen Argumenten am Ende durchgesetzt zu haben. Aber solche Settings liegen in der Verantwortung der Medienmacher*innen. Und wäre es eine Alternative, bestimmte Themen und bestimmte Menschen gar nicht mehr zuzulassen? Würde man dann nicht gerade den Vorwurf dieser Leute bestätigen, ausgegrenzt zu werden? Menschen mit extremen, inakzeptablen Vorstellungen inszenieren sich ja gerne als politisch Geächtete, deren Meinung nicht gehört wird. Ich glaube, es ist besser, zu versuchen, diese Leute argumentativ zu stellen. Das ist gelegentlich anstrengend, aber das ist unsere Aufgabe.

Interview: Lars Kompa

 


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