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Politisches: nicht resignieren!

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Politisches: nicht resignieren!


Ein kurzer Blick auf die Umfragen zu den kommenden Europawahlen und Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen reicht aus, um festzustellen, dass die vielen Demonstrationen für unsere Demokratie, gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD bisher nicht viel gebracht haben. Nach wie vor sind die Umfragewerte hoch. Und nach den Demonstrationen hat es mancherorts sogar einen Zuwachs bei den Mitgliederzahlen der AfD gegeben. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Büchse der Pandora inzwischen weit geöffnet ist.
Und dass es keine Patentrezepte zu geben scheint. Ein Verbot jedenfalls würde wahrscheinlich langfristig eher zu einer Stärkung als zu einer Schwächung der neuen Rechten in Deutschland führen, denn mit einer Opfergeschichte kann man ja ganz wunderbar Stimmen einsammeln. Die AfD hat dann irgendwann einfach einen anderen Namen, aber was in den Köpfen der Menschen vorgeht, die sich politisch ganz nach rechts stellen, bleibt trotzdem brandgefährlich.
Wir sehen diesen fulminanten Rechtsruck nun also auch bei uns, ähnlich dem, was in einigen anderen europäischen Ländern bereits geschehen ist. Und natürlich redet man sich in den üblichen Talkshows darüber aktuell regelmäßig die Köpfe heiß. Was wäre ein probates Mittel, um die AfD wieder einzufangen? Da gehen die Meinungen weit auseinander. Die Ampel müsste sich mal eine Weile einig sein und geräuschlos regieren. Ja, das wäre was. Scheint aber eher utopisch. Was noch? Man müsste wieder mehr vor Ort an der Basis politisch aktiv sein und das Gespräch suchen. Klar, das wäre auch ein Weg. Dann mal los, ab auf die Marktplätze in Dresden, Gera, Suhl, Cottbus usw. Und viel Spaß. Dass sich für diese ehrenvolle Aufgabe viele Freiwillige finden werden, schein dann doch ein bisschen fraglich – weil die Einschüchterung, zumindest im Osten, vielerorts bereits ganz wunderbar funktioniert.
Was noch? Die CDU/CSU versucht es mit Stimmenfang am rechten Rand. Man bietet einfach ein bisschen AfD-light und hofft, dass die Leute nicht das Original wählen. Eine merkwürdige Logik, aber gut. Sie werden in ihrer unendlichen Weisheit sicher wissen, was sie tun. Ein bisschen Asylkritik hier und ein bisschen Leitkultur da, ein bisschen den Neid befeuern und für den Rest sorgt bestimmt der Liebe Gott. Obwohl, müsste diese Strategie sich nicht allmählich mal auszahlen? Sie zahlt sich aus, aber leider nur für die AfD. Und wenn SPD und FDP sich inzwischen leider ganz ähnlich der Union vor den AfD-Karren spannen lassen, bleiben eigentlich nur noch die Grünen übrig. Die man dann wunderbar kollektiv bashen kann, weil sie ja bekanntlich grenzenlose Zuwanderung fordern und ansonsten alles verbieten wollen. Klar.
Insgesamt ist das alles leider ein ziemliches Trauerspiel. Populismus, billige Taktiererei, es geht viel zu oft um die Partei und die politische Karriere und viel zu wenig um Deutschland. Und es ist durchaus nachvollziehbar, dass sich angesichts dieses politischen Betriebs viele Menschen ein bisschen genervt und resigniert abwenden. Leider gibt es dazu bereits eine Menge Menschen, die sich gar nicht erst abwenden müssen, weil sie Zeit ihres Lebens noch nie politisch interessiert waren. Resignation und Desinteresse, genau das stärkt die AfD am allermeisten.
Was wäre nun ein probates Mittel? Vielleicht ja doch ein andauernder Schulterschluss. Die Demonstrationen waren ein Anfang. Jetzt muss es darum gehen, nachhaltig immer aufs Neue laut zu widersprechen und keine Angst zu haben. Überall, an jedem Ort, auf der Arbeit, in der Freizeit. Es geht darum, genau hinzusehen und die echten Probleme zu identifizieren, es geht darum, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, es geht darum, nicht nachzuplappern, sondern sich selbst schlau zu machen – aber bitte nicht in den sogenannten alternativen Medien, es geht darum, den eigenen Verstand einzuschalten und laut zu sein. Es geht jetzt vor allem darum, mutig zu sein und unsere demokratischen Werte zu verteidigen. Das ist ein Marathon, ohne Frage. Und vielerorts scheint der Weg über demokratische Debatten bereits nachhaltig verbaut. Aber versuchen müssen wir es trotzdem, zumindest alle, die morgen noch freie, individuelle Entscheidungen treffen möchten.
Politik und Medien können dabei übrigens gleichermaßen unterstützen. Die Politik, indem sie sich insgesamt allmählich mal darauf besinnt, um was es eigentlich geht. Um Menschen, um Gerechtigkeit, um Menschlichkeit. Dazu passt zum Beispiel nicht, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Und die Politik kann noch viel mehr tun. Sie muss beispielsweise aufwachen, sie muss alles tun, um die Lügen und die Propaganda, die sich hier bei uns einnisten, zu entlarven. Wir müssen an dieser Stelle dringend ganz entschieden aufrüsten. Ich wünsche mir Troll-Fabriken wie in Russland, die aber lauter Fakten ins Netz spülen. Ich wünsche mir ganz viele Internet-Krieger, deren Waffe die Wahrheit ist.
Und die Medien? Die sollten sich bei allem Wettbewerb weiter ihrer Verantwortung bewusst sein. Was im Wettrennen um die besten Klickzahlen so fabriziert wird, hat mit Journalismus teilweise wirklich gar nichts mehr zu tun. Das geht so nicht. Öfter mal skeptisch in den Spiegel blicken. Hält man den Anblick noch aus? Nur so ein Vorschlag.

● POL

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Ein letztes Wort im Juli

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Ein letztes Wort im Juli


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, wir haben das Thema bei unseren letzten Gesprächen schon zwangsläufig gestreift – die AfD liegt momentan bei fast 20 Prozent. Über dieses Thema würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten, und zwar auch und gerade als SPD-Landesvorsitzender und nicht primär als Ministerpräsident. Erleben wir in Deutschland jetzt eine ähnliche Entwicklung wie in Italien, Schweden oder Polen?

Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass etwa zwei Drittel derjenigen, die jetzt angeben, die AfD wählen zu wollen, das nicht aus besonderer Sympathie zur AfD tun würden und auch nicht, weil sie sich von der AfD Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen erwarten. Nein, sie wollen in erster Linie ihren Protest gegenüber der aktuellen Politik ausdrücken. Die richtige Antwort auf solche Umfragewerte ist also vor allem eine Politik, die Sicherheit und Vertrauen schafft. Das gilt ganz generell, aber im Moment besonders. Diese Herausforderung gab es bereits bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr. Damals ist es uns zwar leider nicht gelungen, die AfD aus dem Landtag herauszuhalten, aber mit elf Prozent sind die Bäume eben auch nicht in den Himmel gewachsen. Das ist nach wie vor überall in Deutschland möglich, davon bin ich überzeugt. Eine Entwicklung wie in den von Ihnen genannten anderen Ländern ist alles andere als zwangsläufig. Das hängt von der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der demokratischen Parteien ab und von denjenigen, die in diesem Land Verantwortung tragen.

Insbesondere im Osten Deutschlands sind die Zustimmungswerte teilweise noch deutlich höher. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das fällt mir schwer – ich bin ja nun wirklich ein Wessi und wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass ich als solcher nicht so tun sollte, als wäre ich Experte zu Fragen über Ostdeutschland. Bei ziemlich vielen Fragen stellen wir inzwischen fest, dass die Einstellungen der Westdeutschen und Ostdeutschen auseinanderdriften. Wenn man dagegen allein auf Kennziffern schaut, wie beispielsweise auf die Arbeitslosigkeit etc., dann gibt es nicht mehr die ganz großen Unterschiede. Und auch ansonsten haben sich die Lebensbedingungen im Osten in den letzten 33 Jahren sicherlich massiv verbessert. Gleichwohl ist die Stimmung dort offenkundig eine andere. Sicher spielen dabei die Erfahrungen seit der Einheit eine Rolle, aber so richtig erklären kann ich mir diese wachsende Distanz nicht.

Offenbar wird es immer salonfähiger, die AfD zu wählen.

Ja, ein Unterstützen der AfD verliert leider langsam den Status, anrüchig zu sein. Und in Thüringen ist das besonders besorgniserregend, weil man es dort mit der rechtsextremen Höcke-AfD zu tun hat.

Mich wundert diese „Normalisierung“ nicht, denn auch Politiker*innen anderer Parteien klingen zunehmend ganz ähnlich, der Sound wird rechter. Markus Söder ist da nur ein Beispiel. Ich sehe überall zunehmenden Populismus. Sie auch?

In der Tat neigen sowohl Markus Söder als auch Friedrich Merz mitunter zu populistischen Äußerungen. Da kann man aber nur dringend warnen. Es ist eine alte Erfahrung: Wer die Themen von politischen Gegnern stark macht, sollte nicht glauben, davon etwas zu haben. Am Ende wählen die Leute das Original.

Aus den Reihen der Ampel höre ich inzwischen gelegentlich auch recht absurde Einlassungen. Zum Beispiel von Seiten der FDP …

Vielleicht ist das aber gar nicht unbedingt Populismus. Ich habe nichts gegen lebhafte Diskussionen innerhalb einer Koalition, zumal wenn die Koalitionäre aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen. Und in einer Dreier-Koalition sind Einigungen deutlich schwieriger als in einer Zweier-Koalition. Differenzen müssen aber doch nicht in epischer Breite auf offener Bühne austragen werden. Das verunsichert viele Menschen und beschädigt das Vertrauen in die Politik.

Ich habe immer meine Probleme mit der Aussage, dass man die Sorgen und Ängste „der Menschen“ ernst nehmen müsse. Viele dieser Ängste sind irrational oder bewusst geschürt. Wie kann eine Berücksichtigung solcher Gefühle dann Ausgangspunkt für vernünftige politische Entscheidungen sein?

Man muss schon darauf schauen, was die Menschen umtreibt, die vor einem sitzen. Bürgerinnen und Bürger müssen den berechtigten Eindruck haben, dass sich die Politik um ‚ihre‘ Probleme kümmert. Es gibt oft keine einfachen Lösungen und auch das muss dann erklärt werden. Überhaupt muss viel und geduldig begründet werden, gerade bei umstrittenen Themen. Das Heizungsgesetz zum Beispiel soll dem Klimaschutz dienen und ist erst einmal kein Beispiel für einen übergriffigen Staat.

Beim Thema Heizung gab es ja eine regelrechte Kampagne, der Heizungs-Hammer, befördert durch die BILD, Populismus pur.

Ja, das stimmt, aber da sind in der Kommunikation auch vorher viele Fehler gemacht worden. Statt Medienschelte zu betreiben, würde ich mir eher die Frage stellen, wie es passieren konnte, dass ein so wichtiges Thema angegangen wurde, ohne diejenigen zu beteiligen, die die Umsetzung sicherstellen müssen, wie etwa Wärmepumpen-Hersteller oder Handwerksbetriebe. Das hat die Diskussion von Anfang an belastet.

Wenn ich jemanden treffe, der kompletten Unsinn erzählt, faktisch falsch, dazu vielleicht noch rassistisch und/oder sexistisch, dann sage ich dem, dass ich nicht mit ihm diskutieren kann, weil seine Basis verquer ist. Trotzdem mit solchen Menschen zu sprechen, zu diskutieren, halte ich inzwischen für ziemlich nutzlos. Man gibt den meist nur gefühlten Wahrheiten so womöglich nur mehr Gewicht …

Ich wäre da sehr vorsichtig, denn es ist ausgesprochen fragwürdig, jemandem zu sagen, dass er oder sie falsch fühlt. Etwas was Sie oder ich nicht als Problem wahrnehmen, kann von anderen sehr wohl als problematisch empfunden werden. Ich mache ja seit vielen Jahren öffentliche Bürgerversammlungen und habe gelernt, dass es wichtig ist, mit der Antwort da anzusetzen, wo die Fragestellenden sich befinden. Von da aus kann es dann argumentativ weitergehen. Das ist aber wesentlich erfolgreicher, wenn die Menschen zunächst den Eindruck haben, dass ich verstanden habe, um was es ihnen geht.

Gleichwohl haben Sie mir mal gesagt, im Zuge der Diskussionen um die Corona-Impfungen, dass wir sprechen und diskutieren können, wenn wir uns grundsätzlich einig sind, dass Corona eine lebensbedrohliche Krankheit ist. Sonst gäbe es keine Basis.

Ja, aber dennoch gebe ich mir überall dort, wo es nicht um plumpe Schuldzuweisungen oder Beschimpfungen geht, Mühe, auf die Leute einzugehen. Wenn sie aus meiner Sicht falsch liegen, versuche ich, ihnen das auf eine vernünftige Art und Weise zu vermitteln.

Wenn jemand sagt, es gibt den Klimawandel nicht und falls doch, ist er jedenfalls nicht menschengemacht …

Da kann man dann in der Tat nicht mehr vernünftig diskutieren, der Klimawandel ist Realität, die Erkenntnisse der Wissenschaft lassen gar keinen anderen Schluss mehr zu.

Und trotzdem bekommen solche Klimawandel-Leugner immer wieder eine Bühne. Neulich saßen bei Markus Lanz der Klimaforscher Prof. Mojib Latif und Steffen Kotré, energiepolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, nebeneinander. Und Steffen Kotré hat wirklich hanebüchenen Unsinn erzählt, völlig unhaltbares, dummes Zeug. Aber er hatte dort seinen Auftritt und wird einige Menschen erreicht haben. Muss man solchen Leuten diese Bühne geben?

Muss man nicht, kann man aber, das gehört zur Pressefreiheit dazu. Und vielleicht kann man aus solchen Talkshows Anregungen mitnehmen für vergleichbare Diskussionen im eigenen Umfeld.

Auf der anderen Seite haben wir dann das Problem der False Balance. Es scheint so, als säßen dort Gesprächspartner mit ähnlicher Expertise nebeneinander. Und das erzeugt völlig falsche Bilder und Eindrücke.

Ich habe auch schon öffentlich mit Leuten diskutiert, die aus meiner Sicht komplett auf dem falschen Dampfer waren. Dennoch hatte ich auch dann ziemlich oft den Eindruck, mich mit meinen Argumenten am Ende durchgesetzt zu haben. Aber solche Settings liegen in der Verantwortung der Medienmacher*innen. Und wäre es eine Alternative, bestimmte Themen und bestimmte Menschen gar nicht mehr zuzulassen? Würde man dann nicht gerade den Vorwurf dieser Leute bestätigen, ausgegrenzt zu werden? Menschen mit extremen, inakzeptablen Vorstellungen inszenieren sich ja gerne als politisch Geächtete, deren Meinung nicht gehört wird. Ich glaube, es ist besser, zu versuchen, diese Leute argumentativ zu stellen. Das ist gelegentlich anstrengend, aber das ist unsere Aufgabe.

Interview: Lars Kompa

 

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