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Ein offener Brief an Heidi Klum

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Ein offener Brief an Heidi Klum


Liebe Heidi,
genial! Männer! Wie naheliegend. Da hätte man auch schon früher drauf kommen können. Aber klar, manchmal fällt der Groschen halt später. Passiert. Und alles braucht ja auch seine Zeit. So etwas muss sich entwickeln. So eine Show muss reifen und gleichzeitig mit der Zeit gehen, wenn sie groß bleiben will. Dann braucht es zwischendurch mehr Drama und mehr Diversity und Curvy Models und Best-Ager. Und jetzt kommen die Männer. Statt Curvy Models und Best-Agern, versteht sich. Man darf eine Show ja auch nicht überfrachten. Du weißt das. Du kennst dich aus. Du machst diese Show seit 2006. Du kennst alle Tricks. Und jetzt Männer! Kreisch! Genial! „Es sind heiße Boys dieses Jahr dabei.“

Wir baden geradezu in Vorfreude. Das wird die geilste Show ever. Weil ja jetzt noch Sex mit reinkommt. Irgendein Pärchen wird sich finden. Und irgendjemand wird eifersüchtig sein. Das kann man im Zweifel auch alles wunderbar skripten. Und vielleicht lässt du dich ja auch hinreißen, liebe Heidi, und kneifst im Vorbeigehen mal in den einen oder anderen Knackhintern. Warum nicht? Das wäre doch bestimmt ein quotenträchtiger Skandal. Und Tom würde es dir bestimmt nachsehen. Ihr müsst ja auch ein bisschen an die Kohle und an später denken. Aber vielleicht reicht es auch, wenn ein paar deiner Models übereinander herfallen.

Ob es wohl dazu kommen wird? In irgendeiner Besenkammer. Und dann: erwischt! Voll drauf die Kamera. So richtig Porno. Es wäre schon enttäuschend, wenn das nicht passiert. Klar, es wird auch ohne Sex wieder jede Menge Anlässe für ausgiebige Lästereien geben. All die schönen Gesichter werden sich zwischendurch verzerren zu hasserfüllten, eifersüchtigen, gierigen, neidischen Fratzen. Diese Show wird wieder all das Gute zeigen, was in uns Menschen steckt, aber eben auch all das Böse und Abgründige. Aber mit einer Prise Sex wäre das alles noch viel schöner, oder? Denk mal drüber nach, Heidi. Falls es nicht sowieso schon im Skript steht, dann los! Und vielleicht gelingt ja sogar der ganz große Coup. Sind eigentlich Kondome zugelassen? Böser Fehler. Wäre doch der Hammer, wenn nach der Staffel das erste GNTM-Baby geboren wird.

Hach, wir freuen uns! Diese Staffel wird bestimmt krass. Was man jetzt so alles anstellen könnte. Wie wäre es mit ein paar Anspielungen auf alte Vorwürfe. Die Models könnten sich beispielsweise gegenseitig die Füße mit Öl massieren. Das würde wahrscheinlich auch die Sex-Geschichte befördern. Und dann müssten sie alle danach auf den Laufsteg. Das wäre ein Spaß. Es braucht unbedingt ein paar vertrauensvolle Ansprechpersonen für die Models. Denen können sie dann verraten, wer wen heiß findet, und das können die vertrauensvollen Ansprechpersonen dann dem jeweils anderen stecken. Auf dass es richtig knacken möge. Und dann kommt das Nacktshooting. Wer braucht eigentlich Weihnachten, wenn demnächst so ein Fest vor der Tür steht. Die Mädels müssen dann die Jungs anmachen, sie müssen sich im Wasser räkeln und du wirst sie dabei anfeuern: „Mach ihn heiß mit deinem Blick!“ Ob da jemand eine Erektion bekommen wird? Das wäre im wahrsten Sinne des Wortes der Oberhammer!

Wir sind dir so dankbar, liebe Heidi. Man hat dich so sehr angefeindet in den vergangenen Jahren, du bist als herzloses, geldgeiles Monster diffamiert worden, aber du hast dich nicht beirren lassen. Du bist immer positiv geblieben und hast einfach weitergemacht. Um für uns die bestmögliche Unterhaltung zu kreieren. Und diese 19. Staffel schreit danach, in die Geschichte einzugehen. Männer! Genial!

Wir sind schon ganz gespannt, was du 2025 zur 20. Runde aus dem Hut zaubern wirst. Wie wäre es mit Menschen, die sechs Finger haben oder sechs Zehen? Oder warte, Menschen ganz ohne Haar. Die sehen dann alle aus wie Crashtest-Dummies. Oder vielleicht nur lesbische und schwule Models. Oder nur Models, die im Rollstuhl sitzen. Oder nur Schwarze Models. Oder Models, die einen Hund haben und dem möglichst ähnlich sehen. Oder warte, wie wäre es mit Schwarzen lesbischen oder schwulen Menschen, die sechs Finger oder sechs Zehen plus einen Hund haben und im Rollstuhl sitzen? Das wär’s doch. Vielleicht könnten das auch blinde Menschen sein. Und/oder taube Menschen. Oder du nimmst einfach wieder Männer. Vielleicht Männer, die in einem früheren Leben in Pornos mitgespielt haben. Und dazu werden dann endlich wieder 16-jährige Models zugelassen. Das war eh Altersdiskriminierung.

Ach egal, wir verlassen uns ganz auf dich. Du bist Miss Mastermind, dir wird schon was einfallen.

GAH

Foto: Melanie / Pixabay.com

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El Kurdis Kolumne im März: mein erstes Mal

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El Kurdis Kolumne im März: mein erstes Mal


Ich möchte nicht missverstanden werden: Poetry-Slam ist ein absolut begrüßenswertes Phänomen! Junge Menschen schreiben, lesen vor, hören zu – was will man mehr in Zeiten wie diesen, in denen 25 Prozent der deutschen Grundschüler*innen Probleme mit Buchstaben und Sätzen haben. Im Ranking der IGLU-Studie liegen wir damit nicht nur, wie zu erwarten war, hinter Hongkong, Norwegen, Dänemark und Singapur, sondern auch hinter Russland, Macau und Österreich!

Insofern: Gelobt sei die Jugend, die sich in der Kulturtechnik des Lesens und Schreibens übt, die Lyrik und Prosa produziert, die mit Worten spielt. Alles gut. Sicher, man fragt sich, warum alle Texte immer im gleichen künstlichen Slam-Singsang vorgetragen werden müssen, und wer diesen wann auf welcher Bühne erfunden hat – aber okay, genauso könnte man fragen, wieso circa 62,7 Prozent der Kulturwissenschaftsstudentinnen einen Micro-Pony kurz unterm Haaransatz tragen oder warum irgendwer glaubt, Süßkartoffel-Pommes wären ein guter Ersatz für Standard-Fritten. Oder gar ein kulinarischer Fortschritt.

Als ich anfing, auf Bühnen vorzulesen, war diese Form der Text-Darbietung noch nicht erfunden. Ich gehöre zur „Lost Generation“: Zu jung für „Social Beat“, zu alt für „Poetry Slam“. Ich bin quasi zwischen die Zeit-Sofapolster gerutscht. Wie schon zuvor, als ich zwischen die Fronten von Progrock und Punk geriet. Oder politisch in die Twilight-Zone zwischen K-Gruppen und Grüne. Nur für eine Sache befand ich mich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort: Für die Ausstrahlung einer Sitcom über einen abgestürzten Außerirdischen mit Katzenappetit. Das ist die einzige Generationen-Community, in die ich mich ohne Bedenken einordnen würde: Die „Generation ALF“. Weswegen ich in meinem Kopf bis heute vieles im Tonfall und mit der Stimme von Tommy Piper kommentiere. Aber darüber rede ich nur mit meiner Therapeutin.

Dennoch dachte ich vor einiger Zeit: Einmal muss ich das machen. Einmal in meinem Leben muss ich an einem Poetry-Slam teilnehmen. Also ging ich ins Kulturzentrum meines Vertrauens, ließ mich auf die Liste setzen und enterte den Backstagebereich. Als ich den Raum betrat, hörten alle auf zu reden und schauten mich an, als sei ich der Rektor, der unangekündigt im SV-Raum erscheint, um zu kontrollieren, ob da nicht vielleicht gekifft wird.

Ich sagte: „Hallo, ich bin Hartmut, ich lese heute auch.“ Die Gesichter entspannten sich. Die Gespräche wurden fortgesetzt. Um mich herum. Mit mir wurde nicht geredet. Vermutlich aus Respekt vor dem Alter. Vielleicht hatten sie auch Angst, ich würde Sütterlin oder Fraktur sprechen. Keine Ahnung. Irgendwann erbarmte sich eine junge Frau und sprach mich auf meine „Vintage-Freitag-Tasche“ an: „Die ist doch bestimmt 20 Jahre alt?“ In meinem Empfinden hatte ich sie mir erst vorgestern gekauft. Bei einem Basel-Besuch. Dann fiel mir ein, dass der Grund für den Besuch eine Lesung gewesen war, zu der mich mein Freund Mazze, damals Dramaturg am dortigen Stadttheater, eingeladen hatte. Es musste also 2002/2003 gewesen sein. „Ja, kommt ungefähr hin“, antworte ich. Sie nickte anerkennend. „Ey, wenn du die mal verkaufen willst …!“ – „Im Moment nicht, aber klar, dann sag ich Bescheid!“

Mein Auftritt rückte näher. Wahrscheinlich wirkte ich etwas nervös. Zumindest sprach mich ein anderer Teilnehmer – „Finn“, so Anfang zwanzig – freundlich und in vermutlich beruhigender Absicht an: „Bist Du aufgeregt? Ich hab Dich noch nie bei einem Slam gesehen“. – „Ist auch mein erster.“ – „Cool, neulich war ich bei einem Slam in Osnabrück, da war einer, der war siebzig oder so. Finde ich krass, wenn man das in dem Alter noch probiert.“ Ich nickte. Ich fands auch krass.

Ich zog meinen Text aus meiner „Vintage-Freitag-Tasche“. Finn zeigte auf die Blätter. „Ich mache meine Texte immer auswendig. Das würde ich dir auch empfehlen. Da ist man lockerer und viel freier.“ – „Nee klar“, sagte ich und beschloss meine Rolle als Senioren-Slammer noch auszubauen, „aber weißte, das Gedächtnis …“ – „Verstehe“, antwortete Finn „vorlesen geht natürlich auch“. Er gab mir dann noch ein paar Tipps für meine Performance, über den Umgang mit dem Publikum, den Sinn und Unsinn von Pausen und noch einiges mehr. Schließlich war er schon mindesten eineinhalb Jahre im Business. Ich bedankte mich höflich. Und dann ging ich auf die Bühne und las vor, wie ich eben so seit über 30 Jahren vorlese.

Ich wurde Vorletzter. Ich hätte mal lieber auf Finn – den souveränen Sieger des Abends – hören sollen.

 

Hartmut El Kurdi

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Editorial 2024-03

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Editorial 2024-03


Liebe Leser*innen,

der 8. März rückt näher, bald feiern wir den Internationalen Frauentag – wobei vielen Frauen nach feiern gar nicht so recht zumute sein dürfte. Wir werden die üblichen, kämpferischen Reden hören, darüber, dass alles dringend noch viel besser werden muss und dass sich nun aber wirklich alle demnächst die größte Mühe geben werden. Versprochen! Und am 9. März kehren wir dann alle gemeinsam zurück in die Realität.

Die sieht leider noch immer nicht wirklich gut aus. Im Gegenteil. Weltweit erleben wir derzeit in vielen Ländern eher ein Rollback. Von Gleichberechtigung weit und breit keine Spur, Frauen dürfen vielerorts gerne Mütter sein, gute Köchinnen und Putzfrauen, willige Dienerinnen, aber mehr auch nicht. Sie werden entrechtet, sie bekommen keinen Zugang zu Bildung und politischer Teilhabe, sie werden misshandelt, missbraucht und umgebracht. Keine guten Voraussetzungen für eine Party am 8. März.

Und wir müssen gar nicht über den Iran sprechen, über Afghanistan, über die vielen Länder, in denen Frauen Menschen zweiter Klasse sind. Wir können in Deutschland bleiben. Denn auch bei uns ist nach wie vor sehr viel im Argen. Frauen werden noch immer für die gleiche Leistung schlechter bezahlt, Frauen werden als Unternehmerinnen nicht ernst genommen, Frauen wird gerne mal der berufliche Aufstieg in höhere Positionen verwehrt, wenn Frauen Kinder bekommen, leidet meistens die Karriere und unterm Strich sind sie häufig sehr allein mit allen damit verbundenen Aufgaben. Frauen werden diskriminiert, ausgenutzt, unterschätzt, geschlagen, gequält und Schlimmeres. Da ist noch so viel krumm, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Echte Gleichberechtigung? Fehlanzeige! Jede Stunde werden bei uns 13 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Jede dritte Frau hat schon mal körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Alle drei Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und es wird nicht besser. Nach meinem Eindruck verkehrt sich die Entwicklung stellenweise sogar ins Gegenteil, ich bemerke bei vielen jungen Menschen zunehmend wieder ein eher konservatives Rollenverständnis, das an die 1950er-Jahre erinnert.

Diese letzten Sätze habe ich übrigens von mir selbst abgeschrieben, aus einem Grußwort im Frauenbranchenbuch, das im vergangenen Jahr erschienen ist. Und besagtes Grußwort habe ich wiederum teilweise von mir selbst abgeschrieben aus einem älteren Text zur Gleichberechtigung im Stadtkind. Und ich bin mir sicher, wenn ich in fünf oder zehn Jahren einen weiteren Text schreibe zum Stand der Gleichberechtigung in Deutschland, dann geht das wieder ganz einfach mit Copy-and-paste. Leider.

Mein Text im Frauenbranchenbuch ging noch ein bisschen weiter: Für mich geht es beim Thema Gleichberechtigung ganz grundsätzlich um Augenhöhe, um Wertschätzung, um Respekt. Respekt, den viele Männer offensichtlich nicht haben. Und den Frauen laut und deutlich einfordern sollten. Es geht aber auch um Respekt, den Frauen gegenüber sich selbst empfinden sollten. Es geht um Selbstermächtigung. Es geht darum, alte Muster aufzubrechen und Rollen zu hinterfragen …

Das Thema Gleichberechtigung ärgert mich seit Jahren maßlos. Wir leben im 21. Jahrhundert, dieses Thema dürfte längst keines mehr sein. Aber die Ungerechtigkeiten halten sich hartnäckig. Es geht mal ein paar Schritte in die richtige Richtung, aber dann auch wieder ein paar Schritte zurück. Und plötzlich sind sie wieder da, Geschlechterstereotype, die das Verhalten und die Chancen von Frauen und Männern nachhaltig beeinflussen. Was beispielsweise auf TikTok verbreitet wird, spottet jeder Beschreibung. Es hat mich in den Fingern gejuckt, in dieser Ausgabe zum Weltfrauentag einen Text beizusteuern, in dem ich unter anderem auch über Emanzipation und Feminismus diskutieren wollte. Ich gehe da vieles mit, sehe aber manches auch sehr skeptisch. Okay, vielleicht ist es beispielsweise gut, für Frauen Safe Spaces zu schaffen. Vielleicht ist es gut, wenn Männer hin und wieder draußen bleiben müssen. Aber die eigentliche Frage ist doch, was in den Köpfen passieren muss, damit solche Schutzräume gar nicht erst nötig werden. Schafft man mehr Gleichberechtigung, indem man gegen die Männer kämpft, oder gelingt das besser, wenn man sie mitnimmt? Und welche Rolle spielen eigentlich die Frauen bei der Weitergabe von Geschlechterstereotypen? Sie erziehen ja die Männer von morgen und haben die Männer von heute erzogen. Klar, auch das ist ein Problem, Frauen und Männer sollten eigentlich gleichberechtigt für ihre Kinder Sorgen. Aber die Realität ist halt noch eine andere. Was allerdings eventuell auch eine Chance ist. Denn damit haben die Frauen es aus meiner Sicht tatsächlich ein Stück weit selbst in der Hand. (Ich weiß schon jetzt, dass ich für diese steile These Ärger bekommen werde.)

Wie gesagt, es hat mich gejuckt. Aber dann hat mich Ayda Kırcı angerufen und gefragt, ob ich nicht in der März-Ausgabe ein paar Frauen zu Wort kommen lassen will. Und ich wollte (nach der Einsicht, dass es vielleicht gar nicht schlecht ist, als älterer weißer Mann stellenweise auch einfach mal die Fresse zu halten). Ab Seite 50 finden sich in dieser Ausgabe darum nun neun Beiträge von Frauen, neben Ayda haben Hanna Naber, Christina von Saß, Petra Bahr, Laura Berman, Gwendolin von der Osten, Sabine Busmann, Djenabou Diallo-Hartmann und Mona Manon Sandhas ihre Gedanken beigesteuert. Dafür ein großes Dankeschön!

Viel Spaß mit dieser Ausgabe!

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind

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Ein letztes Wort im Februar

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Ein letztes Wort im Februar


mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, wir haben zuletzt darüber gesprochen, was bei langen Nachtsitzungen in Berlin so herauskommt. Sie haben die Kürzungspläne schon einen Tag nach der sogenannten Einigung im Dezember sehr kritisch kommentiert. Inzwischen ist die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge wieder vom Tisch und beim Agrardiesel kommen die Streichungen auch nicht von jetzt auf gleich. Erklären Sie mir mal, warum die Bauern danach noch auf die Straße gegangen sind. War die Ampel noch nicht genug eingeknickt?
Da gibt es eine Geschichte hinter der Geschichte. Man konnte sich ja tatsächlich fragen, als es nur noch um den Agrardiesel ging, ob diese große Protestwelle eigentlich verhältnismäßig war. Aber wir sprechen über Prozesse, die schon länger als 20 Jahre laufen. Die Landwirte fühlen sich in einer Sandwich-Situation. Auf der einen Seite haben wir in unserer Gesellschaft immer höhere Erwartungen an unsere Landwirtschaft entwickelt. Und ganz oft enden die auf der Silbe -schutz: Umweltschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz, Naturschutz usw. Und bei den Bäuerinnen und Bauern gab es dazu durchaus einen Lernprozess. Viele waren und sind bereit, diese Erwartungen möglichst zu erfüllen. Aber sie sagen eben auch, dass die Gesellschaft gleichermaßen anerkennen muss, dass sie mit ihren Betrieben Teil eines größeren internationalen Marktes sind. Sie können nicht selbst über ihre Erzeugerpreise bestimmen, das tun leider andere. Diese Sandwich-Situation ist ein strukturelles Problem in der Landwirtschaft. Und jetzt fordern sie schlicht Planungssicherheit. Und stellen eine berechtigte Frage: Wenn wir mehr leisten sollen – okay. Aber wie sollen wir dafür entsprechend das Geld verdienen? Gibt es dazu Perspektiven und Ideen? Sie fordern außerdem Verlässlichkeit in der Politik. Sie machen Stallumbauten und werden wenig später mit neuen und schärferen Anforderungen konfrontiert. Das ist natürlich problematisch bis existenzgefährdend. An dieser Stelle haben die Bauern ausdrücklich Recht. Das ist nur ein Beispiel. Sehr viel ist in den vergangenen zwanzig Jahren schlecht gelaufen. Und die drohenden Kürzungen waren jetzt einfach der berühmte Tropfen.

Beim Thema Landwirtschaft liegen also viele Fragen ungelöst seit zwanzig Jahren auf dem Tisch. Und man hat das bisher weitgehend ignoriert, obwohl die Kreuze ja schon seit einigen Jahren auf den Äckern stehen und auf die Situation der Betriebe hinweisen.
Ja, diese grünen Kreuze sieht man auch in Niedersachsen häufig. Viele niedersächsische Dörfer hatten früher fünf oder sechs Vollerwerbshöfe. Heute finden Sie in ganz vielen Dörfern nur noch einen größeren Betrieb, der die gesamte Fläche bewirtschaftet. Es gab über viele Jahre hinweg diese, wie ich finde, verhängnisvolle Strategie: Wachsen oder Weichen. Damit hat sich die Landwirtschaft deutlich verändert. Und jetzt sind es vor allem die übrigen, kleinen und mittleren Betriebe, die nicht wissen, wie sie ihre Zukunft planen sollen. Darum haben auch viele Kinder von Landwirten ihre Zweifel, ob sie den Betrieb übernehmen möchten. Und das ist für die Eltern schwer. Viele sitzen seit etlichen Generationen auf derselben Hofstelle. Und noch etwas hält die nachwachsenden Generationen ab: Es geschieht nicht selten, dass die Landwirtschaft als Umweltsünderin diskreditiert wird. Ohne dass gesellschaftlich anerkannt wäre, dass dort harte und verantwortungsvolle Arbeit geleistet wird.

Ein Problem ist der Handel. Die Preise sind einfach viel zu niedrig, oder?
Ja. Und problematisch ist auch, dass man gar nicht weiß, wo die Zutaten für die Produkte herkommen. Wenn Sie zum Beispiel Nudeln oder Fertiggerichte kaufen und es sind darin Eier verarbeitet, dann wissen Sie nicht, woher diese stammen und unter welchen Bedingungen die Hühner gehalten werden. Da kommt die internationale Konkurrenz ins Spiel. Viele Bauern empfinden den Markt als unfair, und da ist eine Menge dran. Es gibt politischen Handlungsbedarf. Und dazu: Wenn die Gesellschaft mehr Forderungen an die Landwirte hat, dann muss sie auch bereit sein, selbst mehr zu leisten, also mehr zu bezahlen. Tierwohl hat einen konkreten Preis. Tatsächlich ist es aber so, dass am Wochenende an der Fleischtheke im Supermarkt dann doch das Sonderangebot nachgefragt wird. Zu Spottpreisen.

Was müsste denn dringend passieren?
Es gibt gute Vorschläge, zum Beispiel von der Borchert-Kommission zur Tierhaltung. Das sind alles keine neuen Erkenntnisse. Trotzdem gibt es keine entsprechenden Entscheidungen. Und genau das macht die Bäuerinnen und Bauern zunehmend wütend. Bei den jüngsten Beschlüssen war es nun so, dass sich alle gewachsenen Vorbehalte gegenüber der Politik voll bestätigt haben. Niemand hat vorher mit den Landwirten geredet, es wurden einfach Entscheidungen getroffen. Und auch die Rücknahme von Entscheidungen fand nicht statt auf der Basis eines Gesprächs, sondern wiederum einseitig. Ich finde, man kann daraus eine Menge lernen.

Ich finde, man hätte schon längst etwas lernen können. Beziehungsweise hätte man es wissen müssen. Ich habe wirklich gegrübelt, wie man als Ampel eigentlich noch mehr ins offene Messer laufen kann, so richtig mit Ansage. Gibt es da keine Berater*innen?
Es ist ja bekannt, dass da ein sehr kleiner Kreis zusammengesessen hat. Bei dem beispielsweise der Bundeslandwirtschaftsminister nicht involviert war. Er hat klar gesagt, dass er dringend abgeraten hätte. Aber das ist jetzt vergossene Milch, um im Bild zu bleiben.

Wenn ich mir die vergangenen Jahre ansehe, mit all den Landwirtschaftsminister*innen der CSU/CDU, von Seehofer bis Klöckner, dann habe ich in Erinnerung, dass es eher eine Allianz gab mit den Landwirten. Die Stoßrichtung war immer eher zukunftsabgewandt. Bloß keine Veränderungen.
Nun, es gab in Berlin auch große Bauerndemos gegen die Politik von Klöckner und anderen. Sicherlich waren vor zehn Jahren noch weniger Landwirte veränderungsbereit. Aber die Landwirte wissen heute genau, dass es Entwicklungen geben muss. Sie erleben ja den Klimawandel hautnah, Stichwort Dürresommer. Veränderungen sind unumgänglich. Und das haben die Landwirte auch beim Tierwohl längst erkannt. Ich habe mal während eines eintägigen Praktikums auf einem großen Milchviehhof festgestellt, dass man sich sehr gut um die Tiere gekümmert hat. Und der Eigentümer hat das auch begründet. Wenn es den Tieren gutgehe, dann gehe es auch ihm gut, weil die Tiere so höhere Erträge brächten.

Wobei es auf der anderen Seite auch schon viele Skandale gab, und nach wie vor viel Mist passiert in der Landwirtschaft, um auch im Bild zu bleiben.
Ja, wobei man deshalb nicht immer eine ganze Branche in Mithaftung nehmen sollte. Und es hat sich auch viel getan. Heute sehen wir beispielsweise Freiluftställe mit Melkrobotern. Die Kühe können sich frei bewegen und selbst bestimmen, wann sie gemolken werden.

Wenn ich auf das Thema Landwirtschaft blicke, dann entdecke ich eine Parallele zu anderen Themen, die wir in Deutschland haben. Die Probleme sind schon Jahre bekannt, aber Lösungen gibt es nicht. Bei der Bildung, beim Verkehr, beim Wohnungsbau, bei der Gesundheit und Pflege, beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Liste ist lang. Die Versäumnisse sind stellenweise atemberaubend. Und dann blicke ich auf die Performance der Ampel und auf die Bereitschaft der einzelnen Akteure, konstruktiv miteinander zu arbeiten. Und was ich sehe, lässt mich ratlos zurück. Haben Sie Hoffnung, dass sich das demnächst noch mal positiv dreht?
Da würde ich zuerst gerne ein bisschen Wein in das von Ihnen dargebotene Wasser gießen. Erstens gab es noch keine Regierung, die so viel mit von außen kommenden Krisen zu tun hatte, vom ersten Tag an. Zweitens sind viele der Strukturprobleme, die Sie eben genannt haben, wesentlich älter als die Ampel. Sie werden nur jetzt immer offensichtlicher. Diese Strukturprobleme, die über Jahre gewachsen sind, lassen sich leider nicht von heute auf morgen lösen. Eine schnelle Reparatur ist einfach nicht realistisch. Und drittens leben in unserer Gesellschaft viele, viele Menschen unter ziemlich auskömmlichen Bedingungen. Nicht alle, das will ich ausdrücklich dazusagen. Aber wenn man sich anschaut, wie unsere Großeltern gelebt haben und wie Menschen in vielen anderen Teilen der Welt leben, dann kann schon feststellen, dass heute bei uns nicht alles schlecht ist.

Okay, es ist nicht alles schlecht.
Na, immerhin.

Aber trotzdem …
Das war ja auch nur die Vorbemerkung zu Ihrer Vorbemerkung. Generell muss Politik die Probleme anpacken und lösen, völlig klar. Ich finde, dass sich die Ampel erstens das Leben selbst sehr schwer macht, weil sie in vielen Fällen durchaus vernünftige Arbeit geleistet hat und weiterhin leistet. Leider bekommt das nur vor lauter öffentlichem Streit kaum noch jemand mit. Zweitens würde ich es sehr begrüßen, wenn man realistische Ziele kommunizieren würde. Sonst weckt man Erwartungen, die einfach nicht zu erfüllen sind. Und drittens wünsche ich mir, dass sich die demokratischen Kräfte in Deutschland jetzt miteinander verständigen und die Reihen schließen. Das ist vielleicht sogar das Wichtigste, angesichts der Entwicklungen um die AfD.

Interview: Lars Kompa

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Neu in der Stadt: Lakrids by Bülow

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Neu in der Stadt: Lakrids by Bülow


Obwohl Lakritz häufig Kontroversen zwischen Süßigkeitenfans auslösen, könnten die „Lakrids“ von Johan Bülow selbst Skeptiker*innen umstimmen. Der Däne setzte sich vor mittlerweile 14 Jahren das Ziel, der unterschätzten Süßigkeit seiner Heimat einen besseren Ruf zu verschaffen – mit Erfolg! Sein Unternehmen „Lakrids by Bülow“ versorgt unterdessen Lakritz-Fans weltweit, und nun sogar auch in Hannover. Ab dem 1. Februar kehren Bülows extravagante Lakritz in die Karmarschstraße 21, im Peek&Cloppenburg, ein. Das besondere an Bülows Lakrids ist, dass sie eben nicht wie die standardmäßigen schwarzen Gummischnecken sind. Bülow perfektionierte bereits früh seine Rezeptur, um die Lakritze so außergewöhnlich wie möglich zu machen. Deshalb findet man im Lakrids by Bülow Shop, ob online oder in Person, Lakritze in zahlreichen Geschmacksrichtungen. Das Besondere: Bülow ist bekannt für seine Lakritzbällchen mit Schokoladenüberzug der verschiedensten Sorten. Butter Cookie, Crispy Raspberry oder Frozen Mint sind dabei nur wenige seiner vielen Kreationen. Bülows Kreativität verleiht Lakritzen mehr als nur den bekannten, bittersüßen Geschmack. Die kleinen Geschmackskügelchen bestehen zudem aus nachhaltig angebauten Zutaten, eingebettet in nachhaltig produzierten und eleganten Verpackungen. Wer also die Neuinterpretation der Kindheitssüßigkeit testen möchte, kann dies ab Februar in der Innenstadt tun. Die ersten 50 Kunden, die vom 1. bis zum 3. Februar im neuen Store einkaufen, erhalten sogar ein Goodie Bag als Geschenk.

Lakrids by Bülow
Karmarschstraße 21, 30159 Hannover.
https://lakridsbybulow.de

 

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Neu in der Stadt: Klavierhaus Döll

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Neu in der Stadt: Klavierhaus Döll


Es ist soweit – das Klavierhaus Döll zieht um, von Hannovers City in den Stadtteil List.
Die neue Adresse des Traditionsunternehmens liegt gut erreichbar im Pelikanviertel, Ecke Podbielskistraße.

Ariane Jablonka, die geschäftsführende Gesellschafterin des Klavierhaus Döll, freut sich „auf einen Neubeginn in großen, lichtdurchfluteten und wunderschönen Räumen. Nach über 66 Jahren in der Schmiedestraße sind wir jetzt aus diesem Standort, dem unser Haus stets treu geblieben ist, ‚herausgewachsen‘. Aber jetzt ist es soweit – die richtige Zeit für die List ist gekommen.“

Mit dem Klavierhaus Döll, dem sie seit dreißig Jahre angehört, verbinde sie eine lebenslange Liebe, so Ariane Jablonka. Sie möchte sich, gemeinsam mit ihrem erfahrenen und engagierten Team einen Traum verwirklichen: „Wir wandeln unser bezauberndes Geschäft um in den „Concept Store Klavierhaus Döll“, eine kulturell anregende Verbindung von Klavier & Flügelverkauf und Konzert- & Kunst-Eventlocation. Der neue Concept Store wird Kultur und Business verbinden. Was bleibt ist jedoch die bewährte Döll-Unternehmensphilosophie, die jedem Kunden das bestmögliche Produkt zum bestmöglichen Preis in der jeweiligen Preislage anbietet und dies auf einem für beide Seiten realisierbaren Weg. Ab dem 2. Februar startet die schwungvolle Eröffnung des ca. 1.000 Quadratmeter großen, modernen Geschäft.

Günther-Wagner-Allee 7, 30177 Hannover-List.
Mo-Sa 12–18 Uhr und nach Vereinbarung.
Tel: 0511 30187732
Email: info@klavierhaus-doell.de

https://www.klavierhaus-doell.de/
https://www.facebook.com/klavierhausdoell

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